Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2015, Az. XII ZB 520/14

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 16431

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 520/14
vom
28.
Januar 2015
in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §
1896 Abs.
2
Die Erforderlichkeit einer Betreuung kann im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungs-unfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme
einer solchen Un-betreubarkeit ist jedoch Zurückhaltung geboten (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 18.
Dezember 2013
XII
ZB
460/13
mRZ 2014, 466).
BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 -
XII ZB 520/14 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 28.
Januar 2015 durch [X.] und [X.]
Klinkhammer, Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und [X.]
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2.
Zivilkammer des [X.] vom 19.
Juni 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Be-schwerdegericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Der 1966 geborene Betroffene leidet unter einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus. Für ihn waren bereits von 2006 bis 2009 Berufsbetreuer bestellt. Die Betreuung wurde aufgehoben, weil sie nicht mehr erforderlich sei.
Im April 2012 regte eine Klinik, in der der Betroffene sich befunden hatte, auf dessen ausdrücklichen Wunsch eine erneute Betreuung an. Im Juni 2012 bestellte das Amtsgericht die Beteiligte zu
2 zur [X.] mit den [X.]n
Vermögenssorge, Ämtervertretung und Geltendmachung von 1
2
-
3
-
Leistungsansprüchen aller Art. Auf Vorschlag der Betreuungsbehörde hob es die Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge mit Beschluss vom 10.
Juni 2013 wieder auf.
Ende August 2013 bat die Betreuerin um Aufhebung der (Rest-) Betreu-ung, da die "notwendige Mitarbeit des Betroffenen nicht erbracht"
werde und daher "
nicht zu organisieren"
sei. Dieser Bitte hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 7.
November 2013 entsprochen. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde ein-gelegt, die das [X.] zurückgewiesen hat.
Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene
erreichen, dass die Betreuung für ihn bestehen bleibt.

II.
Die zulässige, insbesondere gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG statthafte (vgl. Senatsbeschluss vom 4.
Dezember 2013

XII
ZB
333/13

FamRZ
2014, 470 Rn.
8) Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhe-bung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Zwar lägen die medizinischen Voraussetzungen für eine Betreuerbestel-lung bei dem zu einer freien Willensbildung befähigten und auch geschäftsfähi-gen Betroffenen vor. Ein Betreuer dürfe aber nur für [X.] bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich sei. Lasse sich der angestrebte Zweck nicht erreichen, etwa weil die Bestellung eines Betreuers keinen Erfolg 3
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-
4
-
verspreche, sei hierfür kein Raum. Davon sei auszugehen, wenn der Betroffene trotz

oder gerade wegen

seiner Erkrankung die Betreuung und den Kontakt zum Betreuer ablehne und die Betreuung infolgedessen weitgehend wirkungs-los bleibe.
So liege der Fall hier. Der Betroffene wünsche zwar eine Betreuung. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den wechselnden Berufsbetreuern sei [X.] gleichbleibend problematisch gewesen. Er verweigere immer wieder die Zusammenarbeit, sobald die Betreuer seinem Willen nicht nachkämen. [X.] habe er unrealistische Erwartungen im Hinblick auf die Tätigkeit eines Be-treuers und halte hieran hartnäckig fest. Da seine Unzufriedenheit dazu geführt habe, dass er teilweise die Umleitung der Post an sich selbst veranlasst habe, sei die Betreuerin zuletzt nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Führung der Betreuung in der Lage gewesen. Die nur sehr eingeschränkten Handlungsmög-lichkeiten eines Betreuers rechtfertigten nicht die Fortsetzung der Betreuung. Daran ändere auch nichts, dass das Verhalten des Betroffenen krankheitsbe-dingt sei. Es sei davon auszugehen, dass auch ein weiterer Betreuer an den Fehlvorstellungen des Betroffenen und dem Fehlen der Kooperation scheitern würde. Zudem überblicke der Betroffene nach dem in der Anhörung gewonne-nen Eindruck des Gerichts seine Angelegenheiten; die Probleme im Umgang mit Ämtern und Behörden resultierten hauptsächlich aus den krankheitsbeding-ten Verhaltensstörungen, die aber auch die dauerhafte Kooperation mit einem Betreuer erheblich behinderten, wenn nicht unmöglich machten.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwer-degerichts, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß §
1896 Abs.
2 BGB erforderlich sein muss. Dies gilt auch für eine Betreuung, 8
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-
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die auf Antrag des Betroffenen eingerichtet werden soll ([X.], 1057, 1058; BeckOK
BGB/[X.] [Stand: 1.
November 2014] §
1896 Rn.
20 mwN; [X.]/Roth BGB 14.
Aufl. §
1896 Rn.
83; [X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1896 Rn.
126).
aa) An der Erforderlichkeit fehlt es (unter anderem) dann, wenn die Be-treuung

aus welchem Grund auch immer

keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet
ist. Daher kommt die Aufhebung
der Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht
zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrneh-
men und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im
Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit sei-
nem Betreuer
verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also
eine "Unbetreubarkeit"
vorliegt (Senatsbeschluss vom 18.
Dezember 2013

