Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2016, Az. 1 StR 346/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5744

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:080916B1STR346.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 346/16

vom
8. September
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
Betruges

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung der Beschwerde-führerin und des [X.]s
am 8. September
2016
gemäß §
349 Abs. 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision der Angeklagten S.

wird das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2014

soweit es die [X.] betrifft

mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte S.

wegen Betruges in 34 Fäl-len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und sechs Monaten verur-teilt, deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen ge-richtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg (§
349 Abs. 4 StPO).

I.

1. Die Angeklagte macht zu Recht einen Verfahrensfehler beim Zustan-dekommen der Verständigung geltend, weil ihr vor Abschluss der Vereinbarung kein Hinweis auf die Anordnung einer Bewährungsauflage nach §
56b Abs. 1 Satz 1 StGB erteilt worden ist.
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a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Am 4. Februar 2014 kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem [X.] zu einer Verständigung gemäß
§
257c StPO. Das [X.] machte den Verfahrensbeteiligten folgenden Vorschlag: Für den Fall, dass das Strafverfahren durch geständige Einlassungen der Angeklagten oder eben-solche Verteidigererklärungen ohne langwierige und umfassende Beweisauf-nahme abgeschlossen werden kann, stellte die [X.]

im Falle einer Verurteilung

hinsichtlich der Angeklagten S.

eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren mit einer möglichen Strafaussetzung zur Be-währung in Aussicht. Diesem Vorschlag des [X.] stimmte die Ange-klagte nach entsprechender Belehrung gemäß
§
257c Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 StPO und
Rücksprache mit ihrem Verteidiger zu. Weder im Rahmen der Ver-ständigung noch bei den Vorgesprächen über ihr Zustandekommen wurden mögliche Bewährungsauflagen erörtert.
Der Vorsitzende erteilte erstmals vor dem Schluss der Beweisaufnahme und den [X.] am 7. Mai 2014 den Hinweis, dass bei der Angeklag-ten im Fall einer Strafaussetzung zur Bewährung eine Geldauflage angeordnet werden könne. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte, die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und zehn Monaten zu verurteilen, diese für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung auszusetzen und der Angeklagten die Zahlung einer Geldauflage von 10.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung aufzuerlegen. Der Verteidiger beantragte in seinem Schlussvortrag,
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung zu erkennen und von der Zahlung einer Geldauflage abzusehen.
Das [X.] verkündete sodann das oben bezeichnete Urteil sowie den [X.], in dem der Angeklagten u.a. aufgegeben wurde, 3
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binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils einen Geldbetrag in Höhe von 10.000 Euro zu Gunsten eines gemeinnützigen Vereins zu bezahlen.
Die Beschwerdeführerin sieht in dem Vorgehen des [X.] einen Verstoß gegen §
257c StPO
sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens und macht geltend, das [X.] habe die Bewährungsauflage nicht zum Ge-genstand der getroffenen verfahrensbeendenden Absprache gemacht. Eine aus Sicht des Gerichts für notwendig erachtete zusätzliche Vermögenssanktion in Form einer Geldauflage hätte ausdrücklich erwähnt werden müssen, da [X.] auch ihre Zustimmung zur Verständigung abgehangen habe
und sie des-halb eine verfahrensbeendende Absprache nicht getroffen hätte, wenn eine solche Bewährungsauflage zuvor
angesprochen worden wäre.
b) Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
aa) Da die Verfahrenstatsachen in Bezug auf das hier maßgebliche [X.] von der Beschwerdeführerin vollständig [X.] worden sind, ist die Rüge zulässig erhoben (§
344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der vom [X.] insoweit vermisste weitere Tatsachenvortrag betrifft lediglich hier nicht relevante Umstände nach Abschluss der Verständi-gung.
bb) Nach der Rechtsprechung des [X.] muss ein [X.] vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf [X.] in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafausset-zung ist
([X.], Beschluss
vom 29. Januar 2014

4 [X.], [X.]St 59, 172, 174). Nur durch einen solchen vorherigen Hinweis
kann sichergestellt 7
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werden, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwir-kung informiert ist und er deshalb autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung
einlässt (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 19.
März 2013
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2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1071;
siehe
auch BT-Drucks. 16/12310, S.
14, 15).
Danach ist es erforderlich, dass das Gericht vor einer Verständigung [X.], dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits-strafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genug-tuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht, die Bestandteil der Rechtsfolgenerwartung sind und gemäß §
56b Abs.
1 Satz 1 StGB

anders als Bewährungsweisungen gemäß
§
56c Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu [X.],
Beschluss vom 7. Oktober 2014

1 [X.], [X.], 179)

als Genugtuung für begangenes Unrecht eine strafähnliche Sanktion darstellen. Erst die Kenntnis
des Umstandes, dass ihm neben der zur [X.] ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit [X.] drohen, die

wie hier in Form von Zahlungsauflagen

eine erhebliche Be-lastung darstellen können, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen ([X.], Beschlüsse
vom 29. Januar 2014

4 [X.], [X.]St 59, 172, 174
f. und vom 11.
September 2014

4 [X.], NJW 2014, 3173).
[X.]) Diesen Anforderungen hat das [X.] nicht entsprochen, weil der gesamte Umfang der Rechtsfolgenerwartung vor dem Zustandekommen der Verständigung nicht offengelegt wurde. Die Angeklagte wurde vielmehr erstmals
am letzten Tag der Hauptverhandlung vom Gericht überhaupt darauf 11
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hingewiesen, dass eine Bewährungsauflage angeordnet werden könne, die dann auch im [X.]

wie dargestellt

festgesetzt wurde.
Hinzu kommt, dass die Verhängung von Bewährungsauflagen gemäß §
56b StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Dass der [X.]sbeschluss Auflagen enthalten werde, musste sich der Angeklagten daher nicht als selbstverständlich aufdrängen. Dies gilt umso mehr,
als das [X.] bei einem
Mitangeklagten, der

wie die Angeklagte

ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, von der Verhängung einer Bewährungsauf-lage abgesehen hat.
2. Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil des [X.].
Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagte nicht auf die Verständigung eingelassen hätte, wenn sie vor deren Zustandekommen darauf hingewiesen worden wäre, dass zur Genugtuung für das begangene Unrecht die Erteilung einer Bewährungsauflage gemäß §
56b StGB in Betracht kommt (vgl. [X.],
Urteil vom 19. März 2013

2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067, 1071; [X.],
Beschluss
vom 29. Januar 2014

4 [X.], [X.]St 59, 172, 176).

II.
Die Aufhebung des Urteils in Bezug auf die Angeklagte entzieht zugleich dem [X.] vom 7. Mai 2014 die Grundlage. Die von der Be-schwerdeführerin zugleich mit der Revision eingelegte Beschwerde gegen den [X.] ist daher gegenstandslos.

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Im Rahmen der neuen Verhandlung wird das Tatgericht darüber zu be-finden haben, inwieweit hinsichtlich der nach dem tatrichterlichen [X.] eine Kompensation vorzunehmen sein wird.
Raum Graf

Cirener

Radtke Bär
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Meta

1 StR 346/16

08.09.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2016, Az. 1 StR 346/16 (REWIS RS 2016, 5744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5744

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1 StR 346/16

4 StR 254/13

2 BvR 2628/10

1 StR 426/14

4 StR 148/14

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