Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.08.2021, Az. XII ZB 436/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 3071

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Gegenstand

Betreuungssache: Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts bei zu Unrecht verworfener Beschwerde eines Beteiligten als unzulässig


Leitsatz

In einer Betreuungssache kann das Rechtsbeschwerdegericht ausnahmsweise auch dann in der Sache entscheiden, wenn die Beschwerde eines Beteiligten zwar zu Unrecht als unzulässig verworfen worden ist, das Beschwerdegericht die Sache aber auf die Beschwerde eines anderen Beteiligten vollständig aufgeklärt hat und diese entscheidungsreif ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. September 2013 - XII ZB 87/12, FamRZ 2013, 1879).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 31. August 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des [X.] vom 27. Februar 2020 nicht verworfen, sondern zurückgewiesen wird.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer [X.] für die 1940 geborene Betroffene, die an Demenz leidet.

2

Die Betroffene erteilte ihrem [X.] (Beteiligter zu 1) im Januar 2016 eine Vorsorgevollmacht. Auf Anregung von Nachbarn der Betroffenen ist das vorliegende Betreuungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die Betroffene im Haus und in dessen Umgebung wiederholt orientierungslos und hilfsbedürftig angetroffen worden war.

3

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie Anhörung der Betroffenen und ihres [X.]es eine [X.] angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum Betreuer bestellt. Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und die Beschwerde ihres [X.]es wegen mangelnder Beschwerdebefugnis verworfen.

4

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, welche den Wegfall der [X.] erstrebt.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde des Beteiligten zu 1 verworfen worden ist. Seine zulässige Beschwerde ist jedoch in der Sache zurückzuweisen.

6

1. Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen [X.] haben im Ergebnis keinen Erfolg.

7

a) Soweit die Rechtsbeschwerde gerügt hat, dass der amtsgerichtliche [X.] unvollständig sei und das Beschwerdegericht die Betroffene daher erneut hätte anhören müssen, hat sie diese Rüge nach Übersendung der fehlenden Seite des [X.]s durch das Beschwerdegericht nicht mehr aufrechterhalten.

8

b) Der Bestellung eines Verfahrenspflegers bedurfte es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nach dem gegenwärtig geltenden Recht nicht. Bei der vorliegend angeordneten [X.] handelt es sich weder um einen Regelfall nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 FamFG, noch war die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen erforderlich. Die [X.] enthält keine Befugnis des Betreuers zum Widerruf der Vorsorgevollmacht. An der von der Rechtsbeschwerde zitierten gegenläufigen [X.]srechtsprechung im [X.]sbeschluss vom 13. November 2013 ([X.] 339/13 - FamRZ 2014, 192 Rn. 13 ff.) hat der [X.] nicht festgehalten ([X.]sbeschluss [X.], 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 18 mwN). Mithin rechtfertigt eine [X.] entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde schon wegen der deutlich geringeren Eingriffsintensität keine Gleichstellung mit einer Betreuung in allen Angelegenheiten.

9

c) Die Rechtsbeschwerde rügt dagegen zutreffend, dass die Verwerfung der Beschwerde des [X.]es der Betroffenen zu Unrecht erfolgt ist.

Entgegen der Auffassung des [X.]s war der [X.] der Betroffenen für die Erstbeschwerde [X.]. Die Beschwerdebefugnis stand ihm nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG schon als Abkömmling der Betroffenen zu, zumal er am erstinstanzlichen Betreuungsverfahren beteiligt worden ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 17. März 2021 - [X.] 169/19 - FamRZ 2021, 1062 Rn. 7 mwN).

Dass der [X.] der Betroffenen keine eigene Rechtsbeschwerde eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Vielmehr kann sich auch die Betroffene auf diesen Verfahrensfehler berufen. Da das Beschwerderecht Angehörigen und Vertrauenspersonen vom Gesetz ausdrücklich im Interesse des Betroffenen gewährt wird, ist die Betroffene durch die Verwerfung der Beschwerde auch materiell beschwert, zumal über die in ihrem Interesse eingelegte Beschwerde ihres Angehörigen nicht in der Sache entschieden worden ist (vgl. auch [X.]sbeschluss [X.], 161 = FamRZ 2021, 138 Rn. 15 f.).

2. Der [X.] kann in der Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG selbst entscheiden, da die Sache zur Endentscheidung reif ist. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

a) Hat das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig verworfen, ist das Rechtsbeschwerdegericht ausnahmsweise zu einer Sachentscheidung befugt, wenn dem angefochtenen Beschluss eine für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichende tatsächliche Grundlage zu entnehmen ist und für den Fall einer Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung des Sachverhalts ein anderes Ergebnis als das vom Rechtsbeschwerdegericht für richtig erachtete nicht möglich erscheint ([X.]sbeschluss vom 4. September 2013 - [X.] 87/12 - FamRZ 2013, 1879 Rn. 15 zu § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO mwN; [X.]/[X.] FamFG 20. Aufl. § 74 Rn. 71 mwN).

b) Das ist vorliegend der Fall. Das [X.] hat das in der Beschwerdeinstanz einheitlich gehaltene gemeinsame Vorbringen der Betroffenen und des Beteiligten zu 1 in vollem Umfang gewürdigt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Dadurch, dass es die Beschwerde des Beteiligten zu 1 verworfen hat, hat es dementsprechend seine Entscheidungsgrundlage hinsichtlich des einheitlichen Verfahrensgegenstands nicht verkürzt.

Aufgrund des somit erschöpfend aufgeklärten Sachverhalts ist auch die Beschwerde des Beteiligten zu 1 unbegründet. Das [X.] hat in der angefochtenen Entscheidung ausführlich begründet, dass eine [X.] nach § 1896 Abs. 3 BGB erforderlich ist, weil der Beteiligte zu 1 als Bevollmächtigter die Interessen der Betroffenen nicht hinreichend wahrnimmt (vgl. [X.]sbeschluss vom 5. Juni 2019 - [X.] 58/19 - FamRZ 2019, 1355 Rn. 19 mwN). Das ist [X.] nicht zu beanstanden und wird auch von der Rechtsbeschwerde in der Sache nicht angegriffen.

Dose     

        

Klinkhammer     

        

Günter

        

Nedden-Boeger      

        

Botur      

        

Meta

XII ZB 436/20

25.08.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Augsburg, 31. August 2020, Az: 54 T 1374/20

§ 74 Abs 6 S 1 FamFG, § 303 Abs 2 Nr 1 FamFG, § 1896 Abs 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.08.2021, Az. XII ZB 436/20 (REWIS RS 2021, 3071)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1547-1548 REWIS RS 2021, 3071

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XII ZB 339/13

XII ZB 169/19

XII ZB 87/12

XII ZB 58/19

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