Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 141/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4474

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]/11

vom

21. Juli 2011

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

FamFG § 23 Abs. 2, § 417
In Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs-
und Zurückweisungshaft muss der Antrag der Verwaltungsbehörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung dem Betroffenen ausgehändigt werden.
[X.], Beschluss vom 21. Juli 2011 -
V [X.]/11 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am
21. Juli 2011 durch
den
Vorsitzenden Richter Prof. [X.], die Richter Dr.
Lemke und Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, die Richterin [X.] und [X.]
Czub
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 12.
Zivilkammer des [X.] vom 20.
April 2011 und der Beschluss des [X.] vom 7.
April 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 6.
März
2009 ohne erforderliche [X.] erstmals in das [X.] ein. Sein Asylantrag wurde -
bestandskräftig
-
als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Einem Termin zur Vorführung bei Vertretern der [X.]
-
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-

schen Botschaft blieb er unentschuldigt fern. Spätestens seit dem 20.
Juni 2010 ist er "unbekannt" verzogen gewesen.
Aufgrund einer Fahndungsausschreibung wurde der Betroffene am 6.
April 2011 durch die Polizei festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde von demselben Tag hat das Amtsgericht am 7. April 2011 gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die Rechtsbe-schwerde, mit der der Betroffene nach dem Ende der angeordneten Haftdauer die Feststellung erreichen will, dass die vorinstanzlichen Beschlüsse ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.
Nach Ansicht des [X.] ist der Haftantrag zulässig und begründet. Es lägen die in §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 und Nr.
5 [X.] genann-ten Haftgründe vor.

III.
1. Die nach der Erledigung der Hauptsache auf Feststellung nach §
62 Abs.
1 FamFG gerichtete Rechtsbeschwerde ist nach §
70 Abs.
1 Satz
1 Nr.
3 FamFG, §
106 Abs.
2 Satz
1 [X.] statthaft und auch im Übrigen zulässig (§
71 Abs.
1 und 2 FamFG).
2. Sie ist auch begründet. Die Haftanordnung und die Entscheidung des [X.] haben den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
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3
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5
-
4
-

3. Die Haftanordnung ist schon deshalb rechtswidrig, weil der Betroffene ausweislich des Protokolls über seine Anhörung vor dem Amtsgericht erst zu Beginn der Anhörung "mit dem Antrag der Ausländerbehörde vom heutigen Ta-ge vertraut gemacht" und ihm der Antrag nicht ausgehändigt worden ist. Er war deshalb nicht in der Lage, zu der Begründung des [X.] ausreichend Stellung zu nehmen.
a) Der Zeitpunkt, zu dem das Gericht des ersten Rechtszugs dem Be-troffenen nach §
23 Abs.
2 FamFG den Haftantrag der beteiligten Behörde zu-zuleiten hat, bestimmt sich einerseits danach, was zu der [X.] im Frei-heitsentziehungsverfahren obliegenden Sachaufklärung erforderlich ist, ande-rerseits danach, was den Betroffenen in die Lage versetzt, das ihm von Verfas-sungs wegen zukommende rechtliche Gehör auch effektiv wahrzunehmen.
Ist der Betroffene ohne vorherige Kenntnis des [X.] nicht in der Lage, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen, muss ihm der Antrag vor der Anhörung übermittelt werden;
dagegen genügt die Eröffnung des [X.] zu Beginn der Anhörung, wenn dieser einen einfachen, über-schaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksich-tigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig
ist (Senat, Beschluss vom 4.
März 2010 -
V
ZB 222/09, [X.]Z
184, 323, 330 Rn.
16 mwN).
b) Ob dieser zweite Fall hier vorliegt, ist zweifelhaft. Den Zweifeln braucht jedoch nicht nachgegangen zu werden. Denn dem Protokoll über die Anhörung ist nicht zu entnehmen, dass der vollständige Haftantrag dem Be-troffenen übersetzt und ausgehändigt und damit der gesamte [X.] gegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Anderenfalls -
und so liegt es hier
-
kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. §
417 Abs.
2 FamFG) zu äußern.
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8
-
5
-

4. Nach dem Akteninhalt ist dem Betroffenen der Haftantrag
auch nicht später ausgehändigt worden. Die Akteneinsicht, durch die er Kenntnis von dem vollständigen Antrag hätte erlangen können, ist seinem damaligen [X.] erst im Laufe der Anhörung vor dem Beschwerdegericht an-geboten worden. Dass
dieser sich darauf nicht eingelassen hat, ist verständlich und kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. Denn das Beschwer-degericht wollte nach dem Protokoll der Anhörung nicht etwa Akteneinsicht und dem Betroffenen eine Frist zur Stellungnahme gewähren, sondern -
wie ge-schehen
-
sogleich am Schluss der Anhörung eine Entscheidung treffen. Dass diese Verfahrensweise insbesondere angesichts des Umstands, dass der Haftantrag zunächst dem Betroffenen hätte übersetzt werden müssen, dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs eklatant verletzt hat, liegt auf der Hand.
5. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen in bei-den Vorinstanzen drückt der gleichwohl angeordneten und aufrechterhaltenen Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. Senat, [X.] vom 4.
März 2010 -
V
ZB 184/09, FGPrax
2010, 152, 154 Rn.
16).

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1 Sätze 1 und 2, §
83 Abs.
2
FamFG, §
128c Abs.
3 Satz
2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung Art.
5 Abs.
5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den
Landkreis, der die beteiligte Behörde angehört (§
430 FamFG), zur Erstattung der zur [X.] Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu ver-pflichten.
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6
-

Der Gegenstandswert
bestimmt sich nach §
128c Abs.
2, §
30 Abs.
2 KostO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch

Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.04.2011 -
7 [X.] 4/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 20.04.2011 -
12 [X.]/11 -

12

Meta

V ZB 141/11

21.07.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 141/11 (REWIS RS 2011, 4474)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4474

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