Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2011, Az. 1 StR 367/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3136

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
[X.]

vom
21. September
2011
[X.]St:
ja
zu I + II
[X.]R:
ja

[bis 2b]
Nachschlagewerk:
ja

Veröffentlichung:
ja
_________________________________

[X.] § 256 Abs. 1 Nr. 2, § 250

Die Vernehmung eines Arztes kann
auch dann durch die Verlesung eines [X.] Attests ersetzt werden, wenn die ärztliche Sicht zu Schlüssen aus der attestierten Körperverletzung auf ein anderes Delikt nichts beitragen kann. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Körperverletzung bei einer nachfolgenden Se-xualstraftat allein als Drohung [X.] haben kann.

[X.], Beschluss vom 21. September 2011 -
1 [X.] -
LG Schweinfurt

in der Strafsache
gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

-
2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 21. September
2011 be-schlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. März 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.

Gründe:
I.

Die [X.] hat festgestellt:

Der Angeklagte fragte am 25. September 2009 gegen 3.45 Uhr eine ihm unbekannte junge Frau, die aus einer Diskothek kam, vergeblich nach ihrem Namen. Er folgte ihr zu einem nahen Parkplatz, wo ihr Fahrrad stand und bot ihr seine Begleitung an. Als sie nicht reagierte, packte er sie an den [X.]. Als sie sich dies verbat, stieß er sie in ein [X.]. Im weiteren Verlauf entriss er ihr das Handy, mit dem sie um Hilfe rufen wollte. Nach einem beleuchteten Teil des Parkplatzes, wo er sie auf den Mund küsste und [X.], ihr Zungenküsse zu geben. Aus Angst vor weiterer Misshandlung manipu-lierte sie mehrere Minuten an seinem entblößten Geschlechtsteil, bis sie schließlich fliehen konnte.

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II.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Seine auf eine Verfahrensrüge und die nicht näher ausgeführte Sachrü-ge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

1. Der Verfahrensrüge liegt Folgendes zu Grunde:

a) Die Geschädigte hatte sich
durch den Stoß in das [X.] un-ter anderem Einstichverletzungen an den Händen und Armen zugezogen; ab-gebrochene Dornenstücke blieben in den Händen und im Unterarm stecken und konnten erst nach einigen Tagen entfernt werden. Die [X.] stellt fest, dass die Behauptungen der Geschädigten über ihre Verletzungen mit den Verletzungen durch die Dornen von einem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Attest über die Ve

b) Die Revision meint, der Arzt hätte als Zeuge gehört werden müssen; die Voraussetzungen von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] hätten nicht vorgelegen, weil der Inhalt des Attests auch hinsichtlich der Feststellungen zu dem tateinheitlich mit der Körperverletzung verwirklichten Sexualdelikt Bedeutung gehabt hätte.

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2. Die Rüge greift nicht durch.

a) § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erlaubt aus letztlich pragmatischen Gründen (vgl. [X.], [X.], 25. Aufl., § 256 Rn. 1 und 3 mwN),
ärztliche Atteste zu, wie hier, nicht schweren Körperverletzungen (i.S.d. § 226 StGB) zu verle-sen, nicht aber zu Erkenntnissen, die der Arzt nur bei Gelegenheit der Feststel-lung einer Verletzung gewonnen hat, z.B. über Angaben zur Ursache
der [X.], wenn diese ebenfalls in dem Attest dokumentiert sind ([X.], Urteil vom 23. April 1953 -
4
StR 667/52, [X.]St 4, 155, 156; [X.] bei [X.], [X.] 1955, 397; [X.], Beschluss vom 30. November 1983 -
3 [X.], [X.], 142, 143; [X.], [X.], 54. Aufl., § 256 Rn. 19 mwN).

Dieser Gesichtspunkt ist hier nicht einschlägig. Der Arzt hat hinsichtlich der Dornen nicht etwa eine für ihn ohne Angaben der Geschädigten nicht er-kennbare Ursache der Verletzung in seinem Attest festgehalten, sondern er hat attestiert, dass die Geschädigte auch -
für ihn sichtbar -
dadurch verletzt war, dass sich in ihrem Körper noch abgebrochene Dornenstücke befanden.

b) Im Übrigen hat der [X.] wiederholt ausgesprochen, dass -
über den Wortlaut
von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] hinaus ([X.], Urteil vom 27. November 1985 -
3 [X.], [X.]St 33, 389, 391) -
eine Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 [X.]) durch Verlesung eines Attestes nicht zulässig ist, wenn sich die Bedeutung der aus dem Attest ersichtlichen Verletzungen nicht in der Feststellung ihres Vorliegens erschöpft ([X.] Rspr.;
vgl. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 1988 -
1 [X.], [X.]R,
[X.],
§ 256 Abs.
1 Körperverletzung 2).

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aa) Dies wird regelmäßig angenommen, wenn Gewalt nicht nur zu einer Körperverletzung geführt hat, sondern zugleich auch ein Tatbestandsmerkmal für ein anderes Delikt darstellt, etwa bei einem räuberischen Diebstahl ([X.], Beschluss vom 11. Juli 1996 -
1 [X.], [X.] 1996, 649), oder, in der fo-rensischen Praxis nicht selten, bei Sexualdelikten (vgl. nur [X.], Urteil vom 7.
November 1979 -
3 StR 16/79, [X.], 651; [X.], Beschluss vom 24.
Juli 1984 -
5 [X.]/84,
bei [X.] [X.] 1985, 204, 206
; [X.], Beschluss vom 4. März 2008 -
3 [X.], [X.], 474). Regelmäßig liegt dann neben Tateinheit auch eine Indizwirkung der Körperverletzung für das andere Delikt vor.

