Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 9 B 8/23

9. Senat | REWIS RS 2023, 5057

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Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 1. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof seine Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau einer Staatsstraße mit der Begründung abgewiesen hat, der Klagevortrag sei nach § 6 [X.] präkludiert, weil die zehnwöchige [X.] am 26. November 2021 abgelaufen, die Klagebegründung jedoch erst am 2. Dezember 2021 bei Gericht eingegangen sei. Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision, mit der er das Vorliegen von Verfahrensfehlern und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen eines [X.] nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

3

Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Anwendung des § 6 [X.] gegen den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

4

Der Anspruch auf ein faires Verfahren leitet sich als "allgemeines Prozessgrundrecht" aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ab und verlangt, dass das Gericht das Verfahren so gestalten muss, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 1988 - 1 BvR 669, 686, 687/87 - [X.]E 78, 123 <126> m. w. N.). Ihm kommt insbesondere dort eine eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung zu, wo keine spezielleren Verfahrensgarantien greifen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. März 2011 - 4 [X.] 18.10 - juris Rn. 33 und vom 27. Januar 2012 - 5 B 2.12 - juris Rn. 11). Im vorliegenden Zusammenhang, in dem der Kläger die Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 6 [X.] kritisiert, geht es der Sache nach vor allem um das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf rechtliches Gehör, das eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens darstellt ([X.], Beschluss vom 8. November 2022 - 2 BvR 2480/10 u. a. - GRUR 2023, 549 Rn. 112).

5

Präklusionsvorschriften schränken die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Prozess ein, weshalb Auslegung und Anwendung von prozessualen Präklusionsvorschriften verfassungsrechtlich an Art. 103 Abs. 1 GG zu messen sind (vgl. nur [X.], [X.] vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 - juris Rn. 7 m. w. N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er gewährt den Beteiligten aber keinen Schutz dagegen, dass das Gericht ihr Vorbringen aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt, und steht der Einführung einer gesetzlich geregelten Präklusion nicht entgegen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt aber (jedenfalls) dann vor, wenn die Anwendung der Präklusionsvorschrift offenkundig unrichtig ist ([X.], Beschluss vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 876/84 - [X.]E 69, 145 <148 f.> und [X.] vom 20. Dezember 2018 - 1 BvR 1155/18 - juris Rn. 12; vgl. auch [X.], Beschluss vom 31. Mai 2022 - [X.] - GRUR 2022, 1550 Rn. 11 m. w. N.). Dass ein solcher Fall hier vorliegt, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

6

a) Soweit die Beschwerde darauf gestützt wird, das Gericht habe bei der Verneinung einer genügenden Entschuldigung der Verspätung nicht ausreichend gewürdigt, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] in einem Parallelverfahren rechtzeitig Akteneinsicht beantragt habe, was auch dem hiesigen Kläger zuzurechnen sei, diese Akteneinsicht aber erst sechs Wochen und zwei Tage nach Antragstellung gewährt worden sei und diese Verzögerung in den Risiko- und Verantwortungsbereich des Gerichts falle, das sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung nach § 100 VwGO des Beklagten bedient habe, lässt sich daraus eine offenkundig unrichtige Handhabung der Präklusionsvorschrift nicht herleiten. Denn ungeachtet der Frage, welche Relevanz einem in einem anderen Verfahren eines anderen [X.] gestellten [X.] für das streitgegenständliche Verfahren zukommen kann, liegt dieser Rüge jedenfalls ein unzutreffendes Verständnis von Sinn und Zweck der [X.] des § 6 [X.] und von der Bedeutung der Akteneinsicht in diesem Zusammenhang zugrunde.

7

Gemäß § 6 Satz 1 [X.] hat eine Person oder eine Vereinigung innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist (§ 6 Satz 2 [X.] i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, besteht der Zweck dieser Vorschrift darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der [X.] zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 14) und der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch alsbald hinreichend umrissen wird (BVerwG, Urteil vom 30. August 1993 - 7 A 14.93 - [X.] 442.08 § 36 [X.] Nr. 23 S. 53 zur [X.] des § 5 Abs. 3 [X.]). Danach hat der Kläger innerhalb der Begründungsfrist fundiert die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen zu benennen und den [X.] dergestalt darzulegen, dass für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und unverwechselbar feststeht, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 16 ff. auch zur Vereinbarkeit der Frist mit Unionsrecht).

