Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2011, Az. 5 StR 230/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5045

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5 [X.]/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 6. Juli 2011
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 6. Juli 2011
beschlossen:

Auf die Revision des
Angeklagten wird
das Urteil des [X.] vom 10. Februar 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4
StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen bleiben die [X.] zur Vorgeschichte der Tat und zu ihren Folgen für die Nebenklägerin.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landge-richts zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des [X.] hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel
ersicht-lichen Teilerfolg.

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1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen:

a) Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 45 Jahre alte, nicht vorbe-strafte Angeklagte lernte 1989/1990 die Nebenklägerin kennen. Beide gingen eine Beziehung ein;
1992 wurde der gemeinsame [X.] geboren. Während der Angeklagte anderen Personen gegenüber als ausgesprochen ruhiger und freundlicher Mensch auftrat, zeigte er im häuslichen Alltag aggressive Verhaltensweisen gegenüber der Nebenklägerin und dem [X.]. Er geriet in Wut, wenn sie sich nicht seinen Erwartungen entsprechend verhielten. Es kam vor, dass er die Nebenklägerin fest am Arm packte und sie schubste; manchmal
fasste er sie oder den gemeinsamen [X.] mit festem Griff am Hals. In keinem Fall drückte er jedoch so fest zu, dass es zu einer Atemnot kam.

Nach einer Phase der Entspannung aufgrund häufiger berufsbedingter Abwesenheit des Angeklagten
wurde er im Juli 2008 arbeitslos. Die Neben-klägerin empfand die Situation zunehmend als unerträglich; sie fühlte sich eingeengt und kontrolliert
und hatte
aufgrund seines aggressiven Verhaltens Angst vor dem Angeklagten. Im September 2008 kam es zu einer ersten Trennung, im Zuge derer der Angeklagte aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Die Nebenklägerin ließ es indes zu, dass er bald wieder regelmäßig in die Wohnung kam und
schließlich zurückkehrte. Im April 2009 kaufte sie eine Eigentumswohnung. Trotz ihrer fortbestehenden Unzufriedenheit in der Beziehung wurde der Umzug gemeinsam geplant.

In dieser Zeit lernte die Nebenklägerin den [X.]
ken-nen, der mit Renovierungs-
und Umbauarbeiten in der neuen Wohnung [X.] worden war. Sowohl der Angeklagte als auch die Nebenklägerin freundeten sich mit dem [X.]
an. Der Nebenklägerin gefiel der Zeuge gut. In ihr
reifte der Entschluss, die Beziehung zum Angeklagten end-gültig zu beenden. Etwa zwei Wochen vor dem Tatgeschehen teilte sie dem 2
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Angeklagten mit, dass sie sich unwiderruflich
von ihm trennen wolle,
und for-derte ihn auf, die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Einer Vereinbarung folgend gab
der Angeklagte seinen Schlüssel ab; die Wohnung durfte er nur nach vorheriger Anmeldung in Abwesenheit der Nebenklägerin aufsuchen. Diese Absprache hielten beide
indes nicht konsequent ein.

Die Beziehung der Nebenklägerin zu dem [X.]
hatte sich mittlerweile
intensiviert. Am [X.] kam es zum ersten intimen Kon-takt
in der Wohnung der Nebenklägerin. Beide befanden sich unbekleidet im Schlafzimmer, als der Angeklagte unter Benutzung des Schlüssels des [X.] die Wohnung betrat. Der Angeklagte geriet sofort in Wut. Er schrie den Zeugen an
und drohte, ihn umzubringen. Die Nebenklägerin versuchte, den Angeklagten zu beruhigen,
und forderte den Zeugen auf, die Wohnung zu verlassen, was dieser auch tat. Der Angeklagte packte die Nebenklägerin am Hals und warf sie auf den Steinfußboden, so dass sie heftig mit dem Kopf aufschlug. Er schrie auf sie ein
und würgte sie mit beiden Händen so stark, dass sie bereits nach kurzer Zeit das Bewusstsein verlor. Im Verlauf des [X.] Geschehens versuchte der Zeuge S.
zunächst zweimal, die Wohnung wieder zu betreten, um der Nebenklägerin zu Hilfe zu kommen. Er wurde jedoch beide Male von dem Angeklagten unter Drohungen wieder [X.]. Mit seinem PKW wollte
der Zeuge einen Freund des Angeklag-ten zu Hilfe holen, kehrte jedoch
kurz nach Beginn seiner
Fahrt
um. Beim erneuten Betreten der Wohnung, die der Angeklagte inzwischen verlassen hatte, fand der Zeuge die Nebenklägerin lebensgefährlich verletzt auf dem Boden liegend vor. Der Angeklagte hatte in massiver Weise auf den Hals-
und [X.]bereich eingewirkt
und der Nebenklägerin zahlreiche Hämatome im Gesicht und am gesamten Körper
zugefügt. [X.] und Hals waren stark geschwollen und blutunterlaufen. Die Nebenklägerin litt unter massiver Luft-not
und war nicht ansprechbar. Noch vor Ort musste sie intubiert werden, um angesichts des fortschreitenden Anschwellens
ihres Halses die [X.] sicherzustellen.
Sie musste mehrere Tage intensivmedizinisch versorgt 6
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werden, wobei sie sich im künstlichen Koma befand, maschinell beatmet und mittels Magensonde ernährt wurde.

