Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.04.2012, Az. 3 B 62/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 7312

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Gegenstand

Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht; besondere Gefährdungssituation


Leitsatz

Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht kann auch dann rechtmäßig sein, wenn die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO ) vorgesehene Mindestbreite des von den Radfahrern zu benutzenden Radweges nicht erreicht wird. Entscheidend ist, ob die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer Gefährdungssituation im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO führen würde, die auch mit Blick auf den Ausbauzustand des Radwegs nicht hinnehmbar ist.

Gründe

1

Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger in Anspruch genommenen Revisionszulassungsgründe sind nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt oder sie liegen - soweit dem [X.] genügt wurde - nicht vor.

2

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht, die 1998 ergangen ist und mit Verkehrszeichen 241 (Getrennter Rad- und Gehweg) umgesetzt wurde. Diese Anordnung betrifft eine rund 300 m lange Strecke in der [X.] [X.] entlang der [X.] zwischen der Kreuzung [X.] und der Kreuzung [X.]. Es handelt sich hier um eine in Fahrtrichtung zweispurige Hauptverkehrsstraße; die Fahrspuren weisen jeweils eine Breite von 2,75 bis 2,80 m auf. Der für die Benutzung durch Radfahrer vorgesehene Fahrstreifen auf dem Rad- und Gehweg erreicht mit einer Breite zwischen 72 cm und 1,29 m (jeweils ohne die weiß gefärbte Fahrbahnmarkierung, die etwa 26 cm Breite hat) nicht die Mindestbreite von 1,50 m, die die [X.] (VwV-[X.]) für einen mit Zeichen 241 ausgeschilderten getrennten Rad- und Gehweg grundsätzlich vorsieht; die schmalste Stelle weist der für Radfahrer vorgesehene Streifen in der etwa 50 m langen Unterführung unter einer S-Bahn-Strecke auf.

3

Der im April 2007 eingelegte Widerspruch des [X.] und seine Klage blieben erfolglos. Sie seien unzulässig, denn die einjährige Widerspruchsfrist, die mit dem Aufstellen der Verkehrszeichen zu laufen begonnen habe, sei bei Einlegung des Widerspruchs [X.]eits abgelaufen gewesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die Klage sei, nachdem der Kläger erstmals im Frühjahr 2006 auf die Verkehrszeichen getroffen sei, zulässig. Sie erweise sich jedoch als unbegründet. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] lägen vor. Da die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer hier zu einer im Verhältnis zu der auf besonderen örtlichen Verhältnissen [X.]uhenden Gefahr im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] nochmals deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrer selbst führte, ein Radweg vorhanden, dessen Benutzung zumutbar und ein Ausbau des Radwegs aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht ohne Weiteres möglich sei, schade auch die Unterschreitung der Mindestbreite für den Radweg nach der VwV-[X.] nicht.

4

1. Die Rechtssache weist nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts der revisionsgerichtlichen Klärung bedarf. Diese Anforderungen erfüllt keine der in der Beschwerde aufgeführten Fragen.

5

a) Der Kläger hält die Frage für klärungsbedürftig,

ob das geltende Recht der VwV-[X.] allein deshalb ignoriert werden darf, weil das entscheidende Gericht entgegen den gesicherten Erkenntnissen der jahrzehntelangen Unfallforschung an frei erfundene Tatsachenbehauptungen glaubt.

7

Die "frei erfundene Tatsachenbehauptung" sieht der Kläger in der Annahme des Berufungsgerichts, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs diene; diese Annahme stehe im Widerspruch zur gesicherten Erkenntnis der Verkehrsunfallforschung.

8

Damit ist revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf jedoch entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht schlüssig dargetan. Der vom Kläger angegriffene Passus des Berufungsurteils gibt - ausgedrückt in anderen Worten - nur das wieder, was den Regelungsgehalt des § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] ausmacht und was daher auch der hinter dieser Regelung stehenden generalisierenden Wertung des Normge[X.]s entspricht. § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] besagt, dass die [X.]nverkehrsbehörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen - einer qualifizierten Gefährdungslage - nach pflichtgemäßem Ermessen ü[X.] die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht zu entscheiden hat (vgl. dazu auch Urteil vom 18. Novem[X.] 2010 - [X.] 3 [X.] 42.09 - [X.]E 138, 159 <162> Rn. 17 m.w.N.). Ausgehend davon hat das Berufungsgericht zunächst geprüft, ob aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse eine das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich ü[X.]steigende Gefährdungslage gegeben ist; es hat sich - nachdem es das wegen des Zusammentreffens verschiedener im Urteil im Einzelnen dargestellten Umstände bejaht hat - in einem zweiten Schritt mit der Frage befasst, ob die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht auch ermessensfehlerfrei erfolgt ist. In diesem zweiten [X.] hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, ob es die Gefährdungslage in besonderer Weise noch weiter erhöhende Umstände gibt, die eine Abweichung von den Vorgaben der VwV-[X.] zu dessen Mindestbreite rechtfertigen können. Diese Vorgehensweise ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Entscheidend ist, ob die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer Gefährdungssituation im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] führen würde, die auch mit Blick auf den Ausbauzustand des Radwegs nicht hinnehmbar ist. Alles Weitere ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles.