8

Der Gesetzgeber hat die [X.] nicht von einer vorherigen Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängig gemacht, sondern - nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes - allein an den Zeitpunkt der Klageerhebung angeknüpft und damit zum Ausdruck gebracht, dass er diesen Zeitraum ungeachtet der Frage einer Akteneinsicht regelmäßig als ausreichend ansieht. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass potentielle Kläger in aller Regel die Möglichkeit hatten, sich in Ausübung ihrer Beteiligungsrechte schon während des Verwaltungsverfahrens mit dem Inhalt der geplanten Entscheidung vertraut zu machen und etwaige Bedenken in den Entscheidungsprozess einzubringen. Dementsprechend sieht § 6 Satz 4 [X.] eine Fristverlängerung nur im Fall einer fehlenden Beteiligungsmöglichkeit vor.

9

Vor diesem Hintergrund ist der Umstand einer fehlenden oder nicht zeitnah gewährten Akteneinsicht für sich allein nicht geeignet, eine verspätete Klagebegründung zu entschuldigen; dies gilt auch für komplexe Planungsvorhaben. Von einem Kläger kann erwartet werden, dass er innerhalb der [X.] zumindest das vorträgt, was ihm auch ohne Einsicht in die Verwaltungsvorgänge auf der Grundlage seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren und der Behandlung seiner Einwendungen im Planfeststellungsbeschluss bekannt ist, und auf diese Weise den [X.] in den Grundzügen fixiert, anstatt das Gericht und die übrigen Beteiligten über die [X.] vollständig im Unklaren zu lassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. August 1993 - 7 A 14.93 - [X.] 442.08 § 36 [X.] S. 53 f. und vom 18. Februar 1998 - 11 [X.] - [X.] 310 § 87b VwGO Nr. 3 S. 5, jeweils zur - kürzeren - [X.] des § 5 Abs. 3 [X.]). Aus der vom Kläger angeführten Begründung des Gesetzgebers für die Neufassung des § 6 [X.] ergibt sich nichts anderes. Soweit darin der Fall angesprochen wird, dass einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Akteneinsicht nicht rechtzeitig entsprochen wird ([X.]. 18/12146 S. 16), wird dies nur im Kontext der Regelung in § 6 Satz 4 [X.] als möglicher Fristverlängerungsgrund thematisiert, nicht jedoch als [X.] im Sinne des § 6 Satz 2 [X.].

Für den Kläger ergeben sich daraus keine unzumutbaren Anforderungen. Mit der Klageerhebung hat er zum Ausdruck gebracht, mit der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Entscheidung nicht einverstanden zu sein, wobei er den Inhalt dieser Entscheidung kannte und sich bewusst sein musste, worin seine Bedenken im [X.] bestanden und welchen seiner Einwendungen nicht Rechnung getragen worden war. Zumindest hierzu hätte er fristgerecht vortragen können und müssen. Eine rein spekulative Klageerhebung in der Hoffnung, einen Gegenstand der Beschwer erst nachträglich in den Verwaltungsvorgängen zu finden, schützt das Gesetz nicht (BVerwG, Urteil vom 30. August 1993 - 7 A 14.93 - [X.] 442.08 § 36 [X.] S. 53 zu § 5 Abs. 3 [X.]). Die [X.] und die damit einhergehenden [X.] sind vielmehr gerade bei Klagen gegen komplexe Infrastrukturvorhaben erforderlich, um den [X.] rechtzeitig in einer Weise zu fixieren, die ein ordnungsgemäßes gerichtliches Verfahren überhaupt erst ermöglicht (vgl. dazu ausführlich BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 - 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 11 ff.).

