Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.10.2014, Az. VI R 7/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 2381

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Gegenstand

(Doppelte Haushaltsführung: Beginn der Dreimonatsfrist in Wegverlegungsfällen, § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 5 und 6 EStG)


Leitsatz

1. Verlegt ein Steuerpflichtiger seinen Haupthausstand aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort weg und nutzt daraufhin eine bereits vorhandene Wohnung am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen als Zweithaushalt (sog. Wegverlegungsfall), so wird die doppelte Haushaltsführung mit Umwidmung der bisherigen Wohnung des Steuerpflichtigen in einen Zweithaushalt begründet (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

2. Mit dem Zeitpunkt der Umwidmung beginnt in sog. Wegverlegungsfällen die Dreimonatsfrist für die Abzugsfähigkeit von Verpflegungsmehraufwendungen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Verpflegungsmehraufwendungen in den ersten drei Monaten einer doppelten Haushaltsführung auch in einem sogenannten Wegverlegungsfall als Werbungskosten bei den Einkünften aus [X.]er [X.]rbeit geltend gemacht werden können.

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hatte mehrere Jahre vor dem Streitjahr in [X.] gewohnt und war dort [X.] beschäftigt. Nach ihrer Eheschließung im Mai 2008 begründeten die Kläger ihren Familienwohnsitz in [X.] Die Wohnung am [X.]eschäftigungsort behielt der Kläger als Zweitwohnung bei.

3

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der Kläger den [X.]bzug von Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung ab dem Tag seiner polizeilichen Meldung in [X.] (Juni 2008). Er machte insbesondere den [X.]bzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei einer [X.]bwesenheit von 24 Stunden für 53 Tage in Höhe von 1.272 € geltend.

4

Der [X.]eklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) verweigerte im Einkommensteuerbescheid 2008 den [X.]bzug von Verpflegungsmehraufwendungen, weil der Kläger bereits vor [X.]egründung der doppelten Haushaltsführung länger als drei Monate am [X.]eschäftigungsort gewohnt habe und daher die Dreimonatsfrist bereits abgelaufen sei, und wies auch den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 417 veröffentlichten Gründen statt.

6

Mit der Revision rügt das F[X.] die Verletzung materiellen Rechts.

7

Es beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der [X.] für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 5 und 6 des Einkommensteuergesetzes i.d.[X.] (EStG) im geltend gemachten Umfang hat.

1. Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG nicht abziehbare Werbungskosten. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzusetzen. Nach Satz 5 der Vorschrift beschränkt sich bei einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte der pauschale Abzug nach Satz 2 auf die ersten drei Monate. Gemäß Satz 6 der Vorschrift gelten die Abzugsbeschränkungen nach Satz 1, die (gestaffelten) [X.] nach Satz 2 sowie die Dreimonatsfrist nach Satz 5 auch für den Abzug von Mehraufwendungen für die Verpflegung bei einer aus betrieblichem oder beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung.

a) Eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn aus beruflicher Veranlassung in einer Wohnung am Beschäftigungsort ein zweiter (doppelter) Haushalt zum Hausstand des Steuerpflichtigen hinzutritt. Der Haushalt in der Wohnung am Beschäftigungsort ist beruflich veranlasst, wenn ihn der Steuerpflichtige nutzt, um seinen Arbeitsplatz von dort aus erreichen zu können. Nach der Rechtsprechung des erkennenden [X.]s kann eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung auch dann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger seinen [X.] aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt und er darauf in einer Wohnung am Beschäftigungsort einen Zweithaushalt begründet, um von dort seiner bisherigen Beschäftigung weiter nachgehen zu können (sog. Wegverlegungsfall, vgl. hierzu [X.]surteile vom 5. März 2009 VI R 58/06, [X.], 413, [X.], 1012; VI R 31/08, [X.], 1256; VI R 23/07, [X.], 420, [X.], 1016, und vom 6. Mai 2010 VI R 34/09, [X.], 2046).

