Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. XI R 13/12

11. Senat | REWIS RS 2012, 3224

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Fristversäumung durch angestellten Steuerberater; Wiedereinsetzung


Leitsatz

1. NV: Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen.

2. NV: Der bei einem Prozessbevollmächtigten angestellte, verantwortlich tätige Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, ist einem Bevollmächtigten des Klägers i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt.

3. NV: Nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben ergänzt oder vervollständigt werden.

Tatbestand

1

I. Im vorliegenden Rechtsstreit wurde das Urteil des Finanzgerichts ([X.]) vom 23. Februar 2012 der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --einer Wirtschaftsprüfungs- und [X.] gegen [X.] am 5. März 2012 zugestellt. Die Prozessbevollmächtigte legte mit [X.] vom 29. März 2012, Eingang beim [X.] ([X.]) am 3. April 2012, die vom [X.] zugelassene Revision ein. Eine Verlängerung der [X.] wurde nicht beantragt.

2

Unter dem 21. Mai 2012, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 24. Mai 2012, wies die Geschäftsstelle des [X.]. Senats die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass die Frist für die nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) gebotene Revisionsbegründung am Montag, dem 7. Mai 2012 abgelaufen sei, ohne dass die Revision begründet worden sei.

3

Mit [X.] vom 4. Juni 2012, Eingang beim [X.] per Fax am 6. Juni 2012, beantragte und begründete die Prozessbevollmächtigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.] und holte die Revisionsbegründung nach. Dazu trug sie vor:
Die [X.] sei "durch ein von der Prozessbevollmächtigten nicht zu vertretendes [X.]üroversehen" verursacht worden. Die [X.]etreuung des Revisionsverfahrens habe dem angestellten Steuerberater [X.], der seit April 2008 in der Kanzlei beschäftigt sei und bis dahin keinen Anlass zu [X.]eanstandungen gegeben habe. Er sei bis dato auch mit der Fristenkontrolle, der [X.]erechnung von [X.] und Rechtsmittelfristen sowie mit dem Überwachen der entsprechenden Erledigung betraut gewesen. Für die Erfassung des Posteingangs und die Führung des Fristenkontrollbuchs sei die Mitarbeiterin [X.] zuständig, die seit November 2008 in der Kanzlei beschäftigt sei und bis dahin ebenfalls keinen Anlass für [X.]eanstandungen gegeben habe; sie werde bei der Führung des Fristenkontrollbuchs regelmäßig überwacht.

4

Nach fristgerechter Einlegung der Revision habe es [X.] versäumt, "obwohl für ihn die Anweisung bestand, Fristen an die Mitarbeiterin, Frau [X.], zwecks Eintragung in das Fristenkontrollbuch, weiterzugeben, die [X.] notieren zu lassen".

5

Erst durch das Schreiben des [X.] sei der Fehler bemerkt worden. Da der angestellte Steuerberater nicht der [X.] der Klägerin sei, jahrelang die ihm übertragene Aufgabe der Fristenkontrolle fehlerfrei durchgeführt habe und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation auch für die ihm übertragene Aufgabe ohne weiteres geeignet sei, liege "ein Fristversäumnis durch ein der Klägerin [X.] Verschulden nicht vor".

6

Mit weiterem Schreiben vom 10. August 2012 trägt die Prozessbevollmächtigte vor, dem angestellten Steuerberater, der die Klägerin vor dem [X.] und im Revisionsverfahren betreut habe, sei am 21. Mai 2012 fristlos gekündigt worden. Ursache für die Kündigung sei gewesen, dass der Steuerberater, nachdem er das Fristversäumnis am 16. Mai 2012 entdeckt habe, die Mitarbeiterin [X.] massiv unter Druck gesetzt habe, eine von ihm vorbereitete eidesstattliche Versicherung zu unterschreiben, derzufolge sie die Verantwortung für das Unterbleiben der Fristeneintragung übernehme.

