Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.02.2024, Az. VIa ZR 1082/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1235

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 30. Juni 2022 in der Fassung des [X.] vom 26. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 betreffend die deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin kaufte am 24. Januar 2017 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen [X.] 220d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig sowie unter Einsatz einer [X.] ([X.]) durch Verringerung der Kühlmitteltemperatur in der Warmlaufphase gesteuert.

3

Die Klägerin hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und ihrer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Sie hat die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weitergehender Schäden begehrt, die aus dem Einbau bestimmter unzulässiger Abschalteinrichtungen und eines nicht gesetzeskonformen On-Board-Systems resultieren (Berufungsantrag zu 2). Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) verlangt.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 weiter, soweit sie diese auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung bestehe nicht. Weder das [X.] noch die [X.] arbeiteten prüfstandsbezogen. Zu weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen ließen sich dem Vortrag der Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte entnehmen. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV. Ihr Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der [X.]-FGV.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert ([X.], Urteil vom 6. November 2023 - [X.], [X.], 40 Rn. 11; Urteil vom 11. Dezember 2023 - [X.], juris Rn. 11). Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann ([X.], Urteil vom 6. November 2023, aaO, Rn. 12; Urteil vom 11. Dezember 2023, aaO). Das Berufungsgericht hat anhand des Vortrags der Klägerin weder eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des in ihrem Fahrzeug verwendeten [X.]s oder der eingesetzten [X.] noch sonstige Umstände festgestellt, die für ein besonders verwerfliches Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen sprächen. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der [X.] kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Wille     

      

Liepin     

      

Meta

VIa ZR 1082/22

27.02.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 30. Juni 2022, Az: 11 U 37/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.02.2024, Az. VIa ZR 1082/22 (REWIS RS 2024, 1235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1235

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

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