Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2014, Az. III ZR 391/13

III. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4298

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BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 391/13

Verkündet am:

3. Juli 2014

K i e f e r

Justizangestellter

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche
Verhandlung vom 3. Juli 2014 durch den Vizepräsidenten [X.] und [X.] Herr-mann, [X.], [X.] und [X.]

für Recht erkannt:

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] in [X.] des [X.] am
Main vom 28.
August 2013 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] hat der Kläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Beklagte bietet [X.] an. Der Kläger ist In-haber eines von ihr bereitgestellten DSL-[X.]es. Hierfür haben er und die Rechtsvorgängerin der [X.] ein zeit-
und volumenunabhängiges [X.] vereinbart.

Die Beklagte weist dem Rechner, den der Kunde zur Einwahl in das In-ternet nutzt, für die Dauer der einzelnen Verbindung eine IP-Adresse zu, die sie einem ihr zugeteilten [X.] entnimmt. Diese Adresse besteht aus [X.] mit einer Telefonnummer vergleichbaren, aus vier Blöcken gebildeten [X.], die die Kommunikation vernetzter Geräte (z.B. Web-Server, E-Mail-1
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Server oder [X.]) ermöglicht. Nach Beendigung der Verbindung wird die jeweilige IP-Adresse wieder freigegeben und steht den Kunden der [X.] zur Einwahl in das [X.] erneut zur Verfügung. Aufgrund dieses Verfah-rens erhält der einzelne Nutzer für jede Einwahl in das [X.] in aller Regel eine unterschiedliche IP-Nummer (dynamische IP-Adresse).

Die Beklagte speichert nach Beendigung der jeweiligen Verbindung unter anderem die hierfür verwendete IP-Adresse für sieben Tage. Zuvor hatte sie für die Speicherung eine längere Zeitspanne in Anspruch genommen. Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, die IP-Adressen sofort nach dem Ende der einzelnen [X.]sitzungen zu löschen. Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, sie sei zur Abwehr von Störungen und Fehlern an Telekommunika-tionsanlagen

96 Abs.
1 Satz
2 i.V. m. §
100 Abs.
1 [X.])
zu einer vorüberge-henden Speicherung der IP-Adressen berechtigt. Aufgrund einer Änderung der technischen Voraussetzungen beruft sich die Beklagte inzwischen nicht mehr darauf, sie sei auch zum Zweck der Entgeltermittlung und -abrechnung (§ 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 [X.]) für die Inanspruchnahme von Diensten, die unge-achtet des [X.] kostenpflichtig seien, zur Speicherung befugt.

Neben Löschungs-
und Unterlassungsansprüchen hinsichtlich weiterer Daten hat der Kläger die Verurteilung der [X.] zur sofortigen Löschung der seinem Rechner zugeteilten IP-Adressen nach dem jeweiligen Ende der [X.]verbindungen verfolgt. Das [X.] hat den Anträgen teilweise stattgegeben, hinsichtlich der IP-Adressen die Beklagte jedoch nur verurteilt, diese sieben Tage nach dem jeweiligen Ende der [X.]verbindungen zu lö-schen. Die hiergegen gerichtete Berufung des [X.] hat das Oberlandesge-richt in einem ersten Urteil zurückgewiesen. Auf die Revision des [X.] hat der Senat diese Entscheidung mit Urteil vom 13. Januar 2011 ([X.], 3
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NJW 2011, 1509), auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, auf-gehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das [X.] hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung des [X.] wiederum zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene erneute Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, unter Berücksichtigung der rechtli-chen Vorgaben des ersten Revisionsurteils und der Ergebnisse der im zweiten Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme sei die Beklagte zur Speicherung der dem jeweiligen Nutzer zugeteilten dynamischen IP-Adressen für einen Zeitraum von sieben Tagen nach dem Ende der jeweiligen [X.]-verbindungen gemäß § 100 Abs. 1 [X.] befugt. Die in Rede stehende Datener-hebung und verwendung
sei geeignet, erforderlich und im engeren Sinne ver-hältnismäßig, um Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Telekommunikations-betriebs entgegenzuwirken. Die Identität des jeweiligen [X.]benutzers sei aus der IP-Nummer selbst nicht zu entnehmen. Sie sei erst durch die Zusam-menführung mit weiteren Angaben zu ermitteln. Dies finde nach dem wechsel-seitigen Sachvortrag der Parteien nur bei dem konkreten Verdacht einer Stö-rung oder eines Fehlers an den Telekommunikationsanlagen statt. Die Speiche-rung sei zudem auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt. Die Interessen, de-5
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nen die Datenspeicherung diene, seien von erheblichem Gewicht. Soweit die IP-Nummern zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern notwendig seien, würde der Verzicht auf die von der [X.] prakti-zierte Speicherung angesichts der gerichtsbekannten Häufigkeit von "Denial-of-Service-Attacken"
und der Versendung von [X.], Schad-
und Spionage-programmen zu einer schwerwiegenden und nachhaltigen Beeinträchtigung der Kommunikationsinfrastruktur führen, und zwar zum Schaden der [X.] und aller ihrer Kunden.

