Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2011, Az. 1 StR 579/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 308

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
[X.]

vom
15. Dezember
2011

[X.]St:
nein
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
___________________________

[X.] § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1

Zur Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß" des § 370 Abs. 3
Satz 2 Nr.
1 [X.] beim "Griff in die Kasse des Staates".

[X.], Beschluss vom 15. Dezember 2011 -
1 [X.] -
LG Essen

in der Strafsache
gegen

wegen Steuerhinterziehung

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 15. Dezember 2011
be-schlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
1. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des §
189 [X.], mit der geltend gemacht wird, der Dolmetscher für die [X.] eines
Mitangeklag-ten,

[X.]

, sei nicht gemäß §
189 Abs.
1 [X.] vereidigt worden und
habe sich auch nicht auf seine -
zuvor schon erfolgte -
allgemeine Beeidigung als Dolmetscher berufen, hat keinen Erfolg.
a) Allerdings zeigt die Revision zutreffend
auf, dass das [X.] -
vor dessen Berichtigung -
weder einen Hinweis darauf enthalten hat, dass dieser Dolmetscher dahin beeidigt worden ist, treu und gewissenhaft zu übertragen, noch, dass er sich auf seine allgemeine Beeidigung als Dolmet-scher berufen hat. Durch das Fehlen eines derartigen Hinweises wird der [X.] gegen §
189 [X.] unwiderleglich bewiesen, denn bei der Vereidigung ei-nes Dolmetschers gemäß §
189 Abs.
1 [X.] handelt es sich um eine wesentli--
3
-
che Förmlichkeit i.S.v. §
274 StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 29.
Juni 1987 -
3 [X.], [X.]R [X.] §
189 Beeidigung
1).
b) Die Verfahrensrüge dringt aber nicht durch, weil der Senat ausschlie-ßen kann, dass das angefochtene Urteil auf diesem Verstoß beruht
(aa). [X.] wurde das [X.] ordnungsgemäß dahin berichtigt, dass sich der Dolmetscher

[X.]

auf seine allgemeine Vereidigung als Dolmetscher für die [X.] berufen hat (bb).
aa) Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf einer Nichtberufung des Dolmetschers

[X.]

beruht, der für einen Mitangeklagten hinzugezogen worden war.
Angesichts der Vereidigung der übrigen Dolmetscher in der [X.] bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Dolmetscher

[X.]

sein eigener allgemein geleisteter Eid aus dem Blick geraten sein könn-te. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er deswegen nicht
treu und gewissenhaft übertragen hat, weil nicht nach außen dokumentiert ist, dass er sich seine allgemeine Beeidigung gerade im Einzelfall vergegenwärtigt hat. Vielmehr ist fernliegend, dass ein allgemein vereidigter Dolmetscher, der jahrelang bei Gericht übersetzt und sich immer wieder auf seinen allgemein
geleisteten Eid berufen hat, sich seiner Verpflichtung im Einzelfall nicht bewusst war und er deshalb unrichtig übersetzt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2005 -
1 [X.], [X.], 705).
Es ist deshalb in Fällen wie hier, in denen keine Anzeichen dafür spre-chen, dass der Dolmetscher sich seiner besonderen Verantwortung im konkre-ten Fall nicht bewusst war, auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verfah-rensverstoß beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
November 1997 -
2
StR -
4
-
257/97, [X.]R [X.] §
189 Beeidigung
3). Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass in der Hauptverhandlung für einen anderen Mitangeklagten noch ein weiterer vereidigter Dolmetscher für die [X.] tätig war, der jedenfalls die für ihn wahrnehmbare Dolmetschertätigkeit des Dolmetschers

[X.]

auf ihre Richtigkeit hin prüfen konnte. Im Übrigen schließt der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten [X.] auch deswegen aus, weil der Angeklagte ein umfangreiches Geständnis abge-legt hat und seine Angaben von zahlreichen Zeugen bestätigt worden sind (UA S.
29).
bb) Die Verfahrensrüge hat auch deshalb keinen Erfolg, weil das [X.] im Hinblick auf die Verfahrensrüge zulässig berichtigt und dabei das für eine Protokollberichtigung zu beachtende Verfahren einge-halten worden ist (vgl. dazu [X.],
Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 23.
April 2007 -
GSSt 1/06, [X.]St 51, 298; [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2009 -
2 BvR 2044/07, [X.]E 122, 248). Das [X.] ist wirksam dahin berichtigt worden, dass sich der Dolmetscher

[X.]

auf [X.] berufen hat. Der ordnungs-gemäß erhobenen Verfahrensrüge ist damit die Tatsachengrundlage entzogen, der geltend gemachte [X.] liegt nicht vor.
Im Hinblick auf den substantiierten Widerspruch des Revisionsverteidi-gers hat der Senat die Gründe der Berichtigungsentscheidung im Rahmen der Verfahrensrüge überprüft (vgl. dazu [X.]St 51, 298, 317). Die Gründe tragen die Berichtigung; der Senat hat auch sonst keine Zweifel daran, dass die Be-richtigung zu Recht erfolgt ist. Bei der Überprüfung hat der Senat neben dem Umstand, dass sich der [X.] und die Protokollführerin sicher waren, der Dolmetscher

[X.]

habe sich auf den von ihm geleisteten -
5
-
Eid berufen, insbesondere berücksichtigt, dass die von den weiteren [X.], dem Sitzungsstaatsanwalt und dem betroffenen Dolmetscher eingehol-ten dienstlichen Stellungnahmen die Berichtigung ebenfalls tragen. Der [X.] hatte sogar noch die konkrete Erinnerung daran, überrascht gewesen zu sein, dass von den beiden in dem Verfahren als Dolmetscher ein-gesetzten Brüdern [X.]

