Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.08.2011, Az. KRB 55/10

Kartellsenat | REWIS RS 2011, 4111

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
KRB 55/10
vom

10. August 2011

in der Kartellbußgeldsache

gegen
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Versicherungsfusion
OWiG § 30
a)
Gegen den Gesamtrechtsnachfolger der Organisation, deren Organ die Tat be-gangen hat, kann ein Bußgeld nur dann verhängt werden, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrach-tungsweise nahezu Identität besteht. Eine solche wirtschaftliche Identität ist ge-geben, wenn das "haftende Vermögen" weiterhin vom Vermögen des gemäß §
30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht (Bestätigung von [X.], Beschluss vom 11. März 1986

KRB
8/85, [X.]/E 2265
Bußgeldhaftung; Beschluss vom 23.
November 2004
KRB
23/04, NJW 2005, 1381, 1383
nicht verlesener Han-delsregisterauszug; Beschluss vom 4.
Oktober 2007
KRB
59/07, [X.]St 52, 58 Rn.
7
Akteneinsichtsgesuch).
b)
Einer weitergehenden Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung steht ange-sichts der Fassung des §
30 OWiG das Analogieverbot des Art.
103 Abs.
2 GG entgegen.
[X.], Beschluss vom 10. August 2011 -
KRB 55/10 -
[X.]

-
2
-
Der Kartellsenat des [X.] hat am 10.
August 2011
durch den Präsidenten des [X.] Prof.
Dr.
Tolksdorf und [X.]
Raum, [X.], [X.] und Dr. Bacher

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des 1.
Kartellsenats des [X.] vom 13. Januar
2010 wird nach §
79 Abs. 5 Satz 1 OWiG verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des [X.] und die der [X.]n hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:
Das [X.] hat die [X.] vom Vorwurf einer durch den Vorstand ihrer Rechtsvorgängerin begangenen [X.] freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsan-waltschaft beim [X.] bleibt ohne
Erfolg.
I.
Den Freispruch hat das [X.] damit begründet, dass der [X.]n die Ordnungswidrigkeit des Vorstands ihrer Rechtsvor-gängerin bußgeldrechtlich nicht zugerechnet werden könne.
1
2

-
3
-
1. Hierzu hat es Folgendes festgestellt:
Das [X.] hatte am 17. März 2005 einen [X.] gegen die G.

-K.

A.

-Aktiengesell-
schaft (nachfolgend: [X.]) erlassen und gegen diese Bußgelder in Höhe von Festsetzung der Bußgelder hat es
darauf
ge-stützt, dass sich nach seinen Ermittlungen ein Organ und
ein leitender Mitar-beiter der [X.] in den Jahren 1999 bis 2002 an wettbewerbsbeschränkenden
Absprachen vor allem im Bereich der industriellen Sachversicherungen betei-ligt haben.
Hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Strukturen trat nach den Feststellungen des [X.]s nach dem Erlass des [X.]s folgende Entwicklung ein:

Im Jahre 2006 wurden die Geschäftsanteile der G.

-Beteiligungs-
Gesellschaft, in der das operative Geschäft des G.

-Konzerns zusam-
mengefasst war und die die Anteilsmehrheit an der [X.] hielt, auf die T.

AG übertragen. Die T.

AG ist eine zu einhundert Prozent
vom H.

V.a.G. gehaltene Holdinggesellschaft. Um das übernommene operative G.

-Geschäft in die T.

-Konzernstruktur einzugliedern
und die Ge-
schäftsbereiche Industriesachversicherung von H.

und G.

zusammen-
zuführen, wurde die [X.] durch notariellen [X.] vom 6.
Juni
2007 auf die nunmehrige [X.] im Bußgeldverfahren, die H.

AG verschmolzen, die fortan als H.
-G.

Versicherung AG (im Folgenden: [X.]) firmierte. Die
durch die
Verschmelzung zusammengefassten Bestände der [X.], die nicht zum Industriesachversicherungsgeschäft gehörten, wurden durch ebenfalls am 6.
Juni 2007 beurkundete, durch die Rechtswirksamkeit der Verschmelzung aufschiebend bedingte notarielle
Verträge auf verschie-3
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6

-
4
-
dene Schwestergesellschaften der H.

