Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2017, Az. 2 StR 174/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9638

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:130617B2STR174.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 174/17
vom
13. Juni
2017
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

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2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts
und nach Anhörung der Angeklagten am 13.
Juni 2017 gemäß
§
349 Abs.
2 und 4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24.
Januar 2017 mit den [X.] aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist;
jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten der Angeklagten und zur Schuldunfähigkeit aufrecht erhalten.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückver-wiesen.
3.
Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

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3
-
Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbe-gründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s leidet die Angeklagte unter einer organisch bedingten schizophrenieformen Psychose. In der [X.] von [X.] bis Mai 2015 wurde sie
dadurch auffällig, dass sie Bettler [X.] und körperlich angriff. Dabei war sie nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen.
Am 9.
Mai 2013 beschimpfte die Angeklagte den aus [X.] stam-menden Zeugen

A.

, dessen rechtes Bein amputiert ist und der
auf der Straße saß und bettelte. Sie forderte ihn auf wegzugehen und erklärte, er habe als Ausländer hier nichts zu suchen. Sie warf das Körbchen des [X.] mit dem erbettelten Geld um und zog an seiner Jacke. Schließlich trat sie ihn mindestens zweimal gegen den nackten [X.] des amputierten Beines (Fall II.
1. der Urteilsgründe).
Am 14.
Mai 2013 griff sie den Zeugen A.

erneut in gleicher Weise
an (Fall II.
2. der Urteilsgründe).

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Am 3.
Juni 2013 beschimpfte sie
den Zeugen

M.

, der eben-
falls als Bettler auf der Straße saß. Sie erklärte, dass er hier weg müsse. Dann schubste sie den Geschädigten und trat gegen die vor ihm stehende Spenden-dose. Schließlich trat sie auch gegen seinen verkrüppelten Fuß (Fall II.
3. der Urteilsgründe).
Am 13.
Juni 2013 trat die Angeklagte den Zeugen

G.

gegen die Beine und nahm das von ihm erbettelte Geld weg. Dann betrat sie laut schreiend die Verkaufsräume des Teeladens der Firma E.

, wo sie Ge
bäck aus den Regalen auf den Fußboden warf. Die Angestellte Z.

beglei-
tete sie vor das Ladenlokal. Davor trat die Angeklagte gegen einen Warenträger und würgte die Zeugin Z.

am Hals (Fall II.
4. der Urteilsgründe).
Am 26.
Oktober 2013 traf die Angeklagte wieder auf den Zeugen

A.

. Sie beschimpfte ihn und trat ihn gegen die rechte Hand. Danach lag
der Geschädigte auf dem Rücken, das erbettelte Geld lag um ihn herum [X.]. Die Angeklagte beschimpfte den Geschädigten als klärte,

5. der Urteilsgründe).
2. Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, die An-geklagte sei zur Tatzeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung nicht in der Lage gewesen, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Sie habe geglaubt, u-sorgen, dass sie ihrer Bettelei nicht länger nachgingen und [X.] verlie-ßen. Sie sei von Dezember 2012 bis Mai 2015 auffällig geworden, indem sie Bettler beschimpft oder körperlich attackiert habe. Nach dem 12.
Mai 2015 sei-

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Das [X.] hat die Angeklagte deshalb wegen Schuldunfähigkeit gemäß §
20 StGB freigesprochen und gemäß §
63 Satz
1 StGB ihre Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, aber die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Dazu hat es
ausgeführt, die [X.] Taten seien der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Sie beruhten auf der psychischen Erkrankung der Angeklagten. Es sei mit sehr hoher Wahrschein-lichkeit davon auszugehen, dass von der Angeklagten infolge ihrer Erkrankung [X.] sie nach Mai 2015 bis heute keine weiteren Körperverletzungen begangen hat, beseitige diese Einschätzung nicht. Die Angeklagte habe dazu angegeben, wegen nicht nachgehe, da der [X.] am Amtsgericht ihr gesagt habe,
dass sie das nicht dürfe und,
wenn sie einen Bett-ler sehe, diesem aus dem Weg gehen solle. Da man sich an das Gesetz halten eichwohl keinen Abstand von ihren falschen Vorstellungen genommen habe, bestehe die Gefahr erneuter Straftaten fort. Die Äußerung, dass sie wegen der richterlichen Ermah-nung Bettlern aus dem Weg gehe, rechtfertige jedoch die Aussetzung der Voll-ziehung der Maßregel zur Bewährung.

II.
1. Der [X.] gemäß §
63 Satz
1 StGB ist rechtlich zu [X.]. Das [X.] ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Angeklagte bei der Begehung der rechtswidrigen Taten unfähig war, das Un-recht ihrer Handlungen einzusehen. Jedoch hat es die für eine Unterbringungs-anordnung vorausgesetzte Prognose nicht ausreichend begründet.

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a) Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB ist eine außerordentlich belastende
Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln (vgl. [X.], Beschluss vom 7.
Juni 2016 -
4 StR 79/16, [X.], 306 mwN). Einzustellen sind die konkrete Krankheits-
und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren (vgl. [X.], Beschluss vom 21.
Dezember 2016 -
1 [X.], [X.], 76, 77). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisi-onsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 10.
November 2015 -
1 [X.], [X.], 76 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die Prognose des [X.]s nicht ge-recht.
Die [X.] wurden im Mai, Juni und Oktober 2013 von der Ange-klagten begangen. Dass danach noch bis Mai 2015 vergleichbare Körperverlet-zungen begangen wurden, ist nicht festgestellt. Der durch eine Polizeibeamtin als Zeuge mitgeteilte Umstand, dass die Angeklagte bis Mai 2015 i-e-stehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger sol-11
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cher Taten (vgl. Senat, Urteil vom 10.
Dezember 2014 -
2 StR 170/14, [X.], 72, 73; Beschluss vom 23.
November 2016 -
2 StR 108/16).
Es erscheint zudem widersprüchlich, wenn das [X.] die bisherige Beachtung der richterlichen Ermahnung durch die Angeklagte nicht als ausrei-chenden Grund gegen eine Maßregelanordnung gewertet hat, während es die
Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung auf die Erwartung gestützt hat, die Angeklagte werde sich weiter an die richter-liche Aufforderung halten, Bettlern aus dem Weg zu gehen.
2. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten und zu der zur Tatzeit sicher vorliegenden Schuldunfähigkeit der Angeklagten sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision unbegründet.
3. Eine Aufhebung des Freispruchs mit Blick auf §
358
Abs.
2 Satz
2 StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 29.
März 2017 -
4 StR 619/16 mwN) ist hier nicht angezeigt, weil auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter zu einem Schuld-
und Strafausspruch gelangen kann.
Krehl

Eschelbach

Zeng

Bartel

Grube

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Meta

2 StR 174/17

13.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2017, Az. 2 StR 174/17 (REWIS RS 2017, 9638)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9638

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 174/17

4 StR 79/16

1 StR 594/16

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