[X.]) Tateinheit zwischen der Körperverletzung und dem anderen Delikt schließt die Anwendung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht zwingend aus, wie s-sigkeit einer Verlesung nach § 256 [X.], (die) über die jeweils zugrunde lie-Urteil vom 27. November 1985 -
3 [X.], [X.]St 33, 389, 392). [X.] ist vielmehr

,
aaO, 393) für die Annah-me, nach Sinn und Zweck des Gesetzes ([X.]St,
aaO,
391, 393) reiche eine Verlesung des Attests nicht aus.

Dies gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn es um die [X.] im Blick auf Schlussfolgerungen geht, die aus den Verlet-zungen hinsichtlich des anderen Delikts gezogen werden können. Eine Ver-nehmung
ist nur dann erforderlich, wenn der unmittelbare Eindruck eine zuver-lässigere Grundlage
der richterlichen Überzeugungsbildung
sein kann als die Verlesung des Attestes ([X.], Urteil vom 9. April 1953 -
5 [X.], [X.]St 4, 155, 156; [X.] bei [X.], [X.] 1984, 209, 211 ; [X.], Beschluss 12
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vom 4. März 2008 -
3 [X.], [X.], 474), etwa dazu, ob [X.] im Bereich des Unterleibs auf ein gewaltsam begangenes Sexualdelikt hin-deuten. Kann
ärztliche Sicht zu Schlussfolgerungen dieser Art über die bloße Feststellung der attestierten Verletzung hinaus dagegen nichts beitragen, so besteht regelmäßig auch kein überzeugender Grund für eine Vernehmung des Arztes. Im [X.] kommt es also darauf an, ob eine solche Vernehmung Gebot der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs.
2 [X.]) ist, die (auch sonst) von § 256 [X.] unberührt bleibt (vgl. schon [X.], Urteil vom 4. April 1951
-
1 [X.], [X.]St 1, 94, 96; [X.], Urteil vom 16. März 1993 -
1 [X.], [X.]R,
[X.] § 256 Abs. 1 Aufklärungspflicht 1; [X.], Beschluss vom 24. April 1979 -
5 [X.]/78,
bei [X.] [X.] 1981, 93, 95 § 244 Abs. 2 [X.]>; vgl. auch [X.], [X.], 54. Aufl., § 256 Rn. 2 mit Hinweis auf Nr. 111 Abs. 3 Satz 2 RiStBV).

[X.]) Im vorliegenden Fall kann die ärztliche Sicht zur Beantwortung der Frage, ob die attestierten Verletzungen durch die Dornen die Verletzte nachfol-gend aus Furcht vor erneuter Misshandlung zu Manipulationen am [X.] veranlasst haben könnten, offensichtlich nichts bei-tragen. Anderes ist auch dem [X.] nicht
zu entnehmen. Die Verlesung des Attestes überschreitet daher die Grenzen der Anwendbarkeit von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht.

c) Von alledem abgesehen, beruhte das Urteil ohnehin nicht auf der Ver-lesung des Attestes. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Angaben des Ange-klagten, der bestritten hat, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, und auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass ihn die Geschädigte mit einer anderen Person verwechselt. Die Urteilsgründe verweisen jedoch über die Angaben der Ge-schädigten
hinaus auf eine Reihe gewichtiger, von dem Attest unabhängiger 15
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Indizien, wie etwa im Gesicht der Geschädigten gesicherter DNA-Abrieb, der dem Angeklagten zuzuordnen i[X.] Unter diesen Umständen besteht, so im Er-gebnis auch der [X.], kein Anhaltspunkt für die Annahme, die [X.] wäre entgegen ihrer ausdrücklichen Feststellung, wonach das [X.] vom 21. August 2002 -
2 [X.]; [X.], Beschluss vom 13. September
2001 -
1 StR 378/01 mwN), ohne das Attest möglicherweise zu anderen Fest-stellungen gelangt.

3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

Die Art der Abfassung der Urteilsgründe veranlasst den Senat zu dem Hinweis, dass diese nicht sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung in allen Details dokumentieren, sondern nur belegen sollen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, [X.] sind. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, [X.] und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. [X.], die demgegenüber die Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Art eines Protokolls referieren und sich mit einer Vielzahl wenig bedeutsamer Details be-fassen, können -
von dem damit verbundenen, sachlich nicht gebotenen Auf-wand abgesehen -
den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden ([X.] Rspr.;
vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2010 -
1 [X.] mwN). Auch Ausführungen zur [X.] von Beweismitteln sind rechtlich nicht geboten, sondern führen nur 17
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zu einer (weiteren) Überfrachtung der Urteilsgründe (vgl. [X.], Beschluss vom 23. August 2011 -
1 [X.]; [X.], Beschluss vom 27. Mai 2009 -
1 StR 99/09,
NJW 2009, 2612, 2613 mwN).

Frau Riin[X.] Elf ist

urlaubsbedingt abwesend

und deshalb an der Unter-

schrift gehindert.

[X.]Wahl Nack

Graf Jäger

Meta

1 StR 367/11

21.09.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2011, Az. 1 StR 367/11 (REWIS RS 2011, 3136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3136

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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