Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.10.2017, Az. XII ZB 195/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 3710

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:181017BXIIZB195.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII [X.]/17
vom
18. Oktober 2017
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 1906 Abs. 3 und 3a aF; FamFG § 62 Abs. 3; [X.] BW II § 61 Abs. 1
a)
Mit der Einführung von §
62 Abs.
3 FamFG ist der Verfahrenspfleger des Betreuten auch in einem bereits vor der Gesetzesänderung anhängigen Rechtsmittelverfahren befugt, nach Erledigung der angefochtenen Ent-scheidung in der Hauptsache die Feststellung zu beantragen, dass die Ent-scheidung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
b)
Die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme darf nur dann erteilt werden, wenn der Tatrichter vom Vorliegen aller Tat[X.]svoraussetzungen
überzeugt ist. Diese Überzeugung lässt sich nicht durch dem Betroffenen vermeintlich günstige Annahmen ersetzen.
[X.], Beschluss vom 18. Oktober 2017 -
XII [X.]/17 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
18.
Oktober 2017 durch [X.] und [X.]
Dr.
[X.], Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu
1 wird [X.], dass der die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigende Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 17.
Februar 2017 und der Beschluss der 2.
Zivilkammer des [X.] vom 22.
März 2017, soweit mit diesem die gegen die Genehmigung der Einwilligung gerichtete Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen worden ist, den Betroffenen
in seinen Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die in der [X.] entstandenen außergerichtlichen Kosten des Verfahrenspflegers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I.
Der
wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] und von Verstößen gegen das [X.] seit Juni 2016
in Untersuchungshaft in einer [X.] Haftanstalt
be-findliche Betroffene
trat im Januar 2017 in den Hungerstreik. Nach Verschlech-terung seiner gesundheitlichen
Verfassung und Verlegung in ein [X.] wurde für ihn
mit Beschluss
des Betreuungsgerichts vom 15.
Februar 2017 das Landratsamt (Beteiligter zu
2) als [X.] für den [X.],
einschließlich der Entscheidung über [X.]
-
3
-

che Maßnahmen und Behandlungen, insbesondere die Entscheidung über ärzt-liche Zwangsbehandlung"
und der "[X.] im Rahmen der [X.] einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung oder
unterbringungsähnliche Maßnahmen"
bestellt.
Der Betreuer hat die betreuungsgerichtliche Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen zur Ernährung beantragt. Das Amtsgericht hat den Betei-ligten zu
1 zum Verfahrenspfleger bestellt und mit Beschluss vom 17.
Februar 2017 die Einwilligung des Betreuers in ärztliche Zwangsmaßnahmen der Nah-rungs-
und Flüssigkeitszufuhr über einen Venenzugang oder eine nasogastrale Magensonde bis 30.
März 2017 "für den Fall genehmigt, dass der Betroffene sich in einem nicht mehr ansprechbaren Zustand befindet."
Die vom [X.] eingelegte Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 22.
März 2017 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Bedingung wegfällt und die Genehmigung auch die zur Durchführung der ärztlichen [X.] erforderlichen Zwangsmaßnahmen umfasst.
Mit seiner hiergegen erhobenen Rechtsbeschwerde begehrt der [X.] die Feststellung, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.]s den
Betroffenen
in seinen Rechten verletzt haben.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das nach der

in der [X.] entsprechend an-wendbaren

Vorschrift des §
62 Abs.
1 FamFG zulässigerweise auf Feststel-lung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtete
Rechtsmittel (vgl. Senatsbeschluss vom 2.
September 2015 2
3
4
5
-
4
-

XII
ZB
226/15

[X.], 2050 Rn.
6
[X.]) ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Verfahrenspfleger nach dem inzwischen geltenden
und im vorliegenden Verfahren anwendbaren Recht gemäß §
62 FamFG
antragsbe-fugt.
a) Der
Senat hatte bislang die Befugnis des Verfahrenspflegers, einen Antrag nach §
62 FamFG zu stellen, verneint (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 22.
März 2017