Nach den überzeugenden Angaben des vom Gericht beauftragten [X.] gebe es jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Technik keine anderen Möglichkeiten
als die von der [X.] praktizierte Speicherung, um Störungen der Telekommunikationsanlagen zu erkennen, einzugrenzen und notfalls zu beseitigen. Der Sachverständige habe nachvollziehbar dargelegt, dass bei der [X.] monatlich mehr als 500.000 [X.] eingingen, von denen 162.000 im Zusammenhang mit Spams stünden. 164.000 hätten einen potentiell direkten Einfluss auf die Infrastruktur und die Dienste der [X.]. Daneben gebe es Abusemeldungen zu anderen Arten von Missbräuchen (Schadcodes auf Webseiten, Hacking und dergleichen). Der Sachverständige habe in sich stimmig und nachvollziehbar erläutert, dass das von der [X.] entwickelte System zur Abwehr dieser Beeinträchtigungen erforderlich sei und beibehalten werden müsse. Es habe auch dazu geführt, dass es kaum Fälle gegeben habe, in denen ein anderes Telekommunikations-unternehmen einen bestimmten Adressraum der [X.] wegen von dort massenhaft ausgehender Spams mit der Folge gesperrt habe, dass aus dem Adressbereich kommende Nachrichten überhaupt nicht mehr angenommen worden seien.

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Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe neben der grundsätzli-chen Sinnhaftigkeit der Verfahrensweise der [X.] auch geprüft, ob Verän-derungen denkbar seien, mit Hilfe derer die Speicherung der IP-Adressen für sieben Tage überflüssig werden könnte und ob entgegen der vom Bundesbe-auftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit geteilten Auffassung der [X.] zumindest der Speicherzeitraum verkürzt werden könnte. Danach scheide aber insbesondere die vom Sachverständigen angesprochene und the-oretisch bestehende Möglichkeit der sogenannten Pseudonymisierung, bei der die IP-Adresse nicht gespeichert würde, aus. Zwar wäre es bei diesem Verfah-ren möglich, die Kundenkennung nicht mit der IP-Adresse, sondern einer zu-sätzlichen Zeichenkette zu verknüpfen, die nicht automatisch einem bestimmten Kunden zuzuordnen wäre. Die Pseudonymisierung müsste aber in jedem ein-zelnen Fall des § 100 Abs. 1 [X.] wieder aufgehoben werden, wozu eine ver-trauenswürdige Stelle angerufen werden müsste. Der Sachverständige habe nachvollziehbar und unwidersprochen dargelegt, dass der damit verbundene Mehraufwand angesichts der Vielzahl der Fälle, die monatlich abzuwickeln [X.], in der Praxis nicht vertretbar sei.

II.

Dies hält den Angriffen der Revision stand.

1.
Gegen die auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erhebt die [X.] weder zum Verfahren noch in der Sache [X.]. Hierfür hätte auch keine Veranlassung bestanden.

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2.

Unbehelflich für den geltend gemachten Anspruch, die jeweils dem Klä-ger zugeteilte IP-Nummer nach Beendigung der einzelnen Verbindung in das [X.] zu löschen, ist der Hinweis der Revision auf die vom Sachverständigen kursorisch angesprochene Möglichkeit der "Pseudonymisierung", die die [X.] entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht generell, sondern allein für den Kläger vornehmen könne.

