Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2012, Az. IX ZR 40/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7584

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 40/10

Verkündet am:

29. März 2012

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2012 durch [X.] [X.], die [X.], [X.], [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 4.
Zivilsenats des [X.] vom 3.
Februar 2010 auf-gehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem auf einen Eigenantrag vom 26.
Juli 2005 am 1.
November 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F.

(fortan: [X.]). Er macht gegenüber dem beklagten Land unter dem rechtlichen Gesichts-punkt der Insolvenzanfechtung [X.] geltend.

Die Schuldnerin geriet ab August 2004 mit der Abführung der von ihr ge-schuldeten Umsatzsteuer in Rückstand. Wegen des bis einschließlich Januar 2005 offenen Betrags in Höhe von insgesamt 298.390,39

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am 27.
April 2005 eine Pfändungs-
und Einziehungsverfügung. Am 12.
Mai 2005 überwies die Schuldnerin den genannten Betrag von ihrem Geschäftskon-to an den Beklagten. Am 20.
Juni 2005 überwies sie dem Beklagten die zwi-schenzeitlich für den [X.]raum Februar bis April 2005 aufgelaufenen Umsatz-steuerrückstände in Höhe von 32.240,82

r-derungen in der Gesamthöhe von 1.296.515,10

.
Hier-von hatten Forderungen in Höhe von insgesamt 191.3t-punkt der ersten Zahlung und 202.942,54

bestanden.

Das [X.] hat die auf Erstattung des Gesamtbetrags von 330.631,21

Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein [X.] wegen Anfechtung nach dem allein in Betracht kommenden Anfechtungsgrund des §
131 Abs.
1 Nr.
2 [X.] stehe dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er we-3
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der eine Zahlungseinstellung noch die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu den beiden Zahlungszeitpunkten dargelegt habe. Die Nichtzahlung von fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten könne nur dann als Zahlungseinstellung
angesehen werden, wenn es sich um einen Anteil von mindestens 10 vom Hundert der Gesamtverbindlichkeiten handle. Dies gelte auch, wenn diese [X.] bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen [X.]. Ob die Untergrenze von 10 vom Hundert
erreicht worden sei, könne nicht festgestellt werden, weil der Kläger nicht dargelegt
habe, wie hoch die Gesamt-verbindlichkeiten der Schuldnerin zu den beiden Zahlungsterminen gewesen seien. Entsprechendes gelte für den dem Kläger obliegenden Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum [X.]punkt der Zahlungen. Auf die Frage, ob es sich bei beiden Zahlungen um inkongruente Deckungen gehandelt habe, komme es mithin nicht an.

II.

Mit dieser Begründung kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

1. Nach §
131 Abs.
1 Nr.
2 [X.] ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der [X.] zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung in-nerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenom-men worden ist und der Schuldner zur [X.] der Handlung zahlungsunfähig war.

a) Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insol-venzrecht und darum auch im Rahmen des [X.] nach §
17 [X.] ([X.], Beschluss vom 13.
Juni 2006 -
IX
ZB 238/05, [X.], 1631 6
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Rn.
6). Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des §
17 Abs.
2 Satz
1 [X.] kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen [X.]punkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Im [X.] ist eine solche Liquiditätsbilanz jedoch oft nicht erforderlich, weil hier auch auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil [X.] fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte ([X.], Urteil
vom 12.
Okto-ber 2006 -
IX
ZR 228/03, [X.], 2312 Rn.
28).

b) Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß §
17 Abs.
2 Satz
2 [X.] die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ([X.], Urteil vom 20.
November 2001
-
IX
ZR 48/01, [X.]Z 149, 178, 184 f; vom
21.
Juni 2007 -
IX
ZR 231/04, [X.], 1616 Rn.
27).

