Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.05.2018, Az. 3 StR 622/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 8966

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:170518U3STR622.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
3 StR 622/17

vom
17. Mai 2018
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 3.
Mai
2018
in der Sitzung am 17.
Mai 2018, an denen
teilgenommen haben:
Vorsitzender
Richter am Bundesgerichtshof
Becker,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Dr.
[X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr.
[X.],
Hoch,
Dr.
Leplow

als beisitzende Richter,

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Nebenklägervertreter,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11.
August 2017 zugunsten des Angeklagten aufgehoben;
jedoch bleiben die [X.] zum objektiven Tatgeschehen bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen [X.], soweit es das Ziel einer Verurteilung des Angeklagten auch wegen ver-suchten Totschlags verfolgt; es führt jedoch zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zugunsten des Angeklagten.
1
-
4
-
I.
Die Revision des [X.]
ist gemäß §
400 Abs.
1 [X.] unzulässig, soweit sie sich gegen die Annahme eines minder schweren Falles der gefähr-lichen Körperverletzung richtet (vgl. [X.], [X.], 7.
Aufl., §
400 Rn.
1). Soweit der Beschwerdeführer die Verurteilung des Angeklagten wegen ver-suchten Totschlags anstelle gefährlicher Körperverletzung anstrebt, hat die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten erkennen lassen; das Rechtsmittel ist insoweit unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 [X.].
Das [X.] hat sich von einem (bedingten) Tötungsvorsatz des [X.] rechtsfehlerfrei nicht zu überzeugen vermocht. Auf der -
mangels hin-reichender Darstellung des Rücktrittshorizonts rechtlich bedenklichen
-
Hilfser-wägung, dass selbst dann, wenn der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hätte, er jedenfalls mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten wäre, beruht die Entscheidung nicht.
II.
Die auf die Revision des [X.] gemäß §
301 [X.] veranlasste Überprüfung der Entscheidung zugunsten des Angeklagten (vgl. [X.], [X.] vom 23.
August 1995 -
2
StR
394/95, [X.], 130) führt [X.] zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, da diese einen durchgrei-fenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist.
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3
4
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5
-
1.
Nach den Feststellungen des [X.]s lag der Angeklagte, der an einer paranoiden Schizophrenie leidet, mit dem Nebenkläger im Streit. Aufgrund seiner Todesdrohungen gegen den Angeklagten war gegen den Nebenkläger ein Strafbefehl ergangen; in deswegen gereizter Stimmung begegnete dieser in einem Parkhaus in S.

