Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2013, Az. III ZR 326/12

III. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4865

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 326/12

Verkündet am:

20. Juni 2013

K i e f e r

Justizangestellter

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 839 (Fe)
Zu den Voraussetzungen eines die Haftung der [X.] ausschließenden, weit überwiegenden Mitverschuldens des durch einen Schnee-
und Glatteisunfall geschädigten Fußgängers.
[X.], Urteil vom 20. Juni 2013 -
III ZR 326/12 -
[X.]

[X.]

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Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2013
durch den Vizepräsidenten [X.] und die Richter
Wöst-mann, [X.], [X.] und Dr. Remmert

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin
wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.]s [X.]
vom 12. September 2012
aufge-hoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin
macht
gegen die beklagte [X.] Schadensersatz-
und Schmerzensgeldansprüche aus Amtshaftung wegen Verletzung der Räum-
und Streupflicht im Zusammenhang mit einem Unfall geltend, den sie als
Fußgänge-rin am 20.
Dezember 2010 gegen 17.30
Uhr in der [X.] von A.

erlit-ten hat.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei im Kreuzungsbereich der W.

straße/
S.

straße im Bereich der Fußgängerzone von A.

aufgrund einer 1
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Glättebildung gestürzt. Da die [X.] den am Vortag gefallenen Schnee we-der geräumt noch Salz oder abstumpfende Mittel gestreut habe, sei es in dem vorgenannten Bereich äußerst glatt gewesen. In der gesamten Fußgängerzone habe in einer Höhe von etwa
drei bis vier Zentimetern
Schneematsch gelegen. Obwohl sie äußerste Vorsicht habe walten lassen und winterfestes Schuhwerk getragen habe, habe sie den Sturz, bei dem sie
einen komplizierten [X.] im oberen [X.] erlitten
habe,
nicht verhindern können.

Die [X.] hat behauptet, im streitgegenständlichen Kreuzungsbereich sei am 20.
Dezember 2012 zweimal geräumt worden. Auch sei Salz gestreut worden. Sie hat sich das Vorbringen der Klägerin zum Vorhandensein von Schneematsch hilfsweise zu Eigen gemacht, soweit der
Vorwurf eines der Klä-gerin anzulastenden Mitverschuldens betroffen ist.

Die Klägerin verlangt
Ersatz ihres
Verdienstausfall-
und Haushaltsfüh-rungsschadens
nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten,
ein angemesse-nes
Schmerzensgeld und die
Feststellung der Verpflichtung der [X.]n zum Ersatz sämtlichen aus dem Unfall entstandenen und künftig noch entstehenden Schadens. Das [X.] hat die Klage -
nach Beweisaufnahme -
abgewie-sen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin
-
nach erneuter Be-weisaufnahme -
zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt
die Klägerin
ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin
hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beru-fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts fällt
der
Klägerin ein so über-wiegendes Mitverschulden an dem Unfall zur Last, dass sie nach §
254 Abs.
1 [X.] mit jeglichen Schadensersatzansprüchen
gegen die
[X.] aus §
839 Abs.
1 [X.], Art.
34 GG in Verbindung mit §
843 Abs.
1, §§
249
ff, 253 Abs.
2
[X.] ausgeschlossen sei.

Der Schadensersatzanspruch der Klägerin scheitere allerdings nicht an dem Fehlen einer Amtspflichtverletzung der [X.]n. Der Unfallstelle komme
eine erhebliche Verkehrsbedeutung für den Fußgängerverkehr zu. Für diesen Bereich treffe die [X.] daher unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit bei Schnee-
und Eisglätte eine Amtspflicht zur Durchführung von Räum-
und Streumaßnahmen. Zu Gunsten der Klägerin spreche bereits ein Anscheinsbe-weis dafür, dass die [X.] am Unfalltag der ihr obliegenden Räum-
und Streupflicht nicht nachgekommen sei, da sich der Unfall in den zeitlichen Gren-zen einer bestehenden Verkehrssicherungspflicht ereignet habe. Am Vortag und in der Nacht zum Unfalltag sei es zu erheblichem Schneefall gekommen, weshalb Räum-
und Streumaßnahmen durchzuführen gewesen seien.
Trage im Normalfall der Geschädigte die Darlegungs-
und Beweislast für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, so streite zu seinen Gunsten ein Anscheinsbe-weis, falls er -
wie hier -
innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen sei und dabei Schaden erlitten habe. Dann spreche nach dem [X.] Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei pflichtgemäßer Wahrnehmung der Streupflicht nicht zu dem Unfall gekommen wäre, sich in dem Unfall mithin gerade diejenige Gefahr verwirklicht habe, deren Eintritt die Streupflicht verhin-dern solle.