aa) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhal-ten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen ([X.], Urteil vom 20.
November 2001, aaO). Es muss sich mindestens für die beteiligten Ver-kehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner [X.] ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen ([X.], Urteil vom 21.
Juni 2007, aaO Rn.
28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erhebli-chen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus ([X.], Urteil vom 21.
Juni 2007, aaO Rn.
29; vom 20.
Dezember 2007 -
IX
ZR 93/06, [X.], 452 Rn.
21 jeweils mwN). Haben im fraglichen [X.]punkt [X.] Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Verfahrenser-9
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öffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von [X.] auszugehen (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Oktober 2006, aaO
Rn.
22, 28).

bb) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung ent-wickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhan-den, bedarf es nicht einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststel-lung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkei-ten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 vom Hundert. Es obliegt vielmehr dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Ge-samtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist
([X.], Urteil vom 30.
Juni 2011 -
IX
ZR 134/10, [X.], 1429 Rn.
13 mwN).

2. Das Berufungsgericht durfte danach eine Zahlungseinstellung
und entsprechend eine Zahlungsunfähigkeit
nicht
mit der Begründung verneinen, es könne nicht festgestellt werden, dass
die zum [X.]punkt der Zahlungen offe-nen und bis zur Insolvenzeröffnung nicht erfüllten Verbindlichkeiten der Schuld-nerin einen erheblichen Teil ihrer gesamten Verbindlichkeiten dargestellt haben, weil der Kläger die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten im Zahlungszeitpunkt nicht dargelegt habe. Geboten war
es,
den von den Parteien vorgetragenen
Sachverhalt vollständig auf seine Bedeutung für die Frage der [X.] und Zahlungsunfähigkeit zu prüfen und die sich dabei ergebenden [X.] umfassend zu würdigen.

III.

1. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das [X.] zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1 Satz 1 ZPO).
Eine eigene Sach-11
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entscheidung (§
563 Abs.
3 ZPO) kann der Senat auf der Grundlage der bishe-rigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht treffen, weil die-se Feststellungen
den Vortrag der Parteien nicht ausschöpfen.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Als Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin kommt insbesondere der Umstand in Betracht, dass zum [X.]punkt der ersten angefochtenen Zahlung weitere Verbindlichkeiten in Höhe von unstreitig [X.] 191.313,73

mindestens 202.942,54

f-nung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen wurden. Ob es sich dabei um einen maßgeblichen Teil der zum Zahlungszeitpunkt offenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin handelte, kann möglicherweise aus dem Umfang des Ge-schäftsbetriebs der Schuldnerin erschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2011, aaO Rn.
15). [X.] kann auch der Gesamtumfang der zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen einen Hinweis bieten. Ein weiteres Indiz für eine bereits vor den in Rede stehenden Zahlungen erfolgte [X.] kann darin liegen, dass die Schuldnerin mit der Bezahlung der be-trächtlichen Steuerforderungen des Beklagten seit mehr als sechs Monaten im Rückstand war (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2011, aaO Rn.
16)
und erst [X.], nachdem der Beklagte eine Kontenpfändung ausgebracht hatte. Das Ge-wicht dieses Beweisanzeichens kann
allerdings gemindert sein, wenn die [X.], wie der Beklagte unter Vorlage eines Schreibens der Bevoll-mächtigten der Schuldnerin vorgetragen hat, durch Unzulänglichkeiten in der Buchhaltung der Schuldnerin verursacht worden sein sollten. Dafür, dass die verspäteten Zahlungen nicht auf den Mangel an Liquidität, sondern auf Rück-stände bei der Buchführung zurückzuführen sind, ist der Beklagte darlegungs-
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und beweispflichtig. Sollte im zweiten Berufungsdurchgang eine Zahlungsunfä-higkeit der Schuldnerin nicht festgestellt werden können, wären im weiteren die Anfechtungsvoraussetzungen des §
133 Abs. 1 [X.] zu prüfen, für welche die drohende Zahlungsunfähigkeit genügen kann.

Kayser
Raebel
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.07.2009 -
2-4 O 425/08 -

O[X.], Entscheidung vom 03.02.2010 -
4 U 184/09 -

Meta

IX ZR 40/10

29.03.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2012, Az. IX ZR 40/10 (REWIS RS 2012, 7584)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7584

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IX ZR 40/10

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