zufällig dem Angeklagten. Der Nebenkläger baute
sich in aggressiver Haltung vor dem Angeklagten auf, beleidigte diesen unter anderem als "[X.]"
und "Hurensohn" und erklärte, dass er den Angeklagten wegen Schwarzarbeit angezeigt habe. Dadurch geriet der Angeklagte, der sich vor dem körperlich überlegenen Nebenkläger fürchtete, in eine Stresssituation, die ihn vor dem Hintergrund seiner (unbehandelten) psychischen Erkrankung überforderte und zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines Steuerungsver-mögens führte. Um der Aggressivität des [X.] zu begegnen, zog er ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa 7,5
cm, zeigte es diesem und steckte es aufgeklappt wieder in seine Kleidung zurück. Der Nebenkläger akti-vierte daraufhin die Videofunktion seines Handys und forderte den Angeklagten wiederholt auf, das Messer noch einmal hervorzuholen; dabei provozierte er den Angeklagten "immer wieder" mit "massiven" Beleidigungen, die sich nun auch auf die Eltern des Angeklagten erstreckten. Als der Angeklagte versuchte, mit erhobenem Zeigefinger verbal zu erwidern, empfand er sich zunehmend überfordert und sprachlos; er verspürte Herzrasen und schwitzte. Schließlich zog der "mittlerweile in hohem Maße affektiv erregte Angeklagte" als Reaktion auf die fortdauernden Beleidigungen (u.a.: "[X.]", "Hurensohn", "Deine Mut-ter ist eine Hure", "Dein Vater ist eine Hure") das Klappmesser erneut hervor, stieß dem Nebenkläger so heftig gegen den Oberkörper, dass dieser mit dem Rücken gegen ein parkendes
Auto fiel, und stach sodann mit wuchtigen unge-zielten Stichen in Richtung des [X.], um ihn zu verletzen und die strei-tige Situation zu beenden. Dadurch fügte er dem Nebenkläger mehrere nicht lebensgefährliche Stich-
bzw. Schnittverletzungen am Kopf, an dem zum 5
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6
-
Schutz erhobenen linken Unterarm und in der Höhe des rechten Schulterblattes zu. Als der Nebenkläger sich entwinden und flüchten konnte, setzte der Ange-klagte ihm kurz nach und versuchte, ihm in den Rücken zu stechen, bevor er sodann freiwillig die weitere Verfolgung aufgab, während der Nebenkläger in etwa 20
Meter Entfernung vom Tatort unschlüssig stehen blieb.
2.
Die Urteilsgründe leiden an einem durchgreifenden Erörterungsman-gel, weil sie sich nicht mit der Frage befassen, ob der Angeklagte im [X.] (§
33 StGB) handelte.
a)
Das [X.] ist ersichtlich davon ausgegangen, dass es bereits an einer Notwehrlage fehlte. Dabei hat es rechtsfehlerhaft nicht bedacht, dass an-gesichts der massiven Beleidigungen ein die Notwehrlage begründender rechtswidriger Angriff des [X.] auf die Ehre des Angeklagten in [X.] zu ziehen war; vielmehr hat es die Lage allein unter dem Aspekt eines
-
hier nicht bevorstehenden
-
Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten beurteilt. Damit hat sich die [X.] den Blick auf die Prüfung der Voraussetzungen eines intensiven Notwehrexzesses verstellt.
b)
Die getroffenen Feststellungen belegen hinreichend, dass der Ange-klagte zur Abwehr
eines massiven gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf seine Ehre handelte. Diese darf als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut (§§
185
ff. StGB) grundsätzlich auch mit den Mitteln der Notwehr verteidigt wer-den (vgl. [X.], Urteil vom 14.
Februar 1952 -
5
StR
1/52, [X.]St 3, 217, 218; [X.], StGB, 65.
Aufl., §
32 Rn.
8); dies gilt jedenfalls, soweit es sich -
wie hier
-
nicht um nur geringfügige Behelligungen im [X.] Nahbereich, sozial 6
7
8
-
7
-
tolerables Verhalten oder eine sonstige Bagatelle handelt (vgl. [X.]/
[X.], 3.
Aufl., §
32 Rn.
7).
Zwar liegt es auf der Hand, dass die Messerattacke des Angeklagten je-denfalls die Grenzen der Gebotenheit des §
32 StGB überschritten hat. Denn zwischen der Art und dem Umfang der aus dem Angriff drohenden Verletzung und der mit der Verteidigung verbundenen Gefährdung und Beeinträchtigung des Angreifers besteht ein unerträgliches Missverhältnis (vgl. [X.]/
[X.], aaO §
32 Rn.
24 und 34 mwN). Vor dem Hintergrund der festgestell-ten psychischen Disposition und des affektiven Ausnahmezustands des Ange-klagten bei der Tat hätte sich das [X.] jedoch mit der Frage befassen müssen, ob der Angeklagte die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Denn nach den bisher getroffenen [X.] erscheinen sowohl ein Handeln des Angeklagten im Rahmen eines in-tensiven Notwehrexzesses, bei dem der Täter bei objektiv bestehender Not-wehrlage die Grenzen der Erforderlichkeit oder Gebotenheit des §
32 StGB überschreitet, als auch ein hierfür zumindest mitursächlicher asthenischer Affekt nicht so fernliegend, als dass eine Auseinandersetzung damit entbehrlich er-scheint. Die danach gebotene Prüfung des §
33 StGB hat das [X.] ver-säumt.
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von
9
10
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8
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dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können daher bestehen bleiben.
Becker
Ri'in [X.] Dr. [X.] und Ri[X.] Dr.
[X.] befinden sich im Urlaub und sind daher gehindert zu unterschreiben.
Becker
Hoch
Leplow

Meta

3 StR 622/17

17.05.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.05.2018, Az. 3 StR 622/17 (REWIS RS 2018, 8966)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8966

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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