Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2023, Az. AK 56/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6953

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Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Der Beschuldigte befindet sich seit dem 21. März 2023 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 13. März 2023 (2 [X.] 324/23).

2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich zwischen dem 20. Mai 2015 und Juni 2015 in [X.] ([X.]) durch vier selbständige Handlungen an der [X.]“ ([X.]) beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB), davon in jeweils einem Fall in Tateinheit mit

3

- Mord (§ 211 StGB) und einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie durch Vollstreckung einer Todesstrafe (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, 7 [X.]),

4

- Mord, versuchtem Mord (§§ 211, 22, 23 StGB), einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie einem versuchten Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.], §§ 22, 23 StGB),

5

- einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Geiselnahme (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) und mit Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB).

II.

6

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

7

1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

8

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

9

aa) Die [X.]“ ([X.]) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des [X.] Präsidenten [X.] und die schiitisch dominierte Regierung im [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der [X.], die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „[X.] im [X.] und in Großsyrien“ ([X.]IG) in „[X.]“ ([X.]) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte ab 2010 [X.] inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des [X.] ihn zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seit dem Tod [X.] im Oktober 2019 benannte die Organisation mehrere Nachfolger.

Dem Anführer des [X.] unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „[X.]“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehörten außerdem beratende „[X.]“. Veröffentlichungen wurden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der [X.] besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „[X.] - [X.] - [X.]“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer waren dem „[X.]“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die [X.] teilte von ihr besetzte Gebiete in [X.] ein und richtete einen [X.] ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] und [X.] Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des [X.] in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in [X.], etwa in [X.], [X.] und [X.], die Verantwortung.

[X.] gelang es dem [X.], große Teile der Staatsterritorien von [X.] und dem [X.] zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete [X.] und des [X.]. Ab dem [X.] geriet die [X.] militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nord[X.] Hochburg in [X.] verdrängt. Im März 2019 galt der [X.] - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ost[X.] [X.] - sowohl im [X.] als auch in [X.] als militärisch besiegt, ohne dass aber die [X.] als solche zerschlagen wäre.

bb) Der Beschuldigte ist in [X.] geboren und aufgewachsen. Er lebte bereits mehrere Jahrzehnte in der für ein großes Phosphatbergwerk bekannten [X.] [X.], als diese im Zuge des [X.] Bürgerkriegs am 20. Mai 2015 vom [X.] eingenommen wurde. Noch am selben Tag schloss er sich der [X.] an und gliederte sich im [X.] in ihre Strukturen ein. Er bewegte sich von nun an gemeinsam mit anderen [X.]-Angehörigen in der [X.], darunter zwei gesondert Verfolgten. Dabei befolgte der Beschuldigte die Kleidungsvorschriften der Organisation, trug offen eine Waffe und trat den [X.]bewohnern gegenüber im Namen des [X.] auf. Unter anderem beteiligte er sich an - nicht näher konkretisierten - Plünderungen, Diebstählen und Verhaftungen von Zivilisten, wobei er den zumeist ausländischen [X.]-Kämpfern als ortskundiger Informant diente und ihnen gegenüber verschiedene seiner Mitbürger eines vermeintlichen Fehlverhaltens bezichtigte (Fall 1).

Ende Mai 2015 stürmte der bewaffnete Beschuldigte gemeinsam mit weiteren [X.]-Angehörigen das [X.]. Wie der Beschuldigte wusste, gehörte jener einem Bataillon der regierenden [X.] von Machthaber Baschar al-[X.] an. Zusammen mit den anderen bedrohte der Beschuldigte die Familie des flüchtigen Mannes und bemächtigte sich dessen beider Söhne. Dem älteren [X.] schlug er den Kolben seines Gewehrs ins Gesicht und sperrte ihn in ein Fahrzeug ein. Den jüngeren ließ er frei, damit er dem Vater ausrichtet, dass sein älterer Bruder vom [X.] getötet werde, sollte er, der Vater, sich nicht stellen. Eineinhalb Stunden später ergab sich der Vater daraufhin den [X.]-Kämpfern. Bis dahin hielt der Beschuldigte den älteren [X.], der Todesangst erlitt, in dem Auto gefangen (Fall 2).