Bei diesem Verfahren soll die Kundenkennung nicht mit der für die Inter-netverbindung genutzten IP-Adresse verknüpft werden, sondern mit einer ande-ren anonymen Zeichenfolge. Im Fall des Verdachts eines Missbrauchs würde die Zuordnung dieser Kennung zu den Daten des Nutzers -
im Gegensatz zur Praxis der [X.] -
nicht automatisch, sondern durch eine neutrale Stelle erfolgen. Allerdings ist auch die -
zudem dynamisch, das heißt ständig [X.] Anschlüssen zugeteilte -
IP-Nummer für sich genommen anonym, wie das Berufungsgericht vom Kläger unbeanstandet festgestellt hat. Ihre [X.] zu einem Kunden wird erst durch die Verknüpfung mit den Sessionsdaten des Nutzers ermöglicht. Insoweit unterscheidet sich das derzeitige Verfahren der [X.] letztlich nicht von der vom Sachverständigen angeschnittenen "Pseudonymisierung". Der mit dieser bewirkte Gewinn an Datenschutz würde dementsprechend maßgeblich nicht infolge der Ersetzung der IP-Adresse durch eine andere Zeichenfolge bewirkt, sondern wäre darauf zurückzuführen, dass eine automatische Verknüpfung der anonymen Zeichenfolge (gleichgültig, ob IP-Adresse oder andere Kennung) durch die Beklagte selbst unterbleibt und stattdessen eine dritte Stelle zwischengeschaltet würde, die die Rückgängig-machung
der Pseudonymisierung vornähme.
Dies ist jedoch, wie das [X.] auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen von der Revision unbeanstandet festgestellt hat, angesichts der hohen Zahl der [X.] der [X.] nicht zuzumuten. Der Kläger kann dem auch nicht mit Erfolg 11
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entgegenhalten, die Einschaltung der dritten Stelle könne auf seine Person oder seinen [X.] beschränkt werden. Die Beklagte wäre rechtlich allen ande-ren Kunden gegenüber verpflichtet, ebenso zu verfahren wie gegenüber dem Kläger.

3.
Im Übrigen tritt die Revision der Rechtsauffassung des Senats in seinem ersten Revisionsurteil in dieser Sache vom 13. Januar 2011 (aaO) entgegen. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgebrachten Angriffe hält der Senat nach Überprüfung jedoch an seinem Rechtsstandpunkt fest.

a) Zu Unrecht meint die Revision unter Bezugnahme auf Randnummer 24 des Urteils vom 13. Januar 2011, der Begriff der "Störung"
an Telekommuni-kationsanlagen im Sinne des § 100 Abs. 1 [X.] umfasse entgegen der Ansicht des Senats nicht die Sperrung einzelner IP-Adresskontingente der [X.] durch andere [X.]anbieter, wenn von diesen Bereichen aus Schadpro-gramme, sogenannte [X.] oder "Denial-of-Service"-Attacken ausgingen. Sie meint, "System"
im Sinne der Definition des Begriffs der Telekommunikati-onsanlagen in § 3 Nr. 23 [X.] sei nur ein technisches System. Werde ein [X.] IP-Adressbereich gesperrt, werde die Telekommunikationsanlage der [X.] selbst nicht gestört. Das System laufe in diesem Fall unbeeinträchtigt weiter. Die betroffenen [X.] könnten an dem System weiter teilnehmen, nur nicht im Verhältnis zu dem sperrenden anderen [X.]dienst-leister, der sie infolge seiner geschäftspolitischen Entscheidung nicht mehr [X.] wolle.

