Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2005, Az. IV ZR 96/04

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 276

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 96/04 Verkündet am:

14. Dezember 2005

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit - 2 -

[X.] hat durch den [X.], die [X.] [X.], [X.], die [X.]in Dr. [X.] und den [X.] Dr. [X.] auf die mündliche Verhand-lung vom 14. Dezember 2005 für Recht erkannt: Auf die Revision des Beklagten zu 2) wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 25. Februar 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hatte einen rechtskräftig gewordenen Titel gegen die Ehefrau des früheren Beklagten zu 1) und Mutter des Beklagten zu 2) wegen einer Forderung auf Darlehensrückzahlung in Höhe von 82.500 DM erwirkt. Nach Ansicht der Klägerin steht der [X.] ein fälliger Anspruch gegen die Beklagten zu, weil die Schuldnerin den Betrag ihrerseits als Darlehen an diese weitergegeben habe. Diesen Anspruch, den sie aufgrund des Titels gepfändet und sich 1 - 3 -

zur Einziehung hat überweisen lassen, macht sie im vorliegenden Ver-fahren geltend.
In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 19. November 2002, die in Anwesenheit der Klägerin und beider Beklag-ter stattfand, stellte der gemeinsame Prozessbevollmächtigte der [X.] zu der (zum Teil von der Klägerin zurückgenommenen) Klage keinen Antrag. Das [X.] erließ auf Antrag der Klägerin ein Teilversäum-nis- und Kostenschlussurteil, in dem beide Beklagte als Gesamtschuld-ner in Höhe von 42.181,58 • nebst Zinsen verurteilt wurden. 2 Gegen dieses Urteil ging rechtzeitig ein Einspruch ein, dessen [X.] Satz wie folgt formuliert war: 3 In dem Rechtsstreit [Name des Beklagten zu 1)] ./. [Na-me der Klägerin] lege ich namens und in Vollmacht des Beklagten Einspruch gegen das Versäumnisurteil – vom 19. November 2002 – ein. –
Nach Verhandlung über den Einspruch und zur Hauptsache sowie nach Beweisaufnahme hob das [X.] das Versäumnisurteil vom 19. November 2002 auf und wies die Klage bezüglich beider Beklagter ab. 4 Die Klägerin legte Berufung ein, die sie nach einem Hinweis des [X.] aber bezüglich des Beklagten zu 1) zurücknahm. Bezüglich des Beklagten zu 2) verwarf das [X.] dessen Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 19. November 2002 als un-5 - 4 -

zulässig. Gegen dieses Berufungsurteil [X.]det sich der Beklagte zu 2) mit der Revision. Entscheidungsgründe: Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. 6 [X.] Das Berufungsgericht hat von Amts wegen geprüft, ob der [X.] zu 2) rechtzeitig Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 19. November 2002 eingelegt hat. Dabei ist es zutreffend davon [X.], dass den Anforderungen an eine Einspruchsschrift gemäß § 340 ZPO ebenso wie an eine Berufungsschrift (§ 519 Abs. 2 ZPO) nur genügt ist, [X.]n innerhalb der Einspruchsfrist angegeben wird, für [X.] und ge-gen [X.] der Einspruch eingelegt werden soll, dass durch ein solches Er-fordernis aber der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerich-teten Instanzen unter Beachtung der Verfahrensgarantien des [X.] nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtferti-gender Weise erschwert werden darf (st. Rspr., vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. November 1995 - [X.] - NJW 1996, 320 unter [X.] und 2; vom 11. Februar 1999 - [X.] - NJW-RR 1999, 938 unter [X.] a und b). 7 8 Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist im Streitfall allein der [X.] zu 1) als Einspruchsführer anzusehen, weil nach dem Wortlaut der Einspruchsschrift Einspruch nur in Vollmacht "des Beklagten" (nicht etwa - 5 -

"der Beklagten") eingelegt und einleitend bei der Bezeichnung des Rechtsstreits nur der Name des Beklagten zu 1) (neben dem der Kläge-rin) angegeben worden sei. Auf mündliche Erklärungen des [X.] der Beklagten im Termin vom 19. November 2002, etwa dergestalt, das zu erwartende Versäumnisurteil für beide Beklagten [X.] zu wollen, komme es nicht an; der Einspruch müsse auch für später mit der Sache befasste [X.] verständlich sein, die an der dem Versäumnisurteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht teilgenommen hätten. Weder aus dem weiteren Inhalt der Einspruchsschrift noch aus anderen, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist zu den Akten gelangten [X.] sei zu entnehmen, dass auch der Beklagte zu 2) Einspruchsfüh-rer habe sein sollen. Zwar gehe aus der späteren Einspruchsbegründung hervor, dass sich beide Beklagten gegen das Versäumnisurteil [X.]den; der Einspruch sei aber nicht mehr innerhalb der Einspruchsfrist (§ 339 Abs. 1 ZPO) begründet worden. Auch eine Wiedereinsetzung in die vom Beklagten zu 2) versäumte Einspruchsfrist komme u.a. im Hinblick auf das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bei der Abfassung des Einspruchs nicht in Betracht. I[X.] Dem folgt der Senat nicht. 9 1. Die Auslegung von Prozesshandlungen wie des hier zu beurtei-lenden Einspruchs unterliegt freier revisionsrechtlicher Nachprüfung; sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht. Deshalb ist nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn der Wortwahl einer Partei festzuhal-10 - 6 -