9

b) Klärungsbedarf sieht der Kläger weiter hinsichtlich der Frage,

ob ein allerorts vorkommender Umstand einen konkreten örtlichen Umstand im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] darstellen kann.

Auch das rechtfertigt eine auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Revisionszulassung nicht. Nachdem § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] "besondere" örtliche Verhältnisse verlangt, die zudem zu einer das allgemeine Risiko erheblich ü[X.]steigenden Gefährdung der dort in Bezug genommenen Rechtsgüter führen müssen, ist auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens schon aufgrund des Wortlauts der Norm klar, dass ein "allerorts vorkommender Umstand" für sich genommen nicht genügt.

Entgegen der Annahme des [X.] bietet das Verfahren ebenso wenig Anlass zu einer revisionsgerichtlichen Klärung der Frage,

ob ungeübte Radfahrer eine Radwegebenutzungspflicht gegen alle Radfahrer rechtfertigen können.

Eine solche Auffassung liegt dem Berufungsurteil nicht zugrunde und wäre daher auch nicht Gegenstand der revisionsgerichtlichen Ü[X.]prüfung. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] nicht allein damit begründet, dass es - wie es dazu in den Entscheidungsgründen heißt - "ungeübte und/oder eher ängstliche Radfahrer" gibt; es hat diese Annahme vielmehr auf mehrere nach seinen tatsächlichen Feststellungen hier kumulativ vorliegende Umstände gestützt. Zu der im Bereich der Unterführung verminderten Wahrnehmbarkeit von Radfahrern komme die Abschüssigkeit der [X.], die jedenfalls für ungeübte und/oder ängstliche Fahrer zu einer schwereren Beherrschbarkeit des Fahrrades führe, sowie ein hohes Verkehrsaufkommen und eine geringe Breite der Fahrspuren, die ein gefahrloses Ü[X.]holen von Radfahrern erschwere. Liegt eine qualifizierte Gefahrenlage im Sinne der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] vor, kann das bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zur Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht führen. Sie trifft, entsprechend der Geltung, die zur Umsetzung dieser Anordnung aufgestellten Verkehrszeichen für sich beanspruchen, alle Radfahrer. Auch insoweit besteht kein weiterer revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf.

c) Die vom Kläger des Weiteren aufgeworfene Frage,

ob eine ü[X.]durchschnittliche Gefährlichkeit der Fahrbahnbenutzung mit einem technischen Regelwerk belegt werde könne, das - wie die vom Berufungsgericht hier herangezogenen Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ([X.] 1995) - zum [X.]punkt der Entscheidungsfindung [X.]eits durch ein jüngeres Regelwerk ersetzt worden sei,

führt ebenfalls nicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Es versteht sich von selbst, dass technische Regelwerke grundsätzlich in ihrer aktuellen Fassung zugrunde zu legen sind. Soweit der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe hier zu Unrecht die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen in der alten Fassung von 1995 herangezogen, betrifft das allein den konkreten Einzelfall. Die nicht weiter unterlegte Behauptung, es werde auch in jüngster [X.] und auch nach Veröffentlichung der [X.] 2010 mit unzutreffenden Belastungszahlen argumentiert, genügt nicht, um dem hier in Rede stehenden Verfahren eine grundsätzliche und damit fallü[X.]greifende Bedeutung zu verleihen.

d) In Bezug auf die in der Beschwerde außerdem aufgeworfenen Frage,

ob technische Hinweise für den Bau von [X.] (unterstellt sie sind 1. aktuell und nicht durch neuere ü[X.]holt und 2. auch nicht durch konkrete Forschungsergebnisse als im Grunde ü[X.]holt entlarvt) ein Fahrbahnbenutzungsverbot rechtfertigen können,

ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ebenfalls nicht in der gebotenen Weise dargetan. Der Kläger stellt zur Begründung darauf ab, das Berufungsgericht habe ü[X.]sehen, dass sich die Frage der Einrichtung einer getrennten Radverkehrsanlage rechtlich und tatsächlich von der Anordnung einer Benutzungspflicht unterscheide. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht geht ausdrücklich davon aus, dass Radfahrer nach dem Inkrafttreten der 24. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 7. August 1997 ([X.], [X.]. [X.] 1998 S. 515) nicht mehr [X.]eits dann auf den Radweg verwiesen werden können, wenn er vorhanden ist (vgl. Rn. 33 des Urteils). Es weist ergänzend auch selbst darauf hin, dass die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen [X.] 1995, die es als bloßen Anhaltspunkt für die Bewertung des [X.] herangezogen hat, zu einem [X.]punkt erarbeitet worden seien, als die sich aus § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 [X.] ergebenden verschärften Anforderungen noch nicht einmal im Entwurf vorgelegen hätten (vgl. Rn. 36 des Urteils). Im Übrigen ist in der Rechtsprechung auch des [X.] [X.]eits hinreichend geklärt, dass für die Wertung, ob die in § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] vorausgesetzte besondere Gefährdungslage vorliegt, auch auf die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen zurückgegriffen werden kann (vgl. Urteil vom 18. Novem[X.] 2010 - [X.] 3 [X.] 42.09 - [X.]E 138, 159 Rn. 27); davon gehen auch die Instanzgerichte aus (vgl. etwa [X.], Urteil vom 10. Februar 2011 - 5 S 2285/09 - [X.] 2012, 12 <14> m.w.N.).

Die Beantwortung der Frage,

ob das falsche Lesen eines mit dem technischen Regelwerk nicht vertrauten Richters eine Gefahr im Sinne von § 5 Abs. 9 [X.] begründen kann,

erfordert ebenfalls nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Diese Frage ist ohne Weiteres zu verneinen. Es liegt auf der Hand, dass die gerichtliche Annahme, es liege eine besondere Gefährdungslage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] vor und die Behörde habe bei der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht ermessenfehlerfrei gehandelt, auf nicht zu beanstandenden tatsächlichen Feststellungen und darauf fehlerfrei gestützten tatsächlichen und rechtlichen Schlussfolgerungen [X.]uhen muss. Die hinter der Fragestellung stehende [X.] des [X.], das Berufungsgericht habe die [X.] 1995 falsch gelesen, soweit dort bezogen auf die Verkehrsbelastung der [X.] eine Einsatzgrenze für die Einrichtung eine Radverkehrsanlage genannt wird, betrifft allein die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall; die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist damit nicht schlüssig dargetan.

e) Weiter wirft der Kläger die Frage auf,

ob allein der Wunsch schnellfahrwilliger [X.]fahrer, langsamere Fahrzeuge ohne Rücksicht auf Gegenverkehr und ohne Inanspruchnahme des - vorhandenen - zweiten Fahrstreifens jederzeit ü[X.]holen zu können, schon ein Verkehrsverbot gegen die langsameren Verkehrsteilnehmer rechtfertigen kann.

Auch das führt nicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In einem Revisionsverfahren würde sich die Frage in dieser Form nicht stellen. Die rechtmäßige Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht setzt - wie [X.]eits dargelegt - eine besondere Gefährdung der in § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] in Bezug genommenen Rechtsgüter sowie außerdem eine fehlerfreie Ermessensausübung der [X.]nverkehrsbehörde voraus. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen können sowohl die [X.]nverkehrsbehörde als auch das Verwaltungsgericht [X.]ücksichtigen, ob die besonderen örtlichen Verhältnisse nach allgemeiner Erfahrung Anlass für die Annahme geben, dass [X.]fahrer hier langsamer fahrende Radfahrer ohne Beachtung des erforderlichen Sicherheitsabstandes ü[X.]holen und diese dadurch gefährden, oder ob das unvermittelte Ausweichen von ü[X.]holenden [X.]fahrern auf den zweiten Fahrstreifen zu einer Gefährdung anderer [X.]fahrer führen kann.