XII
ZB
460/13
Z 2014, 466 Rn.
7 mwN).
bb) Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit des Betroffenen ist allerdings Zurückhaltung geboten.
(1) Das folgt schon daraus, dass es sich beim Betreuungsrecht um
ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen [X.] handelt, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2.
Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 1543 Rn.
16 und vom 29.
Januar 2014

XII
ZB
519/13

FamRZ 2014, 652 Rn.
15; [X.]/[X.] BGB 13.
Aufl. §
1896 Rn.
2; [X.]/[X.] BGB [2013] §
1896 Rn.
1;
BT-Drucks.
11/4528 S.
115; vgl. auch zum früheren [X.] für Volljährige [X.] NJW 1980, 2179). In Erfüllung dieses Auftrags stellt der 11
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-
6
-
Staat einem Betroffenen, der krankheits-
oder behinderungsbedingt einer Hilfe bei der Erledigung seiner rechtlichen Angelegenheiten bedarf, einen Betreuer mit der Aufgabe zur Seite, die genannten Einschränkungen des Betroffenen auszugleichen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf Betreuerbestellung ([X.]/[X.] 6.
Aufl. §
1896 Rn.
126).
Das Fehlen der Kooperationsbereitschaft des Betroffenen wird aber nicht selten ein Symptom seiner psychischen Krankheit im Sinne des §
1896 Abs.
1 BGB sein. Bei Betroffenen, die krankheitsbedingt keine Bereitschaft zur Zu-sammenarbeit mit dem Betreuer aufbringen, würde die darauf gründende An-nahme einer Unbetreubarkeit dazu führen, ihnen die gesetzlich vorgesehene Hilfe gerade unter Verweis auf ein aus der Krankheit folgendes Defizit zu ver-sagen. Dieser Schluss ist rechtlich aber nur in solchen Fällen haltbar, in denen es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen.
(2) Daher ist es Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen [X.] durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Dies gilt zum einen für die Festlegung des [X.]s. Droht etwa, dass der Betroffene

wie hier vom Beschwerdegericht angeführt

Post "umleitet", kann eine Anordnung nach §
1896 Abs.
4 BGB angezeigt sein. Zum anderen muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein [X.] erforderlich, um eine Per-son zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet.
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b) Die angefochtene Entscheidung kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, für welche Aufga-ben der Bedarf für eine rechtliche Betreuung besteht. Dass der Betroffene nach dem Eindruck des [X.] seine Angelegenheiten überblickt, schließt nicht zwingend aus, dass er

etwa aufgrund krankheitsbedingter Ver-haltensstörungen

für bestimmte Aufgaben im Rechtsverkehr eine Betreuung benötigt.
Erst nach Feststellung des [X.]s, in dem ein Betreuungsbe-darf besteht, lässt sich beurteilen, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen zu erreichen ist. Dabei ist dann zu [X.], inwieweit ein Betreuer

bei sachgerechter Ausübung seines Amtes

durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte.
c) Darüber hinaus tragen die Feststellungen des [X.] nicht die rechtliche Schlussfolgerung, der Betroffene sei derart kooperationsun-willig oder -fähig, dass eine Unbetreubarkeit vorliege.
Wie auch das Beschwerdegericht gesehen hat, verweigert sich der Be-troffene nicht einer Betreuung, sondern wünscht sie im Gegenteil selbst. Die Probleme bei der Betreuungsführung ergeben sich ausschließlich im persönli-chen Kontakt mit dem Betreuer, was jedoch krankheitsbedingt ist. Darüber [X.] macht die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend, dass das Beschwerdege-richt unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des §
26 FamFG nicht der Frage nachgegangen ist, warum es zwischen Betroffenem und Betreuerin (Beteiligter zu
2)

nach offensichtlich vielversprechendem Beginn

nicht zu ei-ner dauerhaft für die Betreuungsführung ausreichenden Zusammenarbeit ge-kommen ist. Insbesondere hatte der Betroffene auf die mehrmonatige Erkran-16
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kung der Betreuerin hingewiesen, die diese unter anderem daran hinderte, ihr Versprechen zu erfüllen, einen Schwerbehindertenausweis für ihn zu [X.]. Eine Kooperationsfähigkeit in einem für eine erfolgreiche Betreuung nöti-gen Mindestmaß lässt sich mithin auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht ausschließen.
Im Übrigen geht auch das Beschwerdegericht nicht davon aus, dass ein Betreuer nichts ausrichten könnte. Vielmehr führt es lediglich aus, es bestünden "nur sehr eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten"

woraus im Umkehrschluss folgt, dass gewisse Möglichkeiten bestehen.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§
74 Abs.
5 FamFG). Die Sache ist gemäß §
74 Abs.
6 Satz
2 FamFG an das Beschwerde-gericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§
74 Abs.
6 Satz
1 FamFG).
Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

[X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.11.2013 -
404 [X.]/12 -

LG [X.], Entscheidung vom 19.06.2014 -
2 [X.] -

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Meta

XII ZB 520/14

28.01.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2015, Az. XII ZB 520/14 (REWIS RS 2015, 16431)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 16431

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