, die beide seit vielen Jahren als Dolmetscher beim [X.] tätig waren, nur der Dolmetscher

[X.]

allgemein vereidigt
war. Der Senat hat bei seiner Überprüfung der vorgenommenen Pro-tokollberichtigung auch berücksichtigt, dass die beiden Instanzverteidiger an-gegeben hatten, keine Erinnerung mehr an den tatsächlichen Verfahrensablauf zu haben.
Die Auffassung der Revision, es sei selbst angesichts der von der Proto-kollführerin gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen ausgeschlossen, dass diese eine eigene sichere Erinnerung an den Vorgang haben könnte, teilt der Senat nicht.
2. Die näher ausgeführte Sachrüge hat aus den Gründen der [X.] keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für die Strafzumessung.
Der Erörterung bedarf allerdings die Annahme des [X.], es sehe die Grenze für die Steuerhinterz
e-

stets erst bei einer Verkürzung von 100.000 Euro überschritten. Dies ist indes nicht zutreffend.
-
6
-
Im Fall 1 der Urteilsgründe stellt das [X.] zudem darauf ab, dass das aufgrund der unrichtigen Angaben des Angeklagten in der Umsatzsteuer-jahreserklärung 2009 errechnete [X.] nur teilweise ausge-.

GmbH, ins-f-fenbar der -
unzutreffenden -
Auffassung, es mache für die Frage, ob eine [X.] erlangtes (scheinbares) Steuerguthaben ausgezahlt oder aber mit [X.] Steuerschulden verrechnet werde.
Bei der Bestimmung des gesetzlichen [X.] des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung gilt Folgendes:
a) Wie bereits im Grundsatzurteil des Senats vom 2. Dezember 2008 (1
StR 416/08, [X.]St 53, 71, 81
b-jektiven Maßstäben. Es liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Hinterziehungs-betrag 50.000
Euro
übersteigt. Die Betragsgrenze von 50.000
Euro
kommt na-mentlich
dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch [X.], Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunter-
Merkmal erfüllt ([X.]St 53, 71, 85; vgl. auch [X.], Beschluss vom 5.
Mai 2011 -
1 [X.], [X.], 643, 644; [X.], Beschluss vom 12. Juli 2011 -
1
[X.], [X.], 396).
b) Beschränkt sich
das Verhalten des [X.] indes darauf, die Finanzbe-hörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu las--
7
-
sen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, liegt die

100.000
Euro
([X.]St 53, 71, 85). Dasselbe gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steu-erhinterziehung durch [X.] (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflich-tige Einkünfte oder Umsätze verschweigt (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2011 -
1 [X.], [X.], 396) und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt.
c) Anders ist die Sachlage, wenn der Täter steuermindernde Umstände vortäuscht, indem er etwa tatsächlich nicht vorhandene Betriebsausgaben vor-täuscht oder nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht. Denn in einem solchen Fall beschränkt sich das Verhalten des [X.] nicht darauf, den [X.] Steueranspruch durch bloßes Verschweigen von Einkünften oder Um-Staates, weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuer-

bei der Wertgrenze von 50.000
Euro.
d) Trifft beides zusammen, das Verheimlichen von Einkünften bzw. [X.] einerseits und die Vortäuschung von Abzugsposten andererseits, etwa beim Verheimlichen von Umsätzen und gleichzeitigem Vortäuschen von Vor-Nr. 1 [X.] jedenfalls dann erfüllt, wenn der Täter vom Finanzamt ungerechtfertig-te Zahlungen
in Höhe von mindestens 50.000
Euro
erlangt hat (vgl. [X.] [X.], 643, 644 Rn. 13). Dasselbe gilt aber auch, wenn ein aufgrund falscher Angaben scheinbar in dieser Höhe (50.000
Euro) bestehender Auszahlungsan--
8
-
spruch ganz oder teilweise mit anderweitigen Steuerverbindlichkeiten verrech-net worden ist. Die Verrechnung steht dann nämlich insoweit einer Auszahlung gleich. Hat dagegen die Vortäuschung von steuermindernden Umständen für sich allein noch nicht zu einer Steuerverkürzung von mindestens 50.000
Euro
geführt, verbleibt es für die Tat insgesamt beim Schwellenwert von 100.000
Euro
(vgl. [X.] [X.], 643, 644).

einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt der-jenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht. Bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der [X.] ist -
nichts anderes gilt für § 371 Abs. 2 Nr. 3 [X.] -

jeweiligen Taterfolges zu addieren, da in solchen Fällen eine einheitliche Hand-lung im Sinne des § 52 StGB vorliegt ([X.]St 53, 71, 85).

ine Bedeu-ein Umstand, der erst bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des [X.] im Einzelfall widerlegt ist, und im Übrigen als bloße Zumessungserwägung in die Strafzumessung einbezogen werden kann (vgl. im Übrigen zur [X.] mit Geldmitteln unklarer Herkunft [X.], Beschluss vom 5. Mai 2011 -
1 [X.], [X.], 643, 645 Rn. 17, und einer solchen aufgrund von Pfändungen [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2010 -
1 [X.], inso-weit nicht abgedruckt in [X.], 170).

[X.] aufgrund der Beschlagnahme erheblicher Vermögenswerte der
[X.]

S. 43), bei der -
9
-
Frage, ob das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] erfüllt ist, außer Betracht gelassen, in die Gesamtwürdigung, ob die Indizwirkung des Regelbei-spiels widerlegt sein könnte, aber einbezogen.
[X.]

Wahl Hebenstreit

Jäger [X.]

Meta

1 StR 579/11

15.12.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2011, Az. 1 StR 579/11 (REWIS RS 2011, 308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 308

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 116/11

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1 StR 359/10

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