Der Kläger geht somit zu Unrecht davon aus, dass (allein) wegen der im Parallelverfahren beantragten Akteneinsicht der Zeitablauf bis zum Eingang der Akten entschuldigt sei. Verzögerungen infolge nicht zeitnah erfüllter Akteneinsichtsgesuche sind als solche kein [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Februar 2022 - 11 A 2168/20 - [X.] 2022, 1492 <1495>; Guckelberger, [X.] 2020, 655 <656>; zu weitgehend daher [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 6 [X.] Rn. 7 und [X.], NVwZ 2019, 1162 <1166>; unklar [X.]/[X.], in: [X.][X.], Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 [X.] Rn. 81), sondern können vielmehr nur insoweit relevant sein, als sich die Klagebegründung gerade auf Umstände stützt, die sich (nur) aus den Verwaltungsvorgängen ergeben. Insofern muss der Kläger, der die Entschuldigungsgründe bei verspätetem Vorbringen von sich aus darzulegen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 - 9 [X.] - juris Rn. 10; [X.], [X.], 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 30), konkret aufzeigen, an welchem Vortrag er durch eine verzögerte Übersendung des Verwaltungsvorgangs gehindert gewesen sein könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2022 - 4 A 13.20 - juris Rn. 13). Das Absehen von jeglicher Begründung innerhalb der [X.] lässt sich mit dem Verweis auf fehlende oder eingeschränkte Akteneinsicht jedenfalls nicht pauschal entschuldigen.

Von diesen Grundsätzen ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Seine Argumentation, dem Kläger, der sich im Anhörungsverfahren mit Einwendungen beteiligt hatte, seien die Tatsachen, durch die er sich beschwert fühlte und die zur Begründung seiner Klage dienen konnten, aufgrund der Kenntnis des Planfeststellungsbeschlusses und der ausgelegten und im [X.] abrufbaren Planunterlagen bekannt gewesen und er habe auch ohne vorherige Akteneinsicht erkennen können, welchen seiner Einwände mit welcher Begründung nicht Rechnung getragen worden sei, und hätte hierzu innerhalb der [X.] vortragen können ([X.] Rn. 42 f. im Verfahren 8 A 21.40033, auf die im streitgegenständlichen Urteil Rn. 40 verwiesen wird), ist nicht zu beanstanden.

Soweit der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen selbständig tragend darauf abgestellt hat, es sei weder dargelegt noch erkennbar, aus welchen Gründen die nach Erhalt der elektronischen Behördenakte verfügbare Zeit für die Begründung der Klage nicht ausgereicht habe ([X.] Rn. 40 in Verbindung mit Rn. 44 der Begründung zu 8 A 21.40033), ist auch dies nicht (offenkundig) fehlerhaft. Die Beschwerde setzt sich mit dieser Argumentation nicht auseinander.

b) Dass der Verwaltungsgerichtshof die Voraussetzungen des § 6 Satz 3 [X.] i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO, wonach die Präklusion nicht eintritt, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne die Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln, verneint hat, lässt ebenfalls keinen (offenkundigen) Fehler erkennen.

Die vom Kläger formulierte Prämisse, nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens sei dem Gericht ein größerer Aufwand bei der Ermittlung des Sachverhalts zuzumuten, wenn dem Kläger in einer dem Gericht zurechenbaren Weise Akteneinsicht nicht rechtzeitig gewährt werde, trifft nicht zu. Denn ihr liegt wiederum das aufgezeigte [X.] von der Bedeutung der Akteneinsicht für die Wahrung der [X.] zugrunde.

Der Hinweis des [X.], er habe als Beteiligter im Verwaltungsverfahren seine Einwendungen substantiiert und schlüssig vorgetragen, genügt ebenfalls nicht, um einen geringen Ermittlungsaufwand für das Gericht darzulegen.