Anfang Juni 2015 forderten [X.]-Angehörige die männlichen Einwohner der [X.] dazu auf, sich auf einem zentral gelegenen Platz zu versammeln. Dort wollte die [X.] zwei Soldaten der [X.] ([X.]) öffentlich hinrichten, um die Zivilbevölkerung zu verängstigen und Macht zu demonstrieren. Der Beschuldigte, der diese Motivation teilte, verbrachte die beiden Opfer mit seinem Fahrzeug zu dem Platz. Beim Aussteigen rief er aus: „Hier sind die Verbrecher!“ Sodann beteiligte er sich daran, die Männer zum Ort der Hinrichtung zu zerren, wo sie niederknien mussten. Die zivilen „Zuschauer“ stellten sich auf Geheiß des bewaffneten Beschuldigten kreisförmig auf. Einzelne Anwesende dirigierte er auf bestimmte Plätze. Sich selbst positionierte er in unmittelbarer Nähe zur [X.], bewachte das Geschehen und sorgte so für einen reibungslosen Ablauf. Nachdem den beiden [X.]-Soldaten erfolglos der Übertritt zum [X.] angeboten und ein „Todesurteil“ verlesen worden war, schoss ihnen ein [X.]-Kämpfer jeweils mit einer Pistole in den Kopf. [X.] verstarb sofort, der andere lebte zunächst noch. In dieser Situation hinderte der Beschuldigte den Schützen an einer erneuten Schussabgabe mit der Begründung, man solle das Opfer nicht erlösen, sondern leiden lassen. Das zweite Tatopfer wurde 15 Minuten später mit einem weiteren Schuss getötet (Fall 3).

Einige Tage darauf wollten [X.]-Angehörige abermals zwei [X.]-Soldaten auf demselben Platz hinrichten. Der Beschuldigte fuhr die Opfer erneut mit einem Pick-up dorthin. An der [X.] angekommen, tötete ein [X.]-Mitglied [X.] durch einen Kopfschuss. Der Beschuldigte nahm dies zum Anlass, [X.] Gesang anzustimmen. Als [X.] lautstark um sein Leben flehte, beschlossen der Beschuldigte und seine Gruppe, ihn nicht unmittelbar an Ort und Stelle zu töten. Stattdessen banden sie ihn an einem Seil am Pick-up fest und schleiften ihn fahrend mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h und mehr durch die Straßen. Der Beschuldigte saß währenddessen im Fahrzeug und rief „[X.]u [X.]“. Das Schicksal des zweiten Opfers ist unbekannt (Fall 4).

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen [X.] [X.] beruht unter anderem auf islamwissenschaftlichen Gutachten, verschiedenen Behördenerklärungen von Nachrichtendiensten und polizeilichen Auswerteberichten.

Die beschriebenen Handlungen des Beschuldigten folgen aus mehreren Zeugenaussagen. Insbesondere der Verantwortliche der Phosphatmine und dessen älterer [X.], der Entführte, haben umfangreich im Sinne des geschilderten Geschehens bekundet, außerdem zwei aus Sicherheitsgründen anonymisierte Zeugen. Soweit der Beschuldigte die Tatvorwürfe bestritten und sich über seinen Verteidiger dahin eingelassen hat, er sei im Tatzeitraum nicht in [X.] gewesen, sondern auf der Flucht, stehen diese Angaben im Widerspruch zu den Aussagen der genannten und vieler weiterer Zeugen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Darlegungen im Haftbefehl sowie in der Zuschrift des [X.] vom 14. September 2023 verwiesen.

