Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 306/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1140

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 306/12

vom

21. November 2012

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG §
321 Abs.
1; [X.] §§
10 Abs.
2, 11, 13 Abs.
1
Die Verpflichtung des Gerichts, gemäß §
321 Abs.
1 FamFG in der Hauptsache ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Unterbringungsmaßnahme einzu-holen, entfällt auch nicht in den Fällen, in denen die zuständige Verwaltungsbehörde nach den landesrechtlichen Bestimmungen für die öffentliche Unterbringung ihrem Unterbringungsantrag ein ärztliches Gutachten beifügen muss.
[X.], Beschluss vom 21. November 2012 -
XII [X.] 306/12 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21.
November 2012 durch [X.], die Richterin Dr.
Vézina und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu
2 wird der Be-schluss der 9.
Zivilkammer des [X.] vom 2.
Mai 2012 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
Wert: 3.000

Gründe:
Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das [X.].

I.
Der Beteiligte zu
2 ist zum Betreuer des Betroffenen u. a. für die [X.] "Aufenthaltsbestimmung" und "Entscheidung über die Unterbringung" bestellt. Er wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die gerichtliche Genehmigung
der Unterbringung des Betroffenen nach §
10 Abs.
2 [X.].
1
2
-
3
-
Der Betroffene wurde 2006 wegen verschiedener Sexualdelikte rechts-kräftig verurteilt, wobei die strafrechtliche Unterbringung gemäß §
63 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Wegen eines weiteren Strafverfahrens war der Betroffene zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung nach §
126
a StPO vorläufig untergebracht. Da der Ausgang des Strafverfahrens ungewiss war, insbesondere im Hinblick darauf, ob eine Unterbringung des Betroffenen gemäß §
63 StGB angeordnet werden würde, hat die örtlich zuständige Verwaltungsbehörde
die Unterbringung des Betroffenen gemäß §
10 Abs.
2 [X.]
beantragt. Das Amtsgericht hat auf der Grundlage eines von der Verwaltungsbehörde
vorgelegten amtsärztlichen psychiatrischen Gutach-tens die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses gemäß §
10 Abs.
2 [X.] bis längs-tens 6.
Februar 2013 mit der Begründung angeordnet, der Betroffene sei psy-chisch krank und nicht in der Lage, seine sexuellen Bedürfnisse zu steuern und das Unrecht fehlgesteuerter sexueller Handlungen einzusehen.
Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu
2 Beschwerde eingelegt, die das [X.] nach Anhörung des Betroffenen und der im Strafverfahren bestellten Sachverständigen zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu
2.