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Den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis habe die [X.] nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu erschüttern vermocht.
Aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen R.

stehe fest, dass zum Unfallzeit-punkt im Bereich der Unfallstelle mindestens noch 3 bis 4 Zentimeter [X.] gelegen habe; die von
den Zeugen H.

und L.

geschilderten Winterdienstmaßnahmen
seien demnach jedenfalls unzureichend gewesen.
Dass
Neuschnee so zeitnah vor dem Unfall gefallen sei, dass ein rechtzeitiges Räumen und [X.] des [X.] nicht mehr möglich gewesen sei, habe
die [X.] nicht dargetan.

Die Klage erweise sich aber als unbegründet, weil die Klägerin ganz überwiegend selbst die haftungsrechtliche Verantwortung für den von ihr erlitte-nen Unfall trage. Dieser sei im weit überwiegenden Maße dadurch [X.] worden, dass die Klägerin sich, ohne dass hierfür eine zwingende [X.] bestanden habe, in die [X.] von A.

begeben habe, ob-wohl ihr bekannt gewesen sei, dass hier aufgrund des vorangegangenen Schneefalls eine erhöhte Glätte-
und damit auch Sturzgefahr bestanden habe. Nach ihrem eigenen schriftsätzlichen Vorbringen
und den Schilderungen bei ihrer persönlichen Anhörung sei davon auszugehen, dass mangels ordnungs-gemäßer Räumung eine erhebliche [X.] bestanden habe. Nach den Aussagen der Zeugen R.

habe überall Schneematsch zumindest in einer Höhe von drei
bis vier
Zentimetern
gelegen, der
eine enorme Glätte zur Folge gehabt habe.

Vor diesem Hintergrund müsse die Klägerin für den
von ihr erlittenen Sturz in vollem Umfang selbst eintreten. Der Anteil ihrer [X.] lasse im Rahmen der nach §
254 Abs.
1 [X.] vorzunehmenden Abwägung der bei-derseitigen Verursachungsbeiträge den Anteil der [X.]n vollständig in den 8
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Hintergrund
treten. Grundsätzlich habe sich jeder Verkehrsteilnehmer auf die durch winterliche Witterung entstehenden Gefahren selbst einzustellen und müsse im eigenen Interesse der Schadensverhütung Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten seien. Dazu gehöre auch, erkannte besondere Gefahren nach Möglichkeit zu umgehen. [X.] sich einer solchen Gefahr nicht ausweichen, müsse man sich bei verkehrsgerechtem Verhalten die Frage vorlegen lassen, ob es notwendig sei, sich dieser Gefahr auszusetzen.

Ausgehend hiervon sei von der Klägerin zu erwarten gewesen, ange-sichts der für sie sogleich nach dem Abstellen und Verlassen ihres Fahrzeugs erkennbaren enormen [X.] und dem mit ihr verbundenen hohen Verlet-zungsrisiko von ihrem Vorhaben des Besuchs der Fußgängerzone wieder [X.] zu nehmen. Dies gelte umso mehr, als sie keine unaufschiebbaren Ange-legenheiten zu erledigen gehabt habe, sondern lediglich mit der Zeugin R.

die Wartezeit bis zum Ende der Tanzstunde der Kinder für Weihnachtseinkäufe habe nutzen wollen. Mit ihrer Entscheidung, sich trotz der von ihr erkannten enormen Glätte-
und der damit einhergehenden hohen Verletzungsgefahr zu Fuß in die Fußgängerzone zu begeben, habe sie die Wahrscheinlichkeit des späteren Schadenseintritts
durchgreifend begründet.