7

Der Steuerberater trage in dem anhängigen Arbeitsgerichtsverfahren vor, er habe die Mitarbeiterin angewiesen, die [X.] einzutragen. Die Mitarbeiterin widerspreche dem. Die Prozessbevollmächtigte sei somit selbst mit zwei zum Teil divergierenden Versionen konfrontiert. Es sei nicht auszuschließen, dass die Darstellung des Steuerberaters eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erlange. Das Arbeitsgerichtsverfahren diene "ebenfalls dazu, die verschiedenen Versionen der Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen". Keiner der beiden [X.]eschäftigten sei wegen der Fristversäumung arbeitsrechtlich oder disziplinarisch belangt worden. Die Kündigung sei nur aus Gründen der Schutzpflicht des Arbeitgebers gegenüber der massiv unter Druck gesetzten Mitarbeiterin angebracht erschienen.

8

Die Prozessbevollmächtigte bittet um einen Hinweis, wenn es sinnvoll sein könnte, die Entscheidung des [X.] abzuwarten.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 [X.]bs. 1, § 126 [X.]bs. 1 [X.]O).

1. Die Klägerin hat die Revisionsbegründung nicht fristgerecht eingereicht.

Nach § 120 [X.]bs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das Urteil des [X.] wurde am 5. März 2012 zugestellt; folglich lief die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 54 [X.]O i.V.m. § 222 [X.]bs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) am Montag dem 7. Mai 2012 ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am 6. Juni 2012 und damit nach Fristablauf beim [X.] ein.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 [X.]bs. 1 [X.]O wegen Versäumung der [X.] kann der Klägerin nicht gewährt werden, denn es lässt sich nicht feststellen, dass sie an dem Fristversäumnis unverschuldet verhindert war.

a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 [X.]bs. 1 [X.]O). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 [X.]bs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]O) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den [X.]ntrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.] vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, [X.] 2003, 1589; vom 15. Dezember 2011 II R 16/11, [X.] 2012, 593, unter [X.], m.w.N.).

aa) Nach § 85 [X.]bs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O muss sich ein Kläger das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Dabei ist der beim Prozessbevollmächtigten angestellte, verantwortlich tätige Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, einem Bevollmächtigten des Klägers i.S. des § 85 [X.]bs. 2 ZPO gleichgestellt (Beschluss des [X.] --BGH-- vom 6. Februar 2001 [X.], Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1575; Beschluss des [X.] vom 18. März 2004  6 [X.] 16.03, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, 1007, und [X.] vom 6. März 2002 IX R 29/01, [X.] 2002, 807, sowie vom 25. September 2008 VII R 23/07, [X.] 2009, 178, jeweils m.w.N.; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. [X.]ufl., § 56 Rz 10). Nur für den Fall, dass ein angestellter Steuerberater lediglich zur büromäßigen Betreuung der in der Kanzlei eingehenden Rechtssachen --insbesondere mit der [X.] eingesetzt ist, hat der [X.] in Erwägung gezogen, dass sich ein Kläger das Verschulden einer solchen Bürokraft nicht zurechnen zu lassen braucht ([X.]-Beschluss vom 03. Oktober 1985 V B 88/84, [X.] 1987, 335).

bb) Nach den in dem [X.]ntrag auf Wiedereinsetzung gemachten [X.]ngaben kann nicht angenommen werden und es ist auch nicht vorgetragen, dass Steuerberater [X.] in der Kanzlei nur mit unselbständigen Hilfs- und Bürotätigkeiten betraut wurde, so dass er einer solchen Funktion entsprechend lediglich als Bote oder vergleichbare Hilfsperson angesehen werden könnte. Vielmehr hat er die Klägerin bereits vor dem [X.] vertreten und das Revisionsverfahren betreut.