Die Vorschrift des § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und betrifft den Fall, dass die gesetzlich normierte Mitwirkungspflicht des [X.] im Einzelfall ihre Bedeutung verliert, weil sich der Sachverhalt so einfach darstellt, dass er ohne nennenswerten Aufwand von Amts wegen ermittelt werden kann. Dies ist gerade bei Planfeststellungsverfahren in der Regel nicht der Fall ([X.], [X.], 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 31). Denn weder ist es bei umfangreichen Akten - auch vorliegend ging es nach Angaben des [X.] um knapp 4 000 Seiten Behördenakten - einfach, die Einwendungen eines [X.] herauszufinden, noch geben diese Einwendungen sicheren Aufschluss darüber, ob und inwieweit der Kläger an ihnen festhalten und welche Beanstandungen er gegen die konkret im Planfeststellungsbeschluss getroffene Entscheidung erheben will (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1998 - 11 [X.] - [X.] 310 § 87b VwGO Nr. 3 S. 6.; [X.], Beschluss vom 1. Februar 2022 - 11 A 2168/20 - [X.] 2022, 1492 <1496>). Auch die vom Kläger nach § 6 Satz 1 [X.] geforderte Klagebegründung kann sich nicht auf die pauschale Bezugnahme auf die im Planfeststellungsverfahren erhobenen Einwände oder deren wörtliche Wiederholung beschränken, sondern muss sich mit dem Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses auseinandersetzen (BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - [X.] 451.17 § 43e [X.] Nr. 2 Rn. 37 und vom 3. November 2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 17). Hierüber Spekulationen anzustellen, ist nicht Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Sachverhaltsermittlung.

Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung des [X.] fehl, es sei bereits dann von einem geringen Ermittlungsaufwand für das Gericht auszugehen, wenn sich aus den Verwaltungsakten ergebe, aus welchen tatsächlichen Gründen eine Entscheidung angegriffen werde (vgl. [X.]/[X.], in: [X.][X.], Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 [X.] Rn. 85; a. A. [X.], NVwZ 2019, 1162). Die Annahme, das Durcharbeiten der Verwaltungsakten sei für das Gericht bereits für die Prüfung der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfes notwendig, ist unzutreffend.

Im Übrigen argumentiert der Kläger widersprüchlich, wenn er sich einerseits darauf beruft, er habe erst aufgrund der Akteneinsicht die Klage begründen können, wobei der ihm zur Verfügung stehende Zeitraum von mehr als dreieinhalb Wochen nicht ausgereicht habe, zugleich aber geltend macht, das Gericht hätte ohne großen Ermittlungsaufwand die [X.] aus den Verwaltungsvorgängen entnehmen können.

c) Auch die Rüge des [X.], das Gericht habe durch widersprüchliches Verhalten gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil es dem Kläger nach einem Hinweis auf das Fristversäumnis später die Gelegenheit gegeben habe, sich inhaltlich zur Sache zu äußern, und dadurch den Eindruck erweckt habe, nicht mehr von einer Verfristung auszugehen, zeigt keinen Verfahrensfehler auf.

Es ist schon nicht ersichtlich, welches Verhalten konkret verfahrensfehlerhaft gewesen sein soll. Nach Eingang der Klagebegründung am 2. Dezember 2021 und dem - vermutlich durch den Hinweis des Gerichts im Parallelverfahren veranlassten - weiteren Schriftsatz vom 3. Dezember 2021 zur Entschuldigung der Verspätung haben sich die Beteiligten schriftsätzlich zur Frage der Präklusion nach § 6 Satz 1 [X.] ausgetauscht. Mit Schriftsatz vom 25. März 2022 hat der Beklagte sodann (erneut) auf die seiner Auffassung nach eingetretene Präklusion verwiesen und ausdrücklich - und durch Fettdruck und Unterstreichung deutlich hervorgehoben - "rein vorsorglich" zur Klagebegründung inhaltlich Stellung genommen. Dieser Schriftsatz wurde dem Kläger vom Gericht "mit der Bitte um Kenntnisnahme und etwaige Äußerung" übermittelt. Soweit der Kläger dies als ausdrücklichen Hinweis, sich inhaltlich zur Klageerwiderung zu äußern, interpretiert hat, entspricht dies nicht dem objektiven Erklärungsinhalt des gerichtlichen Übersendungsschreibens. Vor Eingang einer Reaktion des [X.] hat das Gericht sodann im Mai 2022 zur mündlichen Verhandlung am 22. November 2022 geladen und im Vorfeld der Verhandlung am 18. November 2022 auf die seiner Auffassung nach eingetretene Präklusion hingewiesen, woraufhin die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Dass das Gericht durch diesen Verfahrensablauf - wie vom Kläger beanstandet - aktiv eine überflüssige zeitintensive Auseinandersetzung des Prozessbevollmächtigten des [X.] mit den Ausführungen in der Klageerwiderung zur Sache veranlasst haben könnte, ist nicht ersichtlich.