Demgegenüber bestehe die der [X.]n anzulastende Pflichtverlet-zung, die Unfallstelle entweder gar nicht oder nur unzureichend abgestreut zu haben, in einem Unterlassen, das gegenüber dem risikobelasteten, vorwerfba-ren Handeln der Klägerin erheblich geringer wiege. Auch wenn die [X.] durch ihre Pflichtverletzung die Erstursache für den späteren Unfall gesetzt ha-be, ändere dies nichts an der Beurteilung, dass erst das bewusste und gezielte Verhalten der Klägerin den Sturz
in entscheidender Weise wahrscheinlich ge-11
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macht habe, weshalb sie bei umfassender Abwägung der beiderseitigen Verur-sachungsanteile für die Schadensfolgen allein einzustehen habe.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1.
Nicht zu beanstanden ist freilich die Annahme des Berufungsgerichts, dass die beklagte [X.] die ihr obliegende winterliche Räum-
und Streupflicht verletzt habe.

Vorliegend ist zwischen den Parteien im [X.] unstreitig, dass aufgrund der vorangegangenen Schneefälle an der für den Fußgängerverkehr [X.] Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt geräumt beziehungsweise gestreut sein musste. Streitig ist, ob und inwieweit die Bediensteten der [X.]n dieser Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.

Die tatrichterliche Würdigung, aufgrund der Aussagen der Zeugen R.

stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die [X.] ihre Räum-
und Streupflicht nur unzureichend erfüllt habe, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin. Die Gegenrüge der Revisionsbe-klagten, das Berufungsgericht habe zu ihrem Nachteil die Grundsätze des [X.] verkannt, bleibt ohne Erfolg. Das Berufungsgericht ist zwar zunächst rechtsfehlerhaft von einem Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Streupflicht im Falle eines Unfalls innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streu-pflicht ausgegangen. Demgegenüber besteht
nach der Rechtsprechung des [X.] bei feststehender Verletzung einer Verkehrssicherungs-pflicht lediglich ein
Anscheinsbeweis dafür, dass es ohne die Pflichtverletzung 13
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nicht zu einem Unfall gekommen wäre, dass mithin die Pflichtverletzung ursäch-lich für das Schadensereignis geworden ist ([X.], Beschlüsse vom 26. Febru-ar 2009 -
III ZR 225/08, [X.], 3302 Rn. 5
und vom 19. Dezember 1991
-
III ZR 2/91, [X.]R,
[X.] § 839 Abs. 1 Satz 1
-
Streupflicht 7; [X.], Urteil vom 14. Dezember 1993 -
VI ZR 271/92, NJW 1994, 945, 946; so auch das von dem Berufungsgericht zitierte Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2004, [X.], 134, 135; vgl. ferner [X.]/[X.], [X.], 72. Aufl., § 823 Rn. 80
f). Ein Anscheinsbeweis für die Pflichtverletzung selbst kann hingegen nicht schon dann angenommen werden, wenn es innerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen der Räumpflicht zu einem Unfall gekommen ist. Insofern verbleibt es vielmehr bei der Darlegungs-
und Beweislast des Geschädigten für die Pflicht-verletzung.

Die tatrichterlichen Feststellungen tragen jedoch auch auf der Grundlage der Beweislast der Klägerin für die Verletzung der Räum-
und Streupflicht durch die
[X.] den entsprechenden Vollbeweis. Die Würdigung des Berufungsge-richts, aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen R.

stehe fest, dass zum Unfallzeitpunkt im Bereich der Unfallstelle mindestens noch 3 bis 4 Zenti-meter Schneematsch gelegen habe,
die von den Zeugen H.

und L.

geschilderten Winterdienstmaßnahmen seien demnach jedenfalls unzureichend gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2.
Zu Recht allerdings beanstandet die Revision die Auffassung des [X.], der
Anteil der [X.] der Klägerin an dem von ihr erlit-tenen Unfall lasse den Anteil der [X.]n vollständig in den Hintergrund [X.], so dass die Klägerin für die Schadensfolgen allein einzustehen habe.

