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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Verlesung eines ärztlichen Attests im Strafverfahren: Schlussfolgerung aus der attestierten Körperverletzung auf ein anderes Delikt
Die Vernehmung eines Arztes kann auch dann durch die Verlesung eines ärztlichen Attests ersetzt werden, wenn die ärztliche Sicht zu Schlüssen aus der attestierten Körperverletzung auf ein anderes Delikt nichts beitragen kann. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Körperverletzung bei einer nachfolgenden Sexualstraftat allein als Drohung fortgewirkt haben kann .
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. März 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
I.
[X.] hat festgestellt:
Der Angeklagte fragte am 25. September 2009 gegen 3.45 Uhr eine ihm unbekannte junge Frau, die aus einer Diskothek kam, vergeblich nach ihrem Namen. Er folgte ihr zu einem nahen Parkplatz, wo ihr Fahrrad stand und bot ihr seine Begleitung an. Als sie nicht reagierte, packte er sie an den Oberarmen. Als sie sich dies verbat, stieß er sie in ein [X.]. Im weiteren Verlauf entriss er ihr das Handy, mit dem sie um Hilfe rufen wollte. Nach einem „Gerangel“ packte er sie und zerrte sie zu einem etwa 20 m entfernten, schlecht beleuchteten Teil des Parkplatzes, wo er sie auf den Mund küsste und versuchte, ihr Zungenküsse zu geben. Aus Angst vor weiterer Misshandlung manipulierte sie mehrere Minuten an seinem entblößten Geschlechtsteil, bis sie schließlich fliehen konnte.
II.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Seine auf eine Verfahrensrüge und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).
1. Der Verfahrensrüge liegt Folgendes zu Grunde:
a) Die Geschädigte hatte sich durch den Stoß in das [X.] unter anderem Einstichverletzungen an den Händen und Armen zugezogen; abgebrochene [X.] blieben in den Händen und im Unterarm stecken und konnten erst nach einigen Tagen entfernt werden. [X.] stellt fest, dass die Behauptungen der Geschädigten über ihre Verletzungen mit den sonstigen Feststellungen übereinstimmten („sie passen“) und dass konkret die Verletzungen durch die Dornen von einem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Attest über die Verletzungen der Geschädigten „bestätigt“ würden.
b) Die Revision meint, der Arzt hätte als Zeuge gehört werden müssen; die Voraussetzungen von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] hätten nicht vorgelegen, weil der Inhalt des Attests auch hinsichtlich der Feststellungen zu dem tateinheitlich mit der Körperverletzung verwirklichten Sexualdelikt Bedeutung gehabt hätte.
2. Die Rüge greift nicht durch.
a) § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erlaubt aus letztlich pragmatischen Gründen (vgl. [X.], [X.], 25. Aufl., § 256 Rn. 1 und 3 mwN), ärztliche Atteste zu, wie hier, nicht schweren Körperverletzungen (i.S.d. § 226 StGB) zu verlesen, nicht aber zu Erkenntnissen, die der Arzt nur bei Gelegenheit der Feststellung einer Verletzung gewonnen hat, z.B. über Angaben zur Ursache der Verletzungen, wenn diese ebenfalls in dem Attest dokumentiert sind ([X.], Urteil vom 23. April 1953 - 4 StR 667/52, [X.]St 4, 155, 156; [X.] bei [X.], [X.] 1955, 397; [X.], Beschluss vom 30. November 1983 - 3 [X.], [X.], 142, 143; [X.], [X.], 54. Aufl., § 256 Rn. 19 mwN).
Dieser Gesichtspunkt ist hier nicht einschlägig. Der Arzt hat hinsichtlich der Dornen nicht etwa eine für ihn ohne Angaben der Geschädigten nicht erkennbare Ursache der Verletzung in seinem Attest festgehalten, sondern er hat attestiert, dass die Geschädigte auch - für ihn sichtbar - dadurch verletzt war, dass sich in ihrem Körper noch abgebrochene [X.] befanden.
b) Im Übrigen hat der [X.] wiederholt ausgesprochen, dass - über den Wortlaut von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] hinaus ([X.], Urteil vom 27. November 1985 - 3 [X.], [X.]St 33, 389, 391) - eine Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 [X.]) durch Verlesung eines Attestes nicht zulässig ist, wenn sich die Bedeutung der aus dem Attest ersichtlichen Verletzungen nicht in der Feststellung ihres Vorliegens erschöpft (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 1988 - 1 StR 569/88, [X.]R, [X.], § 256 Abs. 1 Körperverletzung 2).
