Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2017, Az. 5 StR 446/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1535

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:291117U5STR446.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR 446/17

vom
29. November 2017
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 29. Novem-ber
2017, an der teilgenommen haben:
Richterin am [X.] Dr. Schneider

als Vorsitzende,

[X.] am [X.]
Dölp,
Prof. Dr. [X.],
Dr. Berger,
Prof. Dr. Mosbacher

als beisitzende Richter,

Oberst[X.]tsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:

Auf die Revision der St[X.]tsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der
Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.

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Von Rechts wegen
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht und wegen eines weiteren solchen Verstoßes unter Einbezie-hung der Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die insoweit beschränkte Revision der St[X.]tsanwaltschaft richtet sich mit der Sachrüge gegen die [X.] der Sicherungsverwah-rung. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
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I.
1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt:
Der nunmehr 67 Jahre alte Angeklagte stand nach Vollverbüßung einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen verschiedener Sexualstraftaten seit Mitte 2014 unter Führungsaufsicht. Durch Beschluss der [X.] wurde er unter anderem angewiesen, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht
zu beschäf-tigen oder zu beherbergen. In Kenntnis dieses Verbots nahm der Angeklagte im September 2014, nur drei Monate nach der Haftentlassung, den damals drei-zehnjährigen P.

mit zu sich nach Hause und trank gemeinsam mit ihm Alkohol. Er massierte den Jungen und führte anschließend den Analverkehr an ihm durch. Als der Junge sagte, dass er das nicht wolle, reagierte der Ange-klagzum Samenerguss gekommen war.
Bis April
2015 sahen sich der Angeklagte und P.

fast täglich in der Wohnung des Angeklagten. Für diese weiteren Treffen wurde der Angeklagte wegen 90 Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht (und wegen eines Diebstahls) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt; die Strafen aus diesem Urteil sind
hier einbezogen worden. Am 15.
April 2016 war der Angeklagte wieder mit P.

und einem damals 12 Jah-re alten Mädchen mindestens eine Stunde in seiner Wohnung.
Der Angeklagte ist umfangreich vorbestraft und hat über 30 Jahre Haft verbüßt. Bereits 1972 wurde er wegen Raubes und anderer Taten zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 1984 wegen sexueller Nötigung sowie [X.] zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. We-2
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gen einer Vergewaltigung erfolgte 1986 unter Einbeziehung des vorgenannten Erkenntnisses und einer weiteren Raubverurteilung eine Verurteilung zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Sämtliche Strafen wurden vollständig vollstreckt. Nach Verbüßung weiterer, teils mehrjähriger Freiheitsstrafen wegen Diebstahls-taten und Verkehrsdelikten beging der Angeklagte nur wenige Monate nach seiner letzten Entlassung Ende 1998 und Anfang 1999 unter anderem fünf Ta-ten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (Analverkehr mit 12 und 13 Jahre alten Jungen, Vaginalverkehr mit einem 13 Jahre alten Mädchen) und eine Vergewaltigung. Hierfür wurde er Anfang 2000 zu einer Gesamtfreiheits-strafe von acht Jahren verurteilt. Nach Vollverbüßung und einer weiteren Verur-teilung wegen Nötigung (Freiheitsstrafe ein Jahr) erfolgte Anfang 2010 die nächste Verurteilung wegen sexueller Nötigung, sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und weiterer Delikte zu einer [X.] von vier Jahren; Opfer war [X.]. Diese Strafe verbüßte der Angeklagte bis Mitte Juni 2014 vollständig.
2. Bei dem Angeklagten liegt eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, zudem ein Abhängigkeitssyndrom von Alkohol. Beides hat bei Begehung der Taten nicht zu einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB geführt. Die Erfolgsaussicht einer Behandlung der Alkoholabhängigkeit in der Entziehungsanstalt konnte die [X.] angesichts der Persönlich-keitsstörung nicht feststellen.
3. Die [X.] hat

dem Sachverständigen folgend

angenom-men, dass der Angeklagte einen Hang zur Begehung von Straftaten habe. Er begehe Straftaten, wenn sich die Gelegenheit dazu biete. Es bestehe eine an-

einfach dazu, sich kriminell zu ver-6
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werde.
Es fehle jedoch an der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt
würden. Bei der [X.] sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte auf die Aufforderung des Kindes sein Verhalten alsbald beendet habe und es später nicht mehr zu Übergriffen gegenüber P.