b) Das [X.] hat die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mittels einer lebensgefährdenden Handlung gewertet. Die Voraussetzungen des §
21 StGB hat es ohne sachverständige Hilfe ebenso verneint wie diejenigen
des § 213 StGB.

2. Die Einwände des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch sind unbegründet. Insbesondere hat die Schwurgerichtskammer einen be-dingten Tötungsvorsatz des Angeklagten in [X.] Weise belegt.

3. Der Beschwerdeführer rügt
jedoch zu Recht, dass die [X.] § 244 Abs. 4 Satz
1 StPO verletzt habe, weil sie zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten keinen psychiatrischen Sachverständigen gehört habe. Angesichts des letztlich als zulässig zu verstehenden Hilfsbe-weisantrags kann es dahinstehen, ob der Strafausspruch auch auf die Auf-klärungsrüge oder sogar
auf die Sachrüge hin unter dem Gesichtspunkt ei-nes entsprechenden Erörterungsmangels aufzuheben gewesen wäre.

a) In Kapitalstrafsachen
besteht

wenn nicht ein länger geplantes, ra-tional motiviertes Verbrechen vorliegt

häufig Anlass,
einen psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen (vgl. [X.], Urteile vom 30. August 2007

5 [X.], [X.]R StPO § 244 Abs.
4 Satz 1 Sachkunde 13,

5 [X.], [X.]R StGB § 21 Sachverständiger 13). Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls ([X.], Beschluss vom 5.
März 2008

1 [X.], [X.]R
StPO § 244 Abs.
2 Sachverständiger 20). Vorliegend ergeben
sich aus den Urteilsausführungen fallbezogene Besonderheiten, die entgegen der Auffassung des [X.]s eine Begutachtung erforderlich machten. Mangels hinreichender Beachtung dieser Besonderheiten hat das [X.] seine eigene Sachkunde in den Urteilsgründen nicht ausrei-7
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chend belegt; seine für die Ablehnung des [X.], es lägen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen die Steue-rungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt vor, ist [X.] und steht in Widerspruch zu den eigenen Erwägungen der [X.].

b) Die Schwurgerichtszweifellos in einem Zustand affektiver Erregung spontan zur Tat hinreißen in ihrer Heftigkeit dem Angeklagten wesensfremd gewe-sen sei. Als weiteres zu berücksichtigendes Indiz für eine Affekttat wird die r-scheidung eines solchen Symptoms von Schutzbehauptungen und Ergebnis-sen psychischer Verdrängungsvorgänge([X.]) schwierig sei. Dagegen würden sich
jedoch weder in der Persönlichkeit des Angeklagten noch in der
Tatvorgeschichte noch im
Nachtatgeschehen Besonderheiten zeigen, die auf eine Affekthandlung im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung hin-deuteten. Der Angeklagte weise psychisch keine Besonderheiten auf;
der Beziehungsverlauf sei aus seiner Sicht normal und unauffällig gewesen. Während des Tatgeschehens sei er orientiert gewesen, was sich in den [X.] auf das wiederholte Eintreten des [X.]
gezeigt habe. Belege für ein zielgerichtetes und situationsadäquates Verhalten seien auch die vom Angeklagten unmittelbar nach der Tat
geführten Telefongespräche, sein Wegfahren vom Tatort mit dem Auto und das Aufsuchen eines Anwalts noch am Nachmittag des [X.]. Es fehle an vegetativen, psychomotori-schen und psychischen Begleiterscheinungen, die bei heftiger Affekterregung für das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sprächen. Allein die spontane Tatbegehung
in einem Zustand affektiver Erregung sei mithin nicht ausreichend, um von einer Affekterregung im Ausmaß einer tiefgreifen-den Bewusstseinsstörung auszugehen. Vielmehr stelle dies bei den meisten vorsätzlichen Tötungsdelikten den Normalfall dar.