Dies kann nicht überzeugen. Daraus, dass sich das Adjektiv "technische"
in § 3 Nr. 23 [X.] auch auf den Begriff des "Systems"
bezieht, ist für die Rechtsposition des [X.] nichts herzuleiten. Wie die Revision selbst nicht 13
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verkennt, kommt eine Störung des "technischen Systems"
nach § 100 Abs. 1 [X.] nicht nur in Betracht, wenn die physikalische Beschaffenheit der für die Telekommunikation verwendeten Gerätschaften verändert wird. Vielmehr liegt nach dem Zweck der Vorschrift eine Störung des Systems auch vor, wenn die eingesetzte Technik
die ihr zugedachten Funktionen nicht mehr richtig oder vollständig erfüllen kann (Gramlich in [X.], Telekommunikations-
und Mul-timediarecht, [X.] § 100 Rn. 16 [Stand: 8/08]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 100 Rn. 6 f; [X.] in Säcker, [X.],
3. Aufl., § 100 Rn. 7). [X.] der Ansicht der Revision tritt eine Funktionseinschränkung des techni-schen Systems der [X.] auch dann ein, wenn einzelne ihrer IP-Nummern-bereiche von anderen [X.]diensten gesperrt werden. In diesem Fall sind die von diesen Anbietern unterhaltenen Web-
und Mailserver für die Kunden der [X.] nicht mehr erreichbar. Damit können deren technischen Einrichtun-gen und Systeme nicht mehr ihre Aufgabe erfüllen, den Nutzern den uneinge-schränkten Zugang zu sämtlichen öffentlichen Angeboten im [X.] zu [X.], wozu sich die Beklagte gegenüber ihren Kunden verpflichtet. [X.] ist, dass die bei der Versendung von Schadprogrammen, Spams und dergleichen aus dem Netz der [X.] drohende Sperrung ihrer [X.] durch andere Anbieter auf deren autonomer Entscheidung beruht. Die Blockierung der [X.] wird in diesen Fällen durch die aus der technischen Sphäre der [X.] stammenden Missbräuche des [X.]s herausgefordert und stellt in der Regel
eine verständliche und angemessene Reaktion der anderen Dienstanbieter zum Schutz ihrer Anlagen und Nutzer dar.

b) Nicht zu folgen vermag der Senat der Revision auch, soweit sie sich die an dem Senatsurteil vom 13. Januar 2011 (aaO) geäußerte Kritik von [X.] ([X.], 4.
Aufl., § 100 Rn. 10 f mwN; siehe aber [X.]
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gegenüber z.B. auch [X.], [X.] 2011, 22, 23 f; [X.], [X.], 345, 346) zu eigen macht.

In methodischer Hinsicht beanstandet er, die vom Senat in Randnummer 24 des Urteils zum Beleg für sein weites Verständnis des Störungsbegriffs des § 100 Abs. 1 [X.] angeführte Begründung der Bundesregierung zur Ergänzung von § 15 TMG ([X.]. 16/11967, [X.]) sei nicht aussagekräftig, weil die vor-gesehene Gesetzesänderung nicht erfolgt sei. Dies hat der [X.], wie in seiner Formulierung "durch den eine mit § 100 Abs. 1 [X.] fast wortgleiche Bestimmung an § 15 des Telemediengesetzes angefügt wer-den sollte"
zum Ausdruck kommt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich,
dass die Begründung der von der Bundesregierung vorgeschlagenen, aber letztlich nicht zustande gekommenen Änderung des Telemediengesetzes keine Aussagekraft für die Auslegung von § 100 Abs. 1 [X.] haben kann. Diese Bestimmung und der von der Bundesregierung vorgeschlagene Absatz 9 von § 15 TMG haben fast denselben Wortlaut. Zudem sind die [X.], die beiden [X.] zugrunde liegen, vergleichbar. Auch wenn die Anbieter von [X.] in stärkerem Maße von Spams, Denial-of-Service-Attacken, Schadpro-grammen und dergleichen unmittelbar betroffen sein mögen als ein Teilneh-mernetzbetreiber, können solche Missbräuche aus den im Senatsurteil vom 13.
Januar 2011 (aaO) und oben unter Buchstabe a ausgeführten Gründen auch zu Störungen der Anlagen der [X.] führen. Überdies haben nach den von der Revision hingenommenen tatrichterlichen Feststellungen monatlich etwa 164.000 bei der [X.] auflaufende Missbrauchsmeldungen Angriffe zum Gegenstand, die sich potentiell unmittelbar schädlich auf die Infrastruktur und die Dienste der [X.] auswirken.

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Weiter wird
geltend
gemacht ([X.] aaO), der Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2002/58/[X.] und des Rates vom 12.
Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation ([X.] L 201
S. 37; nach-folgend: [X.]) spreche gegen die vom Senat für richtig gehaltene weite Ausle-gung des Begriffs der "Störung"
im Sinne von § 100 Abs. 1 [X.]. Zudem sehe der Erwägungsgrund 29 die Verarbeitung von Verkehrs-
und Bestandsdaten nur in Einzelfällen, nicht aber anlasslos, vor. Daher müsse § 100 Abs. 1 [X.] über eine unionsrechtskonforme Auslegung entsprechend verstanden werden (aaO Rn. 12).