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a) Die Abwägung der Verantwortlichkeiten zwischen den Parteien eines Schadensersatzanspruchs im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldens (§
254 [X.]) unterliegt gemäß §
287 ZPO einem weiten tatrichterlichen [X.] und ist vom Revisionsgericht nur darauf hin zu überprü-fen, ob alle in Betracht kommenden Umstände richtig und vollständig berück-sichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zu Grunde gelegt worden sind, hierbei insbesondere nicht gegen Denkgesetze und [X.] verstoßen worden ist (s. etwa [X.], Urteil vom 8.
Juli 1986 -
VI
ZR 47/85, [X.]Z 98, 148, 158; [X.], Urteile vom 11.
Januar 2007 -
III
ZR 116/06, NJW 2007, 1063 Rn.
7; vom 10.
Mai 2007 -
III
ZR 115/06, NJW 2007, 3211 Rn.
7; vom 16.
Juli 2009 -
III
ZR
21/09, NJW-RR 2009, 1688
Rn.
16 und vom 5.
Juli 2012 -
III
ZR 240/11, VersR
2012, 1434 Rn.
18).
Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen Beteiligten im Rahmen von §
254 [X.] kommt aller-dings nur ausnahmsweise in Betracht ([X.], Urteil vom 21.
Februar 1995
-
VI
ZR 19/94, NJW-RR 1995, 857, 858; [X.], Urteil vom 10.
Mai 2007 [X.]O).

b) Daran gemessen ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht frei von [X.].

[X.]) Das Berufungsgericht ist -
auf der Grundlage des Klägervortrags
und der Zeugenaussagen
-
davon ausgegangen, es habe an der Unfallstelle Schneematsch zumindest in einer Höhe von drei bis vier Zentimetern gelegen, der eine enorme Glätte zur Folge gehabt habe. Es habe eine erhöhte [X.] bestanden. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht von einem Mitverschulden der Klägerin an der von ihr erlittenen Verletzung ausgegangen, da sie ohne zwingende Notwendigkeit sich dennoch der von ihr erkannten Ge-fahr ausgesetzt habe. Diese tatrichterliche Würdigung ist nach den [X.] revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Revision 19
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nimmt die Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin durch das Berufungs-gericht hin.

bb) Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht
jedoch den Mitverant-wortungsanteil
der Klägerin an dem Unfall deutlich zu hoch angesetzt. Es hat insbesondere verkannt, dass die [X.] mit der -
vom Berufungsgericht an-genommenen
-
Verletzung der ihr obliegenden Räum-
und Streupflicht die maßgebliche Ursache für den Sturz der Klägerin gesetzt hat.

(1) Allein der Umstand, dass der Geschädigte
vor Schadenseintritt die bestehende Gefahrenlage erkannt hat, begründet nicht einen solchen Verursa-chungsanteil, dem gegenüber
der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers stets zurücktreten oder auch nur weniger schwer wiegen müsste.
Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des konkreten Einzelfalls.

(2) Der Grad der vom
Geschädigten erkannten Gefahr ist in die Abwä-gung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge auch auf Seiten des Geschä-digten einzubeziehen. Insoweit ist die Wertung des Berufungsgerichts, grund-sätzlich müsse sich jeder Verkehrsteilnehmer auf die durch winterliche Witte-rung entstehenden Gefahren einstellen und im eigenen Interesse der Scha-densverhütung die Maßnahmen ergreifen, die nach der gegebenen Gefahren-lage geboten seien, nicht zu beanstanden. Handelt der Verkehrsteilnehmer die-sem Gebot im Fall einer erheblichen
Gefahr zuwider, begründet dies in der [X.] ein Mitverschulden im Sinne von §
254 [X.]. Indes
lässt auch ein solches Verhalten nicht stets -
unabhängig von den weiteren Umständen des Einzel-falls
-
den
Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers zurücktreten. Andernfalls führte dies zu dem nicht 22
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hinnehmbaren Ergebnis, dass bei einer besonders deutlichen
Gefahrenlage, der der Geschädigte nicht ausweichen kann,
und einer in solchen Fällen nicht selten
besonders schwer wiegenden Verletzung der Räum-
und Streupflicht die Pflichtverletzung folgenlos
bliebe. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis
würde auf den Geschädigten verlagert, obwohl der [X.] eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hat.

