Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2023, Az. 5 StR 421/22

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2772

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Gegenstand

Strafverfahren: Verwertbarkeit von EncroChat-Daten


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. Februar 2022 dahin geändert,

a) dass die Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe der Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind;

b) dass die Einziehung des Wertes des [X.] gegen den Angeklagten [X.]       in Höhe eines Betrages von 1.066.926 [X.] und gegen den Angeklagten [X.]       in Höhe eines Betrages von 924.926 [X.] angeordnet wird und die Angeklagten in Höhe von 895.926 [X.] als Gesamtschuldner haften.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten unter Freispruch im Übrigen jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie jeden Angeklagten gesondert wegen weiterer Delikte zu Gesamtfreiheitsstrafen von einerseits acht Jahren und zehn Monaten und andererseits zehn Jahren und acht Monaten verurteilt; zudem hat es [X.] getroffen. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, wobei der Angeklagte [X.]       lediglich die Sachrüge erhebt; der Angeklagte [X.]       beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen – geringfügigen – Teilerfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Den von dem Angeklagten [X.]       erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

3

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 [X.] wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von [X.] Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des [X.] ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/[X.] des [X.] und des Rates vom 3. April 2014 über die [X.] ([X.]) jedenfalls unbegründet. Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „[X.] Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch [X.] Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

4

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie ([X.]) 2016/680 des [X.] und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977[X.] des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. [X.] angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. [X.] finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen – wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] und § 500 Abs. 2 [X.] erschließt – der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOK-Datenschutzrecht/[X.], 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 [X.] Rn. 39; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOK-[X.]/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KK-[X.]/Henrichs/[X.], aaO; § 105 Rn. 1; [X.], [X.], 726, 729 f.; aA offenbar KK-[X.]/[X.], aaO, § 500 Rn. 5; [X.], 639; wohl auch [X.], [X.], 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend [X.]/[X.]/[X.], Datenschutz-Grundverordnung, [X.], 3. Aufl., § 45 [X.] Rn. 4).

5

c) Eine Vorlage an den [X.] ([X.]) zur Durchführung eines [X.] kommt nach Art. 267 Abs. 2 A[X.]V nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des [X.] über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die [X.] losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.

6

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zu einem Teilerfolg der Revisionen:

7

a) Der Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe hält revisionsgerichtlicher Kontrolle nicht stand, soweit die Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind.

8

aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erwarben die Angeklagten von einem Anbieter aus den [X.] über 30 kg Haschischplatten mit insgesamt gut 5 kg Tetrahydrocannabinol zu einem Kilopreis von 3.300 Euro. Ihnen oblag nach der Vereinbarung mit ihrem Lieferanten der Transport der Drogen nach [X.]. Nach Anpreisung der Betäubungsmittel gegenüber unterschiedlichen Nutzern des [X.] boten sie einem davon an, dass dieser etwas weniger als die Hälfte des erworbenen Haschischs für einen Kilopreis von 3.500 Euro übernehmen konnte, dafür aber den Transport der Gesamtmenge zu erledigen hatte. Der Abnehmer nahm das Angebot an und schickte einen Mittelsmann, der die Betäubungsmittel erhielt, nachdem er das zur Abholung notwendige Codewort gesagt hatte, das die Angeklagten zuvor von ihrem Lieferanten erhalten und der Angeklagte [X.]       an den Abnehmer weitergeleitet hatte. Nachdem ihnen vereinbarungsgemäß der ihnen zustehende größere Teil der [X.] geliefert worden war, verkauften die Angeklagten diesen zum ganz überwiegenden Teil an unterschiedliche Abnehmer.

9

bb) Auf der Grundlage dieser Feststellungen begegnet der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bedenken; die tateinheitliche Verurteilung wegen täterschaftlich begangener Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat hingegen keinen Bestand.

Der Tatbestand der Einfuhr erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Als Mittäter einer Einfuhr im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB kommt ein Beteiligter auch in Betracht, wenn das Rauschgift von einer anderen Person in das Inland verbracht wird. Voraussetzung dafür ist aber ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen [X.] erscheinen lässt. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen, bei welcher der Grad des eigenen Interesses am [X.], der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu von besonderer Bedeutung sind; im Ergebnis muss die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist allerdings der [X.] selbst. Das bloße Veranlassen einer [X.] ohne Einfluss auf deren Durchführung genügt für die Annahme von Mittäterschaft regelmäßig nicht (st. Rspr.; vgl. zu alldem zuletzt etwa [X.], Beschluss vom 23. November 2020 – 3 [X.] Rn. 3 mwN).

Hier ist ein Einfluss der Angeklagten auf die [X.] selbst nicht festgestellt. Sie teilten ihrem Abnehmer zwar den Übernahmeort und das zur Abholung der Drogen erforderliche Codewort mit. Dieser übermittelte die Informationen aber an den von ihm allein ausgewählten Kurier, der das Haschisch ohne weitere Beteiligung der Angeklagten über die Grenze in die Bundesrepublik [X.] brachte.

Die Angeklagten sind aber jeweils der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 26 StGB). Denn sie veranlassten ihren Abnehmer zur Verbringung des Rauschgifts ins [X.]. Dass dieser wiederum einen Kurier konkret mit der Einfuhr beauftragte, steht der Strafbarkeit der Angeklagten wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht entgegen; denn die Anstiftung zur Anstiftung (sogenannte Kettenanstiftung) wird als Anstiftung zur Haupttat bestraft (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 2. November 2021 – 3 StR 259/21, NStZ-RR 2022, 49, 50 mwN).

Mit Blick auf die sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung durch das [X.] kann der Senat ausschließen, dass nach einer Aufhebung und Zurückverweisung weitere, einen Schuldspruch wegen täterschaftlicher Einfuhr tragende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert die Schuldsprüche daher in beiden Fällen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] selbst. Die Vorschrift des § 265 [X.] steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagten angesichts der Beweislage gegen den Vorwurf der Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

Der Strafausspruch bleibt von der Änderung des Schuldspruchs unberührt, denn angesichts des jeweils identischen Strafrahmens ist auszuschließen, dass das [X.] im Fall einer Verurteilung wegen Anstiftung statt wegen Täterschaft bei der Einfuhr jeweils geringere Einzelstrafen verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 [X.]).

b) Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung des [X.] bedarf der Korrektur, denn im Fall 9 der Urteilsgründe haben die Angeklagten nach den Feststellungen Erträge nur in Höhe von 153.400 Euro erlangt. Die insgesamt von den Angeklagten jeweils selbst und als Gesamtschuldner erlangten Erträge waren wie aus der [X.] ersichtlich entsprechend zu reduzieren.

3. Angesicht des nur geringfügigen Erfolgs der umfassend eingelegten Revisionen ist es nicht unbillig, die Angeklagten insgesamt mit den Kosten ihrer Rechtsmittel zu belasten (§ 473 Abs. 4 [X.]).

[X.]     

      

[X.]     

      

Köhler

      

Resch     

      

von Häfen     

      

Meta

5 StR 421/22

27.04.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 11. Februar 2022, Az: 5 KLs 331 Js 39193/20

§ 261 StPO, § 500 Abs 2 StPO, § 1 Abs 2 S 1 BDSG, § 45 BDSG, §§ 45ff BDSG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2023, Az. 5 StR 421/22 (REWIS RS 2023, 2772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2772

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 581/23

6 StR 256/22

Zitiert

3 StR 259/21

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