Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2017, Az. V ZB 115/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 15484

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Gegenstand

Rücküberstellungshaftsache: Annahme der Fluchtgefahr wegen Zahlungen an einen Schleuser im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung


Leitsatz

Der in § 2 Abs. 14 Nr. 4 AufenthG geregelte Anhaltspunkt für die Annahme einer Fluchtgefahr (Zahlung an einen Schleuser) kann auch im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung vorliegen, sofern es dem Betroffenen speziell auf die Einreise in einen oder mehrere bestimmte Mitgliedstaaten der Europäischen Union angekommen ist und die Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erfolgen soll; unter dieser Voraussetzung reicht es aus, wenn für einzelne Abschnitte der Reise erhebliche Geldbeträge gezahlt wurden oder wenn die für verschiedene Reiseabschnitte geleisteten Zahlungen in der Summe als erheblich anzusehen sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 19. Juli 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste am 17. Juni 2016 von [X.] aus kommend in das [X.] ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle wurde er ohne seinen Aufenthalt legitimierende Dokumente angetroffen. Eine Recherche in dem [X.] ergab, dass er in [X.] einen Asylantrag gestellt hatte. Mit Beschluss vom 17. Juni 2016 ordnete das [X.] zunächst die vorläufige Freiheitsentziehung bis zum 1. Juli 2016 an. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das [X.] mit Beschluss vom 27. Juni 2016 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach [X.] bis längstens 17. August 2016 angeordnet. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 19. Juli 2016 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft nur bis zum 27. Juli 2016 angeordnet wird. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die die beteiligte Behörde als unbegründet ansieht.

II.

2

Nach Auffassung des [X.] besteht der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 4 [X.]. Der Betroffene habe nach eigenen Angaben bereits in [X.] Schleuser mit einer Schleusung nach [X.] beauftragt. Für die einheitliche Schleusung von der [X.] bis an die deutsch/[X.] Grenze habe er insgesamt 8.000 $ bezahlt. Bei einer Zurückschiebung nach [X.] wäre dieser für ihn erhebliche Betrag vergeblich aufgewendet worden.

III.

3

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Ohne Erfolg wendet sich der Betroffene gegen die Annahme des [X.], wonach der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 4 [X.] gegeben ist.

4

1. Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht an, dass der in § 2 Abs. 14 Nr. 4 [X.] geregelte Anhaltspunkt auch bei einer Rücküberstellung nach der Dublin-III-Verordnung herangezogen werden kann.

5

a) § 2 Abs. 15 [X.] legt die Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung fest. Satz 1 nimmt dabei auf § 2 Abs. 14 [X.] Bezug, der die Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr in den Fällen einer Abschiebung nach der Richtlinie 2008/115/EG ([X.]) regelt. Nach § 2 Abs. 14 Nr. 4 [X.] kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr darin liegen, dass der Ausländer zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96 [X.] (Einschleusen von Ausländern) gezahlt hat, „die für ihn nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass darauf geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren“. Hinter dieser Regelung steht die Überlegung des Gesetzgebers, dass Schleuser nicht selten einen Betrag von 3.000 € bis 20.000 € pro Person verlangten und es sich dabei für den Betroffenen um erhebliche Aufwendungen handeln könne, die er nicht vergeblich getätigt haben will; dies könne daher ein Gesichtspunkt sein, der den Ausländer motiviere, sich einer Rückführung zu entziehen (vgl. [X.]. 18/4097, S. 33; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 - [X.], [X.] 2016, 140 Rn. 10).

6

b) Aufgrund der Verweisung in § 2 Abs. 15 Satz 1 [X.] auf die in § 2 Abs. 14 [X.] genannten Anhaltspunkte sind diese auch im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung heranzuziehen. In Bezug auf § 2 Abs. 14 Nr. 4 [X.] hat der Gesetzgeber allerdings darauf hingewiesen, dass das dort beschriebene Verhalten nur dann ein Indiz für eine möglicherweise bestehende Fluchtgefahr sein könne, wenn es dem betroffenen Ausländer speziell auf die Einreise in einen oder mehrere bestimmte Mitgliedstaaten (und nicht lediglich auf die Einreise in einen beliebigen Mitgliedstaat der [X.]) angekommen sei (BT-Drucks. 18/4097, S. 34).

7

c) Hiernach kann der in § 2 Abs. 14 Nr. 4 [X.] geregelte Anhaltspunkt für die Annahme einer Fluchtgefahr (Zahlung an einen Schleuser) im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung vorliegen, sofern es dem Betroffenen speziell auf die Einreise in einen oder mehrere bestimmte Mitgliedstaaten der [X.] angekommen ist und die Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedsstaat der [X.] erfolgen soll; unter dieser Voraussetzung reicht es aus, wenn nur für einzelne Abschnitte der Reise erhebliche Geldbeträge gezahlt wurden oder wenn die für verschiedene Reiseabschnitte geleisteten Zahlungen in der Summe als erheblich anzusehen sind. Dann besteht ein Anhaltspunkt dafür, dass der Betroffene sich der Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, der gerade nicht Ziel seiner Reise war, entziehen wird. Auch bei dieser Sachlage müsste er nämlich befürchten, dass sich seine Aufwendungen als vergeblich erweisen.

8

2. Dass das Beschwerdegericht diese Voraussetzungen als erfüllt ansieht, ist nicht zu beanstanden. Seinen Feststellungen zufolge war die Bundesrepublik [X.] - und nicht der nach der Dublin-III-Verordnung zuständige Mitgliedsstaat [X.] - von Anfang an das Ziel des Betroffenen. Für das Erreichen dieses Reiseziels hat er insgesamt 8.000 $ an Schleuser gezahlt. [X.] sieht das Beschwerdegericht den aufgewendeten Betrag als so erheblich an, dass er für sich genommen Rückschlüsse auf eine Fluchtgefahr zulässt.

9

3. Schließlich hat das Beschwerdegericht nicht verkannt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen einer der Nummern 1 bis 6 des § 2 Abs. 14 [X.] nur ein (erstes) Indiz für die Annahme einer erheblichen Fluchtgefahr sein kann, und dass es immer einer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls bedarf (so ausdrücklich BT-Drucks. 18/4097 S. 34 zu Absatz 15). Die gebotene Gesamtbetrachtung hat das Beschwerdegericht vorgenommen und sich insbesondere mit den von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Äußerungen des Betroffenen in den Anhörungen vor der Polizei und dem Gericht auseinandergesetzt. Seine tatrichterliche Würdigung ist nicht zu beanstanden, ohne dass es noch darauf ankommt, ob auch der Anhaltspunkt des § 2 Abs. 14 Nr. 5 [X.] gegeben ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG; der Gegenstandswert ist gemäß § 36 Abs. 3 GNotKG festgesetzt worden.

Stresemann     

       

Brückner     

       

Weinland

       

Kazele     

       

Hamdorf     

       

Meta

V ZB 115/16

16.02.2017

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Traunstein, 19. Juli 2016, Az: 4 T 2351/16

§ 2 Abs 14 Nr 4 AufenthG, § 2 Abs 15 S 1 AufenthG, Art 2 Buchst n EUV 604/2013, Art 28 Abs 2 EUV 604/2013

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2017, Az. V ZB 115/16 (REWIS RS 2017, 15484)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15484

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