XII
ZB
460/16

FamRZ 2017, 1069 Rn.
3 und vom 15.
Februar 2012

XII
ZB
389/11

[X.], 619 Rn.
13).
Mit dem Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvorausset-zungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des [X.] von Betreuten vom 17.
Juli 2017 ([X.]
I
S.
2426) hat der Gesetzgeber dem §
62 FamFG nunmehr aber einen Absatz
3 angefügt, nach dem die Absätze 1
und
2 der Vorschrift entsprechend gelten, wenn der Verfah-rensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt hat. Durch diese Änderung soll dem Verfahrensbeistand in [X.] sowie dem Verfahrenspfleger in Betreuungs-, Unterbringungs-
und Freiheitsentziehungs-sachen wegen ihrer besonderen Stellung im Verfahren ein gesetzlich veranker-tes Antragsrecht auf Feststellung der Rechtsverletzung eingeräumt werden, um den Grundrechtsschutz der in diesen Fällen besonders schutzwürdigen Be-troffenen zu stärken (BT-Drucks.
18/12842 S.
9).
b) Der jetzt geltende §
62 Abs.
3 FamFG ist für die Entscheidung über die vorliegende Rechtsbeschwerde auch maßgeblich, so dass der Verfahrens-pfleger antragsbefugt ist.
Das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungs-rechts von Betreuten ist gemäß
seinem Artikel
8 am Tag nach der Verkündung,
6
7
8
9
-
5
-

also am 22.
Juli 2017
und mithin nach Einlegung der Rechtsbeschwerde und nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist,
in [X.] getreten. Eine Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Bei Fehlen einer solchen Rege-lung erfassen Änderungen des Verfahrensrechts im Allgemeinen auch schwe-bende Verfahren, die mit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes grundsätz-lich nach neuem Recht zu beurteilen sind. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn es um unter Geltung des alten Rechts abgeschlossene Verfahrenshandlungen und abschließend entstandene Verfahrenslagen geht (Senatsbeschluss [X.]Z 206, 86 =
[X.], 1479 Rn.
18)
oder sich aus dem Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift etwas Abweichendes
ergibt ([X.] Urteil vom 13.
De-zember 2006 -
VIII
ZR
64/06 -
NJW 2007, 519, 520
[X.]).
An einer abschließend entstandenen Verfahrenslage fehlt es hier, weil der angefochtene Beschluss vor der Gesetzesänderung nicht in formelle Rechtskraft erwachsen ist. Der [X.] hat bereits entschieden, dass eine Klage, die wegen Fehlens des vor Klageerhebung erforderlichen Schlichtungsverfahrens in erster Instanz als unzulässig abgewiesen worden ist, nach Wegfall des die außergerichtliche Streitschlichtung fordernden Gesetzes während der Berufungsinstanz als zulässig zu behandeln ist (vgl. dazu [X.] Urteil vom 13.
Dezember 2006

VIII
ZR
64/06

NJW 2007, 519, 520). Nicht anders liegt es hier. Ebenso wie dort ist der zu Beginn des [X.] noch unzulässige Antrag aufgrund der Gesetzesänderung zulässig
gewor-den. Diesem Ergebnis stehen Sinn und Zweck von §
62 Abs.
3 FamFG nicht entgegen. Der Gesetzgeber wollte mit der Bestimmung eine Ausweitung des mittels des Verfahrensrechts
gewährten Grundrechtsschutzes erreichen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er hiervon schwebende Verfahren wie das vorlie-gende ausnehmen wollte.
2. Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
10
11
-
6
-

