Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.03.2015, Az. XI B 1/15

11. Senat | REWIS RS 2015, 14036

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Gegenstand

(Insolvenzanfechtung der (angeblichen) Nichteinlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde - Verlängerung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - Keine Verlängerbarkeit der Frist des § 56 Abs. 2 FGO - Zulässigkeit einer erneut eingelegten Beschwerde)


Leitsatz

NV: Die Erklärung, die Nichteinlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde werde insolvenzrechtlich angefochten, führt nicht dazu, dass verspätet Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden darf .

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird abgelehnt.

2. Die Beschwerde des Beschwerdeführers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 27. April 2012  6 K 1969/11 wird als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht ([X.]) wies durch Urteil vom 27. April 2012  6 K 1969/11 die Klage des [X.] wegen Umsatzsteuer 2006 ab. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 16. Mai 2012 zugestellt. Die am 15. Juni 2012 eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nahm [X.] am 23. Juli 2012 wieder zurück, ohne die Beschwerde zuvor begründet zu haben. Durch Beschluss vom 21. August 2012 [X.] B 72/12 (nicht veröffentlicht) stellte der [X.]enat das Verfahren [X.] B 72/12 ein.

2

Mit [X.]chriftsatz vom 29. Dezember 2014, der am 2. Januar 2015 beim [X.] ([X.]) eingegangen ist, erhob der Beschwerdeführer als Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.] Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision und beantragte, die Frist zur Begründung der Beschwerde auf zwei Monate zu bemessen. Er teilte mit, er sei durch Beschluss des [X.] vom … März 2013 … zum Insolvenzverwalter bestellt worden. [X.] habe keine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Vorentscheidung eingelegt. Die [X.] der Beschwerde fechte er gemäß § 129 Abs. 1 und 2, § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 der Insolvenzordnung an; das Unterlassen des [X.] sei einer Leistung gleichgestellt. Die weitere Begründung bleibe einem gesonderten [X.]chriftsatz vorbehalten; es sei erforderlich, die Begründungsfrist auf zwei Monate zu verlängern. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand stellte er nicht.

3

Nachdem die Geschäftsstelle des [X.]. [X.]enats mit [X.]chreiben vom 7. Januar 2015 auf die Beschwerde vom 15. Juni 2012, die Rücknahme vom 23. Juli 2012 und den Beschluss vom 21. August 2012 hingewiesen hatte, erklärte der Beschwerdeführer, es bestehe aus seiner [X.]icht weiter ein Anfechtungsgrund. Die aus seiner [X.]icht maßgebliche Rechtshandlung sei im [X.]chriftsatz vom 29. Dezember 2014 angefochten worden. Aus der Rücknahme ergäben sich keine anderen Gesichtspunkte, weil diese allein durch die "desaströse finanzielle [X.]ituation" des [X.] bedingt sei. Beigefügt war eine entsprechende Bestätigung des [X.].

4

Vor dem Hintergrund eines möglichen Verfahrensfehlers im Rahmen des Verfahrens vor dem [X.] beantragte der Beschwerdeführer Akteneinsicht in die Verfahrensakten beim [X.] ([X.]). Weiter wurde eine Frist von acht Wochen ab Zusendung an das [X.] beantragt.

Entscheidungsgründe

5

II. [X.] ist unzulässig, so dass dem Beschwerdeführer keine Akteneinsicht gewährt werden muss; denn sie ist verfristet. Die beantragte Verlängerung der Begründungsfrist kann nicht gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt ebenfalls nicht in Betracht.

6

1. Der [X.]enat ist nicht verpflichtet, dem Beschwerdeführer Akteneinsicht zu gewähren. Dies ergibt sich hinsichtlich der Akten des Beschwerdegegners bereits daraus, dass diese dem [X.]enat nicht vorliegen und der [X.]enat diese zur Entscheidung des [X.]treitfalls nicht benötigt (vgl. [X.] vom 14. Januar 2011 VIII B 56/10, [X.], 630, m.w.N.). In Bezug auf die übrigen Akten besteht kein Anlass zur Gewährung von Akteneinsicht, wenn eine Beschwerde unzulässig ist (vgl. allgemein [X.] vom 1. Oktober 2010 X B 119-120/90, [X.] 1991, 331; vom 20. April 2004 XI B 21/04, [X.] 2004, 1120; vom 14. Juni 2007 VIII B 201/06, [X.] 2007, 1804; vom 26. Mai 2009 X B 124/08, Zeitschrift für [X.]teuern und Recht 2009, [X.], unter 4.; vom 8. April 2009 V [X.] 1/09, [X.] 2009, 1442, unter [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 96 [X.]O Rz 243, m.w.N.). Dies ist hier der Fall (s. unten unter 3.).

7

2. Die vom Beschwerdeführer beantragte Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde kommt nicht in Betracht.

8

a) [X.] ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen (§ 116 Abs. 3 [X.]atz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Begründungsfrist kann gemäß § 116 Abs. 3 [X.]atz 4 [X.]O von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden. Eine darüber hinausgehende Verlängerung ist nicht möglich (vgl. [X.] vom 21. [X.]eptember 2001 IV B 118/01, [X.], 56, [X.] 2001, 768; vom 15. Dezember 2008 VII B 171/08, juris; [X.], [X.] 2003, 269).

