Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2000, Az. 1 StR 652/99

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 3543

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[X.]/99vom12. Januar 2000in der [X.] des [X.] hat am 12. Januar 2000 beschlos-sen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. August 1999 mit den Feststellungenaufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu [X.] verurteilt und die Tatwaffe eingezogen. Seine Revision hat mit einer Auf-klärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) Erfolg.1. Folgendes ist festgestellt:Der Angeklagte und sein Freund [X.]waren nach einertätlichen Auseinandersetzung gewaltsam aus einer Diskothek entfernt worden.Unmittelbar danach fuhren sie mit ihrem in einer anderen Straße abgestelltenPkw zu einer Bushaltebucht in der Nähe der Diskothek, um die noch in der [X.] verbliebene Jacke von [X.] herauszuverlangen. [X.] vor der Diskothek mehrere Personen aufhielten, fürchtete der [X.] erneute tätliche Auseinandersetzung. Obwohl er den Pkw bereits verlas-sen hatte, lief er zum Pkw zurück und holte ein dort verwahrtes Springmesser.- 3 -Damit begab er sich in den Bereich des Eingangs der Diskothek, wo sich, ne-ben einer Reihe weiterer Personen, auch der stark angetrunkene [X.]aufhielt. Obwohl sich der Angeklagte bewußt war, daß [X.]an der Auseinandersetzung in der Diskothek nicht beteiligt war, stach eraus Ärger über das Geschehen in der Diskothek dreimal auf [X.]ein,obwohl ihm dieser auch jetzt "nicht den geringsten Anlaß" hierfür geboten [X.], wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Er traf ihn an der [X.], in [X.] und am [X.]. Anschließend bedrohte er weitere Personen, um sie amEingreifen zu hindern. Die Zeugen [X.]und [X.]wurden letztlich jeweilsam Arm verletzt (insoweit hat die [X.] mit Zustimmung der Staatsan-waltschaft - in den Urteilsgründen - die Strafverfolgung gemäߧ 154a Abs. 3 StPO beschränkt).Auf Aufforderung von M. stürmten dann etwa 10 bis 15 Personen ausder Diskothek und drangen auf den Angeklagten und [X.](der [X.] inzwischen wieder hatte) ein. Während der Angeklagte in den Pkwflüchtete und sich dort in Sicherheit bringen konnte, wurde [X.] zu Boden gerissen und durch Tritte und Schläge erheblich verletzt.Es gelang diesem aber dann doch, den Pkw zu erreichen.Währenddessen war der stark blutende [X.]zu dem gerade los-fahrenden Pkw der Zeugin [X.], die sich durch sein Winken nicht zum Anhal-ten bewegen ließ, und dann auf die gegenüberliegende Straßenseite "getor-kelt", wo er zusammenbrach. Er verstarb nach kurzer Zeit noch auf der [X.] den Folgen des Stiches in den [X.].2. Der Angeklagte hat sich demgegenüber wie folgt [X.] unmittelbar, nachdem er und [X.] aus der [X.] gedrängt worden seien, hätten sie an der Tür die Jacke zurückverlangt.Zehn bis zwölf Personen seien aus der Diskothek gekommen und hätten sieangegriffen. Ihm sei es letztlich gelungen, in den Pkw zu flüchten. Da er abernicht ohne seinen Freund habe wegfahren wollen, sei er in die [X.] der Diskothek gefahren. Dort habe er gesehen, daß [X.] auf der Straße gelegen und mißhandelt worden sei. Er sei ausgestiegen, [X.] zu helfen. Schon unmittelbar beim Aussteigen hätten zahlreiche [X.] ihn eingeschlagen. Daraufhin habe er in Panik nach seinem Messer [X.] und "wild herumgefuchtelt"; ob er jemanden getroffen habe, wisse ernicht, gewollt habe er dies nicht. Er habe das Messer in unmittelbarer Nähedes