Die Vorschrift des §
1906
Abs.
3 [X.] aF
sei nach Maßgabe der
Ent-scheidung des [X.] vom 26.
Juli 2016 ([X.] 142, 313 =
[X.], 1738) auf den Fall des inhaftierten Betroffenen analog an-zuwenden. Die
Tatbestandsvoraussetzungen lägen vor. Die für den Betroffenen vom zuständigen Notariat durchgeführte Betreuerbestellung leide nicht an ei-nem schwerwiegenden Verfahrensfehler und stelle auch keinen unzulässigen Vorratsbeschluss dar. Denn es genüge, dass ein Handlungsbedarf jederzeit auftreten könne und für diesen Fall die begründete Besorgnis bestehe, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst werde.
Bei dem Betroffenen sei eine Flüssigkeits-
und Nahrungszufuhr zur Ab-wendung erheblicher Gefahren und Schäden erforderlich. Er wiege bei einer Größe von rund 180
cm nur noch etwa 50
kg und sei körperlich völlig ausge-zehrt. Seit fünf Tagen nehme er keinerlei Flüssigkeit mehr zu sich und dulde nicht wie zuvor die venöse Flüssigkeitszufuhr. Bei dieser Sachlage bestehe die Gefahr eines Nierenversagens, das zu einer Exsikkose und einem Multiorgan-versagen und damit zum Tod führen könne. Der Betroffene sei auch psychisch krank und infolge der Krankheit nicht zur Einsicht in das Erfordernis der Nah-rungs-
und Flüssigkeitszufuhr in der Lage. Der Sachverständige habe ausge-führt, dass eine organisch-psychische Störung nahe liege, und dass das Verhal-ten und die Entwicklung des Betroffenen auf ein Psychosyndrom, eine akzentu-ierte Persönlichkeitsstruktur mit querulatorisch-fanatischen Zügen, eine post-traumatische Belastungsstörung und/oder eine dissoziative Störung hindeute-ten. Nachdem die Gefahr des Versterbens bestehe, sei zugunsten des Be-troffenen davon auszugehen, dass er an einer psychischen Krankheit leide, weil aufgrund seines Zustands keine weiteren Ermittlungen mehr möglich seien. Es werde weiter zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass er, nachdem hinrei-chende Verdachtsmomente vorlägen, nicht in der Lage sei, diesbezüglich einen freien Willen zu bilden. Der Sachverständige führe aus, dass der Betroffene 12
13
-
7
-

zwar die Entscheidung über den Hungerstreik eigenverantwortlich getroffen ha-be, zwischenzeitlich aber nicht mehr in der Lage sein dürfte, aus seiner deutlich fixierten, unkorrigierbaren und veränderungsresistenten Haltung herauszufin-den.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers in die Zwangsmaßnahme lägen vor. Ob die vom Amtsgericht formulierte Geneh-migung eine unzulässige Bedingung darstelle, müsse nicht entschieden wer-den. Nach den im Beschwerdeverfahren getroffenen Feststellungen sei die [X.] jedenfalls zu erteilen und klarstellend aufzunehmen, dass die zur Durchführung der zwangsweisen Zufuhr erforderlichen Zwangsmaßnahmen ebenfalls genehmigt seien.
3. Die Entscheidungen von Amts-
und [X.], mit denen die Einwil-ligung des Betreuers
in
ärztliche
Zwangsmaßnahmen genehmigt worden sind,
haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
a) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich des §
1906 Abs.
3 und 3a [X.] in der bis zum 21.
Juli 2017 geltenden Fassung (im [X.]: aF)
dem Grundsatz nach eröffnet war.
aa) Nach der in §
1906 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3 [X.] aF getroffenen Rege-lung war eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen einer Unterbringung gemäß §
1906 Abs.
1 [X.] möglich. Dies führte zu einer [X.] für solche Betroffenen, für die eine Unterbringung nicht in Betracht kam, weil sie sich einer stationären Behandlung räumlich nicht mehr entziehen konnten oder wollten. Auf Vorlage des Senats (Beschluss vom 1.
Juli 2015

XII
ZB
89/15

FamRZ
2015, 1484) hat das [X.] es daher für mit der aus Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar er-klärt, dass für Betreute, denen schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchti-14
15
16
17
-
8
-

gungen drohen und die die Notwendigkeit der erforderlichen ärztlichen Maß-nahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, sofern sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht ent-ziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind. Bis zu der vom Ge-setzgeber unverzüglich für diese Fallgruppe zu treffenden Neuregelung hat das [X.] die Anwendung von
§
1906 Abs.
3 [X.] in der [X.] von Art.
1 Nr.
3 des [X.] in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18.
Februar 2013 ([X.]
I S.
266) auch auf stationär behandelte Betreute angeordnet, die sich einer ärztli-chen Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können ([X.] 142, 313
= [X.], 1738).
Hierauf hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung der materiel-len Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17.
Juli 2017 ([X.]
I
S.
2426) reagiert. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztli-chen Zwangsmaßnahmen
ist jetzt in dem ab dem 22.
Juli 2017 gültigen §
1906
a [X.] geregelt und von der Unterbringung entkoppelt.
Denn §
1906
a Abs.
1 Satz
1 Nr.
7 [X.] bestimmt als eine Genehmigungsvoraussetzung, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Be-treuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird.
bb) Dass eine vergleichbare [X.] auch für den Betroffenen [X.], der sich in Untersuchungshaft befand, ist fraglich und wird vom [X.] auch nicht dargelegt. Das den [X.] regelnde Buch
2 18
19
-
9
-