Zwar hat ein Zeuge bekundet, der Beschuldigte habe mit den Tatvorwürfen nichts zu tun. Auf [X.], die der Verteidiger zur Akte gereicht hat, sind ebenfalls fünf sich im Ausland aufhaltende Personen zu sehen, die sich jeweils kurz im Sinne des Beschuldigten zum Sachverhalt äußern. Dadurch wird der durch die übrigen Beweismittel begründete dringende Verdacht indes nicht erschüttert. Eine ins Einzelne gehende Glaubhaftigkeitsanalyse der unterschiedlichen Zeugenaussagen ist in diesem Stadium des Verfahrens weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich und bleibt einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten (vgl. [X.], Beschluss vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 17 mwN).

c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich danach Folgendes:

aa) Der Beschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst in allen vier Fällen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Eine Verfolgungsermächtigung des [X.] im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 StGB liegt vor.

bb) Der als Fall 2 geschilderte Sachverhalt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kriegsverbrechen gegen Personen durch Geiselnahme zu werten (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). In [X.] bestand im Tatzeitraum ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt (s. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 24; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 11 mwN). Den Begriff der Geiselnahme, der im Völkerstrafgesetzbuch und in Art. 8 Abs. 2 Buchstabe a Nr. viii und Abs. 2 Buchstabe c Nr. iii [X.]tGH-Statut nicht näher definiert ist, hat der Gesetzgeber dahin verstanden, dass der Täter eine zu schützende Person im Sinne des § 239b StGB entführt oder sich ihrer in anderer Weise bemächtigt, um die gegnerische Partei im bewaffneten Konflikt zu einer bestimmten Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen (BT-Drucks. 14/8524, S. 26; vgl. auch MüKoStGB/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 8 [X.] Rn. 132). Jedenfalls ein solches Verhalten unterfällt mithin dem Tatbestand.

Diese Voraussetzungen sind nach dem gegenwärtig anzunehmenden Sachverhalt erfüllt. Der Beschuldigte bemächtigte sich einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, nämlich des [X.]es des flüchtigen Minenmitarbeiters. [X.] war im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 [X.] kein Teilnehmer der Feindseligkeiten; er war ein Zivilist, der sich in der Gewalt des [X.] und damit der ihm gegnerischen Partei befand (vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231). Die Gefangennahme hatte den Zweck, den Vater dahin zu bewegen, sich dem [X.] zu stellen. Der derart [X.] war als Leiter der Sicherheitsabteilung der bis dahin staatlich betriebenen Phosphatmine und Mitglied eines Baath-Bataillons ein Angehöriger der Streitkräfte der [X.]-Regierung und damit Teil einer dem [X.] gegnerischen Partei im bewaffneten Konflikt. Schließlich beging der Beschuldigte die Tat im Zusammenhang mit diesem (vgl. etwa [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, [X.]St 62, 272 Rn. 55 f. mwN; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 29).

Für die Frage der [X.] bedarf gegenwärtig keiner Entscheidung, ob entsprechend der rechtlichen Würdigung im Haftbefehl zugleich der dringende Tatverdacht einer tateinheitlichen Geiselnahme im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB besteht oder dieser Tatbestand im Wege der Gesetzeseinheit zurücktritt (vgl. allgemein zu den [X.] BT-Drucks. 14/8524, [X.]; [X.], Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, [X.]St 65, 286 Rn. 82 mwN; Beschluss vom 30. November 2022 - 3 [X.], NJW 2023, 1138 Rn. 56 f.).

Das [X.] der [X.]smitgliedschaft wird von dem Kriegsverbrechen zumindest nicht erfasst (s. [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, [X.]St 64, 1 Rn. 18 mwN; vom 10. August 2022 - 3 StR 187/22, NStZ-RR 2022, 319, 320). Die danach jedenfalls zwei hochwahrscheinlich verwirklichten Delikte nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 [X.] und § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB stehen untereinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).

cc) Im oben als Fall 3 geschilderten Sachverhalt hat der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatbestand eines [X.] gegen Personen durch Tötung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) erfüllt. Außerdem sind angesichts der Motivlage die Voraussetzungen eines Mordes nach § 211 StGB jedenfalls in der Variante der niedrigen Beweggründe gegeben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 37 mwN; vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., [X.], 118). Das spezifische Tatunrecht von Mord wird durch das Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung nicht abgedeckt (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschluss vom 10. August 2022 - 3 StR 187/22, NStZ-RR 2022, 319).

Die Tötungen sind dem Beschuldigten aufgrund des bislang anzunehmenden Sachverhalts als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB, § 2 [X.] zuzurechnen. Das Verbringen der Soldaten zur Hinrichtungsstätte und die Bewachung des Geschehens in unmittelbarer Nähe stellten wesentliche Tatbeiträge dar (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - AK 4/18 u.a., juris Rn. 33; vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, juris Rn. 22 ff.; vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., [X.], 118 mwN).

