Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2018, Az. XII ZB 636/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 7467

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:200618BXIIZB636.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/17

vom

20. Juni 2018

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 115 Abs. 3; [X.] § 90
Zur Anrechnung einer für nicht unbedingt notwendige Anschaffungen ausgege-benen [X.] als fiktives Vermögen bei der Bedürftigkeitsprü-fung im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe.

[X.], Beschluss vom 20. Juni 2018 -
XII [X.]/17 -
[X.] [X.]

AG [X.]/[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 20.
Juni 2018
durch

den Vorsitzenden Richter Dose
und [X.], Dr.
Nedden-Boeger, Dr.
Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16.
Zivilsenats
als Senat für Familiensachen
des [X.]s in [X.]
vom 7.
Dezember 2017
wird auf Kosten der Antragsgegnerin
zurück-gewiesen.

Gründe:
I.
Das Familiengericht hat den Antragsteller auf den [X.] zur [X.] eines Schmerzensgelds in Höhe von 5.000

r-pflichtet und ihren weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Auf diese,
ihr
am 21.
Februar 2017 zugestellte Entscheidung hat die Antragsgegnerin fristgerecht
beantragt, ihr Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Be-schwerde zu bewilligen,
mit der sie ein Schmerzensgeld von noch mindestens weiteren 10.000

anstrebte. Im Rahmen der Darlegung ihrer persönlichen und
wirtschaftlichen
Verhältnisse hat sie angegeben, während des laufenden erstinstanzlichen
Verfahrens neben einer arbeitsrechtlichen Abfindung von 1.993,09

rückständigen
Unterhalt in Höhe von 25.146,08

den
sie für die Rückzahlung eines privaten Darlehens über 11.000

Kauf einer Küche und diverser Möbel in Höhe von rund 5.000

uf von Elektrogeräten in Höhe von rund
2.000

1
-
3
-
in Höhe von rund
1.000

verwendet
habe; desweiteren habe sie ihren Lebens-unterhalt in den Monaten Juni 2016 bis Januar 2017 davon bestritten. Das [X.]
hat den Verfahrenskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil sie das erhaltene Vermögen für die Verfahrensführung habe
einsetzen müssen. Die behaupteten Zahlungen und Anschaffungen aus dem Vermögen seien nicht belegt und die Zahlung der Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit dem die Antragsgegnerin
habe rechnen müssen, ginge ohnehin den behaupteten An-schaffungen vor.
Auf diese ihr am 11.
Juli 2017
zugestellte Entscheidung hat die [X.] am
18.
Juli 2017
Beschwerde in der Hauptsache eingelegt und [X.] in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, dass sie nach den gegebenen Umständen vernünftiger Weise nicht mit einer Ablehnung ihres Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit habe rechnen müssen.
Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.
Die nach §
117 Abs.
1 Satz
4
FamFG, §§
238 Abs.
2, 522 Abs.
1 Satz
4, 574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig,
weil die Voraussetzungen des §
574 Abs.
2 ZPO nicht erfüllt sind.
Der [X.] ist unbegründet, denn die
Antragsgegnerin
war nicht ohne Verschulden gehindert, die versäumte Frist zur Einlegung der Begründung ein-zuhalten.

2
3
4
-
4
-
1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von [X.] beantragt hat, so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer Frist wahrenden Handlung

wie hier
der Be-schwerdeeinlegung

verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Um-ständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§
114
ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfe-gesuch entschieden werden konnte (Senatsbeschluss vom 25.
Oktober 2017

XII
ZB
251/17

FamRZ 2018, 120 Rn.
9
mwN).
Das ist jedoch
dann nicht der Fall, wenn der Beteiligte oder sein anwaltlicher Vertreter erkennen konnte, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von [X.] nicht gegeben sind (Senatsbeschluss vom 25.
März 2015

XII
ZB
96/14

FamRZ 2015, 1103 Rn.
5).
2. Allerdings
kann ein Rechtsmittelführer vor allem dann
darauf [X.], die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von [X.] dargetan zu haben,
wenn ihm bereits in der Vorinstanz

aufgrund eines ordnungsgemäß
und vollständig ausgefüllten Vordrucks

Verfahrenskostenhilfe gewährt worden war und sich die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Beteiligten
zwischenzeitlich nicht in einer für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe erheblichen Weise geändert haben (vgl.
Senatsbeschluss vom 3.
Juli 2013