AG übertragen.
Die Eintragung der Verschmelzung erfolgte am 24.
September 2007.
Infolge der Umstrukturierung gehörten Ende des Jahres 2007 nur noch etwa 4
% der
Versicherungsverträge der früheren [X.] zum Bestand der [X.]n. Bezogen auf den Gesamtbestand der [X.] entspricht dies einem Anteil von 28
%. Ihr fließen
45
% des ehemaligen Beitragsvolumens der [X.] zu, was einen Anteil von 42
% am Beitragsvolu-men der [X.]n ausmacht. Die [X.]
verfügte infolge der Verschmelzung über Kapitalanlagen in Höhe von 5,

und

2. Nach Auffassung des [X.]s muss §
30 OWiG wegen des im Ordnungswidrigkeitenrecht
geltenden [X.] so ausgelegt werden, dass der Rechtsnachfolger nur dann mit einer Geldbuße als Neben-folge belegt werden kann, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung nahezu

Identität zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung [X.]. Das Analogieverbot wäre verletzt, wenn im Fall der Rechtsnachfolge der übernehmenden juristischen Person alle an
Konzernober-
und Schwes-tergesellschaften gelangten Bestandteile des früheren Vermögens der [X.] zugerechnet würden und man auf dieser Basis die
[X.] der ehemali-gen [X.] komme keine derart prägende Bedeutung zu, dass es als solches im Vermögen der [X.]n wiedererkannt werden könne.
Denn nach der Verschmelzung stammten nur 28 % der Versicherungsverträge, aus denen 42
% der Gesamtbruttobeitragseinnahmen erzielt
würden, und nur 56
% der Kapitalanlagen aus Beständen der [X.]. Unter diesen Umständen sei
eine bußgeldrechtliche Haftung der [X.]n ausgeschlossen.
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8

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5
-
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand. Das Be-schwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die [X.] we-gen einer möglichen
Beteiligung ihrer Rechtsvorgängerin an [X.] Absprachen nicht mit einem Bußgeld belegt werden kann.
1. Die bußgeldrechtliche
Verantwortlichkeit
juristischer Personen
für Taten ihrer Mitarbeiter bestimmt sich nach
§
30 Abs. 1 OWiG. Nach dieser Vorschrift kann
gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung ein Bußgeld festgesetzt werden, wenn ein
Organ (Nr.
1) oder leitender
Mitarbei-ter (Nr.
4,
5) unter Verletzung der dieser
obliegenden Pflichten eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat oder diese bereichert worden ist oder werden sollte
(sogenannte Verbandsgeldbuße).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn die Ordnungswid-rigkeit, wegen der das [X.] im vorliegenden Fall Geldbußen festgesetzt hat, ist nicht von einem Organ oder leitenden Mitarbeiter der [X.] begangen worden. Täter waren vielmehr damals verantwort-liche Mitarbeiter der früheren [X.], die nach der Tat auf die [X.] verschmolzen wurde und dadurch erloschen ist (§
20 Abs. 1 Nr. 2 [X.]).
2. Eine Erstreckung
der bußgeldrechtlichen Haftung
auf den Gesamt-rechtsnachfolger der Person, für die der Täter gehandelt hat, kann
nur in dem schon bisher in der Rechtsprechung des [X.] anerkann-ten

hier nicht gegebenen

Ausnahmefall angenommen werden, in dem zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach [X.] Betrachtungsweise Identität oder nahezu Identität besteht. Eine dar-über hinausgehende Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung auf Ge-samtrechtsnachfolger, wie sie die Rechtsbeschwerde anstrebt, scheidet aus. 9
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12

