Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 2 AZR 731/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 6703

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2007 - 10 Sa 1912/05 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die [X.]arteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1963 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 15. [X.]eptember 2003 bei der [X.] beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Hauptniederlassung in [X.] als „angehender [X.]ilialleiter“.

3

Die Beklagte ist eine [X.] Tochtergesellschaft der in [X.] ansässigen [X.]utter. [X.]ie unterhielt in der [X.] mehrere [X.]ilialen, in denen jeweils Betriebsräte gewählt worden waren. [X.]ie beschäftigte insgesamt 90 Arbeitnehmer. In der Hauptniederlassung [X.] mit ca. 30 Arbeitnehmern befindet sich der gesamte [X.]erwaltungsbereich.

4

Die Beklagte beschloss im Juni 2004 eine Änderung ihrer Organisation. Die [X.]ilialen in [X.] und [X.] sollten geschlossen und in den anderen [X.]ilialen sollte [X.]ersonal abgebaut werden. Nach längeren [X.]erhandlungen schlossen die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat am 8. Oktober 2004 einen Interessenausgleich, in dem unter Ziff. 2 ua. geregelt ist:

        

„Eine Liste der betroffenen Arbeitnehmer(innen) ist diesem Interessenausgleich als Anlage beigefügt. Die Liste enthält folgende Angaben: Name, [X.]orname.

        

Diese Liste stellt die zahlenmäßige Obergrenze für betriebsbedingte Kündigung bzw. den [X.]ersonalabbau für die Dauer von vier Jahren ab In-Kraft-Treten dieses Interessenausgleichs dar. [X.]ür die Arbeitnehmer(innen), die nicht in der Anlage namentlich aufgeführt sind, gilt für die Dauer von vier Jahren ab In-Kraft-Treten dieses Interessenausgleichs eine Beschäftigungsgarantie.“

5

Der Interessenausgleich trägt für die Beklagte zwei und für den Gesamtbetriebsrat eine Unterschrift. Die in ihm erwähnte „Anlage“ enthält insgesamt 26 Namen von Beschäftigten verschiedener [X.]ilialen. [X.]ie ist mit insgesamt drei [X.]araphen versehen. Ob die Namensliste und der Interessenausgleich körperlich miteinander verbunden worden sind, ist zwischen den [X.]arteien streitig.

6

Die Beklagte hörte mit [X.]chreiben vom 8. Oktober 2004 den Betriebsrat der Hauptniederlassung [X.] zur beabsichtigten Kündigung des [X.] an. [X.]it [X.]chreiben vom 14. Oktober 2004 teilte dessen [X.]orsitzender, der auch [X.]vorsitzender ist, mit, der Betriebsrat habe in der [X.]itzung vom 13. Oktober 2004 beschlossen, der Kündigung zuzustimmen.

7

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des [X.] mit [X.]chreiben vom 20. Oktober 2004 zum 30. Juni 2005.

8

[X.]it [X.]chreiben vom 25. Oktober 2004 zeigte die Beklagte bei der [X.] 26 geplante Entlassungen vorsorglich an. Die [X.] teilte mit [X.] vom 26. Oktober 2004 mit, dass keine Anzeigenpflicht bestanden habe. In der [X.]olgezeit führte die Beklagte die Umstrukturierungen durch.

9

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, es liege kein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste vor. Es bestehe kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung. Zum [X.]punkt der Kündigung sei die [X.]telle des [X.]ilialleiters/[X.] frei gewesen und mit dem [X.]itarbeiter N neu besetzt worden. Er hätte auch auf den [X.]tellen der befristet eingestellten [X.]itarbeiter [X.] und [X.] weiterbeschäftigt werden können. Die [X.] sei fehlerhaft, die Beklagte hätte die [X.]itarbeiter R, [X.], [X.], [X.]ch, [X.], [X.], [X.], [X.], Da, [X.] und N berücksichtigen müssen, die sozial erheblich weniger schutzwürdig seien. Im Übrigen habe sie ihrer Auskunftspflicht nicht genügt. Die Anhörung des örtlichen Betriebsrats sei fehlerhaft und die [X.]assenentlassung nicht ordnungsgemäß angezeigt worden.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt,