(3) Dem Umstand, dass
die Klägerin, als sie sich der von ihr erkannten [X.] aussetzte, keine unaufschiebbaren Angelegenheiten in der [X.] zu erledigen hatte, kommt
ebenfalls
nicht die ihm vom Berufungs-gericht beigemessene Bedeutung zu. Die Notwendigkeit und Unaufschiebbar-keit der Tätigkeit, zu deren Erledigung sich der später Geschädigte der von ihm erkannten Gefahr ausgesetzt hat, mag ein im Einzelfall in die Gesamtabwägung einzubeziehender
Belang sein, der geeignet ist, ein aufgrund der erkannten Selbstgefährdung anzunehmendes Mitverschulden auszuschließen. Indes ist dem Geschädigten allein deshalb, weil er sich einer von ihm erkannten Gefahr ausgesetzt hat, ohne dass hierfür eine zwingende Notwendigkeit bestand, nicht ein solcher Verursachungsanteil an dem Unfallereignis zuzuordnen, dass [X.] der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers vollständig oder überwiegend zurückzutreten hat
(allgemein zur Kasuistik bei [X.] vgl. [X.]/[X.], [X.], 72.
Aufl., §
254 Rn. 27).

(4) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen einem vorwerfbaren Handeln der Klägerin einerseits und einem demgegenüber weniger schwer wiegenden Unterlassen der [X.]n andererseits ist kein zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge geeignetes Kriterium. Bei 25
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Benutzung von pflichtwidrig nicht geräumten oder nicht gestreuten Verkehrswe-gen steht auf der Seite des Geschädigten stets
ein Handeln und auf der Seite des Streupflichtigen stets
ein Unterlassen. Für die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile ist dieser Umstand
nicht von entscheidender oder gar die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender Bedeutung. An-dernfalls entfiele
bei für den Geschädigten erkennbarer Verletzung der Räum-
und Streupflicht von vornherein jegliche Haftung des Pflichtigen. Ein solches Ergebnis widerspräche
indes dem Schutzzweck der verletzten [X.], die auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren soll, die nicht stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht
walten lassen.

Es ist im Gegenteil grundsätzlich davon auszugehen, dass der die Räum-
und Streupflicht Verletzende
und
für die Sicherheit eines Verkehrswegs Verantwortliche durch die Pflichtverletzung die wesentliche Ursache für einen Unfall setzt, der sich infolge der nicht beseitigten Gefahrenlage ereignet. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegen-der Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.
Hiervon kann aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Fall der Klägerin nicht ausgegangen werden.
Insbesondere ist die vorliegend durch Schneematsch verursachte -
wenn auch erhebliche
-
[X.] nicht mit Gefahrensituatio-nen vergleichbar, in denen sich etwa ein Fußgänger in schlechthin unvertretba-rer Sorglosigkeit auf eine erkennbar spiegelglatte Eisfläche begibt und hierauf
zu Fall kommt
(vgl. etwa [X.], Urteil vom 20.
November 1984 -
VI
ZR 169/83, NJW 1985, 482, 483 (Betreten eines spiegelglatten Parkplatzes)).

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3.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§
563 Abs.
3 ZPO).
Insofern ist es dem Berufungsgericht als Tatgericht vorbehalten, die Verursachungsbeiträge der Parteien unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze neu abzuwägen.

[X.]

Wöstmann

[X.]

[X.]
Remmert
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.10.2011 -
12 [X.]/11 -

[X.], Entscheidung vom 12.09.2012 -
I-11 [X.] -

28

Meta

III ZR 326/12

20.06.2013

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.06.2013, Az. III ZR 326/12 (REWIS RS 2013, 4865)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4865

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 326/12

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