Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2011, Az. XII ZB 47/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6531

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[X.]BESCHLUSS [X.] 47/11
vom 18. Mai 2011 in der [X.] Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: jaFamFG §§ 29, 30, 329 Abs. 2 Satz 2; BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1 Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten voraus (im [X.] an Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - [X.] 248/09 - FamRZ 2010, 365). [X.], Beschluss vom 18. Mai 2011 - [X.] 47/11 - [X.] [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 18. Mai 2011 durch die [X.] Richterin [X.], die Richterin [X.] und [X.] Klinkhammer, Schilling und [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom [X.] 2010 aufgehoben und der Beschluss des [X.] vom 22. September 2010 wie folgt abgeändert: Der Antrag des Betreuers vom 2. Juli 2010, die geschlossene Un-terbringung der Betroffenen zu genehmigen, wird zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG). Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 • festgesetzt. Gründe: [X.] Die 1958 geborene Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die gerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung. 1 Die Betroffene, die ohne festen Wohnsitz bei wechselnden Bekannten und in wechselnden Pensionen lebte, steht seit Juni 2010 unter rechtlicher [X.] - 3 - treuung. Der Betreuer, zu dessen Aufgabenkreis u.a. die [X.] und Unterbringung gehören, hat mit Schreiben vom 2. Juli 2010 die [X.] zur Unterbringung der Betroffenen beantragt. Zu dem [X.]punkt [X.] sich die Betroffene in stationärer Behandlung in der psychiatrischen Abtei-lung des Krankenhauses S., wo sie sich auch schon im Januar 2010 hatte [X.] lassen. Das Amtsgericht - Betreuungsgericht - hat den Oberarzt der Station mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 22. September 2010 - nach Bestellung eines Verfahrenspflegers und nach Anhörung der Betroffenen - deren Unterbringung in der geschlossenen Abtei-lung eines psychiatrischen Krankenhauses bis zum 22. September 2011 ge-nehmigt. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Betroffenen hat das Land-gericht diese sowie den behandelnden Oberarzt - zugleich Sachverständigen - am 7. Dezember 2010 erneut angehört. Nach deren übereinstimmender Schil-derung hatte die Betroffene in der geschlossenen Abteilung "[X.]" jegliche Kooperation und Nahrungsaufnahme verweigert und war deshalb nach wenigen Tagen dortigen Aufenthalts bereits am 1. Oktober 2010 in die offene Station des Kreiskrankenhauses verlegt worden, wo sie sich anpasste und integrierte. 3 Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen sei die Betrof-fene zwar in der Lage, einfache Dinge des täglichen Lebens zu regeln, könne darüber hinaus gehende Regelungen aber nicht treffen. Derzeit werde mit ihr vor allem in Gesprächen psychotherapeutisch gearbeitet, damit keine akuten Schübe ihrer Wahnvorstellungen aufträten. Auf die Angabe der Betroffenen, dass sie eine Wohnung zur Warmmiete von 340 • angemietet habe, welche binnen einer Woche renoviert werde, hat der Sachverständige der Betroffenen angeboten, dass sie im Krankenhaus bleiben könne, bis ihre Wohnung fertig 4 - 4 - sei. Sie werde nicht medikamentiert, es finde nur Psychotherapie statt. Mit dem Vorschlag hat sich die Betroffene einverstanden erklärt, aber nur noch für diese Woche. 5 Durch Beschluss vom 14. Dezember 2010 hat das [X.] die Be-schwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde. I[X.] Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zu-lässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückweisung des [X.] auf Genehmigung der Unterbringung. 6 1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet: 7 Nach dem fachärztlichen Gutachten des Sachverständigen und der [X.] ergebe sich eindeutig, dass bei ihr eine psychische Er-krankung vorliege. Zwar sei durch die Anhörung nicht bestätigt worden, dass die Betroffene zum [X.]punkt ihrer Aufnahme in die Klinik verwahrlost im Sinne von unterernährt oder ungepflegt gewesen sei. Eine ernstliche Gefahr für Leib oder Leben drohe der Betroffenen aber daraus, dass sie monatlich nur über 900 • verfüge. Selbst wenn sie Aufnahme in eine Mietwohnung finden sollte, was fraglich erscheine, summierten sich monatlich Mietkosten, die von ihrem Einkommen kaum gedeckt werden könnten. Jedenfalls wären keine Geldmittel mehr für ausreichende Beschaffung von Nahrung übrig, zumal die Betroffene eingeräumt habe, dass sie nicht selber koche, sondern sich an Imbissbuden oder an [X.] ernähre. Für den Fall, dass sie keine Wohnung mehr fin-8 - 5 - de, drohe Obdachlosigkeit und mithin ebenfalls Verwahrlosung. Auch schlage die Betroffene eine Unterbringung in einer städtischen Einrichtung für Wohnsitz-lose aus. Nachdem sie im Juli einmal im [X.] genächtigt habe, erscheine ihr Tod durch Erfrieren nahe, sollte sie dieses im Winter wiederholen. Eine Besse-rung des Zustandes der krankheitsuneinsichtigen Betroffenen bedinge [X.] auch medikamentöse Behandlung. Andere Maßnahmen als die Unterbrin-gung mit medikamentöser Behandlung seien nicht ersichtlich, die ähnlich [X.] wären, die Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden dauerhaft abzuweh-ren. 2. Die angegriffene Entscheidung des [X.] hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen liegen nicht vor. 9 a) Unbedenklich ist allerdings, dass die Instanzgerichte den Sachver-ständigen bestellt haben, obgleich dieser die Betroffene zuvor behandelt hatte. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestel-len, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sach-verständigen bestellt werden kann (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 9; [X.]