Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.05.2011, Az. X ARZ 109/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6626

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit: Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei fehlendem Vortrag zum Erfüllungsort oder Wohnsitz des Beklagten


Leitsatz

Ein Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb unwirksam, weil das verweisende Gericht sich nicht mit der Frage befasst hat, ob es gemäß § 29 ZPO örtlich zuständig ist, wenn die Parteien weder die Frage des Erfüllungsorts thematisiert noch zum Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen haben .

Tenor

Zuständig ist das [X.].

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Vergütung für [X.] in Anspruch.

2

Der Beklagte schloss mit der Klägerin am 30. Juli 2008 einen schriftlichen Vertrag über die Erbringung von [X.]. Unter der Rubrik "Anschrift" ist in dem Vertragsformular eine Adresse in [X.] eingetragen.

3

Am 12. Januar 2010 wurde dem Beklagten unter einer anderen Adresse in [X.] antragsgemäß ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung von 411,31 Euro zugestellt. Der Beklagte legte Widerspruch ein und teilte als Anschrift eine Adresse in [X.] mit. Nach Zahlung des [X.] gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnantrag benannte Amtsgericht [X.] ab. Dieses konnte die Anspruchsbegründung nicht unter der im Mahnbescheid angegebenen Adresse in [X.] zustellen. Die Klägerin teilte als neue Anschrift eine wiederum andere Adresse in [X.] mit. Dort wurde die Anspruchsbegründung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt.

4

Nach Zustellung der Anspruchsbegründung bat das Amtsgericht [X.] die Klägerin um Mitteilung, ob Verweisung an das [X.] beantragt werde, weil der Beklagte nach seinen Angaben bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid in [X.] wohnhaft gewesen sei. Die Klägerin stellte [X.] mit der Begründung, der Beklagte habe seinen Wohnsitz bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs nach [X.] verlegt; hier sei das [X.] örtlich zuständig. Das Amtsgericht [X.] erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit "an das nach §§ 12 ff. ZPO für den Wohnsitz des Beklagten zuständige" [X.].

5

Das [X.] teilte den Parteien mit, es halte den Verweisungsbeschluss für nicht bindend, weil das Amtsgericht [X.] gemäß § 29 ZPO weiterhin zuständig sei. Die Klägerin beantragte daraufhin, den Rechtsstreit an das Amtsgericht [X.] zurückzuverweisen. Das [X.] erklärte sich für unzuständig und legte die Sache dem [X.] vor.

6

Das [X.] hält das [X.] für zuständig. Es sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung des Gerichtsstandes durch Entscheidungen von vier anderen Oberlandesgerichten ([X.], Beschluss vom 17. August 2001 - 21 AR 65/2001, NJW 2001, 3792; [X.], Beschluss vom 20. Februar 2006 - 1 W 98/05, [X.] 2006, 652; [X.], Beschluss vom 09. Juli 2007 - 31 [X.], [X.], 1278; KG, Beschluss vom 17. September 2007 - 2 AR 37/07, [X.] 2008, 248) gehindert und hat die Sache deshalb dem [X.] vorgelegt (Beschluss vom 31. März 2011 - 1 AR 16/11, juris).

7

II. Mit zutreffenden Erwägungen hat das vorlegende Gericht die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und für eine Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO bejaht.

8

III. Zuständig ist das [X.].

9

1. Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, ist im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch [X.] erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. nur [X.], Beschluss vom 27. Mai 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6).

2. Zu Recht hat das vorlegende Gericht den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts [X.] bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als willkürlich angesehen.

Ein Verweisungsbeschluss kann allerdings als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar zu beurteilen sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat. Der [X.] hat dies für den Fall bejaht, dass schon mehrere Jahre vor dem Verweisungsbeschluss eine Gesetzesänderung erfolgt ist, die Verweisungen der in Rede stehenden Art gerade verhindern soll ([X.], Beschluss vom 10. September 2002 - [X.], NJW 2002, 3634, 3635).

Eine vergleichbare Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ergibt sich sowohl aus dem Verweisungsbeschluss als auch aus dem zuvor erteilten Hinweis, dass das Amtsgericht [X.] für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage nur auf den Wohnsitz abgestellt und eine mögliche Zuständigkeit am Gerichtsstand des [X.] (§ 29 ZPO) nicht in Erwägung gezogen hat. Dies begründet jedoch noch nicht den Vorwurf der Willkür. Eine Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil der Inhalt der zusammen mit der Anspruchsbegründung vorgelegten Kopien des Mobilfunkvertrages und der Rechnungen darauf hindeutet, dass der Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und damit gemäß § 269 Abs. 1 BGB auch der Erfüllungsort für den [X.] in [X.] lag. Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Weder die Klägerin noch der Beklagte - der sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemeldet hat - hatten die Frage des [X.] thematisiert oder zum Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen. Das Amtsgericht [X.] war dadurch zwar nicht gehindert, diese Frage von sich aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch Erteilung geeigneter Hinweise an die Parteien einer Klärung zuzuführen. Der Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt jedoch allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen.

Meier-Beck                                  Gröning                                     Bacher

                         Hoffmann                                 Schuster

Meta

X ARZ 109/11

17.05.2011

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 29 ZPO, § 281 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.05.2011, Az. X ARZ 109/11 (REWIS RS 2011, 6626)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6626

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