f) Ebenso wenig rechtfertigt die Frage,

ob es einem Gericht zusteht, eine Behörde von sämtlichen für sie geltenden gesetzlichen Regelungen zu befreien,

die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die Frage würde in dieser Form in dem vom Kläger angestrebten Revisionsverfahren aus mehreren Gründen nicht zur Beantwortung stehen. Es kann schon nicht davon die Rede sein, das Berufungsgericht befreie die Beklagte von sämtlichen für sie geltenden gesetzlichen Regelungen. In Rede steht insoweit in sachlicher Hinsicht allein die Mindestbreite, die die VwV-[X.] bei einem getrennten Rad- und Gehweg für den Fahrstreifen fordert, den die Radfahrer benutzen sollen. Die rechtliche Qualität dieser Bestimmung ist zudem nicht die einer "gesetzlichen Regelung". Zu entnehmen ist diese Vorgabe vielmehr einer Verwaltungsvorschrift, also einer verwaltungsinternen Regelung, die - worauf auch das Berufungsgericht zu Recht abgestellt hat - nach allgemeiner Auffassung zwar die Verwaltung, nicht a[X.] ein Gericht zu binden vermag. Ü[X.]dies misst sich diese Verwaltungsvorschrift auch selbst, was die Vorgabe einer Mindestbreite angeht, keine strikte Bindungswirkung im Sinne einer "Muss"-Regelung bei. Vielmehr heißt es unter II. (Radwegebenutzungspflicht) Nr. 2 Buchst. a: die lichte Breite (befestigter Verkehrsraum mit [X.]) "soll in der Regel dabei durchgehend betragen". Im Folgenden wird ausgeführt, dass ausnahmsweise und nach sorgfältiger Ü[X.]prüfung von den [X.] dann abgewichen werden kann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z.B. kurze Engstelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden kann.

Abgesehen davon kann - ohne dass es hierfür erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf - nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass unter den vom Berufungsgericht aufgeführten engen Voraussetzungen, also dann, wenn die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer im Verhältnis zu der auf besonderen örtlichen Verhältnissen [X.]uhenden besonderen Gefährdungssituation im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] nochmals deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrer selbst führen würde, und ein Radweg vorhanden ist, dessen Benutzung zumutbar und dessen Ausbau aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht ohne Weiteres möglich ist, eine Radwegebenutzungspflicht unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auch dann angeordnet werden darf, wenn der Radweg nicht den Vorgaben der VwV-[X.] an seine Mindestbreite entspricht. Inwieweit solche Umstände vorliegen, die eine Unterschreitung der Mindestbreite ausnahmsweise rechtfertigen können, ist nach den [X.] jedes konkreten Einzelfalls zu entscheiden und einer grundsätzlichen Klärung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zugänglich. Eine weitergehende revisionsgerichtliche Klärung stößt in diesem Zusammenhang schon deshalb an Funktionsgrenzen, weil die Bewertung der Gefährdungssituation auf der einen und die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benutzung eines solchen Radweges auf der anderen Seite jeweils auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz erfolgen muss, an die das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist.

g) Es liegt auf der Hand, dass die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Frage,

ob ein Gericht aufgrund eigener Gefahrphantasien das geltende Recht verwerfen darf,

ebenfalls kein Revisionsverfahren erfordert. Sie ist zu verneinen.

Die im Zusammenhang damit aufgeführte Frage,

ob im [X.]nverkehrsrecht gegen die [X.] (vom Kläger gemeint sind die Radfahrer) vorgegangen werden darf, obwohl die Störer (vom Kläger gemeint sind unter Verletzung verkehrsrechtlicher Vorschriften ü[X.]holende [X.]fahrer) greifbar sind,

kann ebenfalls nicht zur Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass sich die Regelung des [X.]nverkehrs durch Verkehrszeichen nicht gegen "Störer" im polizeirechtlichen Sinne richtet. Es geht vielmehr darum, allgemeine Verhaltensregeln vorzugeben, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aufrechterhalten oder Gefahrenquellen, die der [X.]nverkehr eröffnet, durch Reglementierung der [X.] einzudämmen (vgl. Urteil vom 23. Septem[X.] 2010 - [X.] 3 [X.] 37.09 - [X.]E 138, 21 <33> Rn. 44).

h) Auch mit der Frage,

ob gesetzliches Recht, das die Verkehrssicherheit von Radfahrern und Fußgängern schützen soll, schon deswegen von Gerichten außer [X.] gesetzt werden darf, weil Radfahrer sich an § 1 [X.] halten müssen, [X.]fahrern das a[X.] gerichtlicherseits nicht zugemutet wird,

ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan. Diese Frage zielt, trotz des Versuches einer allgemeinen Einkleidung, erkennbar auf den konkreten Einzelfall. Sie [X.]uht auf der Unterstellung des [X.], das Berufungsgericht verlange von [X.]fahrern nicht die Einhaltung der sich aus § 1 [X.] ergebenden Verhaltenspflichten. Das trifft a[X.] nicht zu. Das Berufungsgericht geht allein von der - auch allgemeinkundigen - Tatsache aus, dass [X.]fahrer den ihnen auferlegten Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten im [X.]nverkehr nicht immer genügen. Bereits deshalb würde sich die vom Kläger aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Ebenso wenig steht aus den [X.]eits dargestellten Gründen die Außerkraftsetzung von "gesetzlichem Recht" in Rede, wie der Kläger behauptet.

i) Schließlich stützt der Kläger sein Begehren, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, auf den Einwand, das Berufungsgericht habe eine verkürzte und damit unzureichende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung arbeitet er im Zusammenhang damit a[X.] nicht heraus. Soweit er Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage sieht, unter welchen Bedingungen mit straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen der [X.] statt des - greifbaren - Störers in Anspruch genommen werden dürfe, gilt das vorstehend unter g) [X.]eits Ausgeführte. Ü[X.]dies hängt die Beantwortung der Frage, inwieweit sich die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht als verhältnismäßig erweist, von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab; sie ist somit einer fallü[X.]greifenden revisionsgerichtlichen Beantwortung nicht zugänglich.

2. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass das Urteil des Berufungsgerichts - wie der Kläger geltend macht - von einer Entscheidung des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung [X.]uht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Eine solche Abweichung sieht der Kläger zum einen darin, dass das Berufungsgericht eine vollständige Verhältnismäßigkeitsprüfung für entbehrlich gehalten habe, obwohl sich nach den Ausführungen des [X.] in seinem Urteil vom 25. April 1980 ([X.] 7 [X.] 19.78 - [X.] 442.151 § 45 [X.] Nr. 8 = NJW 1981, 184) eine Maßnahme nach § 45 Abs. 1 [X.] nur dann als rechtmäßig erweise, wenn sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn sei. Damit hat der Kläger jedoch nicht dargetan, dass das Berufungsgericht einen vom genannten Urteil des [X.] abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, wie das § 132 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO voraussetzt. Behauptet wird damit allein die fehlerhafte Anwendung eines solchen vom [X.] aufgestellten rechtlichen O[X.]satzes. Darin wäre - die Richtigkeit dieser Auslegung des Berufungsurteils durch den Kläger unterstellt - allein ein Subsumtionsfehler des Berufungsgerichts zu sehen, nicht a[X.] Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

Ebenso wenig hat der Kläger eine Abweichung des Berufungsurteils vom Urteil des Senats vom 5. April 2001 ([X.] 3 [X.] 23.00 - [X.] 442.151 § 45 [X.] Nr. 41 = NJW 2001, 3139) schlüssig dargetan. Sein Vortrag hierzu beschränkt sich auf die [X.], das Berufungsgericht habe keinerlei nachvollziehbare Ausführungen dazu gemacht, inwiefern die Gefahrenlage an der hier in Rede stehenden Strecke das allgemeine Risiko erheblich ü[X.]steige. Das richtet sich der Sache nach gegen die Beurteilung der Gefährdungssituation durch das Berufungsgericht. Dass das Berufungsurteil einen von der vom Kläger herangezogenen revisionsgerichtlichen Rechtsprechung abweichenden rechtlichen O[X.]satz aufweist, arbeitet die Beschwerde dagegen nicht heraus. Sie wird den Darlegungserfordernissen einer Divergenzrüge daher nicht gerecht.

3. Die Beschwerde zeigt keinen Verfahrensmangel auf, der vorliegt und auf dem das angegriffene Berufungsurteil [X.]uht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

a) Der Kläger sieht einen Verfahrensfehler darin, dass das Berufungsgericht wesentliche Teile seines Vortrags ü[X.]gangen habe. Er habe nachgewiesen, dass die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht bei [X.]n, wie hier, die Verkehrssicherheit nicht verbessere, sondern verschlechtere. Diesen Vortrag habe das Berufungsgericht willkürlich nicht zur Kenntnis genommen, sondern sei ohne nähere Begründung vom Gegenteil ausgegangen. Damit wird jedoch der Sache nach kein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ("error in procedendo") geltend gemacht, gerügt wird vielmehr im [X.] eine unzutreffende Beurteilung der Gefährdungssituation durch das Berufungsgericht und damit eine fehlerhafte Anwendung des sachlichen Rechts.

