Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.10.2015, Az. XII ZB 177/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 3977

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/15
vom
14. Oktober
2015
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896 Abs. 3
Zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines [X.]s mit dem Aufgabenkreis "Widerruf einer Vorsorgevollmacht" (im [X.] an Senatsbe-schluss vom 28.
Juli 2015
XII
ZB
674/14
amRZ 2015, 1702).
BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 -
XII [X.]/15 -
LG [X.]

Notariat [X.] I

-
2
-

Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 14.
Oktober 2015
durch den Vorsitzenden Richter Dose
und die
Richter Schilling, Dr.
Günter, Dr.
Botur
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der
weiteren Beteiligten zu 1
wird der Beschluss der 1.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 27.
März
2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer Kontrollbetreuung.
Für die 81-jährige

an Demenz und an einem leichten bis mittelschweren hirnorganischen Psychosyndrom leidende

Betroffene besteht seit dem [X.] eine bis heute fortgeltende General-
und Vorsorgevollmacht zugunsten ihrer Tochter (Beteiligte zu
1). Die Beteiligte zu
1 ist Eigentümerin von mehreren
Immobilien, die sie von ihrem 2012 verstorbenen Vater

dem Ehemann der Be-troffenen

teils geschenkt erhalten
und teils als Alleinerbin nach dessen Tod
geerbt hatte. Alle Immobilien waren mit einem Nießbrauch zugunsten der Be-troffenen belastet. Am 5.
Februar
2014 schloss die Beteiligte zu
1 im eigenen Namen und im Namen der Betroffenen eine Abfindungsvereinbarung, wonach
1
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3
-

die Betroffene gegen Zahlung einer dinglich gesicherten Leibrente in Höhe von monatlich 1.200

n den Immobilien verzichtete.
Bereits
im September 2013 hatte
der Sohn der Betroffenen (Beteiligter zu
2) beim zuständigen Notariat die Einrichtung einer Betreuung für die Be-troffene angeregt. Das Notariat hat die Anordnung einer Betreuung nach [X.] eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und nach Anhörung der Betroffenen abgelehnt. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Betei-ligten zu
2 hat das [X.] die Entscheidung des Notariats
abgeändert und eine Rechtsanwältin (Beteiligte zu
4) zur berufsmäßigen [X.]in mit dem Aufgabenkreis "alle Vermögensangelegenheiten, insbesondere [X.]"
bestellt und die [X.]in "erforderlichenfalls"
zum "Widerruf
erteilter [X.]en für diesen Aufgabenkreis"
ermächtigt.
Mit ihrer im eigenen Namen eingelegten Rechtsbeschwerde möchte die Beteiligte zu
1 eine Aufhebung der Betreuung erreichen.

II.
1. Die gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG ohne Zulassung statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Beteiligte zu
1 beschwerdeberechtigt, d.h. dazu befugt, sich im eigenen Namen mit einem Rechtsmittel gegen die Anordnung der Betreuung für die Betroffene zu wenden. Dies ergibt sich zwar nicht aus einer möglichen Beeinträchtigung ihrer Stellung als Vorsorgebevollmächtigte, wohl aber daraus, dass sie als am Verfahren be-teiligte Tochter der Betroffenen gemäß §
303 Abs.
2 Nr.
1 FamFG zum Kreis 3
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4
-

beschwerdeberechtigter Angehöriger gehört (vgl. Senatsbeschluss vom 5.
No-vember 2014

