Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.09.2018, Az. 4 A 13/17

4. Senat | REWIS RS 2018, 3921

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Gegenstand

Verweisungsbeschluss wegen sachlicher Unzuständigkeit


Leitsatz

Der Bedarfsplan nach dem Energieleitungsausbaugesetz legt mit der Bezeichnung von Anfangs- und Endpunkt eines Vorhabens nicht den konkreten Standort von Anlagen und Betriebseinrichtungen fest und lässt daher Modifikationen und Konkretisierungen zu. Die Angabe des Netzverknüpfungspunktes ist aber verbindlich.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 30. Juni 2017 für den Neubau und den Betrieb einer kombinierten 380-kV-Höchstspannungsfrei- und -erdkabelleitung Nr. 314 zwischen dem [X.] und [X.] des [X.] bis Punkt [X.] (Mast 68) in den Samtgemeinden [X.] und [X.] und in den Städten [X.] ([X.]) und [X.] des Landkreises [X.]land. Dieser Planfeststellungsbeschluss stellt den nördlichsten Abschnitt für den Neubau einer 380-kV-Höchstspannungsleitung von [X.] West zum [X.] fest. Ein zunächst beabsichtigter Neubau auf der nördlich liegenden, etwa 20 km langen Strecke zwischen [X.] und [X.] unterbleibt, weil die [X.] nicht in [X.], sondern in [X.] angeschlossen werden.

II

2

Nach Anhörung der Beteiligten erklärt sich das [X.] nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VwGO sachlich zuständige Niedersächsische Oberverwaltungsgericht.

3

Gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO entscheidet das [X.] im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren für Vorhaben betreffen, die in dem Energieleitungsausbaugesetz bezeichnet sind. Nach § 1 Abs. 3 [X.] gilt § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO für die in den Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz aufgenommenen Vorhaben. Die Zuständigkeit des [X.]s erstreckt sich auch auf Abschnitte dieser Vorhaben (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Juni 2017 - 4 A 11.16 u.a. - BVerwGE 159, 121 Rn. 10 und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - NVwZ 2018, 1322 Rn. 12 ; Beschluss vom 26. September 2013 - 4 VR 1.13 - [X.], 800 Rn. 9). Der planfestgestellte Abschnitt ist indes kein Teil des - einzig in Betracht kommenden - Vorhabens nach [X.] der Anlage zum Energieleitungsausbaugesetz. Das dort mit "Neubau Höchstspannungsleitung [X.] - [X.], Nennspannung 380 kV" bezeichnete Vorhaben haben die Beklagte und die beigeladene Vorhabenträgerin aufgegeben.

4

Der Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz bestimmt Vorhaben durch vier, gelegentlich fünf Merkmale: die technische Ausführung, den Anfangspunkt, den Endpunkt, die Nennspannung und - bei einigen Vorhaben - bestimmte Orte im Trassenverlauf oder die Gesamtstrecke. Der Neubau einer in [X.] beginnenden Leitung zum [X.] weicht hinsichtlich des Anfangspunktes von dem in den Bedarfsplan aufgenommenen Neubau einer Leitung von [X.] zum [X.] ab. Auch wenn der Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz mit der Bezeichnung eines Anfangspunktes nicht den konkreten Standort von Anlagen und Betriebseinrichtungen festlegt, so werden die Vorhaben dennoch durch die Angabe der Netzverknüpfungspunkte verbindlich definiert (so [X.]. 17/12638 S. 16 zum vergleichbaren § 1 Abs. 2 [X.]). Daher beginnen und enden die [X.] nach § 1 Abs. 5 [X.] jeweils an den [X.], an denen sie mit dem bestehenden Übertragungsnetz verbunden werden. Das Umspannwerk [X.] ist aber ein anderer Netzverknüpfungspunkt als der Ort [X.]. Denn die beiden Orte sind so weit voneinander entfernt, dass es angesichts der Planungsabschnitte des Gesamtvorhabens naheliegt, für diese Strecke ein weiteres Planfeststellungsverfahren zu einem neuen Trassenabschnitt durchzuführen (vgl. https://www.netzausbau.de/leitungsvorhaben/enlag/05/de.html?cms_vhTab=2). Dementsprechend ist die Entscheidung für einen Beginn der Leitung in [X.] im Planfeststellungsbeschluss nicht von einer Abwägung verschiedener möglicher Standorte in einem - wie auch immer abzugrenzenden - "Raum [X.]" getragen. Die örtliche Abweichung vom Bedarfsplan erweist sich damit nicht als bloße Modifikation oder Konkretisierung eines Netzverknüpfungspunktes. Dass das Vorhaben - wie die Beklagte und die Beigeladene geltend machen - die gleichen energiewirtschaftlichen Ziele wie das Vorhaben nach dem Bedarfsplan hat, genügt nicht: Denn die Festlegungen des Gesetzgebers dürfen nicht durch Mutmaßungen über seine Motive in Frage gestellt werden (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 - BVerwGE 100, 370 <385> zum Straßenplanungsrecht).