/[X.] FamFG 16. Aufl. § 280 Rn. 6). 10 Ebenso wenig steht einer Verwertung des Sachverständigengutachtens entgegen, dass die Betroffene den Sachverständigen als ihren behandelnden Arzt - jedenfalls soweit ersichtlich - nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat. Denn soweit ein Sachverständiger von einem ihm kraft Amtes, Standes oder Gewerbes zustehenden Gutachtenverweigerungsrecht gemäß 11 - 6 - §§ 29 f. FamFG i.V.m. § 408 ZPO keinen Gebrauch macht, setzt selbst der Umstand, dass er sich damit zugleich des Bruchs eines Berufsgeheimnisses schuldig macht, der Verwertung der Begutachtung in der Regel keine Schranke (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 11 mwN). 12 b) Nach den getroffenen Feststellungen fehlt es jedoch an den materiel-len Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Diese setzt nämlich eine ernstliche und [X.] voraus (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - [X.] 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der frei-heitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Bienwald/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rn. 91). Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - [X.] 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus ([X.]/[X.]/[X.] BGB 2. Aufl. § 1906 Rn. 9). Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - [X.] 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23). Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (Senatsbe-schluss vom 13. Januar 2010 - [X.] 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). - 7 - Nach den Feststellungen, die das [X.] getroffen hat, ist eine ge-schlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Zwar hat das [X.] in Übereinstimmung mit den Ausfüh-rungen des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 10. September 2010 festgestellt, dass die Betroffene unter einer [X.] [X.] aus dem schizophrenen Formenkreis leidet. Auch hatte der Sachver-ständige in seinem schriftlichen Gutachten zunächst eine einjährige Unterbrin-gung der Betroffenen empfohlen, da diese die notwendigen Dinge des täglichen Lebens nicht mehr regeln könne und deshalb nicht mehr in der Lage sei, Ge-sundheitsgefahren bzw. ihre körperliche Verelendung aufzuhalten. 13 Das [X.] hat jedoch verfahrensfehlerhaft nicht die weitere Ent-wicklung und den darauf beruhenden weiteren Erkenntnisfortschritt des Sach-verständigen zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Im Rahmen der An-hörung vor dem [X.] am 7. Dezember 2010 hat der Sachverständige ausgeführt, dass die geschlossene Unterbringung mangels Kooperation der Betroffenen nicht den beabsichtigten Erfolg gebracht habe und jene deshalb bereits nach wenigen Tagen in die offene Station verlegt worden sei. Dort habe sie sich eingepasst und eingegliedert. Auf die Angabe der Betroffenen, dass sie inzwischen eine Wohnung zur Warmmiete von 340 • angemietet habe, sind die Betroffene und der Sachverständige übereingekommen, dass die Betroffene noch im Krankenhaus bleiben solle, bis ihre Wohnung in voraussichtlich der darauf folgenden Woche fertig renoviert sei, und sie in dieser [X.] nicht medi-kamentiert werde, sondern nur Psychotherapie stattfinde. 14 Nach diesen ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen und der mit der Betroffenen erzielten Übereinkunft über das weitere Vorgehen war jegli-che Grundlage für die dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegte An-nahme entfallen, eine Besserung des Zustandes der Betroffenen bedinge in 15 - 8 - jedem Fall auch eine medikamentöse Behandlung, und andere Maßnahmen als die Unterbringung mit medikamentöser Behandlung seien nicht ähnlich geeig-net, die Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden dauerhaft abzuwehren. Im [X.]punkt der Anhörung vor dem [X.] ging nämlich bereits der Sachver-ständige offensichtlich nicht mehr von der Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung aus, sondern hielt sowohl die gesprächstherapeutische Behand-lung in der offenen Station (ohne Medikation) für ausreichend als auch einen Wechsel der Betroffenen in eine eigene Wohnungssituation für vertretbar. Das Gericht dürfte aber die Unterbringung eines Betroffenen in einer ge-schlossenen Einrichtung schon dann nicht mehr genehmigen, wenn die Frei-heitsentziehung als solche nicht notwendig ist und die Genehmigung letztlich nur eine Rechtsgrundlage abgeben soll, den Betroffenen in einer offenen Abtei-lung der Einrichtung einer erforderlichen Behandlung zu unterziehen - wie es hier in der [X.] seit dem 1. Oktober 2010 geschah (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - [X.] 185/07 - FamRZ 2008, 866). Erst recht darf die Unter-bringung nicht angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn der Wechsel in eine häusliche Wohnsituation - wie hier vom Sachverständigen ausdrücklich befürwortet und unterstützt - vertretbar ist. Das hat das [X.] nicht be-dacht. 16 - 9 - 3. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da diese zur Entscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 FamFG). Die Entscheidung des [X.]s ist aufzuheben, die Entscheidung des Amtsgerichts abzuändern und der Antrag des Betreuers, die geschlossene Unterbringung zu genehmigen, [X.]. 17 Hahne [X.] Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom [X.]/10 - [X.] [X.], Entscheidung vom 14.12.2010 - 3 [X.]/10 -

Meta

XII ZB 47/11

18.05.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2011, Az. XII ZB 47/11 (REWIS RS 2011, 6531)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6531

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