XII
ZB
117/14

FamRZ 2015, 249 Rn.
14
f.).
2. [X.] ist auch begründet.
a)
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner
Entscheidung das Folgende ausgeführt:
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreu-ung seien nach dem schriftlichen Sachverständigengutachten gegeben. Die Be-troffene sei aufgrund ihrer schwerwiegenden geistigen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Wegen der mangeln-den
Einsichtsfähigkeit sowie eingeschränkter Urteils-
und Kritikfähigkeit sei ihre Geschäftsfähigkeit deutlich eingeschränkt.
Zur Geltendmachung der Rechte der Betroffenen gegenüber der Beteilig-ten zu
1 sei die Einrichtung einer Kontrollbetreuung erforderlich. Es lägen [X.] Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beteiligte zu
1 von ihrer [X.] nicht mehr im Interesse der Betroffenen Gebrauch mache. Zwar müsse die von ihrem Ehemann enterbte Betroffene einen
etwaigen ergänzenden Pflichtteilsanspruch von der Beteiligten zu
1 nicht zwingend einfordern. Es könne unter Berücksich-tigung des Erblasserwillens auch hingenommen werden, dass der Wert des der Betroffenen durch das Vermächtnis ihres Ehemannes eingeräumten [X.] hinter dem Wert des Pflichtteils [X.]. Um dies beurteilen zu können, müssten aber zunächst der Wert des Nießbrauchs sowie der Wert ei-nes etwaigen Pflichtteilsanspruches nachvollziehbar sein. Die bloße Behaup-tung der Beteiligten zu
1, der eingeräumte Nießbrauch am Nachlass
übersteige sogar den Wert des Pflichtteilsanspruches, reiche hierfür nicht.

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-
5
-

Vor allem sei schon nach den eigenen Ausführungen der Beteiligten zu
1 zweifelhaft, ob die Abfindungsvereinbarung
vom 5.
Februar 2014 den wirt-schaftlichen Interessen der Betroffenen gerecht werde.
Die Betroffene erhalte als Ersatz für Nutzungen an vier Eigentumswohnungen und einem [X.] nur eine Rente von 1.200

Behauptungen des Beteiligten zu
2 seien
Mieteinnahmen von insgesamt 4.000

Aufgrund der Stellungnahmen der Beteiligten und der vorgelegten Unterlagen (Steuerbe-scheid, Lichtbilder und Zustandsbeschreibungen) könne nicht nachvollzogen werden, ob die vereinbarte Rente von 1.200

Nießbrauch an den zum Nachlass gehörenden Immobilien betreffe, falle zudem auf, dass in dem von der Beteiligten zu
1 vorgelegten Rechenwerk nicht mit möglichen Einnahmen aus Mietverhältnissen, sondern lediglich mit Zinsein-nahmen von 2
% des [X.] kalkuliert worden sei.
Ferner habe weder in der mündlichen Anhörung noch in den folgenden Schriftsätzen eine Klärung der von dem Beteiligten zu
2 erhobenen Vorwürfe erfolgen können, wonach die Beteiligte zu
1 im Zeitraum von April 2012 bis März 2014 der [X.] zustehende Beträge
in Höhe von 85.000

vereinnahmt
habe, ohne dass diese
der Betroffenen zugeflossen seien. Bei der Beteiligten zu
1 sei im Bereich der Vermögensangelegenheiten ein erheblicher Interessenkonflikt vor-handen. Einerseits sei sie Alleinerbin nach ihrem Vater, andererseits solle sie Ansprüche der Betroffenen

insbesondere Pflichtteilsansprüche

gegen sich selbst prüfen. Dies könne der Geltendmachung berechtigter Ansprüche im We-ge stehen und bedürfe aus Sicht eines vernünftigen [X.]gebers einer Kontrolle.
b)
Diese Ausführungen halten den Verfahrensrügen der Rechtsbe-schwerde
in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

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6
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aa) Nach §
1896 Abs.
1
a BGB darf gegen den freien Willen eines Voll-jährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Daher muss auch vor der Bestellung eines [X.]s festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der [X.] ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Dabei ist der Begriff der freien Willens-bestimmung im Sinne des
§
1896 Abs.
1
a BGB und des
§
104 Nr.
2 BGB im [X.] deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind die Einsichtsfä-higkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein na-türlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichts-punkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des §
1896 Abs.
1 BGB lei-dende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Be-treuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er
seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichts-punkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines kla-ren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen.
Die Feststellungen zum krankheitsbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen nach ständiger Rechtspre-chung des Senats durch ein Sachverständigengutachten belegt sein
(Senats-beschlüsse vom 30.
Juli 2014

