Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 2 StR 64/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2083

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Gegenstand

Schwere Brandstiftung: Anforderungen an die Annahme einer konkreten Gesundheitsgefährdung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Oktober 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) hinsichtlich Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe,

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Betrugs in zwei Fällen (Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von (in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten) früheren Einzelgeldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie wegen Betrugs in 23 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat hinsichtlich der Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe folgendes festgestellt:

3

a) Der Angeklagte setzte sein von ihm allein bewohntes Haus, an dessen Seite ein Mehrfamilienhaus unmittelbar angebaut war, in der Absicht in Brand, die Versicherungsleistungen aus der Hausrats- und Wohngebäudeversicherung geltend zu machen. Dem Angeklagten „war bewusst, dass im Nachbarhaus die schwer lungenkranke Zeugin [X.]bei geöffnetem, zu seinem Haus hin gelegenen Fenster schlief und durch die [X.]gase an ihrer Gesundheit gefährdet werden würde“ ([X.]). Nachdem das Haus „in voller Ausdehnung“ brannte, „bestand die Gefahr eines Übergreifens der Flammen auf das angrenzende Mehrfamilienhaus sowie einer [X.]gas-Verletzung der dortigen Bewohner, vor allem der schwer lungenkranken Frau [X.]“ ([X.]; [X.] 1 der Urteilsgründe).

4

b) Am nächsten Morgen meldete der Angeklagte den Brand telefonisch der Versicherung. Am selben Tag versandte er zudem an die Versicherung eine schriftliche Schadensmeldung, wobei er den Eindruck erweckte, mit dem Brand nichts zu tun zu haben. Er beabsichtigte, eine Deckungszusage von der Versicherung zu erhalten, „obgleich er wusste, hierauf keinen Anspruch zu haben“ ([X.]). Die Versicherung erkannte den geltend gemachten Anspruch nicht an und leistete keine Zahlungen ([X.] 2 der Urteilsgründe).

5

c) Etwa vier Monate nach dem Brand erhob der Angeklagte gegen die Versicherung Klage auf Zahlung von Schadensersatz, wobei er verschwieg, „auf eine solche Zahlung aufgrund der von ihm begangenen Brandstiftung keinen Anspruch zu haben“. Zu der von ihm angestrebten Verurteilung der Versicherung kam es nicht, da der Angeklagte die Klage nach einem Hinweis des Vorsitzenden der Zivilkammer auf „mangelnde Fälligkeit der Forderung“ zurücknahm ([X.]; [X.] 3 der Urteilsgründe).

6

2. Die hinsichtlich der Fälle II. 1 bis 3 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Betrugs in zwei Fällen nicht; auf die insoweit erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.

7

a) Die Annahme des [X.]s, durch die Tat sei die Zeugin [X.]in die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 306a Abs. 2 StGB gebracht worden, wird durch die Feststellungen nicht ausreichend belegt.

8

§ 306a Abs. 2 StGB setzt als konkretes Gefährdungsdelikt voraus, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut – die Gesundheit eines Menschen – führt. In dieser Lage muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt sein, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob ihre Gesundheit verletzt wird oder nicht. Zur Annahme einer konkreten Gesundheitsgefährdung in diesem Sinne reicht es noch nicht aus, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2008 – 3 [X.], [X.]R StGB § 306a Abs. 2 Gesundheitsschädigung 2; [X.], StGB, 60. Aufl., § 306a Rn. 11, jeweils mwN).

9

Nach diesen Maßstäben lässt sich den getroffenen Feststellungen die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung der Zeugin [X.]nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Das [X.] hat insbesondere zu den örtlichen Gegebenheiten keine ausreichend genauen Feststellungen getroffen. Es wird schon nicht deutlich, wo sich der Raum befand, in dem die Zeugin [X.]bei geöffnetem, zum [X.] hin gelegenem Fenster schlief, obwohl jenes Mehrfamilienhaus „unmittelbar“ ([X.] an das [X.] angebaut war. Nicht dargelegt wird auch, ob bereits Schäden an dem von der Zeugin bewohnten Haus – zumindest teilweise – eingetreten waren, und ob sie der Einwirkung von [X.] oder Gasen tatsächlich ausgesetzt war. Eine konkrete Gesundheitsgefährdung ist daher nicht hinreichend belegt.