5

Der Planfeststellungsbeschluss ordnet das Gesamtvorhaben der [X.] der Anlage zum Energieleitungsausbaugesetz zu, weil es sich um ein verkürztes Vorhaben und damit lediglich um ein Minus zu dem Vorhaben nach [X.] der Anlage handele. Indes erstreckt sich die gesetzliche Feststellung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit und des vordringlichen Bedarfs nach § 1 Abs. 2 Satz 2 [X.] auf die dort bezeichneten Vorhaben und nicht zugleich auf ähnliche, aber geringer dimensionierte: So schließt das Gesetz den Einwand Betroffener aus, ein im Bedarfsplan als "Neubau" bezeichnetes Vorhaben sei nicht erforderlich, weil seine Ziele durch eine weniger aufwändige technische Ausführung, etwa eine Umrüstung oder Zubeseilung, ebenso erreicht werden könnten (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 39 und vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 52 f.). In gleicher Weise schließt die gesetzliche Benennung der Netzverknüpfungspunkte den Einwand aus, ein bestimmtes Vorhaben sei entgegen § 1 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht erforderlich, weil seine Ziele durch eine kürzere Leitung ebenso erreicht werden könnten. Wenn aber die Betroffenen einer gesetzlichen Bedarfsfestlegung nicht die Möglichkeit eines als "Minus" einzuordnenden Vorhabens entgegenhalten können, so kann sich der Vorhabenträger seinerseits für ein "Minus" nicht auf die gesetzliche Bedarfsfestlegung berufen. Ein solches "Minus" mag im Übrigen zwar in der Summe weniger entgegenstehende Belange betreffen, kann aber gleichwohl einzelne Betroffene schwerer oder jedenfalls anders belasten.

6

Abweichendes folgt nicht aus der Rechtsprechung zum Straßenplanungsrecht. Danach gehören zur Bedarfsplanung die Netzverknüpfung und die Dimensionierung, während hinsichtlich aller anderen Aspekte die Konkretisierung Sache der nachfolgenden Planungsstufen ist (BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 - BVerwGE 149, 31 Rn. 32). Dies gilt insbesondere für den Verlauf einer Trasse, der von den zeichnerischen Darstellungen des Bedarfsplans abweichen kann (BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1996 - 4 C 29.94 - BVerwGE 102, 331 <344>, vom 20. Mai 1999 - 4 A 12.98 - NVwZ 2000, 555 <557> § 17 [X.] Nr. 154> und vom 15. Januar 2004 - 4 A 11.02 - [X.] 451.91 Europ. [X.] Nr. 12 S. 59; Beschluss vom 5. Dezember 2008 - 9 B 28.08 - NVwZ 2009, 320 Rn. 23). Das Energieleitungsausbaugesetz enthält indes keine zeichnerischen Darstellungen des Trassenverlaufs, sondern beschränkt sich in [X.] in örtlicher Hinsicht auf die - auch im Straßenplanungsrecht - verbindliche Benennung der Netzverknüpfungspunkte und in sachlicher Hinsicht auf die Verwirklichung als Neubau mit einer bestimmten Nennspannung.

7

[X.] weist der Senat darauf hin, dass das Fehlen der gesetzlichen Bedarfsfeststellung nicht zum Scheitern eines Vorhabens führen muss. In einem solchen Fall bedarf es der Prüfung, ob ein Vorhaben gemessen an den Zielen des zugrunde liegenden [X.] vernünftigerweise geboten ist (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 45). Denn die gesetzliche Bedarfsfeststellung hat nicht zum Inhalt, dass alle von ihr abweichenden Varianten nicht den Zielsetzungen des Energiewirtschaftsgesetzes entsprechen und daher ausgeschlossen sind (vgl. für das Straßenplanungsrecht BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 - BVerwGE 149, 31 Rn. 31).

8

Eine formale Sichtweise des Bedarfsplans trägt schließlich dem verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmecharakter des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO Rechnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 32): Bei der Zuweisung von Einzelprojekten in die erstinstanzliche Zuständigkeit des [X.]s steht dem Gesetzgeber zwar ein weiter Einschätzungsspielraum zu, die Zuweisung jedes Einzelprojekts muss aber von ausreichend tragfähigen Gründen gerechtfertigt sein (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2013 - 4 VR 1.13 - [X.], 800 Rn. 11). Es obliegt dem parlamentarischen Gesetzgeber zu entscheiden, ob er den Neubau einer Leitung von [X.] an den [X.] in den Bedarfsplan nach dem Energieleitungsausbaugesetz aufnimmt. Eine solche Entscheidung hat er nicht getroffen, obwohl dieser Bedarfsplan bereits mehrfach geändert worden ist (vgl. Art. 3 des Gesetzes vom 23. Juli 2013 - BGBl. I S. 2543 - und Art. 5 Nr. 3 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 - BGBl. [X.]). Die Durchführung eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens mag insoweit aufwändig erscheinen, beruht aber auf der Entscheidung des Gesetzgebers, im Energieleitungsausbaugesetz Sonderregeln für einzelne Vorhaben zu treffen.

Meta

4 A 13/17

12.09.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: A

§ 1 EnLAG, Anl EnLAG, § 50 Abs 1 Nr 6 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.09.2018, Az. 4 A 13/17 (REWIS RS 2018, 3921)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3921

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