Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2011, Az. 1 StR 38/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3521

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
38/11

vom
8. September
2011
in der Strafsache
gegen

wegen Steuerhinterziehung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom
8.
September 2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Nack

und [X.] am [X.]
Dr. Wahl,
[X.],
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 2. August 2010 aufgeho-ben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstre-ckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf
der Steuerhinterziehung in weiteren zwölf Fällen hat das [X.] den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen [X.] wendet sich die [X.] mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts
rügt. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
1.
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage-schrift vom 6.
Januar 2010 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur 1
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4
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Last gelegt, in 17 Fällen dadurch Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, dass er für sechs von ihm geleitete Unternehmen mit Sitz in [X.], [X.], [X.] und [X.] für die Jahre 2002 bis 2005 vorsätzlich keine [X.] abgegeben habe. Hierzu sei er aber verpflichtet gewe-sen, weil er über diese Firmen an [X.] Landwirte und Winzer, die umsatz-steuerlich von der Pauschalregelung des §
24 UStG Gebrauch gemacht haben, Lieferungen von Pflanzenschutzmitteln ausgeführt habe. Die Lieferungen seien für ihn in [X.] steuerpflichtig gewesen.
2. Nach den Feststellungen des [X.] lieferte der Angeklagte in den Jahren 2002 bis 2005 als alleinverantwortlich Handelnder mehrerer Gesell-schaften, die in anderen Mitgliedstaaten der [X.] als [X.] ihren Sitz hatten und lediglich in [X.], [X.] und [X.] La-gerräumlichkeiten unterhielten, Pflanzenschutzmittel an [X.] Landwirte und Winzer. Die Empfänger wurden als Betreiber landwirtschaftlicher Betriebe umsatzsteuerlich nach §
24 UStG besteuert. Die den Lieferungen zugrunde liegenden Bestellungen erfolgten zumeist über Sammelbesteller für Einkaufs-i-

tten. Hinsichtlich der Art und Menge der Be-ladung sowie des Zeitpunkts der Auslieferung wurden die Speditionen allein vom Angeklagten angewiesen, die Landwirte bzw. Sammelbesteller teilten [X.] die Abladestelle in [X.] mit.
Das [X.] ist der Ansicht, die Lieferungen hätten der [X.]n Umsatzbesteuerung unterlegen, weil es sich um [X.] gehandelt habe und deshalb der Ort der Lieferung gemäß §
3c UStG jeweils in [X.] gelegen habe. Der Angeklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, für die von ihm geleiteten Firmen in der Bundesrepublik [X.] Umsatzsteuerer-klärungen abzugeben, was er pflichtwidrig unterlassen habe.
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5
-
Das [X.] hat sich die Überzeugung gebildet, dass der Angeklagte bis zu einer Befragung durch die [X.] Steuerfahndung im Oktober oder November 2005 davon ausgegangen ist, die von ihm getätigten Geschäfte unterlägen nicht der Umsatzsteuer (UA S.
10). Es hat den Angeklagten daher
-
nach einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß §
154 Abs.
2 StPO hinsicht-lich zweier Fälle -
nur wegen
dreier im Jahr 2006 begangener Taten der pflicht-widrigen Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen für das [X.] wegen Steuerhinterziehung verurteilt (Fälle 4, 14, und 17 der Anklageschrift). Der Angeklagte war insoweit geständig (UA S.
11). Vom Vorwurf der [X.] in weiteren zwölf Fällen hat das [X.] den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, es konnte sich insoweit von einem [X.] des Angeklagten nicht überzeugen. Dem Angeklagten sei für die Zeit
vor dem Erscheinen der [X.]n Steuerfahnder bei ihm im [X.] nicht nachzuweisen gewesen, gewusst zu haben, dass bei dem von ihm gewählten Geschäftsmodell eine Steuerpflicht nach [X.]m [X.] eintritt. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kenne §
370 [X.] nicht (UA S.
41).