II.
Die gemäß §
70 Abs.
3 Nr.
2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zu-lässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf §
10 Abs.
2 [X.] gestützt und wie folgt begründet:
3
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-
4
-
Beim Betroffenen liege eine mittelgradige Intelligenzstörung mit [X.] vor. Diese Erkrankung sei dauerhaft und könne nicht geheilt werden. Dies ergebe sich u. a. aus dem von der Verwaltungsbehörde vorgeleg-ten amtsärztlichen psychiatrischen Gutachten und werde von keinem der [X.] in Abrede gestellt. Unstreitig sei auch, dass der Betroffene in der Vergan-genheit im Zustand der Schuldunfähigkeit Sexualstraftaten begangen habe. Deshalb habe der Beteiligte zu
2 selbst noch im Schreiben vom 9.
Dezember 2011 ausgeführt, auch er sehe keine Alternative zu einer geschlossenen öffent-lich-rechtlichen Unterbringung des
Betroffenen, sofern keine strafrechtliche Un-terbringung erfolge. Entgegen der im Beschwerdeverfahren vertretenen [X.] des Beteiligten zu
2 ergebe sich auch nichts anderes im Hinblick auf die Ausführungen der Sachverständigen im Strafverfahren. Diese
habe dort zwar ausgeführt, dass eine Fremdgefährdung durch den Betroffenen unter den erfor-derlichen Unterbringungsbedingungen nicht gegeben sei. Diese Einschätzung der Sachverständigen nehme aber ersichtlich auf ihre vorangegangenen Aus-führungen Bezug, wonach der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung einer um-fangreichen Betreuung, Fürsorge und Beaufsichtigung bedürfe, die nur unter den Bedingungen einer intensiv-pädagogischen Wohnform zu erreichen wäre. Derzeit könne die von der Sachverständigen für notwendig gehaltene intensive Betreuung des Betroffenen aber nur im Rahmen einer geschlossenen Unter-bringung gewährleistet werden.
2. Die angegriffenen Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbe-schwerde in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Das Beschwerdegericht [X.] nicht ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Be-schwerde des Beteiligten zu
2 entscheiden.
a) Nach §
321 Abs.
1 Satz
1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaß-nahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über 7
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9
-
5
-
die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Nach §
30 Abs.
1 i.V.m. Abs.
2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen ([X.] vom 15.
September 2010 -
XII
[X.]
383/10
-
FamRZ 2010, 1726 Rn.
18). Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbe-schlusses (vgl. §
358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen, wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach §
30 Abs.
1 FamFG i.V.m. §
406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sach-verständige den Betroffenen gemäß §
321 Abs.
1 Satz
2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erfolgen, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in [X.] des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im [X.] anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen ([X.]sbe-schluss vom 15.
September 2010 -
XII
[X.]
383/10
-
FamRZ 2010, 1726 Rn.
19
ff. mwN).
Dies gilt gemäß §
11 [X.] auch für die öffentlich-rechtliche Un-terbringung nach §
10 Abs.
2 [X.].
Unterlässt das Erstgericht -
wie im vorliegenden Fall
-
diese zwingend ge-botene Verfahrenshandlung, ist sie vom Beschwerdegericht nachzuholen. Denn im Beschwerdeverfahren findet nicht nur eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung statt. Das Beschwerdegericht tritt vielmehr in vollem Umfang an die 10
11
-
6
-
Stelle des Erstgerichts (vgl. §
68 Abs.
3 Satz
1 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach-
und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerde-entscheidung über die Sache neu ([X.]sbeschluss vom 19.
Januar 2011 -
XII
[X.]
256/10
-
FamRZ 2011, 637 Rn.
10).
b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen hätte das Be-schwerdegericht im vorliegenden
Fall vor seiner Entscheidung ein Sachverstän-digengutachten zur Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Betroffenen einholen müssen. Eine erneute Begutachtung des Betroffenen war für die Ent-scheidung in der Hauptsache, anders als bei Erlass einer einstweiligen Anord-nung, weder im Hinblick auf das von der Verwaltungsbehörde ihrem Antrag bei-gefügte amtsärztliche psychiatrische Gutachten noch auf die Anhörung der Sachverständigen im Termin vom 2.
Mai 2012 entbehrlich.
aa) §
321 Abs.
1 FamFG sieht im Hinblick auf die damit einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte des Betroffenen zwingend die [X.] eines Sachverständigengutachtens vor. Dadurch soll eine sorgfältige Sach-verhaltsaufklärung zur Feststellung der medizinischen Voraussetzungen einer Unterbringung sichergestellt werden ([X.]/[X.] FamFG 17.
Aufl. §
321 Rn.
1). Lediglich bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach §
312 Nr.
2 FamFG
kann auch in der Hauptsache an die Stelle eines Gutachtens ein [X.] Zeugnis treten. Die Verpflichtung des Gerichts, ein Gutachten einzuholen, entfällt auch nicht in den Fällen, in denen die zuständige Verwaltungsbehörde nach den landesrechtlichen Bestimmungen für die öffentliche Unterbringung dem Unterbringungsantrag ein ärztliches Gutachten beifügen muss (vgl. §
13 Abs.
1 [X.]). Da dieses Gutachten nicht vom Gericht in Auftrag gegeben wurde, kann es nicht als das von §
321 Abs.
1 FamFG geforderte Gutachten an-gesehen werden (vgl. [X.] in [X.] [Stand: 1.
September 2012] 12
13
-
7
-
§
321 Rn.
21; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 4.
Aufl. §
321 FamFG Rn.
4; [X.]/[X.] 3.
Aufl. §
321 FamFG Rn.
9).
bb) Den vorstehenden Anforderungen wird auch die Anhörung der für das Strafverfahren bestellten Sachverständigen durch das Beschwerdegericht im Termin vom 2.
Mai 2012 nicht gerecht.
Zum einen fehlt es schon an ihrer -
jedenfalls ausdrücklichen
-
Bestellung zur Sachverständigen für das vorliegende Verfahren. Selbst wenn man eine kon-kludente Bestellung unterstellte, mangelte es jedenfalls an einer entsprechenden Bekanntgabe an den Betroffenen vor Beginn der Begutachtung. Außerdem fehlte es an einer Untersuchung des Betroffenen nach Bestellung der Ärztin zur Sach-verständigen und vor Erteilung des Gutachtens. Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die die Sachverständige über den Betroffenen gewonnen hatte, beruhen ausschließlich auf ihrer Tätigkeit als behandelnde Ärztin in der Klinik und nicht als Sachverständige. Deshalb konnte der Betroffene keine Kenntnis davon haben, dass die von ihr durchgeführten Untersuchungen einer späteren Begut-achtung dienen sollten.
Schließlich genügen die von der Sachverständigen in der Anhörung getä-tigten Äußerungen nicht den an ein Gutachten im Sinne des §
321 FamFG zu stellenden Anforderungen. Es mangelt sowohl an einer Darstellung der von ihr durchgeführten Untersuchungen als auch an einer entsprechenden wissenschaft-lichen Begründung.
14
15
16
-
8
-
3. Die Entscheidung des [X.] ist daher aufzuheben. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen erforderlich sind.
Dose

Vézina

Klinkhammer

Günter

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.02.2012 -
2 XIV 359 L -

LG [X.], Entscheidung vom 02.05.2012 -
9 [X.]/12 -

17

Meta

XII ZB 306/12

21.11.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. XII ZB 306/12 (REWIS RS 2012, 1140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1140

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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