Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2018, Az. IX ZB 24/16

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 5755

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe für einen Aktivprozess des Insolvenzverwalters: Zumutbarkeit der Kostenaufbringung durch die Insolvenzgläubiger


Leitsatz

1. Maßgeblich für die Beurteilung, ob es Insolvenzgläubigern zuzumuten ist, die Kosten eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits aufzubringen, ist nicht die voraussichtliche Erhöhung ihrer Befriedigungsquote, sondern das Verhältnis des zu erwartenden Ertrags zu den aufzubringenden Kosten.

2. Insolvenzgläubigern ist es regelmäßig nicht zuzumuten, die Kosten eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits aufzubringen, wenn sich ihre Befriedigung unter Berücksichtigung des Prozess- und Beibringungsrisikos voraussichtlich um weniger als das Doppelte der aufzubringenden Kosten verbessert.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des [X.] vom 18. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Antrag des Insolvenzverwalters, ihm für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe zu gewähren, abgelehnt. Das [X.] hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

3

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO seien nicht gegeben, weil es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten in Gestalt der Gläubiger zu Nr. 2 und Nr. 3 der Insolvenztabelle zuzumuten sei, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. [X.] man die eigenen Angaben des Antragstellers zugrunde, könnten die beiden Gläubiger im Falle der Durchführung des Rechtsstreits unter Berücksichtigung eines Vollstreckungsrisikos von 50 vom Hundert etwa das 1,85-fache des von ihnen zu tragenden Kostenanteils erzielen.

4

2. Es kann dahinstehen, ob der Beschluss des [X.] nicht mit Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben ist (§ 4 [X.], § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

5

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des [X.], die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (etwa [X.], Beschluss vom 21. Juli 2011 - [X.] 148/10, [X.], 714 Rn. 6; vom 13. Januar 2016 - [X.] 605/14, [X.], 625 Rn. 6 mwN).

6

b) Das Beschwerdegericht hat seinen [X.] keinen Sachverhalt vorangestellt. Eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung ist nicht erfolgt. Aus den [X.] kann der maßgebliche Sachverhalt nur teilweise erschlossen werden.

7

3. Die Entscheidung des [X.] kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil die vorhandenen Feststellungen nicht die Beurteilung tragen, es sei den Gläubigern zu Nr. 2 und Nr. 3 der Insolvenztabelle zuzumuten, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

8

a) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings nicht maßgeblich darauf abgestellt, um welchen vom-Hundert-Satz sich die zu erwartende Befriedigungsquote der Gläubiger durch die beabsichtigte Prozessführung erhöht. Vorschüsse auf die Prozesskosten sind solchen Beteiligten zuzumuten, die die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für die der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung deutlich größer sein wird als die von ihnen als Vorschuss aufzubringenden Kosten. Bei dieser wertenden Abwägung sind insbesondere eine zu erwartende Quotenverbesserung im Falle des Obsiegens, das Prozess- und Vollstreckungsrisiko und die Gläubigerstruktur zu berücksichtigen ([X.], Beschluss vom 26. April 2018 - [X.] 29/17, [X.], 1137 Rn. 7 mwN; st. Rspr.). Das danach maßgebliche Verhältnis von Nutzen und Kosten wird nicht allein aus der relativen Erhöhung der Befriedigungsquote ersichtlich, sondern nur dann, wenn der im Falle der Durchführung des Rechtsstreits für den Gläubiger bei der Verteilung zusätzlich zu erwartende absolute Betrag in Beziehung zu der Kostenbeteiligung des Gläubigers gesetzt wird.

9

b) Rechtsfehlerhaft hat das Beschwerdegericht aber angenommen, die Aufbringung der Kosten der Prozessführung sei den Gläubigern allein deswegen zumutbar, weil sie eine Verbesserung ihrer Befriedigung um das 1,85-fache ihres [X.] erwarten könnten. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ist den Gläubigern ein Vorschuss auf die Prozesskosten nur zumutbar, wenn der zu erwartende Nutzen deutlich größer ist als die aufzubringenden Kosten ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2012 - [X.] 138/11, [X.], 2275 Rn. 8; vom 19. Mai 2015 - [X.], Z[X.] 2015, 1465 Rn. 2; vom 26. April 2018, aaO Rn. 12; st. Rspr.). Eine feste Quote, ab der die [X.] stets zumutbar ist, kann insoweit wegen der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse der Insolvenzverfahren nicht festgelegt werden ([X.], Beschluss vom 26. April 2018, aaO Rn. 12). Beträgt der zu erwartende Ertrag aus der Prozessführung aber weniger als das Doppelte des anfallenden [X.], ist den Gläubigern ein Kostenvorschuss bei angemessener Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen regelmäßig nicht zuzumuten (vgl. [X.], [X.], 1155, 1157), wenn nicht zusätzliche Umstände vorliegen, welche die Aufbringung der Kosten den Gläubigern als zumutbar erscheinen lassen.

4. Die Entscheidung des [X.] kann danach keinen Bestand haben. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Eine eigene Entscheidung kann der Senat nicht treffen, weil das Beschwerdegericht die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat (§ 577 Abs. 5 ZPO).

Kayser     

      

Lohmann     

      

Grupp 

      

Möhring     

      

Meyberg     

      

Meta

IX ZB 24/16

19.07.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Celle, 18. Februar 2016, Az: 16 W 4/16

§ 116 S 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2018, Az. IX ZB 24/16 (REWIS RS 2018, 5755)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1214-1215 WM2018,1657 REWIS RS 2018, 5755

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