II.
Der [X.] wegen Annahme eines Tatumstandsirrtums hält [X.] Nachprüfung nicht stand. Zum einen beruhen die deswegen ebenfalls aufzuhebenden
Feststellungen zum Tatvorsatz auf einer in
sich wi-dersprüchlichen sowie lückenhaften und damit nicht tragfähigen Beweiswürdi-gung (a). Zum anderen hat das [X.] nicht geprüft, ob sich der [X.] zumindest einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§
[X.]) schuldig [X.] hat, was einem Freispruch entgegenstehen würde (b). Die Sache bedarf 5
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-
6
-
daher im Umfang der Aufhebung neuer tatrichterlicher Prüfung auf der [X.] diesbezüglich insgesamt neu zu treffender Feststellungen.
a) Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nach-prüfung nicht stand.
aa) Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner [X.]chaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisions-gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Be-weiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkge-setze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile
vom 16.
Dezember 2009 -
1 StR 491/09 Rn.
18, [X.], 866; vom 11.
September 2007 -
5
StR 213/07, [X.], 22, 24; vom 6.
September 2006 -
5
StR 156/06, [X.], 18, 19; jew.
mwN).
[X.]) Derartige Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegen hier vor; die Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite können daher keinen Bestand haben.
(1) Die Beweiswürdigung ist in sich widersprüchlich. Sie setzt sich hin-sichtlich des freisprechenden Teils des Urteils in Widerspruch zu den die [X.] betreffenden Feststellungen.
Das [X.] hat als gegen einen Tatvorsatz des Angeklagten spre-chenden Umstand gewertet, dass er seine geschäftliche Tätigkeit nicht ver-heimlicht, sondern Rechnungen mit ausländischer Umsatzsteuer erstellt habe 7
8
9
10
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-
7
-
(UA S.
39). Weiter hat es ausgeführt, die Tatsache, dass der Angeklagte die angefallenen ausländischen Umsatzsteuern in seinen Rechnungen aufgeführt die Steuerbarkeit der Umsätze nach [X.]m Umsatzsteuerrecht nicht [X.] gewesen sei (UA S.
40). Diese Wertungen lassen sich nicht mit den -
im Rahmen der Verurteilung strafschärfend gewerteten (UA S.
34) -
Feststellun-gen vereinbaren, dass der Angeklagte ab dem [X.], in dem er von der [X.] fortgeführt und somit im Ergebnis ein aufwendiges die fortgesetzte Einschaltung von Firmen in [X.], [X.] und [X.] und die Gründung von Zwischenlagern in [X.] habe er insbesondere [X.] dem Erscheinen der Steuerfahnder auf Täuschung angelegt, dann konnte die Ausstellung von Rechnungen mit
gegenüber dem [X.]n Steuersatz zum Teil deutlich niedrigeren ausländischen Umsatzsteuersätzen zwischen drei und zwölf Prozent (UA S.
9) kein Indiz für eine beabsichtigte Steuerehrlichkeit des Angeklagten sein.
(2) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Denn das [X.] hat wesentliche, den Urteilsfeststellungen zu entnehmende belastende Um-stände nicht in die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite eingestellt.
Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden [X.] nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweis-lage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so be-schaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände 12
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-
8
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erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, ob-wohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich mög-licherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. [X.], Urteile
vom 6.
September 2006 -
5
StR 156/06, [X.], 18, 19
und
vom 22. August 2002 -
5
StR 240/02, [X.], 430 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des [X.] nicht gerecht. Sie ist lückenhaft, weil sie sich mit wesentlichen, den Angeklagten be-lastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für