ten ([X.]Z 146, 298, 310; Urteile vom 24. November 1999 - [X.] - NJW-RR 2000, 1446; vom 5. April 2001 - [X.]/00 - NJW 2001, 2094 unter [X.]). Für die Auslegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels kommt es auf alle innerhalb der [X.] oder Rechtsmittelfrist zugänglichen Umstände an. Die Rücksichtnahme ge-genüber den Verfahrensbeteiligten, die sich aus deren Grundrechten er-gibt, geht allerdings nicht so weit, die Interessen einer nachlässigen [X.] zu Lasten des Gegners zu wahren. Auch die wohlverstandenen Inte-ressen des [X.] oder Rechtsmittelführers gebieten Zurückhal-tung, [X.]n [X.] nicht zu beheben sind ([X.], Urteil vom 11. Juli 2003 - [X.]/01 - NJW 2003, 3203 unter II).
2. a) Die Formulierung in der Einspruchsschrift, der Rechtsbehelf werde in Vollmacht "des Beklagten" eingelegt, schließt hier für sich ge-nommen die Annahme nicht aus, der Einspruch werde in Wahrheit für beide Beklagten eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der das Einspruchsschreiben unterschrieben hat, hatte sich für beide Beklagten legitimiert und beide in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vertreten. Mit der Wendung "– in Vollmacht des Beklagten" konnte jeder der beiden Beklagten gemeint sein. 11 b) Im Hinblick auf die vorangegangene Vertretung beider Beklagter durch denselben Anwalt, der auch den Einspruch eingelegt hat, hätte ei-ne Beschränkung des nach dem Versäumnisurteil fortzusetzenden [X.] nur auf einen der beiden Beklagten einen in diese Richtung [X.] Hinweis im Einspruchsschreiben erwarten lassen. Allein die Ver-[X.]dung des bestimmten Artikels vor dem (insofern doppeldeutigen) Wort "Beklagten" rechtfertigt einen solchen Schluss nicht. In Betracht 12 - 7 -

kam vielmehr, dass ein Schreibfehler bei der Abfassung des [X.] unterlaufen sein könnte, durch den aus einem an sich ge-meinten "– in Vollmacht der Beklagten" der tatsächlich geschriebene Text "– in Vollmacht des Beklagten" geworden war. Über Zielrichtung und Gründe des eingelegten Einspruchs äußert sich der [X.] der Beklagten im Einspruchsschreiben mit keinem Wort, son-dern bittet unmittelbar im [X.] an den einleitenden Satz über die Einspruchseinlegung im Hinblick auf seinen am Tage nach Abfassung des [X.] beginnenden Jahresurlaub um eine Verlänge-rung der "Frist zur ausführlichen Stellungnahme" (vgl. § 340 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Abschließend verweist der Prozessbevollmächtigte zur Glaubhaftmachung auf eine Kopie seiner Reisereservierung. Unter die-sen Umständen lag erst recht ein Schreibfehler im Einleitungssatz nahe, der von dem unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten am Tage vor seinem Urlaub übersehen worden sein konnte.
c) Dass der Einspruch allein für den Beklagten zu 1) eingelegt werden sollte, lässt sich hier auch nicht aus der Parteibezeichnung im Eingang des [X.] entnehmen ("[Name des Beklagten zu 1)] ./. [Name der Klägerin]"). Dass auf der Seite der Einspruchsführer nur der Name des Beklagten zu 1) ohne einen Zusatz wie "u.a." ange-führt ist, zwingt nicht zu dem Schluss, dass allein dieser der Einspruchs-führer hätte sein sollen. In seiner Verteidigungsanzeige hatte der [X.]vertreter zur Bezeichnung des Rechtsstreits dem Namen des [X.] zu 1) zwar den Zusatz "u.a." hinzugefügt. In der Klageerwiderung, dem letzten Schriftsatz des Anwalts vor dem Einspruchsschreiben, war der Name des Beklagten zu 1) an der entsprechenden Stelle aber allein und ohne jeden, auf den Beklagten zu 2) hindeutenden Zusatz aufgeführt 13 - 8 -

