Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2020, Az. 4 StR 339/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2060

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Gegenstand

Schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen: Vorliegen des subjektiven Tatbestands


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. März 2020 im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Verletzung der Fürsorgepflicht entfällt.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und Verletzung der Fürsorgepflicht zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Verletzung der Fürsorgepflicht gemäß § 171 StGB und die im [X.] nicht zum Ausdruck gebrachte Annahme des [X.] des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil dem Angeklagten nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils der jeweils tatbestandlich erforderliche Gefährdungsvorsatz fehlte.

3

Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte beim (stundenlangen) Einsperren seines zweijährigen [X.] in das Kinderzimmer bei hochsommerlichen Temperaturen, ohne ihn ausreichend mit Getränken zu versorgen, mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz handelte. Dass das Kind qualvoll verdurstete, war für den Angeklagten vorhersehbar. Das [X.] hat ihn deshalb rechtsfehlerfrei der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gesprochen. Von einem auf die Lebensgefährlichkeit der Behandlung seines [X.] gerichteten Vorsatz des Angeklagten hat sich die [X.] ausdrücklich nicht zu überzeugen vermocht. Damit scheidet aber eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 225 Abs. 3 Nr. 1 1. Alt. StGB aus. Denn die Qualifikationsnorm des § 225 Abs. 3 StGB enthält keine Erfolgsqualifikation im Sinne des § 18 StGB sondern ein [X.], sodass die durch die Misshandlung verursachte Todesgefahr für das Tatopfer vom Vorsatz des [X.] umfasst sein muss (vgl. [X.], Urteile vom 23. Juli 2015 ‒ 3 [X.], [X.]R StGB § 225 Abs. 3 Gefahr 1; vom 26. Januar 2017 ‒ 3 [X.], [X.], 410, 411; vgl. [X.]/[X.] in [X.]/Schluckebier/[X.], StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 26; [X.] in [X.], 3. Aufl., § 225 Rn. 37).

4

Auf der Grundlage der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen kann auch die tateinheitliche Verurteilung wegen Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 171 StGB keinen Bestand haben, weil das [X.] einen auf die Gefahr einer dauernden und nachhaltigen Störung der körperlichen Entwicklung des Tatopfers (vgl. [X.], Urteil vom 20. April 1982 ‒ 1 StR 50/82, [X.], 328, 329) bezogenen Vorsatz des Angeklagten nicht festgestellt hat.

5

Der Senat schließt aus, dass in einer neuen tatrichterlichen Verhandlung noch Feststellungen möglich sind, die in subjektiver Hinsicht eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 225 Abs. 3 StGB oder § 171 StGB tragen könnten. Er lässt daher die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Verletzung der Fürsorgepflicht im Schuldspruch entfallen. § 265 StPO steht nicht entgegen. Der Strafausspruch wird durch die Schuldspruchänderung nicht berührt, da die [X.] bei ihrer unter Zugrundelegung des Strafrahmens des § 227 StGB vorgenommenen Strafzumessung die tateinheitliche Verwirklichung weiterer Tatbestände nicht straferschwerend gewertet hat.

6

Der geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

[X.]

        

Lutz     

        

Maatsch     

        

Meta

4 StR 339/20

08.10.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 27. März 2020, Az: 22 Ks 20/19

§ 18 StGB, § 225 Abs 3 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2020, Az. 4 StR 339/20 (REWIS RS 2020, 2060)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2060

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