Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2018, Az. 4 StR 597/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15639

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:160118B4STR597.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 597/17

vom
16. Januar
2018
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16.
Januar 2018 ge-mäß §
349 Abs.
2 und 4, §
357 Satz
1 StPO
beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten T.

D.

wird das
Urteil
des [X.] vom 28.
August 2017

auch soweit es die Mitangeklagte M.

D.

betrifft

mit den
zugehörigen Feststellungen
aufgehoben,
a)
hinsichtlich des Angeklagten T.

D.

,
aa)
soweit dieser in den Fällen
III.
3 bis 7 der Urteils-gründe verurteilt ist,
bb)
in den Fällen
III.
1 und 2 der Urteilsgründe im Straf-ausspruch,
cc)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
b)
hinsichtlich der Angeklagten M.

D.

, soweit sie
verurteilt worden ist.
2.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zu-ständige [X.] des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten T.

D.

wird verworfen.
-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten T.

D.

wegen schweren
sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem
Missbrauch eines Schutzbefohlenen in zwei Fällen sowie schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und
drei Monaten verurteilt. Die nicht revidierende Mitangeklag-te M.

D.

hat es wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsun-
fähigen Person und Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch einer wider-standsunfähigen Person zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte T.

D.

wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge
gegen seine Verurteilung. Sein Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg und führt zu einer Erstreckung der Aufhebung auf die nicht revidierende Mitangeklagte M.

D.


357 Satz
1 StGB). Im Übrigen ist
es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1.
Die Verurteilung des Angeklagten T.

D.

wegen schweren
sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in den Fällen
III.
3 bis 7 der Urteilsgründe nach dem zur Tatzeit geltenden §
179 Abs.
1 Nr.
1, Abs.
5 Nr.
1 StGB in der bis zum 9.
November 2016 geltenden Fassung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe eine [X.] nicht belegen.
a)
Nach den Feststellungen leidet der zu den [X.] 18
Jahre alte [X.] unter einer leichten geistigen Behinderung, die im Grenzbereich zu einer mittelgradigen geistigen Behinderung liegt. Aufgrund dessen verfügte er 1
2
3
-
4
-
nur über die
Intelligenz eines etwa neun bis zehn Jahre alten Kindes
und eine dementsprechend
entwickelte [X.] Kompetenz.
In der [X.] zwischen dem 17.
Januar 2015 und dem 20.
September 2015 forderte der Angeklagte den Nebenkläger mehrfach dazu auf, mit ihm den Anal-verkehr (Fälle
III.
3, 4 und 7 der Urteilsgründe) oder den Oralverkehr (Fall
III.
6 der Urteilsgründe) auszuüben. In einem Fall sollte er zusätzlich an der Scheide der Mitangeklagten M.

D.

(seiner Mutter) lecken (Fall
III.
6
der Urteils-

seiner psychischen Situation nicht in der Lage war, einen entgegenstehenden Wil-len
III.
3 und 4 der Urteilsgründe
handelte er auch aus Angst vor körperlichen Züchtigungen. Im Fall
III.
6 der Urteilsgründe brach die Mitangeklagte M.

D.

die sexuellen Handlungen mit dem Nebenkläger ab, nachdem dieser
durch ein Kopfschütteln signalisiert hatte, dass er dies nicht wolle. In einem wei-teren Fall (Fall
III.
5 der Urteilsgründe) führte der Angeklagte

bestärkt von der zusehenden Mitangeklagten M.

D.

einen Dildo in den Anus des Ne-
benklägers ein. Als er anschließend den Penis des [X.] in den Mund nahm, versuchte dieser seinen Unwillen durch ein Kopfschütteln deutlich zu nicht
Lage war, die Situation ausreichend zu erfassen und einen entgegenstehenden .
Nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr.
Da.

, der sich die
[X.] angeschlossen hat, könne bei dem Nebenkläger weder die Fähig-ä-4
5
-
5
-

n Handlungen des Angeklagten [X.] werden. Ihm sei es aufgrund seiner Entwicklungsdefizite und der Beein-trächtigung seiner geistigen Fähigkeiten nicht möglich gewesen, die Absichten des Angeklagten umfassend zu reflektieren und die Folgen für seine sexuelle Selbstbestimmung abzuschätzen (UA
21).
b)
Diese Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluss, dass der [X.] in den konkreten [X.] im Sinne von §
179 Abs.
1 StGB in der bis zum 9.
November 2016 geltenden Fassung widerstandsunfähig war.
aa)
Nach dieser Vorschrift machte sich strafbar, wer eine Person, die aus den in der Norm näher genannten Umständen zum Widerstand unfähig war, dadurch missbrauchte, dass er unter Ausnutzung der [X.] sexuelle Handlungen an ihr vornahm
oder an sich von ihr vornehmen ließ. Als widerstandsunfähig galt, wer

wenn auch nur vorübergehend

gänzlich un-fähig war, einen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen gegen das an ihn herangetragene sexuelle Ansinnen zu bilden, zu äußern oder durchzuset-zen. Die Feststellung der [X.] erforderte eine normative Entscheidung, die der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung zu
treffen hatte, in welche auch das aktuelle Tatgeschehen und etwaige Be-einträchtigungen des
Tatopfers durch die [X.] einzubeziehen waren (st.
Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Mai 2017