XII
ZB
107/14

FamRZ 2014, 1626 Rn.
14 und vom 22.
Januar 2014

XII
ZB
632/12
mRZ 2014, 647 Rn.
9 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht ge-recht. Der Sachverständige
hat
in seinem schriftlichen Gutachten vom 18.
De-12
13
-
7
-

zember 2013 ausgeführt, dass die Betroffene "wegen der mangelnden Ein-sichtsfähigkeit sowie eingeschränkter Urteils-
und Kritikfähigkeit"
in ihrer "Ge-schäftsfähigkeit deutlich eingeschränkt"
sei. [X.] der Sachverständige indessen selbst, dass die Betroffene wegen ihrer eben nur "eingeschränkten Geschäftsfähigkeit"
möglicherweise für einen gegenständlich abgrenzbaren Kreis von Angelegenheiten noch zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist, konnte das [X.] auf dessen Gutachten nicht ohne weiteres
die [X.] stützen, dass der
Betroffenen die freie Entscheidung gegen die Bestel-lung eines [X.]s nach eigenständiger Abwägung der für und gegen
die
Kontrolle ihrer Bevollmächtigten
durch einen Betreuer sprechenden Ge-sichtspunkte nicht mehr möglich ist. Auch die weitergehenden Ausführungen des Sachverständigen dazu, dass die Betroffene aufgrund ihrer geistigen [X.] nicht mehr in der Lage sei, einen Bevollmächtigten zu kontrollie-ren, führen insoweit nicht weiter, weil sich hieraus zwar Anhaltspunkte für die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen, nicht aber für den Ausschluss der freien Willensbildung in Bezug auf die Betreuerbestellung entnehmen lassen.
3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.
a) Soweit das [X.] die [X.]in dazu ermächtigt hat, [X.] die zugunsten der Beteiligten
zu
1 erteilte [X.] für den Bereich der Vermögenssorge zu widerrufen, fehlt es hierfür gegenwärtig an ei-ner Grundlage.
aa) Beabsichtigt das Gericht, die Befugnisse eines Betreuers auf den [X.] erteilter Vorsorgevollmachten zu erstrecken, setzt dies tragfähige [X.]en voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrschein-lichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt.
Selbst wenn behebbare Mängel bei der [X.]sausübung festzustellen
sein sollten, erfordert der 14
15
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-
8
-

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst den Versuch, durch einen zu bestel-lenden [X.] positiv auf den Bevollmächtigten einzuwirken, insbe-sondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechnungslegung sowie durch die Ausübung bestehender Weisungsrechte. Nur wenn diese Maßnahmen [X.] oder aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheinen, ist die Ermächtigung zum Widerruf der [X.]

als ultima ratio

verhältnismäßig (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 23.
September 2015

XII
ZB
624/14

juris Rn.
17 und vom 28.
Juli 2015

XII
ZB
674/14

FamRZ
2015, 1702 Rn.
34
ff.).
bb) Gemessen daran mögen die vom [X.] getroffenen Feststel-lungen zwar die in tatrichterlicher Verantwortung vorgenommene Beurteilung
rechtfertigen, es bestünden hinreichende
tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass dem Betreuungsbedarf der Betroffenen in Vermögens-
und
[X.] durch die [X.] nicht Genüge getan wird.
Tatsäch-liche Mängel bei der [X.]sausübung sind

wovon das [X.] selbst ausgeht

aber noch nicht festzustellen, ohne dass sich die [X.]in einen umfassenden Überblick über die vermögensrechtlichen Ansprüche der Betroffenen gegenüber der Beteiligten zu
1 verschafft hat. Bei dieser Sachlage ist die bereits mit der Bestellung der [X.]in verbundene Ermächti-gung zum Widerruf der erteilten [X.] nicht verhältnismäßig.
17
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b) Im Übrigen ist
die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das [X.] zurückzuverweisen. Von einer weiteren Begründung der Entschei-dung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose

Schilling

Günter

Botur

Guhling

Vorinstanzen:
Notariat [X.] I, Entscheidung vom 30.01.2014 -
I VG 34/13 -

LG [X.], Entscheidung vom 27.03.2015 -
Ri 1 T 157/14 -

18

Meta

XII ZB 177/15

14.10.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.10.2015, Az. XII ZB 177/15 (REWIS RS 2015, 3977)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3977

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 177/15

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