Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2019, Az. 4 StR 365/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10859

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Gegenstand

Sexueller Missbrauch von Kindern: Schuldunfähigkeit wegen Aufhebung der Einsichtsfähigkeit


Tenor

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 15. Februar 2018 gewährt.

Der Beschluss des [X.] vom 22. Mai 2018, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Zwar sind die Ausführungen des [X.] zur Schuldfähigkeitsprüfung rechtlich nicht gänzlich unbedenklich; ein durchgreifender Rechtsfehler liegt jedoch nicht vor.

a) Das [X.] ist zu der Auffassung gelangt, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Tuns zu den [X.] aufgehoben war. Der langjährig an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidende Angeklagte sei aufgrund der fortgeschrittenen Wahnerkrankung, die insbesondere mit akustischen Halluzinationen einhergegangen sei, nicht in der Lage gewesen, den ihn zur Vornahme sexueller Handlungen auffordernden Stimmen zu widerstehen; angesichts der „Intensität“ und der „über Jahre erfolgten Verfestigung der Wahnvorstellungen“ sei er bei den zum Nachteil seiner Tochter begangenen Missbrauchshandlungen auch bei Anstrengung seiner Geisteskräfte nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Zwar habe er in den jeweiligen [X.] „zielgerichtet“ gehandelt; gleichwohl habe es ihm an Handlungsalternativen gefehlt, womit zugleich das Fehlen der Einsicht in das Unrecht der vom Wahn bestimmten Handlungen einhergegangen sei.

b) Diese Begründung lässt im Zusammenhang mit den Feststellungen zu den [X.] zweifelhaft erscheinen, ob dem Angeklagten bei Tatbegehung die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seines Tuns einzusehen.

aa) Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder ihren strafwürdigen Bedeutungsgehalt nicht erkennt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 [X.], [X.], 585, 586; vom 15. Juli 2015 - 4 StR 277/15, [X.], 725; Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, [X.]St 34, 22, 25). Demgegenüber ist wegen fehlender Steuerungsfähigkeit schuldunfähig, wer infolge der Störung zwar das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht in der Lage ist, nach der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Zwischen Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit ist zu differenzieren ([X.], Beschlüsse vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16, [X.], 203, 205; vom 21. November 2017 - 2 StR 375/17). Nur in Ausnahmefällen kann eine psychische Störung dazu führen, dass Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 [X.], [X.], 167).

bb) Gemessen hieran greift der Hinweis des [X.], dass dem Angeklagten in den [X.] wahnbedingt Handlungsalternativen nicht zur Verfügung standen und ihm deshalb die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Tuns fehlte, zu kurz. Handlungsalternativen fehlen auch demjenigen Täter, der das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht nach dieser Einsicht zu handeln vermag. Das vom [X.] zu Recht als „zielgerichtet“ bewertete Verhalten des Angeklagten in den jeweiligen [X.] hätte im Übrigen Anlass zu kritischer Prüfung der Frage geben müssen, ob es - ungeachtet des festgestellten akuten [X.] - für einen noch erhaltenen Realitätsbezug und damit für eine noch erhaltene Einsichtsfähigkeit sprechen konnte, wie dies der vom [X.] hinzugezogene psychiatrische Sachverständige angenommen hat. Etwaige [X.] in diesem Zusammenhang stellen jedoch die Schuldfähigkeitsbeurteilung des [X.] nicht in Frage. Denn die Feststellungen und Beweiserwägungen zur Schwere des Krankheitsbilds und den Auswirkungen in den jeweiligen [X.] belegen, dass jedenfalls die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund akuten [X.] zu den [X.] sicher aufgehoben war.

2. Auch die Gefahrenprognose ist knapp, aber insgesamt noch tragfähig begründet.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur erfolgen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also Taten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben ([X.], Beschluss vom 17. Juli 2018 - 1 StR 287/18, NStZ-RR 2018, 302). Die anzustellende Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln ([X.], Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, [X.], 141, 142). Das Tatgericht hat die für die Gefährlichkeitsprognose maßgeblichen Umstände so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, [X.], 74, 75).

b) Diesen Darlegungsanforderungen wird das Urteil noch gerecht. Zwar erschließt sich nicht, auf welche konkreten Tatsachen das [X.] seine Annahme stützt, es bestehe ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte ein Kapitaldelikt begehen könnte. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch hinreichend klar zu entnehmen, dass das [X.] seine Annahme, es bestehe eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte auch künftig Sexualstraftaten begehen könne, tragfähig insbesondere auf die Schwere der Wahnerkrankung, den ungünstigen Krankheitsverlauf, die Intensivierung der Wahnvorstellungen und akustischen Halluzinationen sowie den Umstand gestützt hat, dass der Angeklagte wahnbedingt Stimmen hört, die ihm die Begehung von Sexualstraftaten befehlen oder nahelegen.

Sost-Scheible     

        

Cierniak     

        

Bender

        

Quentin     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 365/18

30.01.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 15. Februar 2018, Az: 21 KLs 12/17

§ 20 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2019, Az. 4 StR 365/18 (REWIS RS 2019, 10859)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10859

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 12/20

2 StR 121/20

2 StR 284/19

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