die subjektive Tatseite bedeutsam sind (vgl. [X.], Urteil vom 10.
Dezember 1986 -
3 StR 500/86, [X.]R StPO §
261 Beweiswürdigung
2). Zu einer umfassenden Gesamtwürdi-gung aller den Angeklagten be-
und entlastenden Umstände hätte sich das [X.] hier schon deshalb gedrängt sehen müssen, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen noch nach entsprechenden Hinweisen der lu-xemburgischen Steuerfahndung auf die in [X.] bestehende Steuer-pflicht das bisherige System der Vermeidung der Besteuerung in [X.] unverändert fortsetzte.
Das [X.] hätte -
worauf der [X.] bereits in [X.] Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat -
auch in die Gesamtwürdigung einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den steuerlich bedeutsamen Ort der Lieferung in seinen Rechnungen jedenfalls teilweise absichtlich falsch deklariert hat, was für eine bewusste Täuschung der Finanzbehörden spricht. So hat der Angeklagte auch die Lieferungen seiner [X.] Firmen als Abholgeschäfte mit dem Umsatzsteuersatz von drei Prozent deklariert (UA S.
9
f.), obwohl er nach den Feststellungen in [X.] gar kein Warenlager unterhielt (UA S.
4, 38) und die Kunden selbst bei der Bestellung keinen Kontakt nach [X.] hatten 14
15
-
9
-
(UA S.
32). Dieser primär den Fall 15 der Urteilsgründe betreffende Umstand der Ausstellung falscher Rechnungen war auch für die Vorsatzfrage hinsichtlich der Tatvorwürfe betreffend die Jahre 2002 bis 2004 von erheblicher Bedeutung.
b) Der [X.] kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das [X.] nicht geprüft hat, ob das Verhalten des Angeklagten nicht zumin-dest den Bußgeldtatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§
[X.]) verwirklicht hat. §
[X.] wirkt in solchen Fällen wie ein Auffangtatbestand ([X.],
Beschluss vom 13.
Januar 1988 -
3 [X.], [X.]R [X.]
378 Leicht-fertigkeit
1; [X.], Urteil vom 23.
Februar 2000 -
5 StR 570/99, [X.], 320, 321; [X.], Urteil vom 16.
Dezember 2009 -
1
StR 491/09 Rn.
39
ff., [X.], 866).
[X.] handelt, wer die Sorgfalt außer [X.] lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird ([X.], Urteil vom 16.
Dezember 2009 aaO Rn.
40).
Jeder Steuerpflichtige muss sich über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in be-sonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus
der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei [X.] sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundi-gungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Februar 2009 -
II
R 49/07 mwN, [X.]E 225, 1). In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen (vgl.
dazu auch
[X.] in [X.]/
Gast/[X.], Steuerstrafrecht,
7.
Aufl.,
§
[X.] Rn.
39 mwN). Dies gilt insbe-16
17
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-
10
-
sondere dann, wenn er die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschäfts durch eine modifizierte Gestaltung des Geschäfts zu vermeiden sucht (zu den Erkun-digungspflichten vgl. auch Sahan in [X.]/[X.]/[X.], Wirtschafts-
und Steuer-strafrecht, §
[X.] Rn.
28 ff.). Zudem ist es Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und zumutbar, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollständi-gen und wahren Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klären (vgl. BVerfG -
Kammer -
Beschlüsse vom 16. Juni 2011 -
2 BvR 542/09 und vom 29.
April 2010 -
2 BvR 871/04, 2 [X.], [X.], 396, 404, jew.
mwN).
Im vorliegenden Fall war deshalb in den Blick zu nehmen, dass der An-geklagte für sechs Unternehmen als alleinverantwortlich Handelnder tätig war, die jeweils in großem Umfang grenzüberschreitenden Handel mit Pflanzen-schutzmitteln an Landwirte und Winzer durchführten. Er hatte erkannt, dass die einer Steuerpflicht in [X.] führen würde und wählte deswegen eine Ge-n-gerstaat [X.] nicht steuerbar waren. Ob er hierbei Rechtsrat eingeholt hatte, hat das [X.] nicht festgestellt.