4
StR
366/16, [X.], 240, 241; Beschluss vom 16.
Mai 2017

3
StR
43/17, [X.], 33; Urteil vom 15.
März 1989

2
StR
662/88, [X.]St 36, 145, 147
mwN). Eine [X.] konnte danach nicht schon ohne nähere Begründung auf die Feststellung einer geistigen Behinderung und daraus resultierende [X.] gestützt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 1.
Okto-ber 2008

2
StR
385/08, [X.], 14; Beschluss vom 26.
Januar 2005
6
7
-
6
-

2
StR
456/04, [X.], 172, 173; Beschluss vom 1.
April 2003

4
StR 96/03,
NStZ 2003, 602, 603).
bb)
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Aus der allgemein gehaltenen Feststellung, dass es dem Nebenkläger aufgrund [X.] und der Beeinträchtigung seiner geistigen Fähigkeiten nicht möglich gewesen sei, die Absichten des Angeklagten umfassend zu re-flektieren und die Folgen für seine sexuelle Selbstbestimmung abzuschätzen, folgt nicht ohne weiteres, dass es ihm in den einzelnen [X.] unmög-lich war, einen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen zu bilden, zu [X.] oder durchzusetzen. Eine das konkrete jeweilige Tatgeschehen einbezie-hende Gesamtbetrachtung hat das [X.] in keinem der abgeurteilten [X.] erkennbar vorgenommen. Dabei hätte insbesondere näher erörtert werden müssen, dass es dem Nebenkläger im Fall
III.
6 der Urteilsgründe möglich war, die Mitangeklagte M.

D.

durch
ein bloßes Kopfschütteln zum Abbruch
der sexuellen Handlungen zu bewegen
und er auch im Fall
III.
5 der Urteils-gründe seinen Unwillen zur Durchführung des [X.] zum Ausdruck brachte. Dafür, dass der Nebenkläger

jedenfalls in eingeschränktem Um-fang

zu einer Reflektion seines Verhaltens und zu [X.] in der Lage war, spricht überdies, dass er in den Fällen
III.
3 und 4 der Urteilsgründe die sexuellen Handlungen des Angeklagten an sich auch aus Angst vor körper-lichen Züchtigungen duldete. Schließlich durfte die [X.] in den [X.]n
III.
3, 4, 6 und 7 der Urteilsgründe auch nicht ohne nähere Begründung of-fenlassen, ob dem Nebenkläger aufgrund seiner Defizite bereits die Fähigkeit fehlte, einen Widerstandswillen zu bilden oder ob es ihm lediglich unmöglich war, einen solchen Willen in den konkreten [X.] zu äußern oder durchzusetzen.
8
-
7
-
c)
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entschei-dung. Die Aufhebung ist in den Fällen
III.
5
und 6 der Urteilsgründe nach §
357 Satz
1 StPO auf die nicht revidierende Mitangeklagte M.

D.

zu erstre-
cken, weil in beiden Fällen ein innerer Zusammenhang zwischen ihrer [X.] und derjenigen des Angeklagten T.

D.

besteht.
Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Überzeugung gelangen, dass sich die Angeklagten nach §
179 Abs.
1, Abs.
5 Nr.
1 StGB in der bis zum 9.
November 2016 geltenden Fassung gegebenenfalls in Verbindung mit §
27 StGB strafbar gemacht haben, wird bei der Prüfung der Frage, ob der mit [X.] zum 10.
November 2016 neu gefasste §
177 StGB, der insbesondere in den Abs.
1, 2 Nrn.
1 und 2 sowie Abs.
4 Nachfolgeregelungen zu §
179 StGB enthält, das nach §
2 Abs.
3 StGB mildere Gesetz darstellt, von ihm zu [X.] sein, dass es insoweit
auf eine konkrete Betrachtungsweise ankommt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 30.
August 2017

4
StR
345/17; Beschluss vom 9.
Mai 2017

4
StR 366/16, [X.], 241
f.; Beschluss vom 16.
Mai 2017

3
StR
43/17, [X.], 33; Beschluss vom 4.
April 2017

3
StR
524/16, [X.], 242).
2.
In den Fällen
III.
1 und 2 der Urteilsgründe hält jeweils der Ausspruch über die Einzelstrafe revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die [X.] dem Angeklagten die Störung des Sexualverhaltens des [X.] als Folge dieser Taten angelastet hat, obwohl die Feststellungen dafür keinen ausreichenden Beleg bieten.
a)
Als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von §
46 Abs.
2 StGB können nur Geschehnisse und Umstände angesehen werden, bei denen feststeht, dass sie durch die Tat verursacht worden sind. Kann das Gericht 9
10
11
12
-
8
-
hierzu keine sicheren Feststellungen treffen, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
August 2003

2
StR 285/03, [X.], 41, 42; Beschluss vom 7.
Januar 1997

4
StR
601/96, [X.], 336, 337). Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die the-rapiebedürftige Unfähigkeit des [X.], seine eigene Sexualität zu regu-lieren und Schamgrenzen anderer zu erkennen, sicher auch auf die unter III.
1 und 2 der Urteilsgründe festgestellten Taten zurückzuführen ist. In den [X.] wird dazu

soweit nachvollziehbar

nur ein Zusammenhang zu der von beiden A

14
f.).
b)
Dies und die Aufhebung in den Fällen
III.
3 bis 7 der Urteilsgründe zieht bei dem Angeklagten die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Bender
Quentin
13

Meta

4 StR 597/17

16.01.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2018, Az. 4 StR 597/17 (REWIS RS 2018, 15639)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15639

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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