-
6
-
Eine solche Ausdehnung der Haftung würde mit dem Wortlaut des §
30
OWiG nicht mehr in Einklang zu bringen sein und deshalb die durch Art.
103 Abs.
2 GG gezogene Grenze richterlicher Auslegung überschreiten. Eine bußgeldrechtliche Sanktion gegen die [X.] ist damit ausge-schlossen.
a) Nach dem Wortlaut des §
30 OWiG kann nur diejenige juristische Person oder Personenvereinigung mit einem Bußgeld belegt wer-den, deren in Leitungsfunktion handelnde Mitarbeiter eine Straftat oder Ord-nungswidrigkeit begangen haben.
Einer Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit auf den Gesamtrechtsnachfolger dieser juristischen Per-son sind durch diesen Wortlaut enge Grenzen gesetzt.
aa) Wie sich aus §
3 OWiG in Übereinstimmung mit der auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden ([X.] 71, 108, 114; 87, 363, 391) Verfassungsnorm des Art.
103 Abs.
2 GG ergibt, kann eine Handlung als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Daraus folgt zum einen das Verbot einer die Ahndung begründenden Analogie, welches jede Rechtsanwendung ausschließt, die tatbestandsausweitend über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wort-sinn die äußerte Grenze zulässiger richterlicher Interpretation bildet ([X.] 71, 108, 115; 82, 236, 269; 92, 1, 12; NJW 2010, 3209 Rn. 77). Diesem Gesetzlichkeitsprinzip unterliegt zum anderen aber auch die in §
30 Abs. 1 OWiG getroffene Bestimmung, die die Grundlage dafür schafft, eine Organtat durch Verhängung einer Verbandsgeldbuße zu ahnden. Eine Erweiterung dieser
Ahndungsmöglichkeiten ist nur innerhalb des durch Art.
103 Abs. 2 GG eröffneten [X.] statthaft (vgl. [X.] in [X.], OWiG, 15. Aufl., §
3 Rn. 4; [X.] in [X.] Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., §
3 13
14

-
7
-
Rn. 62; für Vorschriften des allgemeinen Teils des Strafrechts ferner Dan-necker in [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., §
1 Rn. 82 ff).
[X.]) Nach
§
30 OWiG trifft die bußgeldrechtliche Sanktion für Organ-taten im Ausgangspunkt die juristische Person oder Personenvereinigung, die das Unternehmen betreibt. Diese gesetzgeberische Entscheidung für das Rechtsträgerprinzip lässt eine Auslegung, die das Vermögen des von dem Rechtsträger zum Tatzeitpunkt geführten Unternehmens

i.
S. einer gewerb-lich tätigen Einheit

in die bußgeldrechtliche Haftung nehmen und hiervon ausgehend eine Sanktionierbarkeit der Tat auch gegenüber dem [X.] annehmen wollte, wenn dieser das Vermögen des Unternehmens oder wesentliche Teile hiervon übernommen hat, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Mit einer solchen Umdeutung in Richtung auf eine Unternehmens-geldbuße wäre die durch den Wortlaut der Norm gezogene Grenze über-schritten.
Die Möglichkeit, die von einem Organ oder leitenden Mitarbeiter begangene Tat durch eine Verbandsgeldbuße zu ahnden, steht und fällt [X.] grundsätzlich mit dem Fortbestand des Rechtsträgers, für den das Organ oder der leitende Mitarbeiter zum Tatzeitpunkt gehandelt hat.
[X.]) Hieraus folgt indessen nicht, dass eine Ahndung der Tat nach dem Erlöschen des Rechtsträgers unter allen Umständen ausgeschlossen wäre. Vielmehr erstreckt sich die bußgeldrechtliche Haftung für eine Organtat nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] unter zwei Voraus-setzungen auf eine andere juristische Person als diejenige, für die der Täter gehandelt hat. Die Verhängung eines [X.] bleibt möglich, wenn die [X.] juristische Person

etwa im Wege der Umwandlung

Gesamt-rechtsnachfolgerin der Organisation geworden ist, deren Organ die Tat be-gangen hat,
und wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensver-bindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität besteht. ö-15
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-
8
-

30 OWiG Verantwortlichen ge-trennt, in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermö-gens ausmacht ([X.], Beschluss vom 11.
März 1986

[X.], [X.]/E 2265

Bußgeldhaftung; Beschluss vom 23. November 2004

[X.], NJW 2005, 1381, 1383

nicht verlesener Handelsregisterauszug; Beschluss vom 4.
Oktober 2007

[X.], [X.]St 52, 58, Rn. 7

[X.]). Diese Rechtsprechung hat in der Entscheidungspraxis der Oberlan-desgerichte (vgl. KG [X.]/[X.] 3837