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c) Diese Erwägungen zur Ablehnung der Voraussetzung des
§ 21 StGB
reichen ersichtlich nicht aus, eine affektbedingte relevante [X.] des Angeklagten kraft eigener Sach-kunde der Schwurgerichtskammer
auszuschließen.

Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass bereits die Bewertung der behaupteten Erinnerungslücken ohne Sachverständigen schwierig ist.
In keiner Weise setzt sich das [X.] damit auseinander, ob es sich bei der vom
Angeklagten behaupteten Erinnerungslücke
um eine echte oder um eine lediglich vorgeschobene handelt
(vgl. [X.],
Urteil vom 11. Juni 1987

4
StR 207/87, [X.]R StPO § 244 Abs. 4 Satz
1 Sachkunde 1). Insoweit wäre im Rahmen der

im Übrigen übermäßig ausführlichen

Beweiswürdi-gung auch ein Eingehen auf die Entwicklung der Einlassungen des [X.] zu erwarten gewesen. Nur in unzureichender Weise würdigt die Schwurgerichtskammer
den erkennbar abrupten Tatverlauf mit elementa-rer Wucht
ohne Sicherungstendenzen, der als weiteres Kriterium für einen affektiven Ausnahmezustand spricht (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juni 1990

1
StR 278/90, [X.]R StGB § 21 Affekt 4 mwN; [X.], FPPK
2008, 87 ff.). Angesichts der im Urteil näher geschilderten Verhaltensbesonderheiten
des Angeklagten während der rund 20-jährigen
Beziehung zur Nebenklägerin hätte sich
auch die Überprüfung möglicher psychopathologischer Dispositio-nen der Persönlichkeit des Angeklagten, die nicht das Ausmaß von Persön-lichkeitsstörungen erreichen müssen,
durch einen Sachverständigen angebo-ten. Die letztlich eher spärlichen Feststellungen zum Nachtatverhalten des Angeklagten geben kaum Hinweise auf seine Gemütsverfassung nach der Tat (vgl.
dazu auch
[X.], Beschluss vom 26.
Mai 1999

2 [X.], NStZ
1999, 508, 509).

3. Der Senat vermag
angesichts der
sonst fehlerfrei getroffenen
und daher aufrecht
zu erhaltenden Feststellungen zwar eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auszuschließen. Auch wenn die verhängte Strafe angesichts der Schwere der Verletzungen der Nebenklägerin und der einge-12
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tretenen weiteren Folgen für sie nicht
unverhältnismäßig
erscheint, kann der Senat
nicht ausschließen, dass das [X.] bei gebotener umfassender Prüfung des Gesamtverhaltens des Angeklagten unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zur
Annahme
erheblich verminderter Schuldfähigkeit ge-langt wäre und diese im Rahmen
von §§ 21, 49 Abs. 1 StGB oder § 213
2.
Alternative
StGB strafmildernd berücksichtigt hätte.

4. Der
Senat weist darauf hin, dass das neu berufene Tatgericht auch
der Frage nachzugehen haben
wird, wie es zur Entstehung der [X.] gekommen ist. Ein etwaiges gezieltes Herbeiführen der [X.] durch den Angeklagten aufgrund eines bei ihm möglicherweise bereits entstande-nen Misstrauens wäre als ein gegen die Annahme eines Affekts sprechendes Indiz
in die erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen.

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Meta

5 StR 230/11

06.07.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2011, Az. 5 StR 230/11 (REWIS RS 2011, 5045)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5045

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