gekommen sei. Die Tat habe keine Traumatisie-rung des Kindes nach sich gezogen. Bei den Taten, die den letzten beiden [X.] zugrunde gelegen hätten, sei der Angeklagte zwar gewalttätig gewesen, es gebe aber keine Steigerung von Intensität und Gefährlichkeit. [X.] sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nach Haftentlassung 70
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und Gefährdungspotential

II.
Die Revision der St[X.]tsanwaltschaft ist begründet.
1. Die Revision ist wirksam auf die [X.] der Sicherungsver-wahrung beschränkt (vgl. [X.], Urteil vom 8. August 2017

5 [X.],
[X.], 310 mwN).
2. Die [X.] der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Über-prüfung nicht stand.

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a) Die formellen Voraussetzungen der Verhängung von Sicherungsver-wahrung nach § 66 Abs. 1 StGB liegen vor, wie die [X.] zutreffend ausgeführt hat.
b) Die Erwägungen, mit denen das [X.] eine hangbedingte Ge-fährlichkeit des Angeklagten verneint
hat, erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als unzureichend.
[X.]) Das [X.] ist von einem falschen rechtlichen Ansatz [X.], indem es seinen Blick auf die durch die [X.] verursachten Folgen verengt hat (vgl. [X.], Urteil vom 7. Februar 2017

5 StR 471/16). Die in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als materielle Anordnungsvoraussetzung benannte Gefährlichkeit eines Angeklagten für die Allgemeinheit liegt vor, wenn infolge eines bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurtei-lung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwe-re seelische oder körperliche Schädigung der Opfer. Bezugspunkt sind [X.] die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten. Nach ständi-ger Rechtsprechung des [X.] ist mit Taten des schweren sexu-ellen Missbrauchs von Kindern typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden; sie wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass aufgrund der [X.]en solche Schäden (zufällig) nicht eingetreten sind (vgl. [X.] [X.]O mwN). Andere Umstände, die dafür sprechen könnten, dass sich die Gefahr bei künftigen entsprechenden Taten des Angeklagten nicht realisieren werde, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
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bb) [X.] ist auch lückenhaft, weil das [X.] nicht mitteilt, welche Straftaten konkret von dem Angeklagten zu
erwarten sind. Der Sachverständige, dem das Gericht gefolgt ist, hat insoweit ausgeführt, der Angeklagte begehe Straftaten, wenn sich die Gelegenheit dazu biete. Auf Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist dieser Befund ersichtlich nicht beschränkt, wie auch die bisherigen Vorstrafen des Angeklagten belegen. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, dass die [X.] bei ihrer Prognose le-diglich zu erwartende Straftaten nach §§ 176, 176a StGB in den Blick nimmt. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, bei dem Angeklagten habe sich erst in fortgeschrittenem Lebensalter eine Sexualdelinquenz entwi-ckelt, steht zudem in Widerspruch zu der Feststellung, dass er bereits 1984 wegen einer sexuellen Nötigung und 1986 wegen einer Vergewaltigung zu er-heblichen Freiheitsstrafen verurteilt werden musste.
cc) Soweit das [X.] erwägt, die Gefährlichkeit des Angeklagten könne wegen seines fortgeschrittenen Alters nach Haftentlassung gesunken sein, beschreibt es angesichts der bisherigen Delinquenz
nur eine theoretische Möglichkeit, die im Rahmen der Prüfung des § 66 Abs. 1 StGB nicht durch-schlägt. Derartige Veränderungen sind im Verfahren nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB zu prüfen. Für die Gefährlichkeitsprognose kommt es auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Hinsichtlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung steht dem Tatgericht auch kein Ermessen zu, in dessen Rahmen eine zu erwartende Haltungsänderung oder Alterungsprozesse [X.] werden könnten. Etwaige ernsthafte
Erkrankungen des Angeklag-ten, die

wie die Revision vorträgt

nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils 15
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ausgebrochen sind, wird das neue Tatgericht im Rahmen seiner Gefährlich-keitsprognose zu berücksichtigen haben.

Schneider

Dölp [X.]

Berger Mosbacher

Meta

5 StR 446/17

29.11.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2017, Az. 5 StR 446/17 (REWIS RS 2017, 1535)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1535

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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