des Gesetzbuchs über den Justizvollzug in [X.]
([X.] -
[X.] BW
II) vom 10.
November 2009 (GBl. S.
545) ent-hält
in §
61 eine Bestimmung zu Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der [X.]. Nach §
61 Abs.
1 [X.]
BW
II sind medizinische Unter-suchung und Behandlung sowie Ernährung zwangsweise bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit von Untersuchungsgefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig; die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit der Untersuchungsgefangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Justizvollzugsanstalt nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Untersuchungsgefangenen ausgegangen werden kann.
Gemäß §
61 Abs.
3 [X.]
BW
II dürfen die Maßnahmen nur auf Anordnung und unter Leitung einer Ärztin oder eines [X.] durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem [X.] Lebensgefahr verbunden ist.
Damit stellt das Gesetz grundsätzlich einen

zu anderen als den betreu-ungsgerichtlichen Zuständigkeiten
führenden

rechtlichen Weg zur Verfügung, um die aus Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG folgende staatliche Schutzpflicht für in Un-tersuchungshaft befindliche Betroffene zu erfüllen. Ob die landesrechtliche Vor-schrift des §
61 [X.]
BW
II den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Regelung einer
Zwangsbehandlung genügt (vgl. zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug etwa [X.] 128, 282 = FamRZ 2011, 1128 Rn.
45
ff.; zur Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung [X.] NJW 2017, 2982
Rn.
32
ff.; zur Zwangsbehandlung eines zivilrechtlich Untergebrachten etwa Senatsbeschluss [X.]Z
193, 337 = [X.], 1366 Rn.
30
ff.) und ob, sollte dies nicht der Fall sein, für den unter Betreuung ste-henden Betroffenen der Anwendungsbereich des §
1906
Abs.
3 und 3a [X.] aF 20
-
10
-

nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 26.
Juli 2016 eröffnet war, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
b) Denn weder das Amts-
noch das [X.] haben das Vorliegen der Voraussetzungen für die Genehmigung
einer ärztlichen Zwangsmaßnahme nach §
1906 Abs.
3 und 3a [X.] aF festgestellt.
aa) Die Anwendung einer ärztlichen Zwangsbehandlung als ultima ratio kommt insbesondere in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung und nur bei Betroffenen in Betracht, die aufgrund psychischer Krankheit oder geistiger oder seelischer Behinderung selbst einwilligungsunfähig sind. In eine ärztliche Zwangsmaßnahme, also in die Behandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen, konnte der Betreuer nach §
1906 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 [X.] aF (jetzt:
§
1906
a Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.]) nur einwilligen, wenn es dem Betroffenen krankheits-
oder behinderungsbedingt an der Fähigkeit fehlte, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu erkennen, oder wenn er trotz [X.] einer solchen Einsicht krankheits-
oder behinderungsbedingt nicht nach dieser Einsicht handeln konnte
(Senatsbeschluss [X.]Z 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 10
f.).
Mithin setzt die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangs-maßnahme die Feststellung voraus, dass der Betroffene unter einer psychi-schen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung leidet, aufgrund derer es ihm an einem freien Willen hinsichtlich der erforderlichen Behandlung fehlt.
bb) Diese Feststellung lässt sich den tatrichterlichen Entscheidungen nicht entnehmen.

21
22
23
24
-
11
-

Das Amtsgericht kommt im Gegenteil zu dem Ergebnis, eine gravierende geistig-seelische Erkrankung des Betroffenen sei ebenso unwahrscheinlich wie eine psychische Störung oder eine Beeinträchtigung des intellektuellen Leistungsvermögens. Der Betroffene könne auch einen freien Willen bilden. Damit handelte es sich bei der vom Amtsgericht ausgesprochenen Genehmi-gung aber um einen unzulässigen Vorratsbeschluss (vgl. Senatsbeschlüsse [X.]Z 193, 337 = [X.], 1366 Rn.
38 und
vom 22.
September 2010

