Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2013, Az. 1 StR 71/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5611

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 71/13

vom
22. Mai
2013
in der Strafsache
gegen

wegen
gefährlicher Körperverletzung u.a.

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2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 22. Mai
2013
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen -
mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen -
aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, vorsätzlicher Körperverletzung, Nöti-gung und Bedrohung, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, wegen Nachstellung in Tateinheit mit Beleidi-gung und einem Verstoß gegen das [X.] sowie wegen unerlaubten Führens einer Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei [X.] und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg hat.
1. Nach den Feststellungen des [X.] sperrte der Angeklagte am 14.
März 2010 seine Ehefrau sechs Stunden lang im Wohnzimmer der gemein-1
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samen
Wohnung ein, zog sie an den Haaren, schlug, trat und würgte sie derart, dass die Geschädigte keine Luft mehr bekam. Unter Vorhalt eines Messers drohte er ihr, sie umzubringen, und nötigte sie, die Oberbekleidung auszuzie-hen. Sodann versetzte er ihr nochmals einen Faustschlag. [X.] sperrte er die Geschädigte abermals in der Wohnung ein, diese flüchtete pa-nisch über den Balkon im vierten Stock auf das Dach des [X.]. Der Angeklagte setzte ihr hinterher, hielt sie schmerzhaft mit seinem von
hinten um den Hals gelegten Arm fest und drohte ihr, sie vom Dach herunterzustoßen. Nach der Trennung der Eheleute [X.] der Angeklagte die Geschädigte trotz einer gerichtlichen Unterlassungsverpflichtung zwischen dem 20.
Oktober und dem 20. Dezember
2012 durch mehrfache tägliche Anrufe und bezeichne-te sie dabei als Lügnerin. Einmal beobachtete er sie in diesem Zeitraum in ihrer Wohnung. Zwischen dem 21. November 2011 und dem 20. Dezember 2011 fragte er über die SIM-Karte seines Mobiltelefons ca. 420mal die Standortdaten des Kraftfahrzeugs der Geschädigten ab, an das er heimlich einen GPS-Peilsender angebracht hatte. Am 21.
Dezember 2011 führte er in seinem Fahr-zeug eine Schreckschusspistole mit sich.
Das [X.] hat -
dem Sachverständigen folgend -
eine chronifizierte depressive Störung ohne psychotische Symptome angenommen, die eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese äußere sich darin, dass der Angeklagte dauerhaft ängstlich, bedrückt, teilnahmslos und antriebsgemindert sei. Hinzu trete eine ausgeprägte Eifersucht, die schon wahnhaften Charakter habe. Sein Denken kreise ständig um seine Ehefrau und deren Verhalten. Die festgestellte Störung habe bei allen Taten zu einer erheb-lich verminderten Steuerungsfähigkeit
geführt. Die Depression habe sich bei Störung andauere, der Angeklagte unvermindert aggressiv sei, wie ein [X.]
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er Ag-gressionsdelikte.
2. Diese Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnungsvorausset-zungen des § 63 StGB zu belegen.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der [X.] aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war ([X.], Beschlüsse vom 26.
September 2012 -
4 StR 348/12,
und vom 20.
November 2012 -
1 [X.], NJW 2013, 246
jew. [X.]). [X.] hat das Tatgericht festzustellen, warum die festgestellte Störung unter ein Eingangsmerkmal des §
20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese, einem Eingangsmerkmal von §
20 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen kon-kreten [X.] auf die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6.
März 2013 -
1 StR 654/12,
und vom 12. No-vember 2004 -
2 [X.], [X.]St 49, 347, 352). Daran fehlt es.
Das [X.] beschränkt sich auf die Mitteilung der vom Sachver-ständigen vorgenommenen diagnostischen Einordnung und der Symptome der festgestellten Störung. Erwägungen zum Ausprägungsgrad hat es für die de-pressive Störung nicht angestellt. Allein die psychiatrische Diagnose ist aber nicht mit einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB gleichzusetzen ([X.], [X.] vom 12. November 2004 -
2 [X.], [X.]St 49, 347, 352). Hierfür sind vielmehr der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit entscheidend. Für die Bewertung der Schwere einer die Tat überdauernden Störung ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag au-ßerhalb der beschuldigten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und so-4
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zialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. hierzu [X.]/[X.]/
[X.]/Saß
NStZ 2005, 57). Dass die diagnostizierte Störung hier sicher eine derartige Schwere erreicht, ist vom [X.] ohne weiteres angenommen worden, versteht sich aber auch angesichts des Umstands, dass der [X.] bis zu seiner Festnahme als Vorarbeiter im Schichtbetrieb tätig, mithin beruf-lich eingegliedert war, nicht von selbst.
Zudem ist nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sich die depressive Stö-rung und die ihr zugeordneten verhaltensbezogenen Symptome, die eine
starke passive Ausprägung haben, konkret auf die Begehung der Taten, die sich über Stunden, teilweise über Wochen erstreckten und vom Täter erhebliche Aktivität verlangten, ausgewirkt haben. Dass die durch die Störung verursachte Inaktivi-

geeignet, in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der Zustand des [X.]n besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach §
63 StGB gebieten (vgl. [X.] aaO; Beschluss vom 29.
Mai 2012 -
2 [X.], [X.], 306, 307).
Auch für die Eifersucht, der bereits ein wahnhafter Charakter zuge-schrieben wird, ist weder dargelegt, ob diese
überhaupt einem Eingangsmerk-mal des § 20
StGB unterfällt, noch welche Auswirkungen diese Symptomatik
-
sei es auch im Zusammenspiel mit der depressiven Störung -
auf die Schuld-fähigkeit bei der Ausführung der Taten hatte. Hinzu kommt, dass der Sachver-ständige, dessen Ausführungen sich das [X.] anschließt, den wahnhaf-ten Charakter unter den vom [X.] nicht aufgeklärten Vorbehalt stellt, dass die Ehefrau tatsächlich kein außereheliches Verhältnis gehabt habe. In-soweit ist schon der Schluss auf die wahnhafte Eifersucht nicht belegt.

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3. Der Senat kann angesichts der unklaren Auswirkungen des psychi-schen Zustands des Angeklagten letztlich nicht ausschließen, dass er bei den Taten schuldunfähig war, so dass auch der Schuldspruch aufzuheben war. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können jedoch bestehen bleiben. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Ent-scheidung.
Der Senat weist darauf hin, dass für den Fall der erneuten Festsetzung einer Geldstrafe für diese auch dann eine Tagessatzhöhe festzulegen ist, wenn aus [X.] und einer Einzelgeldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist ([X.], Beschluss vom 14. Mai 1981 -
4 [X.], [X.]St 30, 93, 96). Die nun zur Entscheidung berufene [X.] wird zudem bei erneuter Feststellung eines Zustands im Sinne des § 63 StGB zu berücksichtigen haben, dass die für die Anordnung der Maßregel erforderliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nur dann auf Selbsttötungsbestrebungen gestützt werden kann, wenn damit Folgen für Dritte verbunden sind (vgl. zu einer solchen [X.] [X.], Urteil vom 10. Dezember 2009 -
4 [X.], [X.], 105).
Wahl Graf Cirener

Radtke Zeng
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Meta

1 StR 71/13

22.05.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2013, Az. 1 StR 71/13 (REWIS RS 2013, 5611)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5611

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(Ausschluss der Schuldfähigkeit bei einer psychischen Störung)


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Zitiert

4 StR 348/12

1 StR 504/12

1 StR 654/12

2 StR 139/12

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