worden. Dabei wurde in der Klageerwiderung ihrem Inhalt nach durchaus nicht nur der Beklagte zu 1), sondern ebenso auch der Beklagte zu 2) verteidigt. Dort ist u.a. vorgetragen worden, die nach dem Vorbringen der Klägerin in den Jahren 1996 und 1997 erfolgten Zahlungen an die Ehe-frau des Beklagten zu 1) und Mutter des Beklagten zu 2) hätten nicht als Darlehen mit dem Zweck, den Kaufpreis für ein von beiden Beklagten je zur ideellen Hälfte erworbenes Hausgrundstück zu bezahlen, an diese weitergereicht worden sein können, weil der Preis für dieses Grundstück schon 1995 durch den Beklagten zu 1) mit einer Zahlung von dessen Konto getilgt worden sei. Damit war eine Darlehensgewährung zum Zweck, den Kaufpreis für das Grundstück aufzubringen, nicht nur im [X.] auf den Beklagten zu 1) bestritten worden, sondern überhaupt und damit auch im Hinblick auf den Beklagten zu 2).
Aus der Klageerwiderung ist mithin zu schließen, dass der Pro-zessbevollmächtigte der Beklagten bei der einleitenden Parteibezeich-nung den Namen des Beklagten zu 1) stellvertretend für alle Beklagten gebrauchte, selbst [X.]n dem Namen des Beklagten zu 1) kein Zusatz wie etwa "u.a." beigefügt war. In diese Richtung weist auch die Parteibe-zeichnung, die der Prozessbevollmächtigte im Kopf aller seiner, dem Einspruchsschreiben vorangegangenen Schriftsätze ebenso wie im [X.] selbst neben der Angabe seines anwaltlichen Akten-zeichens ver[X.]det; dort ist für die Beklagten stets nur der Name des Beklagten zu 1) ohne weiteren Zusatz angegeben. 14 15 d) Für die Vermutung des Berufungsgerichts, dass sich ein Säumi-ger unabhängig von der Sach- und Rechtslage etwa aus familiären oder freundschaftlichen Bindungen entschlossen haben könnte, von einem - 9 -

Rechtsbehelf gegen das Versäumnisurteil vom 19. November 2002 ab-zusehen, gibt es hier keine Anhaltspunkte. Eine Auslegung des [X.]s im Sinne dessen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftigerweise im Interesse auch des Beklagten zu 2) lag, musste hier zweifelsfrei zu dem Ergebnis gelangen, dass der [X.] auch für den Beklagten zu 2) eingelegt worden ist. Damit werden insbesondere die Interessen der Klägerin als Prozessgegnerin nicht un-zumutbar beeinträchtigt. Für sie waren die zur Auslegung des [X.]s als Einspruch beider Beklagter führenden Gesichts-punkte ebenso wie für das Gericht erkennbar. Bezeichnenderweise hat sie bis zum Hinweis des Berufungsgerichts auf die letztlich von diesem vertretene Auslegung des [X.] auch nicht geltend ge-macht, der Einspruch sei nur vom Beklagten zu 1) eingelegt worden oder hinsichtlich der Person des Einspruchsführers unklar.
3. Im Übrigen hätte das [X.], das ebenso wie in erster In-stanz die Klägerin allem Anschein nach keinen Zweifel daran hatte, dass der Einspruch auch für den Beklagten zu 2) eingelegt worden sei, [X.]n ihm insoweit Bedenken gekommen wären, angesichts des Gewichts der hier für einen Schreibfehler des Prozessbevollmächtigten der Beklagten sprechenden Gesichtspunkte diesem einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO geben müssen. Nach der Rechtsprechung des [X.] kann ein Gericht unter besonderen Umständen aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten sein, einem drohenden Fristversäumnis, auch [X.]n es auf mangelnder Sorgfalt des Anwalts beruht, entgegenzuwirken (z.B. durch Weiterleiten fristgebundener Schriftsätze an das zuständige Gericht, vgl. [X.] NJW 1995, 3173, 3175; [X.], Urteil vom [X.] 1997 - [X.]/97 - NJW 1998, 908 unter [X.]; oder durch Wiederein-16 - 10 -

Wiedereinsetzung im Fall eines unsinnigen Fristverlängerungsantrags vgl. [X.], Beschluss vom 11. Februar 1998 - [X.]/97 - NJW 1998, 2291 unter [X.] c). Der Einspruch ist hier bereits am Tage nach der Zu-stellung des Versäumnisurteils beim [X.] eingegangen. Es wäre deshalb möglich gewesen, nach einem im ordentlichen Geschäftsgang erteilten Hinweis des Gerichts noch rechtzeitig innerhalb der Einspruchs-frist von zwei Wochen (§ 339 Abs. 1 ZPO) klarzustellen, wer hier [X.]sführer sein sollte. Diese auf der Hinweispflicht beruhende [X.] darf dem Beklagten zu 2) nicht dadurch genommen werden, dass sich das Gericht - wie hier in zweiter Instanz - die zu einem Hinweis verpflich-tende Rechtsauffassung erst zu einem Zeitpunkt zu eigen macht, in dem der Hinweis wegen des Ablaufs der Einspruchsfrist nutzlos ist. - 11 -

Danach wird das Berufungsgericht, [X.]n die Klägerin das Rechtsmittel gegenüber dem Beklagten zu 2) aufrechterhält, über die Begründetheit der Klage entscheiden müssen. 17 Terno [X.] [X.] Dr. [X.] Dr. [X.] Vorinstanzen: [X.] (Oder), Entscheidung vom 15.04.2003 - 13 O 208/02 - [X.], Entscheidung vom 25.02.2004 - 3 U 92/03 -

Meta

IV ZR 96/04

14.12.2005

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2005, Az. IV ZR 96/04 (REWIS RS 2005, 276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 276

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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