Altölpreise; [X.], 395, 396) und der Literatur ([X.] in [X.], OWiG, 15.
Aufl., §
30 Rn.
38a
ff.; [X.] in KK, OWiG, 3. Aufl., §
30 Rn.
30 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], OWiG, 7.
Aufl. §
30 Rn. 50) Gefolgschaft gefunden.
Die Voraussetzung, dass
das Vermögen der ursprünglich haftenden juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens
der [X.] juristischen Person ausmacht, ist unverzichtbar, um
die Ahndung auch in den Fällen von Rechtsnachfolge

wie nach dem Wortlaut des §
30 OWiG erforderlich

auf diejenige juristische Person

, für die der Täter gehandelt hat. An dieser Funktion, die Identität oder [X.] der in die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit genommenen [X.] sicherzustellen, hat sich das Verständnis dessen zu orientieren, wann in die. Auch wenn eine Festlegung auf bestimmte Schwellenwerte oder Verhältniszahlen angesichts der Vielzahl und der Verschiedenartigkeit der möglicherweise re-levanten Umstände ausscheidet, muss die Annahme einer wirtschaftlichen Identität danach
auf Fälle beschränkt bleiben, in denen das Unternehmen unverändert oder doch nahezu unverändert von einem
neuen Rechtsträger fortgeführt wird, dessen sonstige Vermögenswerte demgegenüber weitge-hend
in den Hintergrund treten.
Nur dann kann

in einem [X.]

-
9
-
chen Sinn

davon gesprochen werden, dass aus der gesellschaftsrechtli-chen Umgestaltung wieder dieselbe juristische Person hervorgegangen ist.
Solche
Fälle unterscheiden sich zwar in ihrer gesellschaftsrechtlichen Gestaltung, nicht aber in ihren Ergebnissen und Wirkungen von einem blo-ßen Wechsel der Firma oder der Rechtsform des das Unternehmen [X.] und weisen damit Bezüge zu gesellschaftsrechtlichen Vorgängen auf, die die bußgeldrechtliche Sanktionsmöglichkeit nach §
30 OWiG unberührt lassen. Es
liegt
in der Konsequenz des [X.], dass eine bloße Änderung der Firma oder der Wechsel der Rechtsform auf die Verantwortlichkeit nach §
30 OWiG ohne Einfluss sind, weil sie, was für den [X.] in §
202 Abs.
1 Nr.
1 [X.] ausdrücklich be-stimmt ist, die Identität des Rechtsträgers nicht berühren. Mit Blick auf diese Konstellationen ist es sachgerecht und auch mit dem Wortlaut des §
30
OWiG vereinbar, in Fällen, die dem gleich zu achten sind,
eine Kontinuität der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit
anzunehmen.
dd) Demgegenüber fehlt es an einer wirtschaftlichen Identität, wenn Unternehmen mit annähernd gleicher Größe und fast identischen Marktantei-len fusioniert und deren Geschäftsbereiche zusammengeführt werden. Im Fall einer solchen Fusion, die, zumal wenn mit ihr größere konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen verbunden sind, in ihren Ergebnissen und Wirkungen einem bloßen Wechsel der Firma oder der Rechtsform des das Unternehmen führenden Rechtsträgers nicht annähernd vergleichbar
ist, können
der
übernehmende
und der übertragende Rechtsträger auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht als dieselbe juristische Person angesehen werden.
Mit einer Zurechnung von Vermögensgegenständen konzern-verbundener Unternehmen kann eine wirtschaftliche Identität ebenfalls
nicht 18
19
20

-
10
-
begründet [X.] das geltende Recht keinen Raum. Die einzelnen konzernabhängigen Schwestergesellschaften sind im Verhältnis zueinander ebenso selbständige juristische Personen wie in ihrem Verhältnis zur Muttergesellschaft. Eine die bußgeldrechtliche Haftung begründende
Zurechnung von Vermögen könnte daher nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung erfolgen. An einer solchen fehlt es.
ee) An der Beschränkung der bußgeldrechtlichen Haftung auf in die-sem Sinne wirtschaftlich identische Rechtsnachfolger vermag auch der schon bei der Einführung der Verbandsgeldbuße in §
26 OWiG 1968 in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. V/1269, [X.]) genannte, in der Rechtspre-chung des [X.] wiederholt betonte (vgl. Beschluss vom 14.
Februar 2007