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der [X.]arteien durch die ordentliche Kündigung der [X.] vom 20. Oktober 2004 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]ie hat die Ansicht vertreten, die ordentliche Kündigung sei aus betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Es liege ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste vor. Der Interessenausgleich verweise ausdrücklich auf die Namensliste. Diese sei durch die [X.]araphierung [X.]il des Interessenausgleichs geworden. Der Kläger habe die [X.]ermutung des § 1 Abs. 5 K[X.]chG nicht widerlegt. [X.]ein Arbeitsplatz sei weggefallen. Aufgrund der [X.]trukturanpassungen entfielen die bisherigen [X.]ilialleiterpositionen. [X.]ie befasse sich nicht mehr mit dem klassischen [X.]ilialgeschäft. [X.]ür den Kläger als „angehenden [X.]ilialleiter“ habe es zu keiner [X.] eine andere freie [X.]telle gegeben. Die filialbezogen erfolgte [X.] sei nicht grob fehlerhaft. Als [X.] sei der Kläger mit den [X.] nicht vergleichbar. [X.] [X.]ilialleiter wiesen bessere [X.]ozialdaten auf. Der örtliche Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. [X.]ein [X.]orsitzender sei in seiner [X.]unktion als [X.]orsitzender des [X.] aufgrund der Interessenausgleichsverhandlungen über alle wesentlichen [X.]akten informiert gewesen. Hinsichtlich der [X.]assenentlassungsanzeige genieße sie [X.]ertrauensschutz.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das [X.] hat sie abgewiesen. [X.]it der vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Auf der Basis der bisherigen Feststellungen durfte dieses die Kündigungsschutzklage nicht abweisen. Ob sie begründet ist, vermochte der [X.] nicht abschließend zu entscheiden.

A. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft das wirksame Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste iSv. § 1 Abs. 5 [X.] angenommen. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen liegt ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste mangels Schriftform iSv. § 112 Abs. 1 Satz 1 [X.], §§ 125, 126 BGB nicht vor.

I. Sind bei einer Betriebsänderung nach § 111 [X.] die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird nach § 1 Abs. 5 Satz 1 [X.] zum einen vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 [X.] bedingt ist. Zum anderen kann die [X.] Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Dass eine Betriebsänderung nach § 111 [X.] vorliegt, die für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal ist, und der Arbeitnehmer in dem Interessenausgleich ordnungsgemäß benannt wurde, hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen ([X.] 6. Juli 2006 - 2 [X.] - Rn. 27, [X.] [X.] 1969 § 1 Nr. 80 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 68; 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 1 b und c der Gründe, [X.] 88, 363; 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 1 a der Gründe, [X.] 88, 375).

II. Der Kläger war zwar als zu kündigender Arbeitnehmer in einer Namensliste aufgeführt worden. Diese Namensliste war jedoch als „Anlage“ zum Interessenausgleich vom 8. Oktober 2004 erstellt und von der [X.] und dem [X.] lediglich paraphiert worden. Ihr Text enthält keinen Bezug auf den zuvor abgeschlossenen Interessenausgleich. Sie wahrt damit nicht die formellen Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 1 [X.] iVm. §§ 125, 126 BGB.

1. Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar. Nach § 126 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien eigenhändig durch [X.] auf derselben Urkunde erfolgen. Da § 1 Abs. 5 [X.] verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer „in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet“ werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste. Ihm wird ohne Weiteres Genüge getan, wenn die Namensliste zwar nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist, und Interessenausgleich und Namensliste eine einheitliche Urkunde bilden (st. Rspr., [X.] 6. Juli 2006 - 2 [X.] - Rn. 33, [X.] [X.] 1969 § 1 Nr. 80 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 68; 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 1 b der Gründe, [X.] 88, 375). Eine einheitliche Urkunde liegt unzweifelhaft vor, wenn sowohl Interessenausgleich als auch Namensliste unterschrieben und von Anfang an körperlich miteinander verbunden sind. Eine einheitliche Urkunde kann aber selbst dann vorliegen, wenn die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt worden ist. Voraussetzung ist, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste - ebenso wie zuvor der Interessenausgleich - von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (vgl. [X.] 22. Januar 2004 - 2 [X.] - [X.] [X.] 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA [X.] § 1 Interessenausgleich Nr. 11; 6. Juli 2006 - 2 [X.] - aaO). Der [X.] hat ferner angenommen, dass sogar eine nicht unterschriebene Namensliste als Anlage die Schriftform noch wahrt, wenn die Unterschrift unter dem Interessenausgleich sie als dessen Teil noch deckt. Das ist der Fall, wenn der Interessenausgleich selbst unterschrieben ist, in ihm auf die Anlage ausdrücklich Bezug genommen wird und Interessenausgleich und Anlage schon bei dessen Unterzeichnung mit einer Heftmaschine körperlich derart miteinander verbunden waren, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich war ([X.] 6. Juli 2006 - 2 [X.] - Rn. 33, 37, aaO; 6. Dezember 2001 - 2 AZR 422/00 - EzA [X.] § 1 Interessenausgleich Nr. 9).