XII
ZB
135/10

FamRZ 2010, 1976 Rn.
11).
Das [X.] wiederum ist ohne ausreichende Tatsachengrundlage von einer psychischen Krankheit und dem Fehlen des freien Willens ausgegan-gen. Wie seinen Ausführungen zu entnehmen ist, hat es das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale "zugunsten des Betroffenen"
unterstellt, obwohl der ge-richtliche Sachverständige

ebenso wie der vom [X.] ergänzend gehör-te ärztliche Direktor des Justizkrankenhauses

sich zu einer abschließenden medizinischen Beurteilung nicht imstande gesehen hat. Damit verkennt das [X.], dass die Genehmigung nach §
1906 Abs.
3a [X.] aF (jetzt:
§
1906
a Abs.
2 [X.]) nur dann erteilt werden darf, wenn der Tatrichter vom Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen überzeugt ist. Diese
Überzeugung lässt sich durch dem Betroffenen vermeintlich günstige, den staatlichen Eingriff in seine Grundrechte aber erst ermöglichende Annahmen nicht ersetzen.
cc) Nachdem es bereits an tragfähigen Feststellungen zur Krank-heit/Behinderung und zum freien Willen des Betroffenen fehlt, bedarf zum einen
keiner Erörterung, inwieweit im Rahmen eines Hungerstreiks eines Gefangenen der ursprünglich frei gebildete Wille, keine Ernährung zu wünschen, auch über den Zeitpunkt fortwirkt, ab dem der Betroffene zu einer freien Willensbildung nicht mehr in der Lage ist (vgl. dazu etwa [X.]/[X.] 7.
Aufl. Teil
II §
67 LandesR Rn.
56
ff. [X.]; [X.] in [X.] 12.
Aufl. Abschn.
M 25
26
27
-
12
-

Rn.
151
[X.]).
Zum anderen kann dahinstehen, dass das Amtsgericht für den Betroffenen ersichtlich schon keine Betreuung hätte anordnen dürfen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen von §
1896 Abs.
1 und 1a [X.] nicht vorlagen.
dd) Die hier angefochtene Genehmigung der Einwilligung in eine ärztli-che Zwangsmaßnahme ist auch nicht durch §
61 [X.] BW
II gedeckt. Denn diese Vorschrift kann unabhängig von der Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit nicht die gesetzliche Grundlage für das Tätigwerden eines Betreuers darstellen, dessen Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme hier allein genehmigt wurde. Sie kann damit auch nicht als materiell-rechtliche Entscheidungsgrund-lage für das Betreuungsgericht dienen, das sich vorliegend zudem genauso wenig wie das [X.] mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die Vo-raussetzungen dieser Norm erfüllt sind.
c) Der Betroffene ist durch die mit den angegriffenen Entscheidungen er-teilte Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme in [X.] durch Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen In-tegrität und dem vom Schutz des Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich seiner körperlichen Integrität verletzt worden.
Für den amtsgerichtlichen Beschluss, dessen Rechtswidrigkeit durch das [X.]
nicht

auch nicht inzident

festgestellt worden ist (vgl. dazu Se-natsbeschluss vom 2.
September 2015

XII
ZB
226/15

[X.], 2050 Rn.
13
f.),
folgt das schon daraus, dass im Entscheidungszeitpunkt die Tat[X.]svoraussetzungen des §
1906 Abs.
3 und 3a [X.] aF unzweifelhaft nicht vorlagen. Aber auch hinsichtlich des [X.]sbeschlusses kommt eine Auf-hebung und Zurückverweisung zur Nachholung bislang fehlender Feststellun-gen nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob solche jetzt tatsächlich noch mög-28
29
30
-
13
-

lich sind, ist dem Betroffenen die Verfahrensfortsetzung nicht zumutbar (vgl. Senatsbeschluss [X.]Z 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn.
36).
Das nach §
62 Abs.
1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Be-troffenen daran, die Rechtswidrigkeit der

hier durch Zeitablauf erledigten

[X.] der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne
des §
62 Abs.
2 Nr.
1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss [X.]Z 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn.
37).

Dose

[X.]

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.02.2017 -
4 [X.] 94/17 -

LG [X.], Entscheidung
vom 22.03.2017 -
2 T 87/17 -

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Meta

XII ZB 195/17

18.10.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.10.2017, Az. XII ZB 195/17 (REWIS RS 2017, 3710)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3710

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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