b) Verpflegungsmehraufwand wird seit dem Veranlagungszeitraum 1996 nur für die ersten drei Monate nach Begründung der doppelten Haushaltsführung in Höhe der gesetzlichen [X.] (24 € je Tag im Streitjahr 2008) gewährt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber Steuerpflichtigen mit doppelter Haushaltsführung einen Rechtsanspruch auf Gewährung der gesetzlichen [X.] eingeräumt. Anders als zuvor ist nicht mehr danach zu fragen, ob der Ansatz der Pauschalen zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde ([X.]surteil vom 4. April 2006 VI R 44/03, [X.], 571, [X.], 567). Diese Begrenzung des Abzugs von Mehraufwendungen für die Verpflegung auf drei Monate bei einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung ist verfassungsgemäß. Denn mit der Typisierung einer Übergangszeit (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 5 und 6 EStG) bewegt sich der Gesetzgeber innerhalb der Grenzen seines Beurteilungs- und [X.]. Im Regelfall kann sich der Steuerpflichtige bei einer doppelten Haushaltsführung nach einer mehrmonatigen Übergangszeit auf die [X.] am Beschäftigungsort einstellen, die Höhe der Kosten beeinflussen und damit einen "Mehr"-Aufwand minimieren oder sogar vermeiden (vgl. [X.]surteile vom 8. Juli 2010 VI R 10/08, [X.], 352, [X.], 32; VI R 11/08, [X.] 2011, 14). Gleichwohl kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger die [X.] am Beschäftigungsort konkret bekannt war oder nicht. Denn der Abzug von Mehraufwendungen für die Verpflegung während der Dreimonatsfrist ist generell von der tatsächlichen [X.] unabhängig. Ein Einzelnachweis von Verpflegungsmehraufwendungen entfällt und es ist auch ohne Bedeutung, ob überhaupt ein erhöhter Verpflegungsmehraufwand anfällt (vgl. [X.]surteile vom 8. Juli 2010 VI R 15/09, [X.], 358, [X.], 47; vom 16. November 2005 VI R 12/04, [X.], 64, [X.], 267; vom 10. April 2002 VI R 154/00, [X.], 559, [X.] 2002, 779; vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, [X.], 502, [X.] 2005, 782; vom 13. Dezember 2007 VI R 73/06, [X.] 2008, 936). Unter Heranziehung dieser Erwägungen hat der erkennende [X.] bereits entschieden, dass Verpflegungsmehraufwendungen in den ersten drei Monaten geltend gemacht werden können, wenn ein Steuerpflichtiger nach Beendigung einer doppelten Haushaltsführung in der schon früher genutzten Wohnung erneut eine doppelte Haushaltsführung begründet ([X.]surteil in [X.], 358, [X.], 47).

c) Dem Steuerpflichtigen stehen auch in Fällen, in denen er seinen [X.] aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt und seine bisherige Wohnung in einen Zweithaushalt umwidmet, Verpflegungsmehraufwendungen für die ersten drei Monate zu. Denn in diesen Fällen wird die doppelte Haushaltsführung mit Umwidmung der bisherigen Wohnung des Steuerpflichtigen in einen Zweithaushalt begründet. Im Zeitpunkt der Umwidmung beginnt daher die Dreimonatsfrist für die Abzugsfähigkeit der Verpflegungsmehraufwendungen zu laufen.

aa) Für eine einschränkende Wortlautauslegung besteht kein Anlass. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 5 und 6 EStG dienen der Steuervereinfachung (BTDrucks 13/901, S. 129; BTDrucks 13/1558, S. 143). Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn eine Einzelfallprüfung entfällt, nämlich ob und wie lange sich der Steuerpflichtige vor Begründung der doppelten Haushaltsführung bereits am Beschäftigungsort aufgehalten hat und sich daher auf die [X.] hat einstellen können. Dementsprechend kommt es nach der Rechtsprechung des erkennenden [X.]s gerade nicht darauf an, ob überhaupt ein erhöhter [X.] angefallen ist und ob dem Kläger die [X.] am Beschäftigungsort bekannt war (vgl. [X.]surteile in [X.], 358, [X.], 47; in [X.], 64, [X.], 267; in [X.], 559, [X.] 2002, 779; in [X.], 502, [X.] 2005, 782, und in [X.] 2008, 936).

bb) In Kenntnis der vorgenannten [X.]srechtsprechung hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 ([X.], 285, [X.], 188) keine Änderung dahingehend vorgenommen, dass die Dreimonatsfrist mit einem anderen Zeitpunkt als mit der Begründung der doppelten Haushaltsführung beginnen soll. Auch das spricht für die vom erkennenden [X.] getroffene Auslegung, dass die konkrete [X.] unerheblich ist.

2. Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass im Streitjahr 2008 eine doppelte Haushaltsführung des [X.] vorlag und diesem ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen für drei Monate zusteht. Auch hinsichtlich der Höhe der Verpflegungsmehraufwendungen begegnet die angefochtene Entscheidung keinen Bedenken. Nach den Feststellungen des [X.] war der Kläger im Streitjahr an 53 Tagen ganztägig von der Familienwohnung abwesend. Entsprechend der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG genannten Pauschale von 24 € für eine 24-stündige Abwesenheit beläuft sich die Gesamthöhe der Pauschalen damit auf 1.272 €. Dies entspricht dem Antrag des [X.]. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Meta

VI R 7/13

08.10.2014

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 9. Januar 2013, Az: 15 K 318/12 E, Urteil

§ 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 1 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 2 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 5 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 6 EStG 2002, § 9 Abs 5 EStG 2002, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.10.2014, Az. VI R 7/13 (REWIS RS 2014, 2381)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2381

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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