2. Gemessen daran ist nach den bisherigen Feststellungen des [X.]s die Schriftform für die Namensliste nicht gewahrt.

a) Die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer sind im Interessenausgleich selbst nicht aufgeführt.

b) Sie befinden sich auch nicht in einer mit dem Interessenausgleich körperlich fest verbundenen Anlage. Eine „feste Verbindung“ von Interessenausgleich und Anlage, die die Beklagte behauptet, der Kläger aber bestritten hat, hat das [X.] bisher nicht festgestellt. Auch fehlen Feststellungen, wann eine solche Verbindung hergestellt worden sein soll.

c) Durch die Verweisung auf eine Anlage in Ziff. 2 des Interessenausgleichs und die Paraphierung der Anlage wird die Schriftform nicht gewahrt.

aa) Es kann dahinstehen, ob die Formvorschriften schon deshalb verletzt sind, weil die Anlage nicht mit vollen Namen, sondern lediglich mit Paraphen unterzeichnet worden ist. Paraphen können ausreichend sein, um den [X.] zu genügen und die Einheit zwischen Haupturkunde und Anlage zu dokumentieren (vgl. [X.] 29. September 1999 - [X.] - NJW 2000, 354, 358). Sie haben grundsätzlich die gleiche Kennzeichnungswirkung wie Unterschriften (vgl. insbes. [X.] 10. Oktober 2001 - [X.] - [X.]-Report 2002, 225). Ob dies auch gilt, wenn das gesetzliche Schriftformerfordernis der unzweideutigen Willenskundgabe der Parteien und der Gewissheit über den Inhalt einer Abrede dient, die unmittelbare und „quasi-normative“ Rechtswirkungen für Dritte herbeiführt, erscheint dennoch fraglich.

bb) Die Schriftform ist hier deshalb nicht gewahrt, weil in der Namensliste eine Rückverweisung auf den Interessenausgleich fehlt. Ohne eine solche Rückverweisung stellen Interessenausgleich und Namensliste keine einheitliche Urkunde dar.

Das Schriftformerfordernis in § 112 Abs. 1 [X.] dient primär der Normenklarheit und weniger dem Übereilungsschutz oder Beweiszwecken. Die Schriftform soll Zweifel am Zustandekommen und am Inhalt der vereinbarten [X.] ausschließen (vgl. [X.] 14. November 2006 - 1 [X.] - Rn. 17, [X.] 120, 173; [X.] 25. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 24). Dieser Zweck erfordert beim Fehlen einer schon anfänglich festen körperlichen Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste eine wechselseitige Inbezugnahme der beiden Schriftstücke. Andernfalls ist die Intention der fraglichen Namensliste nicht zweifelsfrei zu erkennen. Diese muss unmissverständlich darauf gerichtet sein, die inhaltliche Ergänzung und damit den Bestandteil eines ganz bestimmten Interessenausgleichs für eine ganz bestimmte Betriebsänderung iSv. § 111 [X.], § 1 Abs. 5 [X.] zu bilden. Um dies annehmen zu können, ist nicht nur eine Verweisung im Interessenausgleich auf eine (noch zu erstellende) Namensliste, sondern auch ein textlicher Rückbezug in der (zeitnah erstellten) Namensliste auf den betreffenden Interessenausgleich unverzichtbar. Nur so ist für den Fall, dass beide Schriftstücke nicht schon von Beginn an körperlich miteinander verbunden waren, die erforderliche Einheitlichkeit der Urkunde herzustellen und zu garantieren.

B. Die Sache ist nicht entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und war deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I. Die Klage ist nicht etwa deshalb begründet, weil die Kündigung vom 20. Oktober 2004 wegen eines Verstoßes der [X.] gegen § 17 [X.] rechtsunwirksam wäre.

1. Unter „Entlassung“ iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist zwar der Ausspruch der Kündigung zu verstehen ([X.] 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 39, Slg. 2005, I - 885 = [X.] [X.] 1969 § 17 Nr. 18 = EzA [X.] § 17 Nr. 13; [X.] 23. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.] 117, 281; 6. Juli 2006 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.] [X.] 1969 § 1 Nr. 80 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 68). Der Arbeitgeber hat deshalb eine nach § 17 Abs. 1 [X.] erforderliche Anzeige an die [X.] zu erstatten, bevor er die beabsichtigten Kündigungen gegenüber den Arbeitnehmern erklärt. Die Beklagte hat stattdessen die Anzeige erst kurz nach Ausspruch der streitbefangenen Kündigung erstattet.