Diese Kritik ist bereits deshalb unbegründet, weil der im vorliegenden Fall zu entscheidende Sachverhalt von demjenigen, der in Erwägungsgrund 29 der genannten Richtlinie behandelt wird, nicht erfasst ist. Der Erwägungsgrund befasst sich allein mit der Verarbeitung von Verkehrsdaten, die (nur) in Einzel-fällen erfolgen soll, um technische Versehen oder Fehler bei der Übertragung von Nachrichten zu ermitteln. Vorliegend steht jedoch die Berechtigung der [X.]n im Streit, auch ohne konkreten Anlass die von ihren Kunden genutzten IP-Adressen zu speichern. Die Speicherung und die Verarbeitung von perso-nenbezogenen Daten sind Vorgänge, die in der Richtlinie unterschieden wer-den. Dies gilt insbesondere für Art. 6 Abs. 1 [X.], der -
vorbehaltlich der hier ein-schlägigen Maßgaben des Art. 15 Abs. 1 [X.] -
die grundsätzliche Pflicht zur
Löschung oder Anonymisierung der Verkehrsdaten nach der Übertragung von Nachrichten vorschreibt (siehe auch Erwägungsgrund 7 und Art. 4
Abs. 1a, zweiter Spiegelstrich [X.]).

Aber auch dessen ungeachtet geht die Beanstandung von [X.] (aaO) fehl. Wie der
Senat in seinem Urteil vom 13.
Januar 2011 (aaO Rn. 33) ausge-18
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führt hat,
wird § 100 Abs. 1 [X.] von Art.
15 Abs. 1 [X.] gedeckt. Danach können die Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 6
[X.] beschränken, wenn dies
unter anderem zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Technische Versehen oder Fehler bei der Übertragung von Nachrichten ([X.] 29 [X.]) können zwar zwei von mehreren denkbaren Folgen eines solchen Missbrauchs sein, können aber auch eine Fülle anderer Ursachen ha-ben. Die dem Erwägungsgrund 29 und Art. 15 Abs. 1 [X.] jeweils zugrunde lie-genden Sachverhalte überlappen sich damit nur teilweise. Die [X.] unterscheiden sich aber im Übrigen weitgehend, wie sich deutlich aus dem Wortlaut des [X.] und der Vorschrift ergibt. Für die von der Revision der Sache nach befürwortete einschränkende Auslegung von Art. 15 Abs. 1 [X.] und damit des Störungsbegriffs von § 100 Abs. 1 [X.] im Lichte des [X.] 29
[X.] ist deshalb kein Raum.

4.
Unbehelflich ist weiter der Hinweis des [X.] in seinem die Revisions-begründung ergänzenden Schriftsatz vom 31. März 2014, eine Störung gemäß § 100 Abs. 1 [X.] sei nicht deckungsgleich mit der in Art. 15 Abs. 1 [X.] enthal-tenen Voraussetzung für die Beschränkungen von Art. 6 Abs. 1 [X.], dass diese notwendig sind für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen. Dies ist zwar rein begrifflich betrachtet richtig. Hieraus kann der Kläger jedoch inhaltlich nichts für seine Rechtsposition herleiten. Wie der Senat in seinem ersten
Urteil ausgeführt hat, stellen die Missbräuche des [X.]s, die in der Versendung von [X.], Schad-
und Spionageprogrammen sowie in "[X.]"
und dergleichen bestehen, einen unzulässigen Gebrauch [X.] Kommunikationssysteme gemäß Art. 15 Abs. 1 [X.] dar (aaO Rn. 33) 21
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dar. Derartige Missbräuche haben aus den in Randnummer 24 seines Urteils vom 13. Januar 2011 und oben unter Nummer 3 ausgeführten Gründen vielfach Störungen der Telekommunikationsanlagen des Netzbetreibers gemäß § 100 Abs. 1 [X.] zur Folge. Ist die Ausnahme von der Löschungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 [X.] bereits zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Missbräuchen der Kommunikationssysteme zulässig, muss dies erst Recht zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von hieraus resultierenden Störungen der Telekommunikationsanlagen des Netzbetreibers im Sinne des § 100 Abs. 1 [X.] gelten, zumal beides in der Praxis kaum zu unterscheiden ist. Der von der Revision geltend gemachte inhaltliche Widerspruch zwischen Art. 15 Abs. 1 [X.] und § 100 Abs. 1 [X.] besteht damit nicht.

