Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.04.2016, Az. 3 StR 48/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 12795

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikt: Teilfreispruch bei mangelndem Nachweis sämtlicher angeklagter Delikte; Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Mai 2015

a) dahin ergänzt, dass

aa) die Angeklagten im Übrigen freigesprochen werden; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last,

bb) die vom Angeklagten B.  in [X.] erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das [X.] von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen verurteilt, den Angeklagten [X.]zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten, den Angeklagten [X.]zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die dagegen gerichteten, auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat jeweils rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen, soweit es sich in acht der den Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von deren Täterschaft zu überzeugen vermocht hat ([X.] f.). Den Angeklagten waren mit der Anklage jeweils 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die [X.] im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist den Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 jeweils zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den zwei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "[X.]" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der [X.] zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das [X.] nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte die Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, [X.], 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).

3

2. Im Hinblick auf den Angeklagten [X.]hat die [X.] entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in [X.] erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 [X.], [X.], 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des [X.] nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 [X.], [X.], 364; vom 13. August 2009 - 3 [X.], [X.], 370).

4

3. Die Entscheidung des [X.]s, von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) [X.] hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass bei den Angeklagten ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 Satz 1 StGB sei, dass die berufliche, [X.] und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen [X.] nachhaltig beeinträchtigt werde. Die "täglichen Aktivitäten bei der Abwicklung der eingehenden Bestellungen", die der Angeklagte [X.]"ohne Beeinträchtigung durch seinen [X.]" ausgeführt habe, ließen die erforderliche nachhaltige Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit indes ausgeschlossen erscheinen. Eine nachhaltige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten [X.]  könne "im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens" und die "Position", die er "in der Gruppierung eingenommen" habe, ebenfalls ausgeschlossen werden. Bei ihm sei im Übrigen mangels jeglicher Motivation, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.

6

b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein Hang im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur - wovon die [X.] möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss ([X.], Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 [X.], juris Rn. 4). Insoweit sind die vom [X.] getroffenen Feststellungen unzureichend.

7

Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten hat die [X.] ausgeführt, dass der an einer dis[X.]n Persönlichkeitsstörung ([X.] F60.2) leidende Angeklagte [X.]sich dahin eingelassen habe, seit seinem 16. Lebensjahr regelmäßig Amphetamin konsumiert und seinen [X.] während der Tatzeit auf bis zu 3 Gramm täglich gesteigert zu haben, an den Wochenenden auch auf bis zu 5 Gramm täglich. Außerdem habe er gelegentlich Kokain, LSD sowie zweimal im Monat Ecstasy und auch Pilze probiert. Hinsichtlich des Angeklagten [X.]  hat sie ausgeführt, dass er an einer "Persönlichkeitsstörung aus dem dis[X.]n Formenkreis" leide, die aber im Hinblick auf die §§ 20, 21 StGB ebenso wenig bedeutsam sei wie sein "etwaiger [X.]". Das lässt darauf schließen, dass die [X.] das Ausmaß des [X.]s der Angeklagten im Hinblick auf § 64 Satz 1 StGB nicht weiter hinterfragt und aufgeklärt hat, weil sie ihm in Anbetracht des weitgehend intakten Leistungsverhaltens der Angeklagten rechtsfehlerhaft von vornherein keine Relevanz für diese Vorschrift beigemessen hat. Sie hat dabei verkannt, dass einer Neigung der Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht ohne Weiteres entgegensteht, dass sie gleichwohl in der Lage waren, die abgeurteilten Straftaten zu begehen. Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den [X.] indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus ([X.], Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 [X.], juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 [X.], juris Rn. 11).

8

c) Darüber hinaus steht auch die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten [X.]  seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Mangelnde [X.] kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Therapiewilligkeit für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. März 2004 - 2 [X.], [X.], 263; vom 15. Dezember 2009 - 3 [X.], [X.], 141).

9

d) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Angeklagten nicht von vornherein ausscheidet, muss über ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, [X.]St 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 [X.], [X.], 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, [X.], 405, 406). Sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu [X.]St 38, 362 f.).

4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des [X.] bemerkt der Senat:

Die Einwände der Beschwerdeführer, dass die - auch insoweit sachverständig beratene - [X.] sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von den Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der [X.] vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil die Angeklagten und ihre Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis [X.] befüllt hatten ([X.] 58).

Becker                       Schäfer                      Gericke
                Spaniol                     [X.]

Meta

3 StR 48/16

19.04.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 18. Mai 2015, Az: 2090 Js 19342/13 - 3 KLs

§ 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 64 S 1 StGB, § 260 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.04.2016, Az. 3 StR 48/16 (REWIS RS 2016, 12795)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12795

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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