2. Dennoch verbietet es im vorliegenden Fall der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der [X.] die Verspätung der Massenentlassungsanzeige anzulasten, selbst wenn es sich um eine gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] anzeigepflichtige Entlassung gehandelt haben sollte (zum Vertrauensschutz, vgl. [X.] 23. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 32 ff., [X.] 117, 281; 6. Juli 2006 - 2 [X.] - Rn. 16, aaO). Nach der früheren, vom [X.] erst mit Urteil vom 23. März 2006 (- 2 [X.] - aaO) aufgegebenen Rechtsprechung zu § 17 [X.] (vgl. 18. September 2003 - 2 [X.] - [X.] 107, 318) bedurfte es einer Entlassungsanzeige an die [X.] nicht schon vor Ausspruch der Kündigung. Ausreichend war, dass eine solche Anzeige jedenfalls vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Kündigungsfrist erfolgte. Die Beklagte durfte auf der Grundlage dieser Rechtsprechung darauf vertrauen, dass sie sich dem Gesetz entsprechend verhalte, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt eine Anzeige nach § 17 [X.] erstattet hätte.

II. Die Klage ist auch nicht deshalb begründet, weil die Kündigung ohne Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] erfolgt wäre. Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des [X.] ordnungsgemäß angehört worden ist. Dem Betriebsrat der Hauptniederlassung in [X.] sind mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 die aus der Sicht der [X.] tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt worden. Er hat am 13. Oktober 2004 der Kündigung zugestimmt. Über die [X.] musste er nicht weiter informiert werden, da die Beklagte eine [X.] nicht durchgeführt hat.

III. Ob umgekehrt die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, kann der [X.] anhand der bisherigen Feststellungen nicht selbst beurteilen.

1. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung ergibt, dass Interessenausgleich und Namensliste das Schriftformerfordernis aus § 112 Abs. 1 [X.], § 126 BGB aufgrund anderer als der vom [X.] gewürdigten Umstände erfüllen. Die Beklagte hat behauptet, die Namensliste sei im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Interessenausgleichs mit diesem bereits fest körperlich verbunden gewesen. Dem wird das [X.] - gegebenenfalls nach Aufforderung zum Beweisantritt - nachzugehen haben.

2. Sollte das [X.] zu dem Ergebnis gelangen, die Schriftform sei gewahrt, wird es weiter klären müssen, ob überhaupt eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung vorlag. Es hat ohne Weiteres angenommen, dass dem am 8. Oktober 2004 abgeschlossenen Interessenausgleich eine Betriebsänderung iSd. § 111 [X.] zugrunde lag. Es hat aber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die die Beurteilung zuließen, es liege eine Betriebseinschränkung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] oder eine andere Form der Betriebsänderung iSd. § 111 [X.] vor.

Die Gesamtzahl von 26 gekündigten Arbeitnehmern, die das [X.] seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, setzt sich aus Arbeitnehmern sämtlicher Filialen der [X.] zusammen. Bezugsgröße für die Frage, ob eine Betriebsänderung durch Personalabbau iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.], § 17 Abs. 1 [X.] vorliegt, ist dagegen die Anzahl der im einzelnen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn für den Abschluss des Interessenausgleichs gemäß § 50 Abs. 1 [X.] der Gesamtbetriebsrat zuständig sein sollte. Zwar kommt es nach § 111 Abs. 1 [X.] bei der Feststellung, ob der Betriebsrat überhaupt ein Beteiligungsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten hat, auf die Anzahl der Arbeitnehmer in dem Unternehmen an. Die Unternehmensgröße von mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern ist aber nur Voraussetzung für das Entstehen von [X.] des Betriebsrats. Für das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne der Norm ist hingegen erforderlich, dass die Skalenwerte des § 17 Abs. 1 [X.] im jeweiligen Betrieb erzielt werden (vgl. [X.] 25. Aufl. § 111 Rn. 24). Ob dies in der Hauptniederlassung in [X.] der Fall war, bedarf weiterer Feststellungen, wenn nicht schon aus anderen Gründen eine Betriebsänderung vorgelegen hat.

3. Sollte mangels Schriftform kein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen sein oder sollte keine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 [X.] in der Hauptniederlassung in [X.] vorliegen, wird das [X.] das Vorliegen betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 [X.] prüfen müssen. Ferner wird es, da es die [X.] lediglich unter dem Blickwinkel der groben Fehlerhaftigkeit erörtert hat, prüfen müssen, ob die Beklagte den auswahlrelevanten Personenkreis zutreffend bestimmt und die [X.] ausreichend vorgenommen hat; dabei wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob sie ihrer Auskunftspflicht iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] genügend nachgekommen ist.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter
Dr. [X.], der wegen des Endes
seiner Amtszeit an einer
Unterzeichnung verhindert ist
Kreft    

        

    Jan Eulen    

                 

Meta

2 AZR 731/08

12.05.2010

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 6. September 2005, Az: 8/9/5 Ca 9810/04, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 2 AZR 731/08 (REWIS RS 2010, 6703)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6703

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