b) Die Verurteilung wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die [X.] die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) nicht erörtert hat.

aa) Den Urteilsgründen ist schon nicht zu entnehmen, warum die vom [X.] als selbständig bewerteten Betrugsversuche nicht die Annahme eines einzigen Versuchs rechtfertigen, da der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatplan, unberechtigt Versicherungsleistungen geltend zu machen, weiter verfolgt hat (vgl. auch [X.], Beschluss vom 21. Juli 1998 – 4 StR 274/98, [X.], 110). Setzt der Täter mehrfach zur Tat an, ist Voraussetzung für die Annahme eines Versuchs, dass die vorausgegangenen, erfolglos gebliebenen Teilakte mit dem neuen Anlauf, auf den der Täter schließlich verzichtet hat, einen einheitlichen Lebensvorgang bilden. Dabei ist ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Versuchshandlungen erforderlich (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 [X.], insoweit in NJW 2013, 3383 nicht abgedruckt; Urteil vom 30. November 1995 – 5 [X.], NJW 1996, 936, 937; Urteil vom 1. März 1994 – 1 StR 33/94, [X.]St 40, 75, 77; [X.] aaO § 24 Rn. 17 mwN). Ob hier ein solcher einheitlicher Lebensvorgang gegeben ist, hat das [X.] nicht geprüft.

bb) Die [X.] erörtert nicht, welches Vorstellungsbild der Angeklagte nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung(en) gehabt hat. Nach dem Vorstellungsbild des [X.] bestimmt sich indes nicht nur die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch (vgl. nur [X.] aaO § 24 Rn. 14 mwN); die Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ist auch für die Frage entscheidend, ob ein Versuch fehlgeschlagen ist (vgl. nur [X.], Urteil vom 25. Oktober 2012 – 4 [X.], [X.], 156, 157 f. mwN). Schließlich ist das Vorstellungsbild des [X.] gegebenenfalls auch für die Beurteilung der Freiwilligkeit eines Rücktritts von Bedeutung (vgl. [X.], Urteil vom 15. September 2005 - 4 [X.], [X.], 168, 169 mwN). Liegt – wie hier vom [X.] angenommen – eine Zäsur vor, müssen zudem die Vorstellungen des Angeklagten jeweils nach der (vorläufig) letzten Ausführungshandlung dargetan werden (vgl. nur [X.], Urteil vom 19. März 2013 – 1 [X.], [X.], 273, 274).

Lässt sich – wie hier – den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten nicht (hinreichend) entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. u.a. [X.], Urteil vom 19. März 2013 – 1 [X.], [X.], 273, 274; Beschluss vom 13. November 2012 - 3 [X.] Rn. 5 juris).

3. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Betrugs in zwei Fällen, einschließlich der insoweit verhängten Einzelstrafen. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der (ersten) Gesamtstrafe nach sich, die zudem ihrerseits nicht rechtsfehlerfrei ist. Die [X.] hat die im Strafbefehl des [X.] vom 10. März 2011 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe verhängten Einzelstrafen in die Gesamtstrafe einbezogen, ohne jedoch die Höhe der Einzelstrafen mitzuteilen. Da eine Gesamtstrafe immer nur aus Einzelstrafen gebildet werden kann, muss deren Höhe im Urteil angegeben werden, um dem Senat die Nachprüfung der [X.] Bemessung der Gesamtstrafe zu ermöglichen (vgl. auch [X.] aaO § 55 Rn. 8, 15 mwN).

4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben.

[X.]     

Ri[X.] Prof. Dr. Schmitt
ist aus tatsächlichen Gründen
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Eschelbach

[X.]

Ott     

     Zeng      

Meta

2 StR 64/13

10.10.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 24. Oktober 2012, Az: 61 KLs 407 Js 484/11 - 17/12

§ 306a Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 2 StR 64/13 (REWIS RS 2013, 2083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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