Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31.05.2017, Az. I R 77/15

1. Senat | REWIS RS 2017, 10170

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO)


Leitsatz

NV: Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe betreffen die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen diese und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (Bestätigung der Rechtsprechung) .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 22. April 2015  3 K 889/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung ([X.]).

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, unterhält einen Gastronomiebetrieb. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) nahm im [X.] an eine Außenprüfung eine Hinzuschätzung der Umsätze vor und änderte dementsprechend unter dem 17. November 2011 die Bescheide für die Jahre 2004 bis 2006 über Körperschaftsteuer sowie Umsatzsteuer. Zudem setzte er jeweils Nachzahlungszinsen gemäß § 233a [X.] fest. Im finanzgerichtlichen Verfahren gegen die [X.] verminderte das [X.] die erfolgten Hinzuschätzungen und erließ am 19. Juni 2013 neben geänderten Bescheiden über Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer die streitgegenständlichen und gleichfalls (geänderten) Bescheide über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen in Höhe von 10.709 €.

3

Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 beantragte die Klägerin den Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen. Dies wurde vom [X.] mit Schreiben vom 3. Juli 2013 abgelehnt. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass sie kein Verschulden daran trage, dass sich im Verfahren ein derart langer Zinslauf ergeben habe. Die besonderen Umstände des Verfahrens rechtfertigten ausnahmsweise einen Erlass aus Billigkeitsgründen wegen Verfahrensverschleppung. Darüber hinaus folge die offensichtliche und eindeutige Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung aus dem festgesetzten Zinssatz von monatlich 0,5 v.H.; es bestünden gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit dieses Zinssatzes. Mit Urteil vom 22. April 2015  3 K 889/13 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 354) hat das [X.] ([X.]) die Klage als unbegründet abgewiesen.

4

Ihre Revision stützt die Klägerin auf eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Thüringer [X.] vom 22. April 2015  3 K 889/13 aufzuheben und das [X.] unter Aufhebung des [X.] vom 3. Juli 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 2013 zu verpflichten, die Zinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 bis 2006 in Höhe von 10.709 € zu erlassen.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

7

Die Revision ist nach § 126 Abs. 4 [X.]O zurückzuweisen. Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erlass der Nachzahlungszinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 bis 2006 in Höhe von 10.709 € hat und die Ablehnung des [X.] nicht ermessensfehlerhaft war. Die Erhebung der Zinsen ist nicht unbillig i.S. des § 227 [X.].

8

1. Die Finanzbehörden können nach § 227 [X.] Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

9

a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 [X.] auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen wiederum nach § 3 Abs. 4 [X.] auch Zinsen (§§ 233 bis 237 [X.]) zählen. Dem Erlass von [X.] nach § 233a [X.] steht nicht entgegen, dass § 233a [X.] im Gegensatz zu § 234 Abs. 2 [X.] für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 [X.] für Aussetzungszinsen keine ausdrückliche Ermächtigung zu [X.] enthält (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 1. Juni 2016 [X.], [X.], 1668, m.w.N.).

b) Die Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer, an die § 227 [X.] die Möglichkeit eines Erlasses knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben, wobei die Beteiligten des [X.] zu Recht nur um die erste Variante streiten. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (z.B. [X.]-Urteile vom 11. Juli 1996 V R 18/95, [X.]E 180, 524, [X.] 1997, 259; vom 26. August 2010 III R 80/07, [X.]/NV 2011, 401; vom 8. Oktober 2013 [X.], [X.]/NV 2014, 5, jeweils m.w.N.). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (z.B. [X.]surteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, [X.]/NV 2010, 606). Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können dagegen keinen Billigkeitserlass rechtfertigen ([X.]-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, [X.]/NV 2011, 865, und vom 4. Februar 2010 II R 25/08, [X.]E 228, 130, [X.] 2010, 663, jeweils m.w.N.). Die Billigkeitsprüfung darf die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes nicht unterlaufen ([X.]-Urteil in [X.]/NV 2011, 401), sich andererseits auch nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen, da dann ein auf sachliche [X.] gestützter Erlass nach § 227 [X.] niemals möglich wäre (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 180, 524, [X.] 1997, 259). Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass nach § 233a [X.] festgesetzter Zinsen ([X.]-Urteile in [X.]/NV 2014, 5; vom 3. Juli 2014 III R 53/12, [X.]E 246, 203, [X.] 2017, 3, jeweils m.w.N.).

c) Der Erlass von festgesetzten Zinsen ist eine Maßnahme der finanzbehördlichen Billigkeit im Steuerschuldverhältnis, über die in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren gesonderten Verfahren durch eigenständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Dieser Verwaltungsakt unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt wurde, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 102 [X.]O); diese beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet wurden oder Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.