Fahrzeugs verloren. Er habe sich aber zu [X.] heran-kämpfen und diesen unter heftigen Schlägen der Angreifer zum Auto schlep-pen können; dann sei er davon gefahren.3. Die [X.] stützt ihre Feststellungen auf die Aussage [X.] von Zeugen, die sie eingehend wiedergibt und überwiegend in rechtlichnicht zu beanstandender Weise wertet.Bedenken erweckt jedoch die Würdigung der Aussagen der Zeugin [X.]:a) Diese ist [X.] in der Diskothek. Sie hat angegeben, siehabe aus dem Fenster beobachtet, wie [X.]zu dem Pkw gelaufen sei [X.] habe, mit einem Kinderwagengestell auf den Pkw einzuschlagen. [X.] Aussage hält die [X.] nicht nur deshalb für nicht glaubhaft, weil [X.] Widerspruch zu den polizeilichen Angaben der Zeugin steht, sondern "ins-besondere" deshalb, weil der medizinische Sachverständige bekundet hat, daß- 5 -[X.]infolge seiner Verletzungen zu einem solchen Verhalten nicht mehrin der Lage gewesen sei.b) Wie die Ausführungen der [X.] zu den Verletzungen bele-gen, hat die [X.] die Aussage der Zeugin dahin verstanden, daß [X.] auf die letzte Phase des Geschehens bezieht. Sie steht also im [X.] mit der Frage, ob [X.] - so im Ergebnis der Angeklagte - ihnim Bereich des Pkw angegriffen habe, worauf er - der Angeklagte - dann mitdem Messer "gefuchtelt" habe, oder ob der Angeklagte - so die Feststel-lungen - [X.] im Bereich des Eingangs unvermutet angegriffen [X.] letztlich geflüchtet und von anderen verfolgt worden sei.In diesem Zusammenhang sind die Bekundungen des Sachverständigenzur Beweiswürdigung ungeeignet. Der Sachverständige kann nur sagen, ob[X.]zu dem von der Zeugin [X.]bekundeten Verhalten noch in derLage war, wenn er schon verletzt war. Er kann aber keine Angaben dazu ma-chen, ob [X.]im Eingangsbereich der Diskothek oder erst unmittelbarin der Nähe des [X.] verletzt wurde.4. Der Senat braucht aber nicht zu entscheiden, ob allein die Würdigungder Aussage der Zeugin [X.] zwingend zur Aufhebung des Urteils führenmüßte.Zutreffend rügt die Revision nämlich, daß die [X.] die sich auf-drängende Vernehmung des Polizeibeamten U. unterlassen habe.a) Folgendes liegt zugrunde:Der am Arm verletzte Zeuge [X.] (vgl. oben 1), nach eigenem Be-kunden ein enger Freund [X.], hat sich trotz [X.] seiner polizeilichen- 6 -Angaben in der Hauptverhandlung an kaum noch etwas erinnern können undsich zur Erklärung auf seine zur Tatzeit hohe Alkoholisierung sowie auf einendurch das ganze Geschehen verursachten Schock berufen. Die [X.]erwägt in diesem Zusammenhang, daß die Zeugen [X.]und [X.], [X.], bekundet haben, sie hätten [X.]noch am Morgen nach der Tat [X.] aufgesucht, wohin [X.] wegen seiner Armverletzung gebrachtworden sei. Er habe deutlich unter Alkohol und Schock gestanden und auf ihredrängenden Fragen nur pauschal erklärt, einer der [X.] habe ein Messergezogen.Unter diesen Umständen sah sich die [X.] außerstande, dieAussage [X.]s zu ihrer Überzeugungsbildung heranzuziehen.b) Offenbar hat der Zeuge [X.] trotz [X.] nicht einmal bestätigenkönnen, daß er seine polizeilichen Aussagen so, wie festgehalten, gemachthat. Die [X.] hat daher zutreffend davon abgesehen, deren Inhalt zuberücksichtigen.c) Wie die Revision zutreffend vorträgt, wurde [X.] am Tag nach [X.] - ersichtlich, alsbald nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte [X.] vernommen. Die Vernehmung dauerte von 12.45 Uhr bis 18.15 Uhr,deren Niederschrift erstreckt sich über mehr als 17 eng beschriebene Seiten;daß sich M. hierbei auf [X.] berufen hätte, ist nicht ersicht-lich. Vielmehr hat er, nachdem er zunächst andere Angaben gemacht, [X.] als Beschuldigter wegen Verdachts der Beteiligung an einer Schlägerei(§ 231 StGB) belehrt worden war, eingeräumt, daß etwa fünf bis sechs Perso-nen, darunter er und [X.], in letztlich aggressiver Absicht auf den [X.] seien. Er habe zwar niemanden aussteigen sehen, weil ihm vor ihmstehende Personen, darunter [X.], den Blick verstellt hätten. [X.] 7 -sei aber alsbald Blut seinen Arm heruntergelaufen. Kurz darauf habe er[X.]zusammenbrechen sehen. Auf den Vorhalt, warum er zu [X.] Vernehmung noch andere Angaben gemacht habe, erklärte er, er habe "einsehr schlechtes Gewissen, weil mein Freund bei dieser Schlägerei ums [X.] nächsten Tag wurde er, wieder von [X.], ergänzend vernommen.Auf die Frage, ob es auch möglich sei, daß die Messerstecherei nicht am Auto,sondern beim Eingang der Diskothek stattgefunden habe, erklärte er, er seisich "100 Prozent sicher, daß die Messerstecherei in der Nähe des Fahrzeugs... stattgefunden hat".d) Ob die vom Gericht herangezogenen Beweismittel ausreichen, [X.] zur Überprüfung und Absicherung ihres [X.] weitere [X.] sind, ist anhand der Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen.Je weniger gesichert das Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsi-cherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zutagegetreten sind, desto größer ist der Anlaß für das Gericht, trotz der erlangtenÜberzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen ([X.],[X.]. vom 10. Juni 1999 - 1 [X.]; [X.], 249, 250 m.w.[X.]) Hier ging es um die Beurteilung eines unter tumultartigen [X.] Geschehens. Die Aussage der Zeugin [X.] spricht [X.] eher für die Richtigkeit der Schilderung des Angeklagten; ein [X.] sie, dem Angeklagten (durch eine falsche Aussage) helfen zu wollen, istweder ausdrücklich festgestellt noch sonst ersichtlich. Wenn darüber hinausder vom Angeklagten sogar verletzte Zeuge [X.] als Freund des [X.] nach der Tat bei der Polizei Angaben macht, die sich ebenfalls weit [X.] den Angaben des Angeklagten als mit den Urteilsfeststellungen decken,- 8 -dabei eine jedenfalls nachvollziehbare Begründung für eine ursprünglich [X.] Aussage gibt und sich letztlich durch diese Aussage auch noch selbst [X.] der Beteiligung an einer Schlägerei aussetzt, so besteht Anlaß fürdas Gericht, den Inhalt dieser Aussage in das Verfahren einzuführen.f) Der Senat, der die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht durch eineeigene ersetzen kann, kann nicht ausschließen, daß die [X.] nacheiner Vernehmung des Zeugen [X.] zu einem anderen Ergebnis gekommenwäre. Es liegt auf der Hand, daß das Geschehen in einem für den Angeklagtengünstigeren Licht erschiene, wenn mehr als bisher für die Richtigkeit der vonihm gegebenen Version spräche.5. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung; dieauf die unterbliebene Vernehmung des Polizeibeamten [X.]. (dieser [X.] gemacht, daß [X.]ein wiederholt durch Gewalttätigkeiten- 9 -polizeilich in Erscheinung getretener "Hooligan" war) bezogene weitere Aufklä-rungsrüge und das übrige [X.] können unter diesen Umstän-den auf sich beruhen.[X.] Wahl Boetticher Schluckebier

Meta

1 StR 652/99

12.01.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2000, Az. 1 StR 652/99 (REWIS RS 2000, 3543)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 3543

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