Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.07.2012, Az. 24 W (pat) 5/12

24. Senat | REWIS RS 2012, 4648

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "www.dieunfallgutachter.de (Wort-Bild-Marke)" – keine Unterscheidungskraft


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2010 031 905.4

hat der 24. Senat ([X.]) des [X.] in der Sitzung vom 17. Juli 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin [X.] sowie der Richterin [X.] und des Richters am Oberlandesgericht Heimen

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die [X.] Nummer 30 2010 031 905

Abbildung

2

ist am 27. Mai 2010 für folgende Dienstleistungen der Klassen 36 und 42 angemeldet worden:

3

„Erstellen von technischen und wissenschaftlichen Gutachten, Unfallgutachten sowie Wertgutachten für jegliche Art von Kraftfahrzeugen, Lastkraftfahrzeugen, Zubehör, Fahrzeugbaugruppen und Fahrzeugteilen; Begutachtung von jeglicher Art von Kraftfahrzeugen, Lastkraftfahrzeugen und Zubehör, Fahrzeugbaugruppen und Fahrzeugteilen sowie die Überprüfung der [X.] der Vorgenannten; Erstellung von unfallanalytischen Gutachten; Qualitätsprüfungen von Fahrzeugreparaturen; Wertermittlung für Fahrzeuge jeglicher Art“

4

Die Markenstelle für [X.] hat die Anmeldung mit zwei Beschlüssen vom 6. Oktober 2010 und vom 11. August 2011, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, dass es sich bei dem Anmeldezeichen insgesamt für die beanspruchten Dienstleistungen der Klassen 42 und 36 um eine unmittelbar beschreibende, freihaltebedürftige und nicht unterscheidungskräftige Sachangabe handele und ihm deshalb die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 [X.] entgegen stehe.

5

Hiergegen wendet sich der Anmelder mit seiner Beschwerde vom 6. Januar 2012.

6

Zur Begründung hat er ausgeführt, der Angabe "www.dieunfallgutachter.de" sei keine abschließende und genaue Beschreibung der angemeldeten Dienstleistungen zu entnehmen, der angesprochene Verkehr könne dem Wortbestandteil lediglich entnehmen, dass es sich um Personen handele, die sich auf irgendeinem Gebiet mit Gutachten beschäftigten. Darüber hinaus sei die grafische Gestaltung eigenartig und prägnant. Die angemeldete Marke verwende Kleinbuchstaben, bei denen der Kopf- bzw. Basisteil "abgeschnitten" sei, die Lesbarkeit des [X.]s "gutachter" sei deshalb nicht ohne Weiteres gegeben, das Schriftbild wirke insgesamt verfremdet und "missgestaltet".

7

Er beantragt sinngemäß,

8

die Beschlüsse der Markenstelle für [X.] des [X.] vom 6. Oktober 2010 und 11. August 2011 aufzuheben.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 66 Abs. 1, 2 [X.] zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat die Markenstelle dem Anmeldezeichen die Eintragung versagt, denn ihm fehlt die hierzu notwendige Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

Unterscheidungskraft [X.] von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] (Art. 3 Abs. 1 lit. b [X.]) ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. [X.] - [X.]; [X.], 57 - Farbige Arzneimittelkapsel; [X.], [X.], 417 - [X.], m.w.N.). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei im Hinblick auf jede der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, zu beurteilen, wobei es auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise ankommt ([X.], [X.]. 2005, 135 - [X.]; [X.]. 2005, 42 - [X.]; [X.], 763 - [X.]/[X.]). Dabei ist auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen (vgl. [X.], [X.]. 2005, 44 - SAT 2; [X.]. 2005, 135 - [X.]). Enthalten die [X.] einer Bezeichnung einen beschreibenden Begriffsinhalt, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird, ist der angemeldeten Bezeichnung die Eintragung als Marke wegen Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft zu versagen. Bei derartigen beschreibenden Angaben gibt es keinen tatsächlichen Anhaltspunkt, dass der Verkehr sie als Unterscheidungsmittel versteht (vgl. [X.]Z 167, 278 - [X.], [X.]). Auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Ware oder Dienstleistung selbst nicht unmittelbar betreffen, fehlt die Unterscheidungskraft, wenn durch die Angabe ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren oder Dienstleistungen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne weiteres und ohne Unklarheiten erfasst und in der Bezeichnung nicht ein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen sieht (vgl. [X.], [X.], 465 - BONUS).

So liegt der Fall hier. Die angemeldete Wort- und Buchstabenfolge steht zu allen beanspruchten Dienstleistungen, welche sich an die weitesten Verkehrskreise wenden, in einem engen beschreibenden Bezug.

