Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.08.2010, Az. 2 StR 205/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4292

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 205/10 vom 4. August 2010 in der Strafsache gegen wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. November 2009 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen. Gründe: Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. [X.] Ausführung bedarf nur Folgendes: 1 1. Mit einer Verfahrensrüge macht der Angeklagte geltend, das [X.] habe ihn entgegen einer Zusage zu einer Freiheitsstrafe ohne Strafausset-zung zur Bewährung verurteilt. 2 a) Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: 3 Im Zwischenverfahren kam es zu einem Gespräch der Vorsitzenden der [X.] mit dem Verteidiger. Dabei stellte die Vorsitzende eine Gesamt-freiheitsstrafe von zwei Jahren und Strafaussetzung zur Bewährung für den Fall eines glaubhaften umfassenden Geständnisses in Aussicht. Dies besprach sie telefonisch auch mit der Sachbearbeiterin der Staatsanwaltschaft, die der [X.] zustimmte. Im Hinblick auf die Vereinbarung wurde von 4 - 3 - der Ladung zahlreicher Zeugen abgesehen und die Hauptverhandlung auf nur zwei Tage terminiert. An der Hauptverhandlung vom 12. November und 18. November 2009 konnte die Vorsitzende der [X.] wegen Erkrankung nicht teilnehmen; sie wurde von ihrem Stellvertreter, [X.] am [X.], geleitet; als [X.] trat als drittes Mitglied der Kammer [X.] am [X.] ein. 5 In einem Telefongespräch zwischen dem Verteidiger und [X.] am [X.] am 11. November 2009 wies dieser darauf hin, die erkennende Kammer wolle im Hinblick auf die Beweislage von einer formellen Vereinbarung im Sinne von § 257c StPO absehen. In der Hauptverhandlung ließ der [X.] protokollieren: 6 "Zwischen dem Verteidiger und der Vorsitzenden der Kammer (–) haben Erörterungen darüber stattgefunden, ob der im Ermittlungsverfahren [X.] geständige Angeklagte unter Umständen mit einer Bewährungs-strafe rechnen könne. Frau [X.] hat [X.] am [X.] dazu ge-sagt, dass aus ihrer Sicht für den Fall eines umfassenden wahrheitsge-mäßen Geständnisses eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe möglich erscheint, wenn daneben eine Geldstrafe oder Geldauflage [X.] wird. Die Kammer in der Besetzung der Hauptverhandlung hat die Frage, ob sie den Verfahrensbeteiligten gemäß § 257c StPO auf dieser Basis einen Verständigungsvorschlag unterbreiten soll, beraten und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie davon absehen möchte." Nach der (teilweise bestreitenden) Einlassung des Angeklagten am [X.] Hauptverhandlungstag wies der Vorsitzende ihn darauf hin, er möge sich seine Einlassung im Hinblick auf die "erwünschte Bewährungsstrafe" (so die dienstlichen Erklärungen der [X.] [X.] und [X.]) - nach dem Vortrag der [X.]: Im Hinblick auf die "beabsichtigte Bewährungsstrafe" - noch einmal überlegen. Am zweiten Verhandlungstag ließ sich der Angeklagte umfassend geständig ein. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft regte für den Fall der [X.] einer Freiheitsstrafe zur Bewährung eine Geldauflage an eine ge-meinnützige Einrichtung an. Der Vorsitzende ließ die Feststellung protokollie-ren, eine Verständigung habe nicht stattgefunden. Vermutlich am Ende der Be-weisaufnahme (nach Vortrag der Revision: Beim Hinausgehen zur Beratung) fragte der Vorsitzende den Angeklagten, in welcher Höhe er monatliche Zah-lungen auf eine Geldauflage erbringen könnte. 8 Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte abschließend eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur [X.]. Der Verteidiger schloss sich diesem Antrag an. 9 Das Gericht verkündete nach Beratung die Verurteilung zur Gesamtfreiheits-strafe von zwei Jahren und neun Monaten. Ob, wie es die Revision vorgetragen hat, der Vorsitzende im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung darauf [X.], eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe sei im Hinblick auf die Meinung des Beisitzers [X.] nicht in Betracht gekommen, ist streitig geblie-ben. Die Berufsrichter der Kammer haben dies in ihren vom Senat eingeholten dienstlichen Erklärungen bestritten. b) Die Revision macht einen Verstoß gegen § 257c StPO, hilfsweise ei-nen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens geltend. Der [X.] habe sich während der gesamten Hauptverhandlung so verhalten, als fühle er sich an die mit der erkrankten Kammervorsitzenden getroffene [X.] Absprache gebunden. Hierauf habe der [X.] vertrauen dürfen. 