Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.02.2024, Az. VIa ZR 1736/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1011

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des [X.] vom 10. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 16. April 2014 von einem Händler einen von der [X.] hergestellten gebrauchten [X.] CDI, der mit einem Dieselmotor der [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine [X.] (KSR).

3

Der Kläger hat den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Selbst wenn man zugunsten des [X.] unterstelle, in seinem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen in Form des Thermofensters oder der [X.] verbaut, reiche dies nicht aus, um dem Verhalten der Beklagten ein [X.] Gepräge zu geben. Der Kläger habe weder greifbare Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise der Einrichtungen noch sonstige Umstände vorgetragen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Schutzbereich der Bestimmungen der [X.]-FGV.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.

9

a) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert ([X.], Urteil vom 6. November 2023 - [X.], [X.], 40 Rn. 11; Urteil vom 11. Dezember 2023 - [X.], juris Rn. 11). Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm([X.], Urteil vom 6. November 2023, aaO, Rn. 12; Urteil vom 11. Dezember 2023, aaO).

b) Das Berufungsgericht ist zutreffend von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat anhand des Vortrags des [X.] weder eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des in seinem Fahrzeug verwendeten Thermofensters oder der eingesetzten [X.] festgestellt, noch hat es greifbare Anhaltspunkte dafür gesehen, dass den für die Beklagte handelnden Personen bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtswidrigkeit der Einrichtungen bewusst gewesen wäre. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Wille     

      

Liepin     

      

Meta

VIa ZR 1736/22

27.02.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 10. November 2022, Az: 10 U 66/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.02.2024, Az. VIa ZR 1736/22 (REWIS RS 2024, 1011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1011

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

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