5 [X.], [X.], 13 mwN) und neuerdings in §
81 Abs.
5 GWB 2005 für bestimmte Kartellbußgeldtatbestände gesetz-lich besonders hervorgehobene Zweck der Geldbuße, der u.
a. in der [X.] bestehen kann, nichts zu ändern. Angesichts des eindeutig entgegenstehenden
Wortlauts des §
30 OWiG, in dem diese Erwägungen keinen Niederschlag gefunden haben, fehlt es an einer
ausreichenden
Grundlage dafür, die aus der Tat erwachsenen Vorteile im [X.] un-ter erleichterten Voraussetzungen
bei dem Rechtsnachfolger des [X.] abzuschöpfen. Auch aus der

hier in zeitlicher Hinsicht noch nicht anwendbaren

Vorschrift des §
81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005, die sich i-rhängenden
Geldbuße befasst, ergibt sich nichts anderes. Diese Norm hat nur die Bußgeldbemessung zum Gegenstand; die in §
30 OWiG vorgesehene Begrenzung der Ahndung einer Organtat gegenüber derjenigen angen hat, vermag sie nicht aufzuheben.
21

-
11
-
b)
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Haf-tung der [X.]n für die von den Mitarbeitern ihrer Rechtsvorgän-gerin begangenen Ordnungswidrigkeiten nicht vor. Zwar ist die [X.] infolge Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der [X.] gewor-den und hat deren Vermögen oder jedenfalls Teile davon übernommen. Die weitere Voraussetzung, wonach bei wirtschaftlicher Betrachtung zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nahezu Identität beste-hen muss, ist hier jedoch nicht erfüllt.
Nach den Feststellungen des [X.]s beträgt das ehema-lige [X.]-Vermögen nach der Verschmelzung bezogen auf die Zahl der [X.] rund 28
%, bezogen auf die Bruttobeitragseinnahmen rund 42
% und bezogen auf den Wert der Kapitalanlagen rund 56
% des Ge-samtvermögens der [X.]n. Bei einer derartigen Fusion unter Gleichen
ist eine bußgeldrechtliche Haftung der aufnehmenden Gesellschaft

wie dargelegt

ausgeschlossen.

Die nicht dem Industriesachversicherungsgeschäft zugehörigen und deshalb auf Schwestergesellschaften der [X.]n ausgegliederten Vermögensbestandteile der [X.] hat das [X.] zu Recht bei der Berechnung des eingebrachten Vermögens nicht einbezogen. Es kann da-hinstehen, inwieweit diese Vermögensgegenstände

wie der Generalbun-desanwalt meint

vor ihrer durch die Rechtswirksamkeit der Verschmelzung aufschiedie [X.] übergegangen sein könnten. Denn für die nach einer wirt-maßgebend. Das [X.] hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass die jeweils am 6.
Juni 2007 beurkundeten Verschmelzungs-
und Ab-spaltungsverträge Teil einer wirtschaftlich zusammenhängenden, auf eine 22
23
24

-
12
-
Geschäftsaufteilung nach Kundensegmenten gerichtete Umstrukturierungs-maßnahme des T.

-Konzerns waren und dass bei wirtschaftlicher Be-
trachtungsweise nur das Industriesachversicherungsgeschäft der [X.], nicht jedoch deren übrige Aktivitäten, in die [X.] eingebracht wurden.
c) Der Senat verkennt nicht, dass die Respektierung der Grenzen, die Art.
103 Abs.
2 GG der Verhängung von Geldbußen gegen juristische [X.] gemäß §
30 OWiG in Fällen der Rechtsnachfolge setzt, zu misslichen Konsequenzen führen kann.
Sie eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, eine drohende bußgeldrechtliche Sanktion durch die gezielte Wahl gesellschafts-rechtlicher Gestaltungen zu umgehen. Indes sind

wie dargelegt

die 25

-
13
-
Schranken zulässiger Auslegung des geltenden Rechts und damit der Aus-weitung bestehender Ahndungsmöglichkeiten mit der bisherigen Rechtspre-chung zur Haftung von Rechtsnachfolgern bußgeldrechtlich haftender Rechtsträger erreicht. Eine weitergehende Erstreckung der bußgeldrechtli-chen Haftung von Rechtsnachfolgern in Fällen der vorliegenden Art kann nur der Gesetzgeber vornehmen, der auch ihre Grenzen festzulegen hätte.
Tolksdorf
Raum
Strohn

Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 13.01.2010 -
VI-Kart 55/06 OWi -

Meta

KRB 55/10

10.08.2011

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.08.2011, Az. KRB 55/10 (REWIS RS 2011, 4111)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4111

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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