[X.].", "dieunfallgutachter" und ".de". Dass sie die Form einer Internet-Adresse aufweist, wirkt sich für die angemeldete Marke nicht schutzbegründend aus. So kann nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur einer Marke, die nach Art einer Internet-Adresse gebildet ist, nicht allein wegen des Umstandes, dass diese nach bisheriger Praxis nur einmal vergeben werden kann, Unterscheidungskraft im markenrechtlichen Sinne gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] und damit die Eignung beigemessen werden, die betroffenen Waren oder Dienstleistungen als aus einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen (vgl. [X.] 2000, 294, 296 "[X.]"; [X.] 43, 263, 265 "eCollect.de"; [X.], 336, 338 "[X.]"). Zudem gibt es zwischen Marken und Internet-Adressen erhebliche Unterschiede in ihren Kennzeichnungsgegenständen und -zwecken (vgl. [X.], 669, 678 f.). Den Bestandteilen "[X.]." und der als bloßes regionales oder organisatorisches Zuordnungskriterium dienenden Top Level Domain ".de" kommt innerhalb einer Internetadresse keine eigenständige Bedeutung für die Individualisierbarkeit zu. Beide gehören zu den üblichen Protokoll- und Adressangaben und können auch in einer zusammengesetzten Marke, die wie eine Internetadresse gebildet ist, die Unterscheidungskraft nicht begründen (vgl. [X.] 2000, 294, 295 - [X.]; [X.]. 2003, 569 - handy.de; [X.], 336, 338 - [X.]; 33 W (pat) 269/00 - [X.]; 29 W (pat) 55/10 - gewerbezentrale.de; Ströbele/[X.], [X.], 10. Aufl., § 8 Rdnr. 134 [X.]). Die als Second Level Domain dargestellte Angabe "dieunfallgutachter" stellt insofern den einzigen Teil des Zeichens dar, der aus einer beliebigen Buchstaben- oder Zahlenfolge bestehen kann und die Internetadresse einem bestimmten Anbieter zuordenbar macht.

Eine herkunftshinweisende Bedeutung kommt deshalb bei derart aufgebauten Markenzeichen in der Regel nur der [X.], hier dem Wortbestandteil "dieunfallgutachter", zu. Dieser Begriff ist jedoch nicht unterscheidungskräftig, weil die Angabe "dieunfallgutachter" zu den angemeldeten Dienstleistungen einen engen funktionalen Sachbezug aufweist.

Bei einer Wortneubildung, die, wie hier, lediglich in der Zusammenschreibung der als bekannt anzusehenden Bestandteile "die", "unfall" und "gutachter" besteht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der für die Frage der Eignung zur Beschreibung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] bedeutsame Aussagegehalt eines Einzelbestandteils deutlich und unmissverständlich hervortritt, ohne dass eine analysierende, möglichen Bestandteilen und/oder deren (beschreibenden) Begriffsbedeutungen nachgehende Betrachtungsweise Platz greift. Die für Sachangaben erforderliche schnelle Erfassbarkeit ist bei solchen einfachen Wortneubildungen zumeist, so auch hier, gewährleistet, da sich die konkret beschreibende Aussage unmittelbar erschließt. Selbst grammatikalisch nicht vollständig korrekt gebildete Begriffe bzw. Wortfolgen können für den Durchschnittsverbraucher ohne weiteres verständlich sein.

Dies ist vorliegend der Fall. Die Bezeichnung ist [X.] im Wesentlichen aus den Begriffen "Unfall" und Gutachter" gebildet und unmittelbar verständlich, als eine sachverständige Person, die sich z. B. mit Schadensereignissen befasst. Das Hinzufügen des bestimmten Artikels "die" vermag am sachlichen Gehalt der Angabe nichts zu ändern, sondern betont, wie die Markenstelle zu Recht festgestellt hat, lediglich die sachlich-inhaltliche Aussage.

Unerheblich für die Annahme des [X.] gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist auch, ob die Angabe oder das Zeichen bereits im Verkehr geläufig ist oder verwendet wird oder andere, gebräuchlichere Begriffe existieren. Dementsprechend ist auch unerheblich, ob die angemeldete Bezeichnung bereits lexikalisch oder anderweitig nachweisbar ist. Denn der Verkehr ist daran gewöhnt, im Geschäftsleben ständig mit neuen Begriffen und Abbildungen konfrontiert zu werden, durch die ihm sachbezogene Informationen lediglich in einprägsamer Form übermittelt werden sollen. Der Begriff "Unfallgutachter" findet allerdings bereits häufig Verwendung, insbesondere in der Medienberichterstattung über Unfallereignisse (z. B. Online-Ausgaben: DER [X.] v. 12. Mai 2012; [X.] v. 16. Mai 2012; [X.] v. 13. April 2012; [X.] v. 20. März 2012) und bezeichnet in diesem Zusammenhang einen Sachverständigen, der sich mit dem Hergang, den Ursachen und den Folgen eines Unfalls befasst.