2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die vom [X.] getroffene Entscheidung, die Nachzahlungszinsen nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden.

a) [X.] in § 233a [X.] bezweckt einen typisierten Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die aus dem individuell sehr unterschiedlichen Verlauf des Besteuerungsverfahrens entstehen können. Es soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. BTDrucks 11/2157, S. 194). Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzuzahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Verzinsung sollen der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Gleichzeitig soll der vorhandene Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen kann, ausgeglichen werden (Nichtannahmebeschluss des [X.] vom 3. September 2009  1 BvR 2539/07, [X.]/NV 2009, 2115, unter [X.] (2) (a)). Aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob die möglichen Zins- und [X.] tatsächlich bestanden und genutzt wurden, ist demzufolge grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BVerfG-Beschluss in [X.]/NV 2009, 2115, unter [X.] (2) (b) und [X.]; [X.]-Urteil in [X.]/NV 2014, 5, m.w.N.). Der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des [X.] ist damit grundsätzlich nicht geeignet, eine abweichende [X.] aus [X.]n zu begründen (vgl. [X.]-Beschluss vom 26. Juli 2006 VI B 134/05, [X.]/NV 2006, 2029; [X.]surteil in [X.]/NV 2010, 606, m.w.N.). Ob in einem bestimmten Einzelfall davon Ausnahmen zu machen sind, hängt von den konkreten Einzelfallumständen ab (vgl. [X.]-Beschluss vom 11. März 2014 [X.], [X.]/NV 2014, 826). Im Revisionsverfahren ist dies alles allerdings nicht mehr streitig. Der [X.] sieht daher von weiteren Ausführungen hierzu ab.

b) Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren die Frage aufwirft, ob nicht durch § 233a [X.] typisierend ein wirtschaftlicher Erfolg in Gestalt eines erzielbaren Zinsvorteils fingiert werde, den es angesichts der andauernden Niedrigzinsphase gar nicht gebe, wendet sie sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe. Derartige Einwendungen betreffen die einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der [X.] und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die [X.] und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (vgl. [X.]-Beschluss vom 19. Mai 2011 [X.]184/10, [X.]/NV 2011, 1659; [X.]sbeschluss vom 30. September 2015 I B 62/14, [X.], 369; [X.]surteil vom 28. Januar 2015 I R 70/13, [X.]E 249, 118, [X.] 2017, 101, Rz 17).

Ausweislich der Gründe des angegriffenen Urteils ist die [X.] im Streitfall in Bestandskraft erwachsen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.], dass eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden kann (z.B. [X.]-Urteile vom 11. August 1987 VII R 121/84, [X.]E 150, 502, [X.] 1988, 512; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, [X.]E 208, 398, [X.] 2005, 460; Klein/[X.], [X.], 13. Aufl., § 163 Rz 45, zu verfassungsrechtlichen Einwendungen auch Rz 35). Der Auffassung der Vorinstanz, wonach die Möglichkeit, sich im Rechtsbehelfsverfahren gegen die [X.] und die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu wenden, es nicht ausschließe, diese Einwände grundsätzlich auch im Erlassverfahren als sachliche [X.] vorzubringen, war von daher nicht zu folgen.

Dass vorliegend der Ausnahmefall einer offensichtlich und eindeutig unrichtigen Steuer- bzw. [X.] vorliegt und Rechtsbehelfe nicht oder nicht in zumutbarer Weise eingelegt werden konnten (dazu [X.]-Urteile in [X.]E 150, 502, [X.] 1988, 512, und in [X.]E 208, 398, [X.] 2005, 460), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 77/15

31.05.2017

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 22. April 2015, Az: 3 K 889/13, Urteil

§ 227 AO, § 233a AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 31.05.2017, Az. I R 77/15 (REWIS RS 2017, 10170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10170

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII R 25/17 (Bundesfinanzhof)

Erlass von Nachzahlungszinsen


X R 23/11 (Bundesfinanzhof)

Erlass von Nachzahlungszinsen


7 K 281/18 (FG München)

Verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das Finanzamt – Unterbrechung der Außenprüfung


V R 30/20 (Bundesfinanzhof)

Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen bei unzutreffender zeitlicher Zuordnung von Umsätzen


III R 52/12 (Bundesfinanzhof)

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 53/12 - Erlass von Nachzahlungszinsen nach Verrechnungspreiskorrektur)


Referenzen
Wird zitiert von

6 V 135/18

2 A 105/17

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.