b) Nach den [X.]ngaben der Klägerin in ihrem [X.]ntrag auf Wiedereinsetzung hat es der bei ihrer Prozessbevollmächtigten angestellte Steuerberater [X.] nach der fristgerechten Einlegung der Revision "versäumt", die [X.] notieren zu lassen, obwohl für ihn die [X.]nweisung bestand, Fristen an die Mitarbeiterin, [X.], zwecks Eintragung in das Fristenkontrollbuch, weiterzugeben.

c) [X.]nhand dieses Vorbringens der Klägerin lässt sich nicht feststellen, dass das Fristversäumnis unverschuldet war. Wie es zu dem "Versäumnis" des Steuerberaters [X.] gekommen ist, hat die Klägerin nicht dargelegt. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass an dem Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgewirkt hat, das der Klägerin nach § 85 [X.]bs. 2 ZPO zuzurechnen ist und das einer Wiedereinsetzung entgegensteht (vgl. dazu z.B. [X.] vom 15. Dezember 2010 IV R 5/10, [X.] 2011, 809; vom 14. Dezember 2011 [X.]50/11, [X.] 2012, 440). Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, wodurch sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor einem derartigen "Versäumnis" geschützt hat und welche organisatorischen Vorkehrungen sie getroffen hat, um derartige Fehler rechtzeitig aufzudecken (vgl. zur unbeabsichtigten Löschung im elektronischen [X.], [X.] vom 27. März 2012 II ZB 10/11, [X.], 803, unter [X.], m.w.N.).

Soweit im Schreiben vom 10. [X.]ugust 2012 ein anderer Sachverhalt dargestellt wird, kann dieser nicht zur Wiedereinsetzung führen.

Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe kann auch noch "im Verfahren über den [X.]ntrag" erfolgen. Nach [X.]blauf der Frist des § 56 [X.]bs. 2 Satz 1 [X.]O können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige [X.]ngaben ergänzt oder vervollständigt werden (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93 [X.] 1995, 989, m.w.N.; [X.] vom 26. [X.]pril 2005 I B 248/04, [X.] 2005, 1591; vom 23. [X.]ugust 2011 [X.], [X.] 2011, 1913).

Der im Schreiben vom 10. [X.]ugust 2012 dargestellte Sachverhalt, die Fristversäumung sei bereits am 16. Mai 2012 von Steuerberater [X.] bemerkt und am 18. Mai 2012 dem zuständigen Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt worden und die weiteren damit zusammenhängenden Einzelheiten widersprechen dem zunächst [X.]usgeführten. Denn laut dem Vortrag in dem fristgerechten [X.]ntragsschreiben vom 4. Juni 2012 ist die Fristversäumung erst durch das am 24. Mai 2012 zugestellte Schreiben des [X.] bemerkt worden; auch ist dort von einer fristlosen Kündigung des Steuerberaters [X.] bereits am 21. Mai 2012 keine Rede.

d) Der [X.]usgang des [X.]rbeitsgerichtsverfahrens war nicht abzuwarten. Die Sache ist entscheidungsreif. Denn auf der Grundlage des zunächst und fristgemäß vorgetragenen Sachverhalts kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] --wie [X.] nicht in Betracht.

Meta

XI R 13/12

13.09.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. Februar 2012, Az: 5 K 313/09, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 3 S 1 FGO, § 120 Abs 2 FGO, § 124 Abs 1 FGO, § 85 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. XI R 13/12 (REWIS RS 2012, 3224)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3224

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX R 41/13 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung - Büroversehen


III R 4/15 (Bundesfinanzhof)

Fristenkontrolle und Postausgangskontrolle


2 K 215/17 (Finanzgericht Hamburg)


II R 16/11 (Bundesfinanzhof)

Anforderungen an die unverschuldete Fristversäumnis - Ausscheiden eines Steuerberaters aus einer Sozietät - Antrag auf …


IX R 17/18 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung - Büroversehen


Referenzen
Wird zitiert von

V ZB 155/12

V ZB 155/12

V ZB 154/12

V ZB 154/12

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.