XII
ZB
106/10

FamRZ 2013, 1650 Rn.
13 mwN).
Letzteres ist hier aber
nicht der Fall. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin hatten sich zwischenzeitlich dadurch in erheblicher
Weise ge-ändert, dass sie während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens rückstän-digen
Unterhalt
in Höhe von 25.146,08

te. Dieser Betrag musste, 5
6
7
-
5
-
soweit er das durch §§
115 Abs.
3 ZPO, 90 SGB
XII iVm
§
1 Nr.
1 der
Verord-nung zur Durchführung des §
90 Abs.
2 Nr.
9 SGB
XII
(BGBl.
2017
I S.
519) festgelegte Schonvermögen von (jetzt) 5.000

an kleineren Barbeträgen
oder sonstigen Geldwerten übersteigt, als zwischenzeitlich erworbenes Vermögen grundsätzlich zur Bestreitung der Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit dem die
Antragsgegnerin rechnen musste, zurückgelegt werden
(vgl. Senatsbe-schluss vom 25.
November 1998

XII
ZB
117/98

FamRZ 1999, 644).
3. Obgleich
der
eingenommene Betrag
von 25.146,08

r-handen ist, muss ihn
sich die Antragsgegnerin als fiktives Vermögen zurechnen lassen, soweit sie ihre Leistungsunfähigkeit durch Vermögen aufzehrende [X.] böswillig herbeigeführt hat.
a) Sind nämlich Rechtsverfolgungskosten absehbar, darf vorhandenes Vermögen nicht mehr leichtfertig für nicht unbedingt notwendige Zwecke aus-gegeben werden. Geschieht dies gleichwohl,
muss sich
der Antragsteller nach der Rechtsprechung des [X.]
die ausgegebene Summe als [X.] Vermögen anrechnen lassen und kann sich insoweit auch nicht mehr auf den Schonbetrag nach §
90 Abs.
2 Nr.
9 SGB
XII berufen
(vgl. bereits Senats-beschlüsse
vom 25.
November 1998

XII
ZB
117/98

FamRZ 1999, 644
und vom 30.
September 2009

XII
ZB
135/07

FamRZ 2009, 1994 Rn.
11; [X.] Beschluss vom 21.
September 2006

IX
ZB
305/05

NJW-RR 2007, 628 Rn.
7).
Dies steht im Einklang mit dem sozialhilferechtlichen Grundsatz, dass zum Ersatz der Sozialhilfeleistungen verpflichtet ist, wer die Voraussetzungen für deren Gewährung durch vorsätzliches oder grobfahrlässiges Verhalten her-beigeführt hat (§
103 Abs.
1 SGB
XII; vgl. OLG [X.] NJW-RR 1986, 799; [X.]/Wache 5.
Aufl. §
115 Rn.
61).
Nach dem Rechtsgedanken 8
9
10
-
6
-
dieser Vorschrift ist Sozialwidrigkeit anzunehmen, wenn das maßgebliche [X.] eine ersatzlose Gewährung von Leistungen
zur Sicherung des Lebens-unterhalts aus Steuermitteln als unbillig erscheinen lässt, weil dann die [X.] vorwerfbar entgegen geforderter Eigenbemühungen in Anspruch genommen würde
([X.][X.] [Stand: 1.
März 2018] SGB
XII §
103 Rn.
1).
Das betrifft hier jedenfalls
die Aufwendungen für die Renovierung und Neueinrichtung der Wohnung im Umfang von mindestens 7.000

nämlich an Darlegungen, weshalb diese Aufwendungen noch vor Abschluss des Gerichtsverfahrens unabwendbar notwendig waren und nicht etwa

im Hinblick auf die Möglichkeit anfallender Verfahrenskosten für ein Beschwerde-verfahren

hätten
unter Weiterbenutzung der vorhandenen Möbel und Elektro-geräte aufgeschoben werden können. Auch
durfte die Antragsgegnerin im [X.] auf die in Aussicht stehenden Verfahrenskosten nicht in den Monaten Juni 2016 bis Januar 2017 ihren Lebensunterhalt in geltend gemachter Höhe von monatlich weiteren 535,22

Aufzehrung
ihres Vermögens aufbessern, nachdem ihr für diesen Zeitraum bereits monatlich 1.284

h-lungen bedarfsgemäß zur Verfügung standen.
Unter Beachtung des Vorrangs der Ausgaben für die Verfahrensführung hätte die Antragsgegnerin aus der [X.] mindestens diese 7.000

weitere (8 x 535,22

e-samt also 11.281,76

als von ihr geforderte Eigenbemühung zurückbehalten müssen. Abzüglich des Schonvermögens (seit 1.
April 2017) von 5.000

kleineren Barbeträgen
hätte die Antragsgegnerin somit ein
fiktives Vermögen von 6.281,76