9

b) Nur beiläufig weist der [X.]enat darauf hin, dass auch die Frist des § 56 Abs. 2 [X.]O nicht verlängerbar ist (vgl. [X.] vom 21. Juli 2005 [X.], [X.] 2005, 1862; [X.] in [X.], § 56 [X.]O Rz 460; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 56 [X.]O Rz 17; s. auch [X.] vom 23. Dezember 2013 III B 59/13, [X.] 2014, 560, Rz 8).

3. [X.] vom 29. Dezember 2014 ist zwar nicht deshalb unzulässig, weil bereits eine Beschwerde eingelegt und zurückgenommen worden ist; sie ist aber verfristet.

a) Der Einlegung einer erneuten Beschwerde steht nicht bereits der Umstand entgegen, dass eine Beschwerde eingelegt war und wieder zurückgenommen worden ist; denn nach dem --im Verfahren der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision sinngemäß anwendbaren-- § 125 Abs. 2 [X.]O bewirkt die Rücknahme nur den Verlust des eingelegten Rechtsmittels (vgl. [X.] vom 31. Mai 2000 I B 12/00, [X.] 2000, 1363, m.w.N.).

b) [X.] ist aber weder fristgerecht eingelegt noch fristgerecht begründet worden.

aa) Nach § 116 Abs. 2 [X.]atz 1 [X.]O ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Diese Frist ist nicht gewahrt; denn das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 16. Mai 2012 zugestellt.

bb) Ebenso hat der Beschwerdeführer die Begründungsfrist versäumt, die am 16. Juli 2012 abgelaufen ist. Eine Beschwerdebegründung liegt bis heute nicht vor.

c) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand kommt nicht in Betracht.

aa) Zwar ist eine solche nach § 56 Abs. 2 [X.]atz 4 [X.]O grundsätzlich auch von Amts wegen möglich.

bb) Jedoch enthält das Vorbringen des Beschwerdeführers keinerlei Ausführungen dazu, warum ihm die Einlegung der Beschwerde nicht früher möglich war (zu den Anforderungen vgl. z.B. [X.] vom 23. August 2011 [X.], [X.], 1913; vom 13. [X.]eptember 2012 XI R 13/12, [X.] 2013, 60, m.w.N.). Dazu hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil der Beschwerdeführer bereits im Oktober 2013 beim [X.] beantragt und am 16. Dezember 2013 vom [X.] eine neutralisierte Abschrift des [X.]-Urteils erhalten hat. Bis zur Einlegung der Beschwerde ist mehr als ein Jahr vergangen.

d) Anhaltspunkte für höhere Gewalt, die erforderlich wäre, weil die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 [X.]O abgelaufen ist, sind vor diesem Hintergrund weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Anhaltspunkte für ein Ereignis, das nach den Umständen des Falles auch durch die äußerste, gerade dem Betroffenen zuzumutende [X.]orgfalt weder abgewehrt noch in ihren schädlichen Folgen verhindert werden konnte (vgl. [X.] vom 28. Oktober 2002 III B 126/01, [X.] 2003, 326; vom 26. [X.]eptember 2006 [X.], [X.] 2007, 186), bestehen nicht.

e) Unabhängig davon hat der Beschwerdeführer bezüglich der versäumten Begründungsfrist die versäumte Rechtshandlung nicht i.[X.]. des § 56 Abs. 2 [X.]atz 3 [X.]O nachgeholt (vgl. zu diesem Erfordernis Beschluss des Großen [X.]enats des [X.] vom 1. Dezember 1986 Gr[X.] 1/85, [X.]E 148, 414, [X.] 1987, 264); eine Beschwerdebegründung wurde nicht eingereicht, sondern Fristverlängerung beantragt (s. dazu die Ausführungen unter 2.). Dies reicht nicht aus.

4. Auf die Frage, ob die Nichteinlegung eines Rechtsmittels eine anfechtbare Rechtshandlung sein kann (vgl. z.B. Urteil des [X.] vom 10. Februar 2005 IX ZR 211/02, [X.], 143, Betriebs-Berater 2005, 734, unter [X.]), kommt es vorliegend schon deshalb nicht an, weil die angefochtene Rechtshandlung (Nichteinlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde) nicht existiert; denn [X.] hatte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Unabhängig davon führt eine Anfechtung nicht dazu, dass das Rechtsmittel verspätet eingelegt werden darf ([X.], § 143 Rz 56; [X.] in Jaeger, Insolvenzordnung, § 129 Rz 28).

5. Der [X.]enat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 [X.]atz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

6. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 1/15

16.03.2015

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 27. April 2012, Az: 6 K 1969/11, Urteil

§ 56 Abs 2 S 2 FGO, § 56 Abs 2 S 3 FGO, § 56 Abs 2 S 4 FGO, § 56 Abs 3 FGO, § 78 FGO, § 116 Abs 2 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 4 FGO, § 125 Abs 2 FGO, § 129 InsO, § 133 InsO, § 143 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.03.2015, Az. XI B 1/15 (REWIS RS 2015, 14036)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14036

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