Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.08.2010, Az. 2 StR 128/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4118

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 11. August 2010 in der Strafsache gegen wegen Geiselnahme u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 11. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. November 2009 a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die tateinheit-liche Verurteilung wegen Geiselnahme entfällt, b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen [X.] aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und zugleich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensicht-lich unbegründet. 1 - 3 - 1. Die (tateinheitliche) Verurteilung wegen Geiselnahme wird von den Feststellungen des [X.]s nicht getragen. 2 a) Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte das 10-jährige Tatopfer am 2. Juni 2009 gegen 21.00 Uhr unter dem Vorwand, die-sem "ein besonderes Tier" zeigen zu wollen, von einem Wirtschaftsweg zwi-schen [X.]und [X.]auf ein etwa 100 m abseits gelegenes, vom Weg aus nicht einsehbares Gelände gelockt hat. Dabei habe der Angeklagte [X.], sich an dem Kind sexuell zu vergehen. An der vom Weg abgelegenen Stelle habe er es zunächst festgehalten und sein Gesäß gestreichelt. Das Kind habe sich allerdings losgerissen und habe flüchten wollen, wobei es jedoch sogleich gestürzt sei. Diese Gelegenheit habe der Angeklagte genutzt, habe sich auf das Mädchen gelegt, diesem den Mund zugehalten und ihr schließlich ein zuvor geöffnetes Taschenmesser mit drohenden Worten an den Hals gehal-ten. Nachdem er sodann seinen Unterkörper und auch das Tatopfer entkleidet hatte, kam es zu dem letztlich gescheiterten Versuch, mit diesem den [X.] auszuführen ([X.] f.). 3 [X.] hat in diesem Verhalten des Angeklagten auch eine Geisel-nahme nach § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB gesehen. Dieser habe das Tatop-fer mit der List, diesem ein besonderes Tier zeigen zu wollen, entführt, um dort die geplante Tat auszuführen. Er habe die von ihm geschaffene und stabilisierte Bemächtigungslage zur Durchführung einer Nötigung unter Einsatz der durch die Verwendung eines Messers unterstrichenen Todesdrohung ausgenutzt. Das abgenötigte Schweigen des Kindes und die damit einhergehend erstrebte wi-derstandslose Duldung des Geschlechtsverkehrs stünden in einem zeitlich - räumlichen Zusammenhang mit der Tatbegehung ([X.]). 4 - 4 - b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den [X.] hat sich der Angeklagte nicht wegen Geiselnahme (§ 239b StGB) strafbar gemacht. 5 aa) Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte das Tatopfer durch listiges Weglocken im Sinne von § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB entführt (fraglich nach BGHSt 22, 178, 179 im Hinblick auf einen danach erforderlichen ungehemmten Einfluss des [X.] auf den Entführten) oder ob er sich dadurch dessen [X.] hat. Jedenfalls fehlt es für diesen Zeitpunkt an der erforderlichen quali-fizierten Nötigungsabsicht, das Tatopfer oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) oder mit des-sen Freiheitsentziehung von über einer Woche zu einer Handlung, Duldung [X.] Unterlassung zu nötigen. Dass der Angeklagte, als er das Mädchen von dem Weg weglockte, beabsichtigte, sich an diesem sexuell zu vergehen, besagt nichts darüber, ob er schon zu diesem Zeitpunkt entschlossen war, dieses Ziel auch unter Einsatz von qualifizierten Drohungen zu verfolgen. Dies gilt im Übri-gen auch noch für den Zeitpunkt, als der Angeklagte sich dem Mädchen [X.] ohne jede Form von Drohung näherte und dessen Gesäß streichelte. Selbst wenn er in diesem Augenblick für den Fall, dass das Opfer Widerstand leisten würde, den Einsatz qualifizierter Drohungen kalkuliert hätte, hätte er sich nicht nach § 239b StGB strafbar gemacht. [X.] Vorsatz genügt insoweit nicht. 6 [X.]) Soweit sich der Angeklagte nach dem Sturz des Kindes auf dieses legte, diesem den Mund zuhielt und es mit dem Messer bedrohte, hat er damit zwar physische Gewalt über das Opfer erlangt und sich dadurch dessen im Sinne von § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB bemächtigt. Der sich daraus erstma-lig ergebenden Bemächtigungssituation, die mit der durch den [X.] unterstrichenen Todesdrohung zeitlich einherging, fehlt es aber an ihrer nach 7 - 5 - der Rechtsprechung vorausgesetzten Stabilisierung. Fallen wie hier [X.] und qualifizierte Drohung praktisch zusammen, kommt eine Straf-barkeit - auch nicht in der Alternative des Ausnutzens einer durch Entführen oder [X.] geschaffenen Lage zu einer Nötigung (§ 239b Abs. 1 Halbsatz 2 StGB) - nicht in Betracht (vgl. BGHSt 40, 355, 359). 2. a) Der Senat schließt aus, dass weitergehende Feststellungen, die ei-ne Verurteilung wegen Geiselnahme rechtfertigen könnten, in einer neuen Hauptverhandlung getroffen werden könnten. Dies führt nach Wegfall der [X.] nach § 239b StGB zur Änderung des Schuldspruchs und zur [X.]. Das [X.], das in seiner Strafzumessensent-scheidung im Übrigen hinsichtlich sämtlicher erörterter Straftatbestände unzu-treffende Strafrahmen zugrunde gelegt hat, hat sowohl bei der [X.] als auch bei der konkreten Bemessung der Strafe die tateinheitliche [X.] dreier Delikte berücksichtigt ([X.], 18). Es lässt sich nicht aus-schließen, dass das [X.] bei zutreffender Würdigung zu einer niedrige-ren Strafe gelangt wäre. 8 b) Der Senat hebt auch den [X.] auf. Der neue Tatrichter erhält so Gelegenheit, eingehender als bisher zu prüfen, ob von dem Angeklag-ten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB). Besonderes Au-genmerk wird die neue zur Entscheidung berufene [X.] dabei auf den Umstand zu richten haben, dass der Angeklagte vor der Begehung der nun-mehr abgeurteilten Straftat unter Einbeziehung von [X.] 14 Jahre straffrei gelebt hat. Dies schließt zwar - entsprechend den Ausführungen in der ange-griffenen Entscheidung - die Annahme einer hohen Rückfallgefahr nicht von vornherein aus. Doch bedarf es nicht nur weiterer Erläuterung, warum und unter welchen inneren und äußeren Bedingungen sich der Angeklagte trotz der [X.], offenbar seit Jahren unverändert bestehenden Persönlichkeitsstö-rung (als Ausgangspunkt von ihm ausgehender Gefahren) so viele Jahre [X.] verhalten konnte. Zu erörtern ist auch, ob und inwieweit sich an diesen Be-dingungen etwas geändert hat und ob dies Einfluss auf die Erwartung weiterer rechtswidriger Taten haben kann. Rissing-van Saan Fischer Appl
Krehl [X.]

Meta

2 StR 128/10

11.08.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.08.2010, Az. 2 StR 128/10 (REWIS RS 2010, 4118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4118

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 606/13 (Bundesgerichtshof)

Geiselnahme: Eigenständige Bedeutung der Bemächtigungssituation


3 StR 210/10 (Bundesgerichtshof)


2 StR 606/13 (Bundesgerichtshof)


2 StR 223/20 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren u.a. wegen Geiselnahme der Ehefrau aus Eifersucht: Vorliegen einer stabilen Bemächtigungslage bei "Einsperren" der …


2 StR 58/13 (Bundesgerichtshof)

Geiselnahme: Eigenständige Bedeutung der Bemächtigungssituation


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.