Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2016, Az. 1 StR 301/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 6360

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:240816B1STR301.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 301/16

vom
24. August
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Generalbundesanwalts
am 24. August
2016
gemäß §
349 Abs.
1 [X.] beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang durch das [X.] unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in [X.] mit einem Verstoß gegen
Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines (weiteren) Verstoßes gegen Weisungen während der [X.] zu einer (Gesamt)Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Mona-ten verurteilt worden. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat diese Entscheidung durch Urteil vom 28.
April 2015 mit den zugrundeliegenden Feststellungen insoweit aufgehoben, als die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden war, und die Sa-che im Umfang der Aufhebung an eine andere Jugendschutzkammer des [X.]s zurückverwiesen.
Die nunmehr zuständige Strafkammer hat durch das jetzt angefochtene Urteil die Anordnung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeord-net.
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Das dagegen gerichtete Rechtsmittel erweist sich als unzulässig. Der Angeklagte hat vor der Einlegung der Revision einen wirksamen Rechtsmittel-verzicht erklärt.
I.
1.
Das Urteil ist am 4.
Februar 2016 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift
ist ihm eine Rechts-mittelbelehrung erteilt worden.
Am 8.
Februar 2016 ging bei der [X.] in [X.] ein von dem Angeklagten und seinem Verteidiger, Rechtsanwalt M.

, unterzeichnetes Schreiben ein. Darin teilt der
Angeklagte die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, nichts t-
Sperrschrift und Unterstreichung optisch hervorgehoben wird. Es folgt die Un-terschrift des Angeklagten. Im nachfolgenden Absatz erklärt der Verteidiger, .

anzuschließen.
Mit einem auf den 9.
Februar 2016 datierten und am 11.
Februar 2016 eingegangenen Schreiben legte der Angeklagte Revision ein. Er machte gel-tend, durch seinen Verteidiger unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu dem Rechtsmittelverzicht genötigt worden zu sein; den Rechtsmittelverzicht ziehe er zurück. Sein Verteidiger habe ihm erklärt, den Rechtsmittelverzicht deshalb un-terschreiben zu müssen, weil im selben Verfahren keine zweite Revision mög-lich sei.
Später hat ein vom Angeklagten neu mandatierter Verteidiger, Rechts-3
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anwalt H.

, die Revision begründet und diese auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützt.
2.
Die Revision ist wegen des am 8.
Februar 2016 durch den Angeklag-ten selbst schriftlich erklärten Rechtsmittelverzichts unzulässig (§
349 Abs.
1 [X.]). Ein

wie hier

wirksamer Verzicht auf das Rechtsmittel führt zu dessen Verlust (st. Rspr.; etwa [X.], Beschlüsse vom 13.
Januar 2005

1 [X.], [X.] 2005, 161 und vom 10.
September 2009

4 [X.], [X.], 55, 56). Der Angeklagte konnte daher mit seinem am 11.
Februar 2016 eingegangenen Schreiben keine Revision mehr einlegen.
a)
Der Inhalt der schriftlichen Erklärung vom 8.
Februar 2016 ist als Ver-zicht auf das Rechtsmittel unmissverständlich.
b)
Es bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelver-zichts.
aa)
Insbesondere war die prozessuale Handlungsfähigkeit (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13.
Juni 2006

4 [X.], [X.], 210 f.; vom 28.
Juli 2004

2 [X.], [X.], 341 und vom 15.
Dezember 2015

4 StR 491/15, [X.], 180 f.; [X.] in Systematischer Kommentar zur [X.], 5.
Aufl., [X.], §
302 Rn.
14 mwN) des Angeklagten gegeben.
(1)
Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzu-nehmen sowie Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen (siehe [X.], Beschlüsse vom 8.
Februar 1995

5 [X.], [X.]St 41, 16, 18 und vom 15.
Dezember 2015

4 StR 491/15, [X.], 180 f.; siehe auch [X.] aaO). Ausschlaggebend ist bei Prozesshandlungen im Zusam-7
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5
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menhang mit Rechtsmitteln die Fähigkeit, die verfahrensrechtliche Bedeutung einer Rechtsmittelrücknahme oder eines Rechtsmittelverzichts zu erkennen (vgl. [X.],
Beschlüsse vom 8.
März 2000