Die Angabe steht deshalb mit allen beanspruchten Dienstleistungen in den Klassen 36 und 42 in einem engen sachlich beschreibenden Zusammenhang, weil sie eine allgemeine Angabe dazu macht, wer die von der Marke beanspruchten Dienstleistungen erbringt, nämlich eine Gruppe von Sachverständigen, die derartige Unfallgutachten erstellt. Der Anmelderin ist darin beizupflichten, dass derartige Begutachtungen nicht auf den Bereich von Verkehrsunfällen und Kraftfahrzeugen beschränkt sind; markenrechtlich kann aber nicht außer Betracht bleiben, für welche Waren und Dienstleistungen das jeweilige Zeichen Schutz begehrt. Hier beansprucht die angemeldete Marke gerade Dienstleistungen, die sich – mit einer Ausnahme – mit Gutachten, Qualitätsprüfungen und Wertermittlungen befassen, die ausdrücklich auf Fahrzeuge bezogen sind. Aber auch hinsichtlich der Dienstleistung "Erstellung von unfallanalytischen Gutachten", für die ein konkreter Untersuchungsgegenstand nicht benannt ist, stehen die beanspruchten Dienstleistungen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Wortbestandteil "dieunfallgutachter". Obwohl die von der Anmelderin beanspruchten Dienstleistungen hier nur Teile eines größeren [X.] betreffen, ist es für das Bestehen des [X.] der fehlenden Unterscheidungskraft [X.] d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ausreichend, dass das angemeldete Zeichen in einem engen sachlichen Bezug zu einem Oberbegriff für den Gesamtbereich steht.

Ist somit der zentrale, den Gesamteindruck der Marke prägende Bestandteil "www.dieunfallgutachter.de" schutzunfähig, so könnten nur die sonstigen Gestaltungselemente, d. h. die Form und Farbe der Buchstaben und die insgesamt farbige Gestaltung der Marke, die Schutzfähigkeit zu begründen. Ein schutzbegründender "Überschuss" kann insbesondere durch eine besondere bildliche Ausgestaltung schutzunfähiger [X.] erreicht werden. An den erforderlichen bildlichen "Überschuss", auf den der Schutz der eingetragenen Marke beschränkt werden kann, sind umso größere Anforderungen zu stellen, je deutlicher der beschreibende Charakter der fraglichen Angabe selbst hervortritt ([X.] GRUR 2001, 1153 – antiKALK).

Diese Voraussetzungen erfüllen die grafischen Elemente der vorliegenden Marke nicht. Die farbliche Gestaltung in [X.] und grau ist nicht ungewöhnlich, sondern werbeüblich und ist nicht geeignet dem Zeichen eine charakteristische Gestaltung zu verleihen. Insbesondere im Zusammenhang mit unfallgeneigten Gefahren ist die Warnfarbe [X.] sehr gebräuchlich, so dass die farbige Hervorhebung des [X.]s "unfall" nicht über eine werbeübliche Gestaltung hinausgeht.

Entgegen der Annahme des Anmelders ist auch davon auszugehen, dass der angesprochene inländische Verkehr den Inhalt der Wortfolge trotz der Kürzung bzw. Stauchung von einzelnen Buchstaben sogleich und ohne Schwierigkeiten erfassen kann. Zwar kann eine auffällige, von üblicher Werbegrafik abweichende bildliche Gestaltung die herkunftshinweisende Funktion beeinflussen (vgl. [X.] GRUR 1991, 136 f. – [X.]), allein die Kürzung der Unterlänge beim Buchstaben "g" und die Stauchung der Buchstaben "t" und "h" führt hier aber nicht zu einer Unsicherheit bei der visuellen Wortwahrnehmung, die das Erinnerungsvermögen des Verkehrs beeinflusst. Jedenfalls für den Teil des Verkehrs, für den [X.] die Erstsprache ist, beeinträchtigt das Abschneiden, Weglassen oder Austauschen einzelner oder mehrerer Buchstaben erfahrungsgemäß nicht das sofortige und korrekte Erfassen des Bedeutungsgehaltes von Texten. Dies folgt aus der lebenslangen Vertrautheit mit der Sprache.

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Meta

24 W (pat) 5/12

17.07.2012

Bundespatentgericht 24. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.07.2012, Az. 24 W (pat) 5/12 (REWIS RS 2012, 4648)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4648

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