5.
Schließlich gibt auch das
Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 8. April 2014 ([X.]-293/12 u.a. -
Digital [X.]. u.a., BeckRS 2014, 80686), mit dem die Ungültigkeit der Richtlinie 2006/24/[X.] und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommu-nikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbei-tet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/[X.] ([X.] Nr. L 105
S. 54) ausgesprochen wurde, dem Senat keinen Anlass, seinen im ersten [X.] vom 13. Januar 2011 (aaO) eingenommenen Rechtsstandpunkt zu revi-dieren. Maßgeblich für die Ungültigkeit dieser Richtlinie, die eine anlasslose Vorratsspeicherung von Verkehrs-
und Bestandsdaten für mindestens sechs Monate vorsah, war nach der Entscheidung des Gerichtshofs das Fehlen eines objektiven Kriteriums, das es ermöglichte, den Zugang der zuständigen nationa-len Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung zwecks Verhütung und Verfolgung von Straftaten auf solche Delikte zu beschränken,
die unter Berück-sichtigung des Ausmaßes und der Schwere des Grundrechtseingriffs als [X.]
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chend schwer angesehen werden konnten, um den Eingriff zu rechtfertigen (aaO Rn. 60). Weiterhin monierte der Gerichtshof, dass die Richtlinie keine ma-teriell-
und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Zugang der zustän-digen nationalen Behörden zu den gespeicherten Daten und deren spätere Nutzung enthielt. Es fehle eine ausdrückliche Bestimmung, dass sich der Zu-gang zu den und die spätere Nutzung der Daten strikt auf die Zwecke der [X.] und der Verfolgung genau abgegrenzter schwerer Straftaten beschrän-ke (aaO Rn. 61). Vor allem unterliege der Zugriff der nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten keiner vorherigen Kontrolle eines Gerichts oder einer anderen unabhängigen Stelle, deren Entscheidung die Wahrung der Verhältnismäßigkeit gewährleiste (aaO Rn. 62). Schließlich beanstandete der Gerichtshof, dass die Mindestspeicherfrist für sämtliche Datenkategorien sechs Monate betragen sollte, ohne dass die Festlegung auf objektiven Kriterien be-ruhte, die gewährleisteten, dass sie auf das absolut Notwendige beschränkt wurde (aaO Rn. 63 f).

Diese Erwägungen sind auf die
hier im Streit befindliche siebentägige Speicherung von IP-Adressen zu den in § 100 Abs. 1 [X.] bestimmten
Zwecken nicht übertragbar. Die Speicherung erfolgt nicht für die Zwecke der Strafverfolgungsbehörden, sondern im Interesse des Netzbetreibers. Ein Zugriff von Polizei oder Staatsanwaltschaft auf die gespeicherten Daten ist in dieser Rechtsgrundlage nicht vorgesehen. Überdies ist die Speicherfrist von sieben Tagen nach den aufgrund sachverständiger Beratung getroffenen, nicht ange-griffenen tatrichterlichen Feststellungen auf das zur Erreichung der legitimen Zwecke des § 100 Abs. 1 [X.] notwendige Maß begrenzt. Sie ist auch ihrer absoluten Dauer nach nicht mit der
in der genannten Richtlinie bestimmten Mindestfrist von sechs Monaten vergleichbar.

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6.
Eine Vorlage der Sache an den Gerichtshof der [X.] gemäß Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist auch weiterhin entbehrlich. Insoweit nimmt der Senat auf sein erstes Revisionsurteil in dieser Sache (aaO Rn. 35) Bezug. Die in der vorliegenden Entscheidung ergänzend angestellten Erwägungen zum [X.] Recht ergeben sich ebenfalls ohne weiteres mit der zur Anwen-dung der acte clair-Doktrin (siehe dazu Senatsurteil
vom 13. Januar 2011 aaO mwN) erforderlichen Eindeutigkeit aus dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 [X.] und des [X.] 29 [X.] sowie aus dem
Urteil des Gerichtshofs vom 8.
April 2014 (aaO).

[X.]
Herrmann

[X.]

[X.]
[X.]
Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 06.06.2007 -
10 [X.]/03 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 28.08.2013 -
13 [X.] -

24

Meta

III ZR 391/13

03.07.2014

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2014, Az. III ZR 391/13 (REWIS RS 2014, 4298)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4298

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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12 U 16/13 (Oberlandesgericht Köln)


12 U 9/14 (Oberlandesgericht Köln)


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III ZR 391/13

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