1 [X.], [X.], 386, 387; vom 10.
Januar 2001

2 StR 500/00, [X.]St 46, 257, 258 und vom 15.
Dezember 2015

4 StR 491/15, [X.], 180 f.). Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder auch körperliche Erkrankun-gen oder Beeinträchtigungen aufgehoben ([X.], Beschlüsse vom 8.
Februar 1994

5 StR 39/94, [X.], 197; vom 28.
Juli 2004

2 [X.], [X.], 341 und vom 15.
Dezember 2015

4 StR 491/15, [X.], 180 f.; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 7.
Aufl., §
302 Rn.
2; [X.] in
[X.]/[X.], [X.], 2011, §
302 Rn.
9 mwN). Ob die prozessuale Hand-lungsfähigkeit besteht bzw. bestand, hat das jeweils zuständige Gericht im Freibeweisverfahren aufzuklären (st. Rspr.; etwa [X.], Beschluss vom 19.
Januar 1999

4 [X.], [X.], 258, 259; siehe auch [X.], [X.] vom 11.
Oktober 2007

3 [X.]/07 Rn.
5 und vom 29.
September 2010

2 StR 371/10, [X.]St 56, 3, 6 Rn.
7). Das Revisionsgericht darf sich dafür auf den Akteninhalt beschränken ([X.], Beschluss vom 11.
Oktober 2007

3 [X.]/07 Rn.
5 mwN).
(2)
An diesen Maßstäben gemessen war der Angeklagte im Zeitpunkt der Verzichtserklärung prozessual handlungsfähig. Bereits ausweislich
der Feststellungen und der zugrunde liegenden beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Urteil liegen bei dem Angeklagten keine hirnorganischen Störungen oder forensisch relevanten Minderbegabungen vor. Im Rahmen testpsychologischer Untersuchungen hat
er bei dem [X.] für Erwachsene einen [X.] von 81 erreicht (UA S.
10 und 31). Der vom Tatgericht gehörte psychologische Sachverständige hat [X.] bedingte Leistungseinbußen des Angeklagten ausgeschlossen. Dem hat 12
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sich der ebenfalls gehörte psychiatrische Sachverständige angeschlossen (UA S.
35). Nach Einschätzung des psychologischen Sachverständigen verfügt der Angeklagte über ein präzises Gedächtnis, ist geistig flexibel, ausdauernd und in der Lage, sich bestens zu n-tellektuell wie assoziativ beweglich. Er könne gemachte Eindrücke adäquat verarbeiten (UA S.
32). Bereits diese Bewertungen des Sachverständigen schließen für die Beurteilung der prozessualen Handlungsfähigkeit bedeutsame Beeinträchtigungen des Angeklagten sicher aus. Zudem ist er im Hinblick auf seine mehrfachen Vorahndungen mit den Abläufen des Strafverfahrens, insbe-sondere auch die im [X.] an eine Urteilsverkündung regelmäßig erfol-gende Belehrung über die statthaften Rechtsmittel sowie die mit ihnen verbun-denen Form-
und Fristerfordernisse, vertraut. Der Senat ist daher davon über-zeugt, dass der Angeklagte bei Abgabe der Verzichtserklärung wenige Tage nach der Urteilsverkündung ohne weiteres in der Lage war, die Bedeutung sei-ner schriftlichen Erklärung zu erkennen.
bb)
Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht aufgrund eines durch Täu-schung hervorgerufenen Irrtums des Angeklagten unwirksam.
(1)
Eine Täuschung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, die eine irrtumsbedingte Abgabe der Verzichtserklärung durch den Angeklagten verursacht hat und deshalb zur Unwirksamkeit führen könnte (vgl. [X.], Urteil vom 21.
April 1999

