Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.02.2015, Az. 4 StR 498/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 15689

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Dissoziale Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Abartigkeit; erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die [X.] nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass bei dem Angeklagten zur Tatzeit eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat.

4

aa) Die sachverständig beratene [X.] hat eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der Begründung bejaht, der Angeklagte leide an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die bei ihm noch durch einen multiplen Substanzgebrauch, den [X.] anderer Substanzen bei bestehendem Abhängigkeitssyndrom ([X.], [X.]: F 19.2) und einen Alkoholmissbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs ([X.]: [X.]) verstärkt werde. Die persönliche Entwicklung des Angeklagten sei durch eine dauernde Missachtung von Normen und Gesetzen, eine geringe Frustrationstoleranz sowie ein fehlendes Lernen aus Erfahrung gekennzeichnet. Auffälligkeiten im Lebenslauf seien bereits seit seiner frühen Jugend festzustellen (Vernachlässigung und Übergriffe durch den Vater, Schulverweis, kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keinerlei Durchhaltevermögen, keine Lebensplanung, mehrfache Delinquenz, keine tragfähigen Bindungen, Abgleiten in die Abhängigkeit und Drogenkonsum). Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei der Angeklagte zu emotionalem Tiefgang und Empathie nicht in der Lage ([X.] f.).

5

bb) Diese Begründung reicht für die Annahme einer anderen schweren seelischen Abartigkeit nicht aus.

6

Eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann - wie auch das [X.] nicht verkannt hat - die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nur dann begründen, wenn sie Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 14. August 2014 - 4 [X.], Rn. 27, NJW 2014, 3382, 3384; Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07, [X.], 274; Beschluss vom 21. September 2004 - 3 [X.], [X.], 326, 327; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 [X.], [X.]St 49, 45, 52 f.; Beschluss vom 21. Oktober 1998 - 3 [X.]; NStZ-RR 1999, 136 mwN). Handelt es sich - wie bei der hier diagnostizierten "dissozialen Persönlichkeitsstörung" -um ein eher unspezifisches Störungsbild, das immer auch noch als - möglicherweise extreme - Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein kann, wird der Grad einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" regelmäßig erst dann erreicht, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 4 StR 358/07, [X.], 70, 71; Beschluss vom 25. Februar 2003 - 4 StR 30/03, [X.], 165, 166; Beschluss vom 6. Februar 1997 - 4 [X.], [X.]St 42, 385, 388).

7

Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, dass die festgestellten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten dem Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit entsprechen und es sich nicht nur um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die übliche Ursachen für strafbares Verhalten darstellen. Ebenso wenig wird belegt, dass der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.

8

b) Auch die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB ist nicht ausreichend begründet.

9

aa) Das [X.] hat hierzu lediglich ausgeführt, die Hemmschwelle des Angeklagten für die Begehung von [X.] sei im Tatzeitpunkt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in Kombination mit dem kontinuierlichen Drogenmissbrauch erheblich herabgesetzt gewesen. Seine Motivations-, Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten seien bei Tatbegehung soweit eingeschränkt gewesen, dass er ohne Rücksicht auf die Interessen anderer und möglicher Folgen seines Handelns für sich und andere seine eigenen Ziele nachhaltig verfolgt habe ([X.]).

bb) Diese Erwägungen reichen nicht aus, um das Vorliegen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zu belegen.

Ob die Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt ([X.], Urteil vom 14. August 2014 - 4 [X.], Rn. 29, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Dazu hat der Tatrichter in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 [X.], [X.]St 49, 45, 53 f. mwN).

Den hierzu angestellten Erwägungen des [X.]s fehlt jegliche tatbezogene Betrachtung. Auch bleiben die Tatvorgeschichte (längere Suche nach und planmäßige Kontaktaufnahme zu der Geschädigten) und das Verhalten des Angeklagten nach der Tat unberücksichtigt.

2. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben.

a) Soweit die [X.] aufgrund der dargelegten rechtsfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Verbrauch des vertypten [X.] die Strafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen hat ([X.]), ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 4 StR 358/07, zitiert nach juris, Rn. 7, insoweit in [X.], 70 nicht abgedruckt). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der [X.] auszuschließen (vgl. [X.], Beschluss vom 1. April 2014 - 2 [X.], zitiert nach juris, Rn. 6).

b) Im Übrigen weist die Strafzumessung keine durchgreifenden Rechtsfehler auf. Zwar sind die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB nicht belegt, weil nach den Feststellungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte dem Geschädigten die zu der lebensbedrohlichen Hirnblutung führenden Kopfverletzungen ([X.]) erst nach Vollendung der Erpressung und ohne Beutesicherungsabsicht beigebracht hat [X.], StGB, 62. Aufl., § 250 Rn. 27). Der [X.] kann jedoch ausschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn dem Angeklagten ist nicht angelastet worden, dass er beide Varianten des § 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.

[X.]Franke

                          Bender                          [X.]

Meta

4 StR 498/14

11.02.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Landau (Pfalz), 9. Juli 2014, Az: 1 Ks 7119 Js 30/14

§ 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.02.2015, Az. 4 StR 498/14 (REWIS RS 2015, 15689)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15689

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 498/14 (Bundesgerichtshof)


4 StR 358/07 (Bundesgerichtshof)


1 StR 402/15 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Begründung der Schuldunfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit: Feststellung einer dissozialen …


3 StR 407/15 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit durch eine von der Norm abweichende sexuelle …


2 StR 582/06 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.