b) Für [X.] hält der Kläger außerdem, dass das Berufungsurteil auf die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ([X.]) 1995 abstelle, obwohl diese Empfehlungen zum Entscheidungszeitpunkt [X.]eits von den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen in der Fassung von 2010 ü[X.]holt gewesen seien. Außerdem habe das Gericht seinen Vortrag missachtet, dass die in den Empfehlungen 1995 genannten [X.] unhaltbar seien. Auch das zielt jedoch nicht auf einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, sondern auf eine - nach Auffassung des [X.] - fehlerhafte Beweiswürdigung und im Ergebnis unrichtige Bejahung der Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 [X.] durch das Berufungsgericht.

c) Darü[X.] hinaus macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht sei unzutreffend und damit [X.] davon ausgegangen, er habe auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Auch insoweit kann kein Verfahrensfehler festgestellt werden, auf dem das Berufungsurteil [X.]uht. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat mit Schriftsatz vom 26. Mai 2010 auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Auch wenn man davon ausgeht, dass ein Widerruf dieser Prozesshandlung zumindest unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 1. März 2006 - [X.] 7 [X.] - juris Rn. 13 m.w.N.), sind doch an die Erklärung des Widerrufs als "actus contrarius" schon aus Gründen der Verfahrenssicherheit dieselben formalen Anforderungen zu stellen wie an den vorangegangen Verzicht auf mündliche Verhandlung. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann a[X.] nur schriftlich, zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt werden (vgl. [X.]/[X.], VwGO, 17. Aufl. 2011, § 101 Rn. 5 m.w.N.). Ein diesen formalen Anforderungen genügender Widerruf des Verzichts auf mündliche Verhandlung ist seitens des [X.] nicht erfolgt. Er kann insbesondere nicht in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des [X.] vom 10. Juni 2010 gesehen werden; dort wird die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nur für den Fall beantragt, dass es aus Sicht des Gerichts darauf ankomme, ob das [X.] die Ungültigkeit der [X.]-Novelle behauptet habe. Offen bleiben kann, ob ein solcher unter eine Bedingung gestellter Widerruf ü[X.]haupt zulässig wäre; jedenfalls ist die im Schriftsatz genannte Bedingung nicht eingetreten. Die Annahme des [X.], dass der zuvor erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung aufgrund der Einführung weiteren Tatsachenmaterials durch den Beklagten nach diesem Verzicht von selbst, also auch ohne einen wirksamen Widerruf, entfallen sein könnte, ist unzutreffend (vgl. [X.], Beschluss vom 1. März 2006 a.a.[X.] Rn. 16).

Dass das Berufungsgericht den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör dadurch verletzt haben könnte, dass es die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet hat, ist vom Kläger nicht dargetan. Er hat zum Schriftsatz der Beklagten vom 31. Mai 2010 seinerseits unter dem 10. Juni 2010 ausführlich schriftsätzlich Stellung genommen und dort in Kenntnis des [X.] nur unter den [X.]eits dargestellten - nicht eingetretenen - Voraussetzungen die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Was der Kläger im Falle der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch ergänzend zu den von ihm in der Beschwerdebegründung aufgeführten [X.] hätte darlegen wollen und inwieweit das für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung gewesen wäre, ist nicht dargelegt.

d) Schließlich wendet sich der Kläger gegen die in den Entscheidungsgründen enthaltene Feststellung, dass es auf der streitgegenständlichen Strecke im Bereich der Unterführung "eine herabgesetzte Wahrnehmbarkeit von Radfahrern" gebe. Das sei während des [X.] nicht festgestellt worden, sondern vom Gericht frei erfunden. Damit wendet sich der Kläger gegen eine tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts, die das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindet, wenn er nicht einen Verstoß gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung, allgemeine Erfahrungssätze oder gegen die Denkgesetze geltend machen kann. Das ist jedoch nicht der Fall. Dass der Kläger die Wahrnehmbarkeit von Radfahrern in dem hier in Rede stehenden Streckenabschnitt anders beurteilt als das Berufungsgericht, genügt nicht.

Meta

3 B 62/11

16.04.2012

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 6. April 2011, Az: 11 B 08.1892, Urteil

§ 45 Abs 1 S 1 StVO, § 45 Abs 9 S 2 StVO, Anl 2 Nr 20 StVO, Anl 2 Zeichen 241 StVO, StVOVwV

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.04.2012, Az. 3 B 62/11 (REWIS RS 2012, 7312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7312

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

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