Keiner Vertiefung bedarf, ob entsprechend der rechtlichen Würdigung im Haftbefehl der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 7 [X.] Anwendung findet und die Norm Konstellationen erfasst, in denen sich eine nichtstaatliche Terrororganisation eine wie auch immer geartete Rechtsprechungsgewalt anmaßt. Sofern der Tatbestand gegeben ist, stellt er in solchen Fällen zumindest keine lex specialis gegenüber § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.] dar. Zum einen könnte ansonsten die im Vergleich zu § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.] geringere Strafandrohung des § 8 Abs. 1 Nr. 7 [X.] denjenigen Täter privilegieren, dessen Opfer zuvor ein vermeintliches (Schein-)„Gerichtsverfahren“ durchlaufen hat; zum anderen dienen die Tatbestände unterschiedlichen Schutzzwecken (vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 13. September 2017 - AK 38/17 u.a., juris Rn. 28; noch offenlassend [X.], Beschluss vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 22).

Schließlich kann offen bleiben, wie sich die insgesamt drei Schüsse konkurrenzrechtlich zueinander verhalten (vgl. insoweit [X.], Beschlüsse vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, [X.]R [X.] § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 25; vom 10. August 2021 - 3 StR 394/20, juris Rn. 4 ff.).

dd) Das im Haftbefehl als Fall 4 dargestellte [X.] erfüllt danach gleichfalls tateinheitlich zumindest die Tatbestände des [X.] gegen Personen durch Tötung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.], des Mordes, des versuchten [X.] gegen Personen durch Tötung, des versuchten Mordes sowie der Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen [X.] im Ausland.

ee) Es bleibt - unbeschadet der vorangegangenen Ausführungen - mithin bei einer hochwahrscheinlichen Strafbarkeit in wenigstens den im Haftbefehl genannten vier Fällen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.], §§ 211, 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB (zum Konkurrenzverhältnis im Hinblick auf das [X.]sdelikt vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, [X.]St 60, 308 Rn. 23 ff.; vom 20. April 2021 - AK 30/21, [X.], 575 Rn. 50 ff.).

ff) [X.] Strafrecht ist anwendbar. Für die Kriegsverbrechen gilt das infolge des in § 1 Satz 1 [X.] normierten Weltrechtsprinzips, für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen [X.] aufgrund von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, für den Tatbestand des Mordes infolge beider Vorschriften (s. [X.], Beschlüsse vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., [X.], 118; vom 3. Februar 2021 - AK 20/20, [X.], 596 Rn. 51; vom 22. Februar 2022 - AK 3/22, juris Rn. 20).

2. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des [X.] für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 und 8, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

3. Es bestehen weiterhin aus den im Haftbefehl dargelegten Erwägungen die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. [X.], Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f.) - der [X.]. Dem Beschuldigten droht im Fall seiner Verurteilung eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe. Dem sich daraus ergebenden erheblichen Fluchtanreiz stehen keine wesentlichen fluchthindernden Gesichtspunkte entgegen.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.

4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die [X.]. Seit der Verhaftung sind 30 Zeugen vernommen und sonstige gebotene Ermittlungen, unter anderem etwa Rechtshilfeersuchen, durchgeführt worden. Insgesamt ist das Verfahren dadurch geprägt, dass sich der mutmaßliche Tatort in einem ausländischen Staat befindet, mit dem kein Rechtshilfeverkehr besteht, dass der Tatzeitraum inzwischen länger zurückliegt und es sich um ein komplexes Geschehen handelt. Die gesondert verfolgten hochwahrscheinlichen Mittäter des Beschuldigten halten sich ebenso im Ausland auf wie eine Vielzahl der Zeugen. Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Zuschrift des [X.] verwiesen. Er hat angekündigt, binnen der kommenden drei Monate Anklage zu erheben.

5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Berg                    Hohoff                    Anstötz

Meta

AK 56/23

05.10.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2023, Az. AK 56/23 (REWIS RS 2023, 6953)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6953

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3 StR 564/19

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