Im Übrigen ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, inwieweit das Vorgehen des Gerichts für den aus Sicht des [X.] negativen Ausgang des Verfahrens ursächlich gewesen sein soll. Mit dem Vortrag, er hätte, wenn das Gericht sich klar positioniert hätte, kostensparende Prozesshandlungen in einem frühen Stadium des Verfahrens vornehmen können, spricht der Kläger wohl die Möglichkeit einer Klagerücknahme an, die jedoch genauso wenig wie das angefochtene Urteil zum Erfolg der auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichteten Klage geführt hätte. Zudem hätte der Kläger auch auf den Hinweis vom 18. November 2022 noch reagieren und das Verfahren aus Kostengründen vor Erlass eines Urteils beenden können. Hiervon hat er keinen Gebrauch gemacht.

2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, legt die Beschwerde nicht dar.

Die Fragen,

ob eine verspätete Vorlage der Klagebegründung dann ausreichend entschuldigt ist, wenn trotz beantragter Akteneinsicht bei Klageerhebung diese in einer dem Gericht zurechenbaren Weise erst sechs Wochen und zwei Tage nach Antragstellung gewährt wird, und

inwieweit ein dem Gericht zurechenbares Behördenverschulden bei der Entschuldigung der Verspätung im Sinne von § 6 Satz 2 [X.] i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zu berücksichtigen ist,

bedürfen, soweit sie nicht nur auf die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls zielen, sondern auch verallgemeinerungsfähige Fragestellungen erkennen lassen, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie höchstrichterlich bereits geklärt sind oder sich auf der Grundlage des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lassen.

So sind Sinn und Zweck der [X.] des § 6 Satz 1 [X.] (und der vergleichbaren Fristvorschriften in weiteren Fachgesetzen) sowie die daraus resultierenden Anforderungen an Inhalt und Substantiierung der Klagebegründung in der Rechtsprechung des [X.] geklärt (vgl. die Ausführungen zu 1. sowie zuletzt ausführlich BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 - 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 11 ff. m. w. N.). [X.] ist auch entschieden, dass ein fristgerechter Vortrag im Regelfall voraussetzt, dass sich der Rechtsanwalt umgehend Akteneinsicht verschafft und es zu seinen Aufgaben gehört, die Unterlagen noch innerhalb der [X.] zu sichten und rechtlich zu durchdringen (BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 - 9 [X.] - juris Rn. 25). Ungeachtet der Frage, welche Anforderungen in diesem Zusammenhang an die Bemühungen des Rechtsanwalts um eine zeitnahe Akteneinsicht zu stellen sind, hat das [X.] zudem zur sechswöchigen [X.] des § 5 Abs. 3 [X.] ausgeführt, dass auch ohne Kenntnis der Verwaltungsvorgänge innerhalb der Frist zumindest all das vorgetragen werden muss, was auf der Grundlage der Beteiligung im Verwaltungsverfahren und der Kenntnis von Planfeststellungsbeschluss und Planunterlagen möglich ist (BVerwG, Urteile vom 30. August 1993 - 7 A 14.93 - 442.08 § 36 [X.] S. 53 f. und vom 18. Februar 1998 - 11 [X.] - [X.] 310 § 87b VwGO S. 5). Im Hinblick auf den vergleichbaren Gesetzeszweck kann für die zehnwöchige [X.] des § 6 Satz 1 [X.] nichts anderes gelten.

Daraus folgt, dass der Hinweis auf eine fehlende oder unzureichende Akteneinsicht von vornherein nicht geeignet ist, das Ausbleiben jeglicher Begründung innerhalb der [X.] pauschal zu entschuldigen. Im Übrigen ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, inwieweit die konkreten Umstände der Gewährung von Akteneinsicht einen verspäteten Vortrag zu einzelnen Rügepunkten entschuldigen können.

3. [X.] folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 34.2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Meta

9 B 8/23

05.07.2023

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Dezember 2022, Az: 8 A 21.40034, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 9 B 8/23 (REWIS RS 2023, 5057)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5057

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X ZR 41/20

1 BvR 1155/18

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