Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2022, Az. XII ZB 200/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 3611

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Gegenstand

Betreuungssache: Pflicht zur Anhörung in Beschwerdeinstanz bei Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften in erster Instanz


Leitsatz

Das Beschwerdegericht ist in einer Betreuungssache verpflichtet, die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn die Anhörung in erster Instanz verfahrensfehlerhaft nur vor Erstattung des der Betreuungsanordnung zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens durchgeführt worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 - XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 25. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Die 1938 geborene Betroffene leidet nach den Feststellungen des [X.] an fortgeschrittener Demenz.

2

Die Betroffene erteilte den Beteiligten zu 2 und 3, ihrer Tochter und ihrem [X.], eine umfassende Vorsorgevollmacht. Die Beteiligte zu 2 will von der Vollmacht keinen Gebrauch machen und hat die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Der Beteiligte zu 3 hält eine Betreuung nicht für erforderlich.

3

Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Betroffenen und Einholung eines im [X.] an die Anhörung erstellten Sachverständigengutachtens die Beteiligte zu 1, eine Rechtsanwältin, zur Betreuerin bestellt. Deren Aufgabenkreis hat das Amtsgericht auf die Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber dem Beteiligten zu 3 als Bevollmächtigten bezüglich der Aufgabenbereiche Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht/Unterbringung sowie den Widerruf der dem Beteiligten zu 3 insoweit erteilten Vorsorgevollmacht festgelegt.

4

Das [X.] hat die dagegen eingelegten Beschwerden der Betroffenen und des Beteiligten zu 3 zurückgewiesen. Dagegen richten sich deren Rechtsbeschwerden, mit denen sie die Aufhebung der [X.] erreichen wollen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerden führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

1. Die Rechtsbeschwerden rügen zu Recht, dass der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Das [X.] hat entschieden, ohne die Betroffene erneut anzuhören. Da jedoch die Anhörung in erster Instanz fehlerhaft war, hätte diese in der Beschwerdeinstanz wiederholt werden müssen.

7

a) Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 278 Abs. 1 FamFG besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 - [X.] 153/20 - FamRZ 2021, 385 Rn. 18 mwN).

8

b) Das Amtsgericht hat bei seiner Anhörung zwingende Verfahrensvorschriften verletzt, weil das Sachverständigengutachten erst im [X.] an die Anhörung erstattet worden ist und somit nicht Gegenstand der Anhörung war. Die Betroffene hatte damit nicht die Möglichkeit, sich vor ihrer Anhörung mit dem schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen vorzubringen. Der Hinweis des [X.] auf die von ihm angenommene Demenz der Betroffenen als fortschreitendes Krankheitsbild setzt das Beweisergebnis, das erst nach fehlerfreier Anhörung festzustellen ist, in unzulässiger Weise voraus.

9

2. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 200/21

22.06.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Koblenz, 25. März 2021, Az: 2 T 647/20

§ 68 Abs 3 S 1 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.06.2022, Az. XII ZB 200/21 (REWIS RS 2022, 3611)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3611 MDR 2022, 1110 REWIS RS 2022, 3611

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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