10 - 5 - Die Vorsitzende der [X.] hat in einer dienstlichen Erklärung das Vorbringen der Verteidigung bestätigt. Die Sitzungsvertreterin der Staatsan-waltschaft hat dienstlich erklärt, sie sei von der Sachbearbeiterin über die infor-melle Absprache informiert worden. Der Vorsitzende habe in der Hauptverhand-lung 11 "nicht hinreichend deutlich (gemacht), dass für die Kammer eine bewäh-rungsfähige Strafe auch für den Fall eines Geständnisses nicht in [X.] kommt". Er habe den Angeklagten "am Ende des ersten [X.] darauf hingewiesen, dass seine Einlassung nicht, wie an-gekündigt, ein umfassendes Geständnis sei (–). Am zweiten Verhand-lungstag ließ sich der Angeklagte daraufhin umfassend geständig ein (–). Da sich der Angeklagte, wie von Frau [X.] (–) gefordert, umfassend geständig eingelassen hatte, (–) fühlte ich [X.] an den von ihr unter-breiteten Vorschlag gebunden. Aufgrund der Verhandlungsführung (–) ging ich davon aus, dass auch die Kammer das von der Vorsitzenden im Zwischenverfahren in Aussicht gestellte Strafmaß für sachgerecht erach-tet." Die beiden Berufsrichter des erkennenden Gerichts haben sich - mit den oben unter a) genannten Abweichungen - im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Vorbringen der Revision geäußert. Der Vorsitzende hat aber darauf hingewiesen, er habe schon im Telefongespräch vom 11. November 2009 aus-drücklich darauf aufmerksam gemacht, dass er sich an die Vereinbarung nicht gebunden fühle. 12 2. Die Rüge ist unbegründet. 13 a) Ein Verstoß gegen § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift nicht stattgefunden hat. Eine Umge-14 - 6 [X.] der formellen gesetzlichen Anforderungen des § 257c StPO durch infor-melle Absprachen, deren Vorliegen hier möglich, aber im Hinblick auf § 202a StPO nicht bewiesen ist, würde jedenfalls nicht zum Eintritt der Bindungswir-kung gemäß § 257c Abs. 3 S. 4, Abs. 4 StPO führen. Eine formelle Verständi-gung ist hier nach übereinstimmendem, vom Protokoll bestätigtem Vorbringen ausdrücklich gerade nicht zustande gekommen. b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt hier nicht vor. Ein solcher wäre gegeben, wenn sich das erkennende Gericht in einer Weise unklar oder irreführend verhalten hätte, welche den Angeklagten über Bedeutung und Folgen seines eigenen Prozessverhaltens im unklaren ließ oder zu letztlich nachteiligem Verhalten veranlasste. Das würde jedenfalls vor-aussetzen, dass der Vorwurf der Revision bewiesen wäre, das Gericht habe sich stets so verhalten, als fühle es sich an eine mit der erkrankten Kammervor-sitzenden geschlossene informelle Vereinbarung gebunden und als könne auch der Angeklagte hierauf vertrauen. 15 Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensbeteiligter, der nach eigener Kenntnis an einer gesetzwidrigen informellen Absprache - gegen eine wissent-lich unzutreffende ausdrückliche Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a S. 2 und 3 StPO - teilgenommen hat, das Urteil ohne weiteres dennoch mit der Verfah-rensrüge dieses Verstoßes anfechten kann. Es kommt vorliegend hierauf nicht an, weil der vom [X.] behauptete Vertrauenstatbestand nicht bewie-sen ist. 16 Nach dem festgestellten Verfahrenssachverhalt bestand für das erken-nende Gericht, das sich - ohne Zweifel zulässigerweise - an frühere Abspra-chen oder Angebote der nicht mitwirkenden Kammervorsitzenden nicht als ge-bunden ansehen wollte, keine andere als die gewählte Möglichkeit, dies gegen-17 - 7 - über den Verfahrensbeteiligten zum Ausdruck zu bringen. Der Vorsitzende teilte dem Verteidiger bereits am Vortag der Hauptverhandlung mit, eine Absprache werde es nicht geben. Dies dokumentierte er auch ausführlich und wahrheits-gemäß im Protokoll der Hauptverhandlung. Am Ende der Verhandlung stellte er nochmals ausdrücklich fest, eine Verständigung habe nicht stattgefunden. Es ist nicht ersichtlich, was das [X.] darüber hinaus noch hätte tun sollen, um klarzustellen, das der Angeklagte auf eine von der gar nicht beteiligten [X.]n [X.]in [X.] gegebene Zusage gerade nicht vertrauen konnte. Auch die Revision trägt nicht vor, welche zusätzlichen vertrauenszerstörenden Maßnah-men sie vermisst. Soweit sich dies darauf stützen sollte, dass sie eine endgülti-ge Bindung schon aufgrund der Absprachen im Zwischenverfahren annimmt und jede Distanzierung des erkennenden Gerichts hiervon für unzulässig oder unzureichend hält, wie die Revisionsbegründung nahe legt, wäre dies nicht zu-treffend. Es ist auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Ange-klagte bereits durch die Erklärungen der Kammervorsitzenden im Zwischenver-fahren zu einem für ihn nachteiligen Prozessverhalten veranlasst worden wäre, bevor er von der Distanzierung durch das erkennende Gericht erfuhr. Im Ergebnis ist daher hier der geltend gemachte, dem Gericht zuzurech-nende Vertrauenstatbestand nicht geschaffen worden. Dem steht nicht entge-gen, dass sich die Erörterung in der Hauptverhandlung auch auf die Frage einer möglichen Strafaussetzung zur Bewährung bezog und dass die Sitzungsvertre-terin der Staatsanwaltschaft sich - unzutreffend - "gebunden" fühlte. 18 - 8 - 3. Auch im Übrigen ergibt die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revi-sionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. 19 Rissing-van Saan Fischer Schmitt
Eschelbach Ott

Meta

2 StR 205/10

04.08.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.08.2010, Az. 2 StR 205/10 (REWIS RS 2010, 4292)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4292

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