5 [X.], [X.]St 45, 51, 55; [X.], Beschlüsse vom 25.
April 2001

5
StR 53/01, [X.], 101; vom 5.
Dezember 2001

1 [X.], [X.], 114; vom 22.
August 2012

1 [X.], [X.], 155 f. und vom 8.
Oktober 2015

2 StR 103/15, [X.], 180), ist weder durch die Revision nachvollziehbar geltend
gemacht wor-den,
noch ist sie sonst ersichtlich.
13
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(2)
Ein durch
den Verteidiger hervorgerufener
Irrtum würde nach der Rechtsprechung des [X.] nicht zur Unwirksamkeit führen ([X.], Beschluss vom 13. Mai 2003

4 [X.] bei [X.] [X.], 228). Im Übrigen ist die von dem Angeklagten vorgetragene Täuschung durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt M.

, nicht bewiesen. Dies wäre aber für den Nach-weis der Unwirksamkeit des Rechtsmittels erforderlich (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Mai 2002

5 StR 12/02 Rn.
4 mwN; [X.], Beschluss vom 23.
Februar 2010

3 [X.]/10, [X.], 213, 214; [X.] in [X.]/
[X.] aaO §
302 Rn.
25 mwN). Rechtsanwalt M.

hat mit Schreiben vom 15.
Februar 2016 nachvollziehbar dargelegt, wie es zu der [X.] gekommen ist und dass dieser keine Täuschung über die Mög-lichkeit, Revision einzulegen, vorausgegangen ist. Das vom Angeklagten und von Rechtsanwalt H.

vorgetragene Geschehen, Rechtsanwalt M.

habe gegenüber dem Angeklagten behauptet, gegen ein zweites Urteil in einer Sache sei keine Revision mehr möglich, ist zudem

wie der Generalbun-deswalt zutreffend hervorgehoben hat

angesichts des Wortlauts der [X.] nicht nachvollziehbar. Das gilt erst recht angesichts der dem Angeklagten wenige Tage zuvor erteilten Belehrung über die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Revision einzulegen. Entgegen dem Vorbringen von Rechtsanwalt H.

gibt es aus den bereits zur Prozesshandlungsfähig-keit dargelegten Gründen keine Anhaltspunkte in der Person des Angeklagten dafür, dass dieser die vorhandene Rechtsmittelmöglichkeit und die Bedeutung des Verzichts nicht erfasst haben könnte.
c)
Der wirksame Verzicht auf das Rechtsmittel ist weder durch einen [X.] noch
eine Rücknahme der Verzichtserklärung oder deren Anfechtung revidierbar (st.
Rspr.; siehe nur [X.], Beschluss vom 8.
Oktober 2015

2 StR 103/15, [X.], 180 mwN).
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-
d)
Da der Verzicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom 8.
Februar 2016 durch den Angeklagten selbst erklärt worden ist, kommt es auf die Voraussetzungen von §
302 Abs.
2 [X.] entgegen der Auffassung von Rechtsanwalt H.

nicht an.
3.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet nach wirksamem Rechtsmittelverzicht nicht
statt ([X.], Beschlüsse vom 10.
September 2009

4 [X.], [X.], 55 und vom 8.
Oktober 2015

2 StR 103/15, [X.], 180 mwN). Den vom Angeklagten in seinem Schreiben vom 9.

Absatzes aber ohnehin dahingehend aus (§
300 [X.]), dass Wiedereinsetzung lediglich für den Fall der verspäteten Einlegung der Revision nicht aber für den-jenigen des Verlusts der Revision aufgrund wirksamen Rechtsmittelverzichts begehrt wird. Da kein Fall der Verfristung vorliegt, bedurfte es keiner Entschei-dung über das Wiedereinsetzungsgesuch.
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II.
Das Rechtsmittel wäre auch in der Sache
erfolglos geblieben. Es [X.] sich als unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 [X.].
Graf Jäger [X.]

Mosbacher

Bär
19

Meta

1 StR 301/16

24.08.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2016, Az. 1 StR 301/16 (REWIS RS 2016, 6360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6360

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1 StR 301/16

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