III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat im Hinblick auf die sub-jektive Tatseite auf Folgendes hin:
1.
Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. [X.], Urteil vom 13.
November 1953 -
5 StR 342/53, [X.]St 19
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-
11
-
5, 90, 91
f.; [X.], Urteil vom 5.
März 1986 -
2
StR 666/85, [X.], 174; [X.], Urteil vom 16. Dezember 2009 -
1
StR 491/09 Rn.
37, [X.], 866; [X.]R [X.]
370 Abs.
1 Vorsatz 2, 4, 5). Für eine Strafbarkeit wegen [X.] bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungs-vorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des ge-setzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventual-vorsatz). Der [X.] setzt deshalb weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 2009 -
1
StR
491/09 Rn.
37, [X.], 866; zu strenge Anforderungen
OLG München, Beschluss vom 15.
Februar 2011 -
4
St RR 167/10 mit [X.]. [X.], [X.] 2011, 235).
2. Hat der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen, dass ein Steueran-spruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatum-standsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§
16 Abs.
1 Satz
1 StGB).
3. Ob dies auch dann gilt, wenn der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs allein auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerli-cher Normen -
hier etwa des §
3c UStG über den Ort der Lieferung in besonde-ren Fällen -
beruht, oder ob dann vielmehr ein Verbotsirrtum (§
17 StGB) gege-ben ist, wird in der neueren Literatur teilweise in Frage gestellt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.],
Wirtschafts-
und Steuerstrafrecht, §
369 [X.] Rn.
28 mwN; vgl. zum Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft in §
266a StGB auch [X.],
Beschluss vom 7. Oktober 2009 -
1 [X.], [X.], 337).
4. Der Senat braucht diese Frage hier nicht zu entscheiden,
denn sie stellt sich erst dann, wenn ein rechtserheblicher Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs festgestellt ist. Ein solcher Irrtum liegt aber dann nicht vor, wenn der Erklärungspflichtige hinsichtlich der Verkürzung eines Steueran-22
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-
12
-
spruchs mit Eventualvorsatz handelt. Bei der Klärung der Frage, ob ein solcher Irrtum bestanden hat, ist Folgendes zu beachten:
a) Die bloße Berufung eines Angeklagten auf einen derartigen Irrtum nö-tigt das Tatgericht nicht, einen solchen Irrtum als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das [X.] des Angeklagten von Bedeutung waren. Denn es ist weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Um-stände oder Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen -
außer der bloßen Behauptung des Angeklagten -
keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. [X.], Urteil vom 18. August 2009 -
1
StR 107/09, [X.], 85).
b) Ein Tatumstandsirrtum scheidet bei Steuerhinterziehung durch
Unter-lassen im Übrigen dann aus, wenn der Täter es für möglich hält, dass er die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dass durch sein Verhalten Steuern verkürzt werden oder dass er oder ein ande-rer nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. Weitergehende Einschränkungen der Annahme eines Eventualvorsatzes ergeben sich auch nicht aus der voluntati-ven Seite des Vorsatzes. Ob der Täter will, dass ein Steueranspruch besteht, ist für den [X.] bedeutungslos. Es
kommt insoweit allein auf die Vorstellung des [X.] an, ob ein solcher Steueranspruch besteht oder nicht. Hält er die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er mit bedingtem Tatvorsatz.
Ob ein Angeklagter das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich gehalten hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung geklärt werden. Dabei hat das Gericht bei Kaufleuten deren Umgang mit den in ihrem 25
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-
13
-
Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in die Würdigung einzubeziehen. Informiert sich [X.] über die in seinem Gewerbe bestehenden steuer-rechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dasselbe gilt, wenn es ein Steuerpflichti-ger unterlässt, in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen. Auch in Fällen, in denen ein nicht steuerlich sachkundiger Steuerpflichtiger eine von ihm für möglich ge-haltene Steuerpflicht dadurch vermeiden will, dass er von der üblichen Ge-schäftsabwicklung abweichende Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe wählt, kann es für die Inkaufnahme einer Steuerverkürzung sprechen, wenn er keinen zuverlässigen Rechtsrat einholt, sondern allein von seinem laienhaften Rechtsverständnis ausgeht. Dies gilt nicht nur bei rechtlich schwierigen oder ungewöhnlichen Inlandsgeschäften, sondern gerade auch bei [X.] Lieferungen oder Leistungen.
5.
Im vorliegenden Fall wird es daher für die Frage des Tatvorsatzes [X.] ankommen, ob der Angeklagte eine Steuerentstehung in [X.] für möglich erachtet hat. Im Hinblick darauf, dass er -
jedenfalls nach den [X.] Feststellungen -
gerade zur Vermeidung einer Besteuerung in [X.] zugunsten der Anwendung niedrigerer ausländischer Steuersätze die bei [X.] übliche Geschäftsabwicklung verändert hat, wird dabei der Frage, ob er sachkundigen Rechtsrat eingeholt hat, besondere Bedeutung [X.]. Dasselbe gilt, wenn das neue Tatgericht wieder zu entsprechenden Feststellungen gelangen sollte, für den Umstand, dass der Angeklagte die lu-xemburgischen Steuerfahndungsbeamten gebeten hat, die [X.]n Finanz-behörden nicht zu informieren
(UA
S. 13).
6. Sollte das neue Tatgericht aufgrund seiner Beweisaufnahme und Be-weiswürdigung bezogen auf die Fälligkeitszeitpunkte für die Abgabe von Um-satzsteuererklärungen wieder zur Annahme eines vorsatzausschließenden Tat-28
29
-
14
-
umstandsirrtums des Angeklagten gelangen, wird es die Prüfung einer Unter-lassenstrafbarkeit auch darauf zu erstrecken haben, ob der Irrtum noch vor Wegfall der Erklärungspflicht, insbesondere vor Eintritt der steuerlichen Fest-setzungsverjährung wieder entfallen ist. Bedeutung könnte insoweit dem [X.] zukommen, dass der Angeklagte -
jedenfalls nach den bisherigen Fest-stellungen -
von der [X.]n Steuerfahndung auf die Bedenken gegen seine steuerliche Behandlung der Lieferungen nach [X.] hingewiesen wurde
(UA S. 13).

Ri[X.] [X.] befindet

sich in Urlaub und ist des-

halb an der Unterschrift

gehindert.

[X.]Wahl

Nack

[X.] [X.]

Meta

1 StR 38/11

08.09.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.09.2011, Az. 1 StR 38/11 (REWIS RS 2011, 3521)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3521

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

VI B 29/20

VIII R 18/18

Zitiert

2 BvR 542/09

Zitieren mit Quelle:
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