teigt bei weitem den für die Führung des eigenen und die Abwehr des von der [X.] eingelegten Rechtsmittels erforderlichen Betrag.
11
12
-
7
-
b) Allerdings führt im Sozialhilferecht das vorsätzliche oder grobfahrläs-sige Herbeiführen der Leistungsvoraussetzungen nicht zur Versagung der Leis-tung, sondern nur zu einer Verpflichtung des späteren Ersatzes der Kosten der Sozialhilfe (§
103 Abs.
1 SGB
XII). Dies beruht indessen darauf, dass [X.] das Existenzminimum des Leistungsempfängers gefährdet
wäre. Bei der Verfahrenskostenhilfe handelt es sich demgegenüber
nicht um einen [X.] Bedarf, sondern

lediglich

um einen nicht lebensnotwendigen Teilhabeanspruch. Das Prozess-
und Verfahrenskostenhilferecht enthält keine dem §
103 Abs.
1 SGB
XII entsprechende Regelung über einen Kostenersatz bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Herbeiführung, weil es in diesen Fällen von vornherein nicht von einem Anspruch auf Hilfegewährung ausgeht.
c) Zwar
hat das [X.] aus dem Sozialstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG), später auch unter ausdrücklicher Berufung auf den [X.] (Art.
20 Abs.
3 GG), die Forderung nach einer weitgehenden Angleichung der Situation von [X.] und [X.] im Bereich des Rechtsschutzes abgeleitet. Danach darf [X.] die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu [X.] nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Un-bemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Bemittelter ([X.] 122, 39 =
[X.], 2179 Rn.
30
ff. mwN).
Auf diesen Schutz kann sich hingegen
nicht berufen, wer
ursprünglich selbst über ausreichende Mittel verfügte, diese Mittel jedoch ohne Rücksicht auf die bevorstehenden
Rechtsverfolgungskosten für
andere, nicht unbedingt not-wendige Zwecke ausgegeben hat. Denn er hat dann über den Einsatz seiner

an sich ausreichend vorhandenen

Mittel selbstbestimmt disponiert und sich dabei bewusst gegen deren Zurückbehaltung
für Zwecke der anstehenden 13
14
15
-
8
-
Rechtsverfolgung entschieden. Eine
so getroffene Vermögensdisposition muss der Betreffende gegen sich gelten lassen. Er kann weder aus dem Sozial-staatsprinzip noch aus dem [X.] fordern, die für andere Zwecke bereits ausgegebenen Mittel im Wege der Verfahrenskostenhilfe noch einmal aufgestockt und damit faktisch doppelt
zur Verfügung
zu erhalten.
Denn andernfalls wäre der Betreffende bessergestellt als ein Bemittelter, der seine vorhandenen Mittel von vornherein nur für einen Zweck ausgeben kann,
und
der deshalb seine Interessen abwägen muss.
Er wäre auch ungerechtfertigt besser gestellt gegenüber demjenigen, der seine nicht unbedingt notwendigen Anschaffungen zurückstellt, bis feststeht, ob die vorhandenen Mittel etwa für die Rechtsverfolgung benötigt werden.
Vor diesem Hintergrund musste die Antragsgegnerin von vornherein mit der Ablehnung ihres Verfahrenskostenhilfegesuchs
rechnen, weil sie sich nicht
für bedürftig im Sinne der §§
114
ff. ZPO halten durfte.
4. Soweit in Rechtsprechung und Literatur vertreten wird, [X.] zur Erfüllung rückständigen Unterhalts müssten generell nicht als Vermö-gen im Sinne von §
115 Abs.
3 ZPO eingesetzt werden, weil sie in erster Linie zur Bestreitung des Lebensunterhalts dienten und daher als Einkommen im Sinne von §
115 Abs.
1 ZPO zu behandeln seien (vgl. OLG [X.] FamRZ 2012, 385
f.
mwN), führt dies jedenfalls im vorliegenden Fall zu keiner [X.] Beurteilung. Denn auch einen aus laufendem Einkommen angespar-ten Betrag hätte die Antragsgegnerin in der konkreten Situation, in der sie mit einem möglichen
Beschwerdeverfahren rechnen musste, nicht für aufschiebba-re Anschaffungen und eine bedarfsüberschreitende Lebensführung in den Mo-

16
17
-
9
-

naten Juni 2016 bis Januar 2017 verwenden dürfen, sondern für
die Verfah-rensführung reservieren müssen.

Dose

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
AG [X.]/[X.], Entscheidung vom 15.02.2017 -
200 F 8604/12 -

[X.] [X.], Entscheidung vom 07.12.2017 -
16 UF 68/17 -

Meta

XII ZB 636/17

20.06.2018

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2018, Az. XII ZB 636/17 (REWIS RS 2018, 7467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7467

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 636/17

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