aa) Dies wird regelmäßig angenommen, wenn Gewalt nicht nur zu einer Körperverletzung geführt hat, sondern zugleich auch ein Tatbestandsmerkmal für ein anderes Delikt darstellt, etwa bei einem räuberischen Diebstahl ([X.], Beschluss vom 11. Juli 1996 - 1 [X.], [X.] 1996, 649), oder, in der forensischen Praxis nicht selten, bei Sexualdelikten (vgl. nur [X.], Urteil vom 7. November 1979 - 3 StR 16/79, [X.], 651; [X.], Beschluss vom 24. Juli 1984 - 5 StR 478/84, bei [X.] NStZ 1985, 204, 206
bb) Tateinheit zwischen der Körperverletzung und dem anderen Delikt schließt die Anwendung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht zwingend aus, wie der [X.] im Blick auf „generelle Umschreibungen der Unzulässigkeit einer Verlesung nach § 256 [X.], (die) über die jeweils zugrunde liegenden Fallgestaltungen hinaus (gehen)“ präzisierend klargestellt hat ([X.], Urteil vom 27. November 1985 - 3 [X.], [X.]St 33, 389, 392). Erforderlich ist vielmehr ein „überzeugender Grund“ ([X.]St, aaO, 393) für die Annahme, nach Sinn und Zweck des Gesetzes ([X.]St, aaO, 391, 393) reiche eine Verlesung des Attests nicht aus.
Dies gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn es um die Vernehmung des Arztes im Blick auf Schlussfolgerungen geht, die aus den Verletzungen hinsichtlich des anderen Delikts gezogen werden können. Eine Vernehmung ist nur dann erforderlich, wenn der unmittelbare Eindruck eine zuverlässigere Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann als die Verlesung des Attestes ([X.], Urteil vom 9. April 1953 - 5 StR 824/52, [X.]St 4, 155, 156; [X.] bei [X.], NStZ 1984, 209, 211
cc) Im vorliegenden Fall kann die ärztliche Sicht zur Beantwortung der Frage, ob die attestierten Verletzungen durch die Dornen die Verletzte nachfolgend aus Furcht vor erneuter Misshandlung zu Manipulationen am Geschlechtsteil des Verletzers veranlasst haben könnten, offensichtlich nichts beitragen. Anderes ist auch dem [X.] nicht zu entnehmen. Die Verlesung des Attestes überschreitet daher die Grenzen der Anwendbarkeit von § 256 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht.
c) Von alledem abgesehen, beruhte das Urteil ohnehin nicht auf der Verlesung des Attestes. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Angaben des Angeklagten, der bestritten hat, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, und auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass ihn die Geschädigte mit einer anderen Person verwechselt. Die Urteilsgründe verweisen jedoch über die Angaben der Geschädigten hinaus auf eine Reihe gewichtiger, von dem Attest unabhängiger Indizien, wie etwa im Gesicht der Geschädigten gesicherter DNA-Abrieb, der dem Angeklagten zuzuordnen ist. Unter diesen Umständen besteht, so im Ergebnis auch der [X.], kein Anhaltspunkt für die Annahme, die [X.] wäre entgegen ihrer ausdrücklichen Feststellung, wonach das Attest (nur) ihre (ohnehin getroffenen) Feststellungen „bestätigt“ (vgl. [X.], Urteil vom 21. August 2002 - 2 [X.]; [X.], Beschluss vom 13. September 2001 - 1 [X.]), ohne das Attest möglicherweise zu anderen Feststellungen gelangt.
3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
III.
Die Art der Abfassung der Urteilsgründe veranlasst den Senat zu dem Hinweis, dass diese nicht sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung in allen Details dokumentieren, sondern nur belegen sollen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, festgestellt sind. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. Urteilsgründe, die demgegenüber die Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Art eines Protokolls referieren und sich mit einer Vielzahl wenig bedeutsamer Details befassen, können - von dem damit verbundenen, sachlich nicht gebotenen Aufwand abgesehen - den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 1 [X.] mwN). Auch Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind rechtlich nicht geboten, sondern führen nur zu einer (weiteren) Überfrachtung der Urteilsgründe (vgl. [X.], Beschluss vom 23. August 2011 - 1 [X.]; [X.], Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, [X.], 2612, 2613 mwN).
Frau Riin[X.] Elf ist |
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Nack |
Wahl |
Nack |
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Graf |
Jäger |
Meta
21.09.2011
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Schweinfurt, 28. März 2011, Az: 1 KLs 8 Js 13032/09, Urteil
§ 250 StPO, § 256 Abs 1 Nr 2 StPO
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2011, Az. 1 StR 367/11 (REWIS RS 2011, 3142)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 3142
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 StR 367/11 (Bundesgerichtshof)
1 StR 57/19 (Bundesgerichtshof)
Verlesen eines ärztlichen Attests in der Hauptverhandlung
2 StR 444/09 (Bundesgerichtshof)
Revisionsbegründung in Strafsachen: Notwendige Alternativrüge bei auslegungsfähiger Formulierung des Sitzungsprotokolls zur Verlesung einer Urkunde
2 StR 111/02 (Bundesgerichtshof)
4 StR 508/18 (Bundesgerichtshof)
Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung bei Geiselnahme